Rz. 2

Der Wille, eine Vor- und Nacherbschaft anzuordnen, kann auch ohne die gesetzlichen Termini zum Ausdruck gebracht werden. Aus der Verfügung muss sich nur entnehmen lassen, dass der Erblasser die Erbschaft zunächst dem Erst- und anschließend dem Zweitberufenen zu eigener Herrschaft zukommen lassen wollte[2] bzw. dass er einen zeitlich unter mindestens zwei Erben aufgespaltenen Erbfall gewollt hat.[3] Die Begriffe Vor- und Nacherbschaft brauchen deshalb in der letztwilligen Verfügung nicht vorzukommen. Die Anordnung einer Vor- und Nacherbfolge kann z.B. auch dann vorliegen, wenn der Erblasser ver- bzw. gebietet, den Nachlass an andere als an Blutsverwandte weiterzuvererben,[4] den im Wesentlichen den Nachlass ausmachenden Grundbesitz[5] an andere als die Abkömmlinge der Söhne zu "übergeben"[6] oder zugunsten bestimmter Personen zu testieren.[7] Umgekehrt führt die Verwendung der Begriffe Vorerbe und Nacherbe nicht zwingend zur Annahme einer Vor- und Nacherbschaft; vielmehr kann damit – etwa im Rahmen eines Berliner Testaments – auch eine Schlusserbeneinsetzung gewollt sein.[8] Ferner muss die Verwendung von Begriffen, die das Gesetz für andere rechtliche Instrumentarien bereithält, der Annahme einer Nacherbeinsetzung nicht entgegenstehen,[9] denn Laien werden oft unzureichende oder irrtümliche Vorstellungen vom Bedeutungsgehalt der erbrechtlichen Termini haben. Bspw. kann die Einsetzung zum "Ersatzerben" als Nacherbeinsetzung ausgelegt werden,[10] die Einsetzung der Ehefrau zur "unbeschränkten Vorerbin" als Vollerbschaft auszulegen sein.[11] Auch die Einsetzung einer Person zum "Alleinerben" besagt noch nicht, dass der Bedachte Vollerbe oder (alleiniger) Vorerbe sein soll,[12] wenngleich Rechtsunkundige mit diesem Begriff – dessen Gegensatz der Miterbe und nicht der Vorerbe ist – vermutlich oftmals die Anordnung einer Vollerbschaft zum Ausdruck bringen wollen.[13]

 

Rz. 3

Der Grundsatz, dass die verwendete Terminologie allein kein verlässliches Auslegungskriterium ist, bleibt auch bei fachmännisch aufgesetzten oder notariell beurkundeten Verfügungen[14] unberührt, denn für die Erforschung des wahren Willens des Erblassers ist nicht von allein entscheidender Bedeutung, was sich der Fachmann oder der beurkundende Notar unter einem in der Verfügung verwendeten Begriff vorgestellt haben, sondern was der Erblasser sich darunter gedacht hat und zum Ausdruck bringen wollte.[15] In praxi dürfte in diesen Fällen eine Auslegung gegen den eindeutigen Wortlaut aber nur ausnahmsweise möglich sein,[16] da ein abweichender Erblasserwille in einem nach entsprechender Beratung und unter konsistenter Verwendung der Fachbegriffe aufgesetzten Testament meist nicht hinreichend zum Ausdruck kommen wird.

[2] MüKo/Grunsky, § 2100 Rn 7.
[3] Staudinger/Avenarius, § 2100 Rn 3.
[4] BayObLGZ 1958, 225.
[5] Dann kein Nachvermächtnis, OLG Schleswig ZEV 2015, 471, 472 Tz 18 f.
[6] BayObLG FamRZ 1986, 608.
[7] MüKo/Grunsky, § 2100 Rn 11; Palandt/Weidlich, § 2100 Rn 6.
[8] BayObLG FamRZ 1992, 1476.
[9] MüKo/Grunsky, § 2100 Rn 10.
[10] RG HRR 1932, Nr. 1055; BGH LM Nr. 1 zu § 2100.
[11] BGH ZEV 2015, 343, 344.
[12] BayObLGZ 1997, 59, 69.
[13] Vgl. BayObLG NJW 1966, 1223.
[14] Vgl. den bei Keim, ZEV 2018, 682 geschilderten Fall (Einsetzung eines "Schlusserben" auf Ableben des Ehegatten im notariellen Einzeltestament = OLG Hamm ZErb 2016, 23).
[15] BGH LM Nr. 1 zu § 2100.
[16] Soergel/Harder-Wegmann, § 2100 Rn 2.

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