Gesetzestext

 

(1)War der Erbe ohne sein Verschulden verhindert, das Inventar rechtzeitig zu errichten, die nach den Umständen gerechtfertigte Verlängerung der Inventarfrist zu beantragen oder die in Absatz 2 bestimmte Frist von zwei Wochen einzuhalten, so hat ihm auf seinen Antrag das Nachlassgericht eine neue Inventarfrist zu bestimmen.

(2)Der Antrag muss binnen zwei Wochen nach der Beseitigung des Hindernisses und spätestens vor dem Ablauf eines Jahres nach dem Ende der zuerst bestimmten Frist gestellt werden.

(3)Vor der Entscheidung soll der Nachlassgläubiger, auf dessen Antrag die erste Frist bestimmt worden ist, wenn tunlich gehört werden.

A. Allgemeines

 

Rz. 1

Die Vorschrift will den Erben gegen die unverschuldete Versäumung der nach den §§ 1994 und 1995 BGB gesetzten Inventarfrist schützen. Denn ein Verschulden ist im Hinblick auf die Fristversäumung nicht notwendig (vgl. § 1994 Rdn 13). Die Vorschrift gewährt dem Erben eine Art "Wiedereinsetzung in den vorigen Stand"[1] (vgl. auch: § 233 ZPO, § 17 FamFG), die darin besteht, dass ihm eine neue Frist gesetzt wird. Durch die Bestimmung dieser neuen Frist werden zugleich die dem Erben nachteiligen Folgen der ursprünglichen Frist beseitigt.[2] Dem Nachlassgericht ist i.R.d. Antrags ein Ermessen wie in § 1995 Abs. 3 BGB nicht eingeräumt. Bei Vorliegen der Voraussetzungen der Norm hat es eine neue Frist zu bestimmen.[3]

[1] RGZ 54, 121.
[2] MüKo/Küpper, § 1996 Rn 1; Staudinger/Dobler, § 1996 Rn 1.
[3] BayObLGZ 1993, 88 = NJW-RR 1993, 782 = FamRZ 1993, 1367.

B. Tatbestand

I. Voraussetzungen der Bestimmung einer neuen Frist

 

Rz. 2

Die unverschuldete Verhinderung muss die Errichtung des Inventars innerhalb der Frist und die Stellung des Verlängerungsantrages nach § 1995 Abs. 3 BGB unmöglich gemacht haben, auch ein Antrag nach § 2003 BGB auf amtliche Aufnahme des Inventars darf nicht möglich gewesen sein. Schuldlose Unkenntnis von der Anordnung der Frist kommt in der Praxis insbesondere bei Ersatzzustellung oder der öffentlichen Zustellung in Betracht. Ein Verschulden der gesetzlichen Vertreter oder eines Zustellungsbevollmächtigten muss sich der Erbe zurechnen lassen (vgl. die §§ 170172 ZPO). Vorab ist allerdings stets zu prüfen, ob die abgelaufene "Erstfrist" wirksam bestimmt worden war, weil nur in diesem Fall überhaupt eine zweite Frist in Betracht kommt.[4]

 

Rz. 3

Für den Erben ist es wichtig, es gar nicht zu einer Versäumung der Frist kommen zu lassen. Dabei hilft ihm die gesetzliche Regelung. Er kann nämlich die Versäumung der Frist zur Errichtung des Inventars stets durch einen Antrag beim Nachlassgericht auf amtliche Aufnahme des Inventars vermeiden (§ 2003 Abs. 1 S. 1 BGB). Dass ein Dritter den Nachlass in Besitz hat, stellt keinen Wiedereinsetzungsgrund dar, weil der Erbe entweder gegen den Dritten gerichtlich vorgehen und zugleich Verlängerungsantrag (§ 1995 Abs. 3 BGB) stellen oder die amtliche Aufnahme des Inventars (§ 2003 Abs. 1 S. 1 BGB) beantragen kann.

 

Rz. 4

Schließlich muss der Antrag auf Bestimmung einer neuen Frist innerhalb von zwei Wochen nach Behebung des Hindernisses, spätestens vor Ablauf eines Jahres nach Ende der zuerst bestimmten Frist gestellt werden (Abs. 2; vgl. § 234 ZPO, § 18 Abs. 1 FamFG). Dabei kommt es nicht darauf an, ob es sich um die Versäumung einer nach den §§ 1994, 1995 oder nach § 1996 BGB selbst bestimmten Frist handelt. Die Bestimmung lässt damit eine neuerliche Wiedereinsetzung durch wiederholte Bestimmung einer Frist zu.[5] In jedem Fall ist die Wiedereinsetzung nach Ablauf der Jahresfrist des Abs. 2 ausgeschlossen.[6]

[4] BayObLGZ 1993, 88.
[5] BeckOK BGB/Lohmann, § 1996 Rn 3.
[6] Staudinger/Dobler, § 1996 Rn 13.

II. Verfahren

 

Rz. 5

Das Verfahren vor dem zuständigen Nachlassgericht (§§ 342 Abs. 1 Nr. 9, 343 FamFG) richtet sich nach den Bestimmungen des FamFG. Vor der Entscheidung über den Antrag ist dem Nachlassgläubiger, auf dessen Antrag die erste Frist bestimmt worden war, rechtliches Gehör zu gewähren (Abs. 3). Nach einhelliger Auffassung steht diese Anhörung nicht im Ermessen des Nachlassgerichts, sondern hat nach Art. 103 Abs. 1 GG in jedem Fall zu erfolgen.[7] Beteiligter ist nach § 7 Abs. 1 FamFG zunächst der Antragsteller. Nach § 345 Abs. 4 Nr. 4 FamFG ist im Verfahren betreffend die Bestimmung oder Verlängerung einer Inventarfrist der Erbe, dem die Frist bestimmt wird, auf seinen Antrag als Muss-Beteiligter nach §§ 345 Abs. 4 S. 37 Abs. 2 Nr. 2 FamFG hinzuzuziehen.[8]

Die Entscheidung des Nachlassgerichts betreffend die Fristverlängerung ist mit der Beschwerde nach § 58 FamFG anfechtbar. Ein Beschwerderecht hat der Erbe, für den die Frist verlängert wurde, mit dem Ziel der weiteren Verlängerung und jeder Nachlassgläubiger (soweit es nicht der ursprüngliche Antragsteller ist, muss § 1994 Abs. 2 S. 1 BGB erfüllt sein).[9] Die Zurückweisung des Antrags durch das Nachlassgericht ist durch den Antragsteller ebenfalls nach § 58 FamFG mit der sofortigen Beschwerde anfechtbar. Das Beschwerderecht folgt insoweit bereits aus § 59 Abs. 2 FamFG. Für die Nachlassgläubiger beginnt die Beschwerdefrist beginnt für diejenigen, denen die E...

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