Gesetzestext

 

Hat der Erblasser einem Abkömmling, der zur Zeit der Errichtung der letztwilligen Verfügung keinen Abkömmling hat oder von dem der Erblasser zu dieser Zeit nicht weiß, dass er einen Abkömmling hat, für die Zeit nach dessen Tode einen Nacherben bestimmt, so ist anzunehmen, dass der Nacherbe nur für den Fall eingesetzt ist, dass der Abkömmling ohne Nachkommenschaft stirbt.

A. Zweck und Anwendungsbereich

 

Rz. 1

Die Vorschrift enthält eine Regel für eine ergänzende Auslegung, die – ähnlich dem in §§ 2069, 2079 BGB enthaltenen Gedanken – auf der Annahme beruht, dass der Erblasser die Nachkommen eines von ihm bedachten Abkömmlings nicht zugunsten Dritter von der Erbschaft ausschließen will. Bei Einsetzung eines tatsächlich – oder jedenfalls nach Vorstellung des Erblassers – kinderlosen Abkömmlings als Vorerben gilt die Nacherbenberufung daher im Zweifel nur für den Fall, dass der Vorerbe ohne Abkömmlinge stirbt. § 2107 BGB unterstellt insoweit einen an sich § 2078 Abs. 2 BGB unterfallenden Motivirrtum und macht zugleich wegen des Vorrangs der Auslegung die Anfechtung entbehrlich.[1] Anders als bei § 2078 Abs. 2 BGB muss dieser Irrtum nicht von demjenigen bewiesen werden, der sich darauf beruft,[2] stattdessen obliegt es dem zum Nacherben Berufenen, den Beweis dafür zu führen, dass die Nacherbeinsetzung trotz des Vorhandenseins von Abkömmlingen Bestand haben sollte. § 2107 BGB gilt nicht nur im Verhältnis zu Familienfremden oder entfernteren Verwandten, sondern auch dann, wenn der eingesetzte Nacherbe mit dem Erblasser gleich nah wie oder näher verwandt ist als der Abkömmling des Vorerben.[3] Allerdings wird in diesem Fall der Wille des Erblassers meist dahin gehen, die dispositive Regel des § 2107 BGB auszuschließen.[4]

[1] Staudinger/Avenarius, § 2107 Rn 2; RGRK/Johannsen, § 2107 Rn 1, der jedoch in Rn 7 die Anfechtung insow. für möglich hält, als Erblasser bei Kenntnis der Sachlage entgegen § 2107 BGB verfügt hätte; vgl. dazu auch MüKo/Grunsky, § 2107 Rn 6.
[2] RGRK/Johannsen, § 2107 Rn 1.
[3] BGH NJW 1981, 2743; BGH NJW 1980, 1276.
[4] BGH NJW 1980, 1276.

B. Abkömmlinge

 

Rz. 2

Zu den Abkömmlingen, deren Nichtberücksichtigung die Nacherbeinsetzung entfallen lässt, gehören sämtliche ehelichen und nichtehelichen unmittelbaren und entfernteren Abkömmlinge. Dazu zählen grundsätzlich auch Adoptivkinder, da diese die rechtliche Stellung eines ehelichen Kindes bzw. eines Kindes des Annehmenden haben (§§ 1754, 1767 Abs. 2 BGB).[5] Allerdings wird hier oft ein abweichender Erblasserwille vorliegen. Dies ist z.B. dann anzunehmen, wenn der Erblasser für den Fall, dass der als Erbe Eingesetzte kinderlos stirbt, andere (leibliche) Kinder einsetzt.[6] Ein § 2107 BGB entgegenstehender Erblasserwille kann auch dann anzunehmen sein, wenn eine Adoption nur zu dem Zweck erfolgt ist, die Nacherbeinsetzung zu vereiteln,[7] ferner, wenn die Nacherbfolge nur sicherstellen soll, dass der Nachlass unabhängig von Schulden des Vorerben erhalten bleiben soll.[8] Sofern der Abkömmling des Vorerben durch Erbverzicht, Erbunwürdigkeitserklärung oder Ausschlagung wegfällt, ist durch ergänzende Auslegung zu entscheiden, ob es bei der Nacherbeinsetzung bleibt.[9] Der Abkömmling muss im Zeitpunkt des Nacherbfalls noch nicht geboren sein; gem. § 1923 Abs. 2 BGB reicht es aus, wenn er bereits gezeugt ist. Ist der Abkömmling bereits vor dem Tod des Vorerben gestorben, kann § 2107 BGB nicht greifen.

 

Rz. 3

Der Abkömmling des Vorerben muss bei Errichtung der letztwilligen Verfügung noch nicht vorhanden oder dem Erblasser nicht bekannt gewesen sein. Erfährt der Erblasser erst nach der Errichtung der Verfügung von dem Vorhandensein eines Abkömmlings, steht dies der Anwendung von § 2107 BGB grundsätzlich nicht entgegen. Wenn der Erblasser die Verfügung trotz Kenntnis vom Vorhandensein des Abkömmlings nicht ändert, kann dies aber ein Indiz für seinen Willen zur Aufrechterhaltung der Nacherbeinsetzung sein.[10] Dies gilt erst recht, wenn der Erblasser zur Zeit der Errichtung der Verfügung weiß, dass der Vorerbe einen Abkömmling gezeugt hat.[11]

 

Rz. 4

Der Nacherbe muss ausdrücklich oder stillschweigend (§ 2106 Abs. 1 BGB) für die Zeit nach dem Tod des Vorerben bestimmt sein. § 2107 BGB gilt daher nicht, wenn der Eintritt des Nacherbfalls an ein anderes Ereignis oder einen anderen Zeitpunkt geknüpft ist, denn hiermit bringt der Erblasser hinreichend zum Ausdruck, dass der nachgeborene oder unbekannte Abkömmling ganz von der Erbfolge ausgeschlossen sein soll. Wenn der Vorerbe vor oder nach dem Tod des Erblassers rückwirkend wegfällt, tritt nicht dessen Erbe, sondern im Zweifel gem. § 2102 BGB der Nacherbe als Ersatzerbe an seine Stelle. Den Abkömmlingen des Vorerben bleibt nach h.M. lediglich die Möglichkeit, die letztwillige Verfügung nach §§ 2078 Abs. 2, 2079 BGB anzufechten.[12]

[5] LG München FamRZ 2000, 569; BayObLG NJW-RR 1992, 839.
[6] BayObLG FamRZ 1985, 426, 427.
[7] RGRK/Johannsen, § 2107 Rn 4; Staudinger/Avenarius, § 2107 Rn 6; Soergel/Harder-Wegmann, § 2107 Rn 2; einschränkend MüKo/Grunsky, § 2107 Rn 3 m....

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