Gesetzestext

 

Das einem Erben zugewendete Vermächtnis (Vorausvermächtnis) gilt als Vermächtnis auch insoweit, als der Erbe selbst beschwert ist.

A. Allgemeines/Normzweck

 

Rz. 1

Der Zweck der Vorschrift liegt darin, klarzustellen, dass das einem Erben zugewendete Vermächtnis auch insoweit ein Vermächtnis ist, als es den Erben selbst beschwert. Dieses Vermächtnis zugunsten eines Erben bezeichnet der Gesetzgeber – unabhängig davon, ob der Erbe mit diesem Vermächtnis beschwert ist oder nicht – als Vorausvermächtnis.[1] Gegenüber den Miterben, anderen Vermächtnisnehmern und Nachlassgläubigern erhält der Erbe eine privilegierte Stellung; ihm wird tatsächlich mehr zugewendet, als er als Erbe erhält.[2] Die Anordnung eines Vorausvermächtnisses bleibt daher auch dann bestehen, wenn die Erbenstellung entfällt (bspw. bei Erbausschlagung).[3]

[1] Staudinger/Otte, § 2150 Rn 1.
[2] Staudinger/Otte, § 2150 Rn 1.
[3] OLG München v. 5.6.2013 – 20 U5 1005/12, ZEV 2013, 507–510.

B. Tatbestand

I. Vorausvermächtnis

 

Rz. 2

Bei einem Vorausvermächtnis handelt es sich um die vermächtnisweise Zuwendung eines Rechts oder Gegenstandes an einen jeden Erben.[4] Der Erbe erhält somit einen Vermögensvorteil, den er sich im Gegensatz zur Teilungsanordnung (§ 2048 BGB) nicht auf seinen Erbteil anrechnen lassen muss. Kein Vorausvermächtnis stellt allerdings die Zuwendung eines Vermächtnisses an einen Ersatzerbberechtigten dar.[5] Ein Vorausvermächtnis verliert somit nicht deshalb seine Wirkung, weil der Vermächtnisgegenstand dem Erben ohnehin zustand.[6]

 

Rz. 3

Das Vorausvermächtnis erwirbt der alleinige Vorerbe grundsätzlich mit dem Erbfall. Es gelangt so in das freie Vermögen des Erben, über das er nach Belieben verfügen kann. Das Vorausvermächtnis kann unter einer Bedingung angeordnet werden, die insbesondere die Erreichung der mit der Anordnung der Vor- und Nacherbschaft bezweckten Ziele sichern soll.[7]

 

Rz. 4

Hat der Erblasser dem Bedachten bspw. eine lebenslange Rente zugewandt und Testamentsvollstreckung angeordnet, obliegt es dem Testamentsvollstrecker, dafür zu sorgen, dass die monatliche Rente auch bis zum tatsächlichen Lebensende aus dem Nachlass gezahlt werden kann. Zur Sicherung dieses Anspruchs ist ein Sicherungseinbehalt notwendig, der von einer Lebenserwartung von 110–115 Jahren ausgeht und die Annahme einer maximalen Lebenserwartung von 120 Jahren rechtfertigt.[8]

[4] OLG Schleswig ZEV 2013, 501–504; MüKo/Rudy, § 2150 Rn 2.
[5] BGH NJW 1979, 917.
[6] OLG München ZEV 2013, 507–510.
[7] Mayer, ZEV 2000, 1.

II. Erbe

1. Alleinerbe

 

Rz. 5

Der Erblasser kann jeden Erben mit einem Vorausvermächtnis bedenken. Es ist dabei unerheblich, ob der mit einem Vermächtnis begünstigte Erbe Allein-, Mit-, Vor- oder Nacherbe ist.

 

Rz. 6

Es kann so auch dem Alleinerben ein Vorausvermächtnis zugewiesen werden.[9] Das Vorausvermächtnis ist für den Erben grundsätzlich vorteilhaft. Dies wird bei verschiedenen gesetzlichen Bestimmungen deutlich: So bestimmt bspw. § 2373 BGB, dass beim Erbschaftskauf ein dem Verkäufer zugewendetes Vorausvermächtnis im Zweifel nicht als mitverkauft anzusehen ist. Der Erbe hat darüber hinaus die Freiheit, die Erbschaft auszuschlagen, das Vermächtnis jedoch anzunehmen. Dies gilt jedoch nicht, wenn die Zuwendung an die Erbenstellung anknüpft.[10] Entsprechendes gilt, wenn die Erbschaft angenommen und auf das Vermächtnis verzichtet wird.

 

Rz. 7

Liegt eine unwirksame oder bedingte Erbeinsetzung vor, hat dies grundsätzlich keine Auswirkungen auf das Vorausvermächtnis (§ 2085 BGB).[11]

 

Rz. 8

Besonders vorteilhaft kann das Vorausvermächtnis für den Alleinerben im Falle angeordneter Testamentsvollstreckung (§§ 2203, 2213 BGB) oder Nachlassverwaltung (§§ 1975 ff. BGB) sein.[12] Im Falle angeordneter Testamentsvollstreckung über die Verwaltung des Nachlasses (§ 2209 BGB) kann der Erbe als Vorausvermächtnisnehmer die Überlassung des Vermächtnisgegenstandes zu seiner freien Verfügung auch außerhalb der Voraussetzungen des § 2217 Abs. 1 S. 1 BGB verlangen. Der Anspruch ergibt sich aus der Verpflichtung des Testamentsvollstreckers, seine Befugnisse zu beachten (§§ 2203, 2208 Abs. 1 S. 1 BGB), und beruht nicht auf § 2174 BGB.[13] Kommt es nicht zum Erlöschen eines Rechtsverhältnisses infolge der durch den Erbfall eingetretenen Konfusion, steht dem Alleinerben als Vorausvermächtnisnehmer auch der Anspruch aus § 2174 BGB in den Fällen der Nachlassverwaltung und der Nachlassinsolvenz (§ 1976 BGB) zu. Entsprechendes gilt in den Fällen der Dürftigkeitseinrede (§ 1991 Abs. 2 BGB) und des Erbschaftskaufs (§ 2377 BGB).[14]

[9] Staudinger/Otte, § 2150 Rn 2.
[10] Vgl. dazu MüKo/Leipold, § 1953 Rn 6; MüKo/Wegerhoff, § 2352 Rn 4.
[11] Staudinger/Otte, § 2150 Rn 2.
[12] Palandt/Weidlich, § 2150 Rn 2.
[13] Staudinger/Otte, § 2150 Rn 2.
[14] Staudinger/Otte, § 2150 Rn 2.

2. Miterbe

a) Abgrenzung zwischen Vorausvermächtnis und Teilungsanordnung

 

Rz. 9

Oft ergeben sich Abgrenzungsprobleme zwischen einem Vorausvermächtnis oder einer Teilungsanordnung (§ 2048 BGB).[15] Liegt keine eindeutige Erklärung des Erblassers vor, ist hier der Wille des Erblassers durch Auslegung zu ermitteln. Bei der Teilungsanordnung nimmt der...

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Deutsches Anwalt Office Premium. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge