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Die deutsche Einigung hat zu einem grundlegenden, nicht vorhersehbaren Wandel der Verhältnisse sowohl staatlicher, rechtlicher als auch wirtschaftlicher Natur geführt. Dieser Wandel kann Anlass zur ergänzenden Testamentsauslegung geben. Dass die ergänzende Auslegung dann herangezogen werden kann, wenn die Wiedervereinigung zwischen Errichtung des Testaments und Eintritt des Erbfalls erfolgte, ist grundsätzlich anerkannt.[292] Umstritten ist jedoch, ob die ergänzende Auslegung auch dann eingreift, wenn der Erbfall bereits vor der Wiedervereinigung eingetreten ist.[293] Die ergänzende Testamentsauslegung führt auch dazu, dass der Restitutionsanspruch nach dem VermG in den Nachlass fällt. Dies wird damit begründet, dass der Restitutionsanspruch sowohl bei Testamentserrichtung als auch bei Eintritt des Erbfalls in latenter Form vorhanden war.[294] In den Fällen, in denen der Erblasser Erben bestimmt, jedoch seine Grundstücke in der ehemaligen DDR ausdrücklich nicht berücksichtigt, weil er sie für verloren hält, umfasst die Erbeinsetzung den gesamten Nachlass, somit auch dieses Vermögen, es sei denn, aus dem Testament ergeben sich Anhaltspunkte für eine andere ergänzende Auslegung.[295]

[292] Zur Berücksichtigung der fundamentalen Änderung der politischen und wirtschaftlichen Verhältnisse, die mit der Wiedervereinigung verbunden waren, im Wege der ergänzenden Auslegung siehe MüKo/Leipold (4. Aufl.), § 2084 Rn 108–114.
[293] Bejahend: OLG Frankfurt FamRZ 1993, 857; Meyer, ZEV 1994, 12, 14; KG FamRZ 1995, 762; MüKo/Leipold (4. Auflage), § 2084 Rn 108; verneinend: Grunewald, NJW 1991, 1208, 1210; Wasmuth, DNotZ 1992, 3, 8; Bestelmeyer, Rpfleger 1992, 321, 326.
[295] OLG Hamm FamRZ 1995, 1092; KG FamRZ 1996, 569 = ZEV 1996, 234, 236; BayObLG FamRZ 1994, 723, 725 = ZEV 1994, 47; BayObLG FamRZ 1995, 1089 = ZEV 1995, 256 m. Anm. Limmer/Gerhards, JuS 1994, 642.

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