Entscheidungsstichwort (Thema)

Testamentsauslegung

 

Leitsatz (redaktionell)

Im Rahmen der ergänzenden Auslegung des Testaments kann auch die Veränderung von Umständen nach dem Erbfall (hier Wiedervereinigung) zu berücksichtigen sein.

 

Normenkette

BGB §§ 133, 157

 

Verfahrensgang

LG Gießen (Beschluss vom 14.01.1992; Aktenzeichen 7 T 251/91)

AG Friedberg (Hessen) (Aktenzeichen VI 1/65)

 

Tenor

Der angefochtene Beschluß wird aufgehoben.

Die Sache wird zu neuer Prüfung und Entscheidung, auch über die außergerichtlichen Kosten des Verfahrens der weiteren Beschwerde, an das Landgericht Gießen zurückverwiesen.

Wert: 30.000,– DM.

 

Gründe

Die – nicht befristete – weitere Beschwerde ist zulässig und hat in der Sache vorerst Erfolg.

Der angefochtene Beschluß ist nicht rechtsfehlerfrei ergangen. Das Landgericht hat auf die Erbfolge zwar zutreffend das Erbrecht des BGB angewendet, weil wegen des Erbfalls vor dem 01.01.1976 keine Nachlaßspaltung nach Art. 3 III EGBGB, § 25 II RAG-DDR eingetreten ist (OLG Frankfurt Rpfleger 91, 368 = DNotZ 1992, 53 = OLGZ 1992, 35 = MDR 1991, 771 = DtZ 1991, 300). Es hat aber eine andere Auslegung als die, daß der Beteiligte zu 2. kein Erbe sein soll, für nicht möglich gehalten. Hierin kann ihm nicht gefolgt werden.

Die Auslegung geht, weil sie den Erblasserwillen verwirklichen will, der Anfechtung vor, die ihn vernichtet (Palandt-Edenhofer, BGB, 51. Aufl., § 2078 Rn 1). Auch in Fällen wie dem vorliegenden kommt eine ergänzende Auslegung mit dem Ziel in Betracht, die im Testament enthaltene Lücke mit der Feststellung des hypothetischen Willens des Erblassers zu schliessen (Grunewald NJW 91, 1208/1209; Bestelmeyer Rpfleger 92, 321/326). Dabei ist zu ermitteln, was nach dem Willen des Erblassers im Zeitpunkt der Testamentserrichtung als von ihm gewollt anzusehen wäre, sofern er vorausschauend die spätere politische und echtliche Entwicklung (Einigungsvertrag, Vermögensgesetz) bedacht hätte (BayObLG NJW 88, 2744). Für die ergänzende Auslegung teilt der Senat die Auffassung, die das Landgericht im Rahmen der Anfechtung vertreten hat, nämlich daß auch die Veränderung von Umständen nach dem Erbfall zu berücksichtigen ist (OLG Köln OLGZ 69, 290; OLG Karlsruhe OLGZ 81, 399/407; BGHLM § 2084 BGB Nr. 5; a.A. MüKo-Leipold, BGB, 2. Aufl., § 2084 Rn 59; RGRK-Johannsen, BGB, 12. Aufl., § 2084 Rn 20 je für im Erbfall sofort wirksame Verfügungen). Wie bei jeder Auslegung muß aber auch bei der ergänzenden Auslegung der hypothetische Wille des Erblassers im Testament wenigstens andeutungsweise enthalten sein (BayObLG NJW 88, 2744; BGH NJW 83, 672).

Alle diese Voraussetzungen könnten vorliegend gegeben sein. Eine ergänzende Auslegung könnte dazu führen, die Einsetzung der Beteiligten zu je 1/2 etwa verbunden mit einer Teilungsanordnung anzunehmen. Weil das Landgericht eine ergänzende Auslegung ganz unterlassen hat, diese aber grundsätzlich Sache des Tatrichters ist, war der angefochtene Beschluß aufzuheben und die Sache zurückzuverweisen.

Sollte das Landgericht wieder zu dem Ergebnis kommen, daß der Erbschein vom … einzuziehen ist, wird es sich mit einer dahingehenden Anweisung an das Nachlaßgericht begnügen müssen (OLG Frankfurt Rpfleger 73, 95 Keidel/Kuntze, FGG, Teil A, 13. Aufl. § 25 Rn. 6).

Bei der Wertfestsetzung ist der Senat der landgerichtlichen Wertfestsetzung gefolgt, §§ 131 II, 30 KostO.

 

Fundstellen

Haufe-Index 940111

FamRZ 1993, 857

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