Rz. 64

Problematisch ist die Behandlung folgender Fallkonstellation: Der Überlebende hat durch gemeinschaftliches Testament eine Zuwendung erhalten, wäre aber für den Fall der Ausschlagung auch gesetzlicher Erbe, wie im Regelfall, wenn sich die Ehegatten wechselbezüglich bedenken und wenn der Schlusserbe nicht Ersatzerbe für den Ausschlagenden wird nach § 2096 BGB.[175] Für den Fall, dass der gesetzliche Erbteil wertmäßig an die testamentarische Zuwendung heranreicht, was noch bei ¾ des Wertes der testamentarischen Zuwendung bejaht wird,[176] oder diesen sogar übersteigt, verlangt die h.M., dass der Überlebende auch sein gesetzliches Erbrecht ausschlagen muss, um seine Testierfreiheit wieder zu erlangen.[177] Die Begründung dafür soll darin liegen, dass die Ehegatten im Regelfall dem Überlebenden eine bestimmte Rechtsposition unabhängig vom Berufungsgrund einräumen wollen.[178] Die Stellung des Überlebenden soll dann dem Willen der Erblasser nach davon abhängig sein, dass er nicht ausschlägt. Erforderlich ist lediglich, dass sich die Ehegatten ausdrücklich oder stillschweigend auf den gesetzlichen Erbteil eingesetzt haben.[179] In den sonstigen Fällen kann der beschriebene Erblasserwille zu einer bedingten Enterbung im Fall der Ausschlagung führen.[180]

 

Rz. 65

Die Praxis wird diese Ansicht in Rechnung stellen müssen. Insbesondere wird der ausschlagungswillige Mandant auf das Risiko des Verlustes des gesetzlichen Erbteils hinzuweisen sein und das Erfordernis, auch diesen ausschlagen zu müssen, um die Testierfreiheit wieder zu erlangen. Die vorgenannte Ansicht ist jedoch abzulehnen. Sie vermischt unzulässig die Wirkung der Ausschlagung (nämlich eine durchaus mögliche dadurch bedingte Enterbung) mit der Frage der Wiedererlangung der Testierfreiheit, sowie die verschiedenen Berufungsgründe. Sie findet im Gesetzeswortlaut auch keine Stütze. Die Berufung zum gesetzlichen Erben besteht kraft Gesetzes und damit unabhängig von testamentarischen Verfügungen. Fallen die vorrangigen testamentarischen Verfügungen durch Ausschlagung und Aufhebung weg, so erlangt der Überlebende seine Testierfreiheit wieder. In einem weiteren Schritt ist dann zu klären, ob für den Fall der Ausschlagung eine bedingte Enterbung vorgesehen ist. Hier wird in der Tat nach der Höhe der testamentarischen Zuwendungen und des gesetzlichen Erbteils zu differenzieren sein.[181] Ist der Wert der testamentarischen Zuwendung erheblich größer als der gesetzliche Erbteil, so müssen sich für die Enterbung eindeutige Hinweise im Testament finden lassen.[182] Anders gewendet, ergibt sich damit für den Fall, dass der testamentarische Erbteil erheblich geringer ist als der gesetzliche Erbteil, ein starkes Indiz für den Enterbungswillen,[183] jedenfalls soweit der gesetzliche Erbteil über den testamentarischen Erbteil hinausgeht.[184]

[175] MüKo/Musielak, § 2271 Rn 25.
[176] KG NJW-RR 1991, 330; Soergel/Wolf, § 2271 Rn 19.
[177] OLG München JFG 15, 36, 38; KG NJW-RR 1991, 330, 331; Soergel/Wolf, § 2271 Rn 19; a.A. Palandt/Weidlich, § 2271 Rn 18; Staudinger/Kanzleiter, § 2271 Rn 43.
[178] MüKo/Musielak, § 2271 Rn 25.
[179] MüKo/Musielak, § 2271 Rn 25.
[180] MüKo/Musielak, § 2271 Rn 25.
[181] MüKo/Musielak, § 2271 Rn 25.
[182] MüKo/Musielak, § 2271 Rn 25.
[183] Staudinger/Kanzleiter, § 2271 Rn 43.
[184] Staudinger/Kanzleiter, § 2271 Rn 43.

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