Gesetzestext

 

(1)1Bis zur Annahme der Erbschaft hat das Nachlassgericht für die Sicherung des Nachlasses zu sorgen, soweit ein Bedürfnis besteht. 2Das Gleiche gilt, wenn der Erbe unbekannt oder wenn ungewiss ist, ob er die Erbschaft angenommen hat.

(2)Das Nachlassgericht kann insbesondere die Anlegung von Siegeln, die Hinterlegung von Geld, Wertpapieren und Kostbarkeiten sowie die Aufnahme eines Nachlassverzeichnisses anordnen und für denjenigen, welcher Erbe wird, einen Pfleger (Nachlasspfleger) bestellen.

(3)Die Vorschrift des § 1958 findet auf den Nachlasspfleger keine Anwendung.

A. Allgemeines/Normzweck

 

Rz. 1

Nach der Regelung des § 1922 Abs. 1 BGB geht mit dem Tod einer Person deren Vermögen als Ganzes auf eine oder mehrere andere Personen über. Für die Sicherung und Verwaltung des Nachlasses ist ab diesem Zeitpunkt grundsätzlich der Erbe verantwortlich. Es gibt jedoch Fälle, in denen Erbfall und tatsächliche Übernahme bzw. Verwaltung der Erbschaft durch den bzw. die Erben zeitlich auseinanderfallen. Beispielhaft verwiesen sei auf die Fälle, dass ein gezeugtes, aber noch nicht geborenes Kind zum Erben berufen ist oder dass der Erbe die Erbschaft noch nicht angenommen hat und sich deswegen nicht um den Nachlass kümmern muss. Während solcher Schwebezeiten bis zur tatsächlichen Übernahme des Nachlasses durch die Erben ist der Nachlass der Gefahr unberechtigter Eingriffe durch Dritte schutzlos ausgeliefert. Vor diesem Hintergrund ist mit § 1960 BGB eine Regelung geschaffen worden, die das Nachlassgericht verpflichtet, Maßnahmen zur Sicherung und zum Erhalt des Nachlasses zu ergreifen. Das Gesetz lässt allerdings eine entsprechende Nachlasssicherung nur zu, wenn neben weiteren Voraussetzungen ein spezifisches Sicherungsbedürfnis gegeben ist.[1]

[1] Landesrechtliche Vorschriften, nach denen das Nachlassgericht auch unter anderen als den in § 1960 Abs. 1 BGB genannten Voraussetzungen Sicherungsmaßnahmen von Amts wegen anordnen kann, bleiben gem. Art. 140 EGBGB unberührt, vgl. Mayer, ZEV 2010, 445.

B. Tatbestand

I. Ungewissheit über die Erbfolge

1. Allgemeines

 

Rz. 2

Voraussetzung für die Anordnung von Sicherungsmaßnahmen nach § 1960 BGB ist eine bestehende Ungewissheit hinsichtlich der tatsächlichen Erbfolge. Dabei ist es unerheblich, ob lediglich eine Person zum Alleinerben oder mehrere Personen zu Miterben berufen sind. Mit dem Begriff "Erbe" ist, wie § 1922 Abs. 1 BGB deutlich macht, sowohl der Allein- als auch der Miterbe gemeint. Das hat zur Folge, dass das Vorliegen der Voraussetzungen des § 1960 BGB auch bei Vorhandensein mehrerer Erben zu prüfen ist und Sicherungsmaßnahmen ggf. nur bezogen auf einen (mehrere) Miterbenanteil(e) etwa in Gestalt einer sog. Teilnachlasspflegschaft angeordnet werden[2] (vgl. Rdn 15).

 

Rz. 3

Ob die tatsächliche Erbfolge ungewiss ist, hat das Nachlassgericht zu prüfen.[3] Dabei ist ein Hinweis auf anhängige gerichtliche Auseinandersetzungen nicht ausreichend.[4] Das Gesetz zählt die Fälle, in denen die tatsächliche Erbfolge als ungewiss angesehen wird, in Abs. 1 S. 1 und 2 auf: Es sind dies die fehlende Annahme der Erbschaft, die Unbekanntheit des Erben sowie die Ungewissheit darüber, ob der Erbe die Erbschaft angenommen hat.

[2] Siehe Schulz, NLPrax 2019, 1 ff.; Tidow, Rpfleger 1991, 400 ff., Zimmermann, FGPrax 2004, 198 ff.
[4] Vgl. OLG Düsseldorf ZEV 1995, 111 f. m. Anm. Zimmermann.

2. Fehlende Erbschaftsannahme

 

Rz. 4

Erst im Zeitpunkt der Erbschaftsannahme ist der Schwebezustand beendet, der eine mögliche Nachlassgefährdung verursachen kann. Die Anordnung von Sicherungsmaßnahmen kann nur erfolgen, wenn die Annahme der Erbschaft aus der Sicht des Nachlassgerichts nicht feststeht. Die Annahme kann sowohl durch ausdrückliche Erklärung des Erben erfolgen wie auch durch schlüssiges Verhalten, sog. pro herede gestio. Das Verhalten des Erben muss den eindeutigen Willen erkennen lassen, die Erbschaft anzunehmen (abzugrenzen ist hiervon etwa der bloße Wille, die Verwaltung der Erbschaft zu übernehmen; siehe näher zum Begriff der Erbschaftsannahme § 1942 Rdn 5 und § 1943 Rdn 1 f.). Zu beachten ist § 1943 Hs. 2 BGB, wonach die Erbschaft als angenommen gilt, wenn die für die Ausschlagung vorgeschriebene Frist abgelaufen ist (im Hinblick auf die in § 1944 Abs. 2 BGB genannten subjektiven Merkmale kann die Bestimmung des Fristbeginns und damit die Berechnung der Annahmefrist zur Ungewissheit über die Erbschaftsannahme führen, siehe dazu auch noch Rdn 5).

3. Ungewissheit über die Erbschaftsannahme

 

Rz. 5

Ungewissheit über die Erbschaftsannahme ist gegeben, wenn die Auslegung des Verhaltens eines Erben bei der Erbschaftsannahme pro herede gestio Schwierigkeiten bereitet, wenn Zweifel hinsichtlich der Wirksamkeit einer erklärten Anfechtung der Annahme[5] oder hinsichtlich der Wirksamkeit einer Ausschlagung bestehen.[6] Dasselbe gilt, wenn keine Klarheit darüber besteht, ob die Ausschlagungsfrist der §§ 1943, 1944 BGB verstrichen und es damit zu einer Fiktion der Erbschaftsannahme gekommen ist. Der Ungewissheit über die Erbschaftsannahme steht die Ungewissheit über die gem. Art. 86 EGBGB für den Erbschaftserwerb eine...

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