Gesetzestext

 

1Ist zur Zeit des Erbfalls die Geburt eines Erben zu erwarten, so kann die Mutter, falls sie außerstande ist, sich selbst zu unterhalten, bis zur Entbindung angemessenen Unterhalt aus dem Nachlass oder, wenn noch andere Personen als Erben berufen sind, aus dem Erbteil des Kindes verlangen. 2Bei der Bemessung des Erbteils ist anzunehmen, dass nur ein Kind geboren wird.

A. Allgemeines

 

Rz. 1

Die Vorschrift des § 1963 BGB räumt zwar der werdenden Mutter eines nasciturus einen gesetzlichen Anspruch auf Unterhalt aus dem Nachlass bzw. Erbteil des zu erwartenden Erben ein (zur Anspruchsberechtigung siehe Rdn 3 ff.). Ihrer Zweckrichtung nach dient die Regelung des § 1963 BGB jedoch dem Schutz des gezeugten, aber noch nicht geborenen Erben: "Das Kind soll in der Mutter geschützt werden, indem für diese gesorgt wird."[1] § 1963 BGB ist in engem Zusammenhang mit der Bestimmung des § 1923 Abs. 2 BGB zu sehen,[2] wonach derjenige, der zur Zeit des Erbfalls noch nicht lebte, aber bereits gezeugt war, als vor dem Erbfall geboren gilt (siehe zur Erbfähigkeit des nasciturus § 1923 Rdn 3). Die wirtschaftliche Sicherung und insoweit ungestörte Entwicklung dieses künftigen Erben bis zum Zeitpunkt der Geburt zu gewährleisten, ist Ziel des § 1963 BGB.

 

Rz. 2

Die Bestimmung des § 1963 BGB hat seit dem Inkrafttreten des Bürgerlichen Gesetzbuchs kaum praktische Relevanz erlangt.[3] Sie ist inhaltlich unverändert geblieben, allein die ursprüngliche Formulierung eines Anspruchs auf "standesmäßigen Unterhalt" in S. 1 wurde ersetzt durch die Worte "angemessenen Unterhalt".[4]

[1] Siehe Mot. V, S. 489.
[2] Vgl. MüKo/Leipold, § 1963 Rn 1.
[3] MüKo/Leipold, § 1963 Rn 1; Staudinger/Mesina, § 1963 Rn 1, 4; Stöcker, ZblJugR 1981, 125 spricht von einem "toten Rechtsinstitut".
[4] Durch Art. 1 Nr. 41 FamilienrechtsänderungsG v. 11.8.1961, BGBl I, S. 1221.

B. Tatbestand

 

Rz. 3

Der Anspruch der werdenden Mutter auf Unterhalt nach S. 1 ist von dem Vorliegen zweier Voraussetzungen abhängig. Zum einen muss zur Zeit des Erbfalls die Geburt eines Erben zu erwarten sein, zum anderen muss die werdende Mutter außerstande sein, sich selbst zu unterhalten, es muss also Bedürftigkeit gegeben sein.

I. Zur Zeit des Erbfalls zu erwartende Geburt eines Erben

 

Rz. 4

Ein Unterhaltsanspruch nach S. 1 kommt nur in Betracht, wenn zur Zeit des Erbfalls – Tod des Erblassers – die Geburt eines Erben zu erwarten ist. Das setzt im Hinblick auf die Regelung des § 1923 Abs. 2 BGB zunächst voraus, dass das ungeborene Kind bereits gezeugt ist (nasciturus), weil es ansonsten an der Erbfähigkeit fehlen würde.

 

Rz. 5

Des Weiteren muss der nasciturus eine Erbenstellung innehaben. Diese kann auf Gesetz beruhen, sie kann sich aber auch aus gewillkürter Erbfolge ergeben.

 

Rz. 6

Die Erbenstellung muss im Zeitpunkt des Todes des Erblassers unmittelbar bestehen, anderenfalls kann S. 1 erst bei Wegfall eines zunächst zur Erbfolge Berufenen, sofern dieses Ereignis zeitlich vor der Geburt liegt, eingreifen. Relevanz erlangt diese Konstellation vor allem in den Fällen der Ausschlagung (§ 1953 BGB), der Einsetzung als Ersatzerbe (§ 2096 BGB) und der Erbunwürdigkeitserklärung (§ 2344 BGB). Mit Eintritt eines dieser Ereignisse vor der Geburt kann S. 1 bei Vorliegen der Voraussetzungen im Übrigen Wirkung entfalten.[5]

 

Rz. 7

Fraglich ist, ob für die Anwendbarkeit des S. 1 auch eine bloße Pflichtteilsberechtigung des nasciturus genügt. Entgegen der Auffassung, die eine direkte[6] oder analoge[7] Anwendung von S. 1 bejaht, ist diese Frage zu verneinen.[8] Entscheidender Gesichtspunkt hierfür ist, dass der Erbe mit dem Erbfall bzw. der mit einer Erbenstellung ausgestattete nasciturus nach der Geburt Rechtsnachfolger in das gesamte Vermögen des Erblassers wird, während der Pflichtteilsberechtigte lediglich einen schuldrechtlichen Anspruch erwirbt. Diese unterschiedlichen Rechtspositionen schließen eine Anwendung des auf die werdende Mutter eines Erben bezogenen S. 1 auf den Fall des nasciturus, der künftig lediglich pflichtteilsberechtigt ist, aus.

 

Rz. 8

Die werdende Mutter eines künftigen Vermächtnisnehmers hat gleichfalls keinen Unterhaltsanspruch gegen den Nachlass.[9]

 

Rz. 9

Eine Sonderregelung findet sich bei der Einsetzung des nasciturus als Nacherbe. Für den Fall, dass im Zeitpunkt des Nacherbfalls der Nacherbe bereits gezeugt, jedoch noch nicht geboren ist, hat die werdende Mutter gem. § 2141 BGB in entsprechender Anwendung des S. 1 einen Unterhaltsanspruch. Dasselbe gilt dann, wenn der Nacherbfall erst mit der Geburt des Kindes eintritt (§§ 2101 Abs. 1 S. 1, 2106 Abs. 2 S. 1 BGB).[10]

[5] Vgl. Palandt/Weidlich, § 1963 Rn 1.
[6] Stöcker, ZblJugR 1981, 125 ff., der vom Begriff des Erben alle Personen umfasst wissen will, die überhaupt etwas aus dem Nachlass – sei es als Erbe, Pflichtteilsberechtigter oder Vermächtnisnehmer – erhalten; zustimmend Krüger/Tegelkamp, ErbR 2012, 34, 36.
[7] Staudinger/Mesina, § 1963 Rn 3.
[8] Wie hier etwa Erman/Westermann, § 1963 Rn 3; MüKo/Leipold, § 1963 Rn 3.
[9] Siehe etwa Erman/Westermann, § 1963 Rn 3; MüKo/Leipold, § 1963 Rn 3; Staudinger/Mesina, § 1963 Rn 3; a....

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