Gesetzestext

 

(1)Die Ausschlagung kann nur binnen sechs Wochen erfolgen.

(2)1Die Frist beginnt mit dem Zeitpunkt, in welchem der Erbe von dem Anfall und dem Grund der Berufung Kenntnis erlangt. 2Ist der Erbe durch Verfügung von Todes wegen berufen, beginnt die Frist nicht vor Bekanntgabe der Verfügung von Todes wegen durch das Nachlassgericht. 3Auf den Lauf der Frist finden die für die Verjährung geltenden Vorschriften der §§ 206, 210 entsprechende Anwendung.

(3)Die Frist beträgt sechs Monate, wenn der Erblasser seinen letzten Wohnsitz nur im Ausland gehabt hat oder wenn sich der Erbe bei dem Beginn der Frist im Ausland aufhält.

A. Allgemeines

 

Rz. 1

Die Ausschlagungsfrist des § 1944 BGB ist die wesentliche Beschränkung der Gestaltungsmöglichkeiten des vorläufigen Erben bei der Ausschlagung der Erbschaft. Sie ist nicht auf die Ausschlagung von Vermächtnissen anwendbar.[1] Die Ausschlagungsfrist ist im Interesse der Gläubiger kurz bemessen, gleichwohl kann sich im Wege der Aneinanderreihung von Ausschlagungen durch nachfolgende Erben (sog. Kettenausschlagung) auch ein längerer Zeitraum ergeben.[2] So einfach die Ausschlagungsfristen von sechs Wochen (Abs. 1) bzw. sechs Monaten (Abs. 3) abzulesen sind, so schwer ist in der Praxis die Bestimmung des Zeitpunktes, in dem die Ausschlagungsfrist zu laufen beginnt. § 1944 BGB ist zwingendes Recht und kann weder durch Rechtsgeschäft noch durch Verfügungen des Erblassers oder Entscheidung des Nachlassgerichts verkürzt oder verlängert werden, auch eine Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand ist nicht möglich;[3] im Einzelfall kann eine Verfügung des Erblassers allenfalls als eine aufschiebend bedingte Erbeinsetzung ausgelegt werden.[4]

[2] MüKo/Leipold, § 1944 Rn 3.
[3] OLG Jena BeckRS 2015, 17770.
[4] Soergel/Stein, § 1944 Rn 2 und 19; Erman/J. Schmidt, § 1944 Rn 2.

B. Tatbestand

I. Fristbeginn durch Kenntniserlangung

 

Rz. 2

Die Ausschlagungsfrist beginnt mit positiver Kenntnisnahme durch den vorläufigen Erben von (1.) dem Anfall der Erbschaft (Abs. 2 S. 1 Alt. 1) und (2.) dem Berufungsgrund (Abs. 2 S. 1 Alt. 2). Kenntnis bedeutet zuverlässiges Erfahren der Umstände, anhand derer von einem vorläufigen Erben objektiv Überlegungen zur Annahme oder Ausschlagung einer Erbschaft erwartet werden dürfen. Für eine positive Kenntnis kann es teilweise noch nicht einmal ausreichen, dass dem Erben eine entsprechende Mitteilung des Nachlassgerichts zugeht.[5] Fahrlässige Unkenntnis steht der Kenntnis nicht gleich. Im Falle gesetzlicher Erbfolge ist Kenntnis vom Berufungsgrund dann anzunehmen, wenn dem Erben die Familienverhältnisse bekannt sind und er nach den Gesamtumständen und seiner subjektiven Sicht keine begründete Vermutung hat oder haben kann, dass eine ihn ausschließende letztwillige Verfügung vorhanden ist.[6] Unterliegt der vorläufige Erbe einem Tatsachen- oder Rechtsirrtum, so kann der Fristbeginn gehindert sein.[7] Einem Rechtsirrtum gleichgestellt ist die Kenntnis des vorläufigen Erben vom Vorliegen einer letztwilligen Verfügung, deren Auslegung zwischen den Beteiligten streitig ist.[8] Ein Rechtsirrtum ist jedoch dann auszuschließen, wenn die Rechtslage bei objektiver Beurteilung unzweifelhaft ist. Der Erbe darf sich für die wahre Rechtslage also nicht blind stellen.[9] Ist die Auslegung eines Testaments streitig, so kann im Einzelfall nicht bereits ein richterlicher Hinweis, sondern erst eine entsprechende Begründung des Gerichts über die Erbrechtslage zur positiven Kenntnis des vorläufigen Erben führen.[10] Ebenfalls soll die Unfähigkeit zur Kenntnisnahme infolge körperlichen oder geistigen Verfalls des vorläufigen Erben die Frist nicht in Gang setzen.[11] Der relevante Zeitpunkt für die Kenntnis ist das Ende der Ausschlagungsfrist, eine zu Beginn der Ausschlagungsfrist gewonnene Kenntnis kann daher im Verlauf der Frist wieder entfallen.[12] Bei Miterben läuft die Frist für jeden vorläufigen Miterben gesondert.[13] Nach § 1951 BGB können die Ausschlagungsfristen ebenfalls unterschiedlich laufen, wenn und soweit der vorläufige Erbe in Bezug auf mehrere Erbteile berufen ist[14] (vgl. auch § 1951 Rdn 1 ff.).

 

Rz. 3

Bei einem gesetzlich vertretenen Erben ist in bestimmten Fällen nicht dessen Kenntnisnahme, sondern die seines gesetzlichen Vertreters entscheidend, wobei bei mehreren gesetzlichen Vertretern – insbesondere den Eltern – nach überzeugender Ansicht die Kenntnis bei beiden von ihnen erforderlich ist; die Frist beginnt erst in dem Zeitpunkt, zu dem der letzte der beiden Kenntnis erlangt.[15] Für den Fristbeginn ist also zu unterscheiden:

 
Fristbeginn bei Kenntniserlangung durch gesetzlichen Vertreter oder Erben
Geschäftsunfähiger (minderjähriger) Erbe x  
Geschäftsfähiger Erbe   x
Abwesenheitspflegschaft für geschäftsunfähigen Erben x  
Vermögenssorgebetreuung für geschäftsunfähigen Erben x  
Abwesenheitspflegschaft für geschäftsfähigen Erben x x
Vermögenssorgebetreuung für geschäftsfähigen Erben x x
 

Rz. 4

In den Fällen der gewillkürten Stellvertretung nach §§ 164 ff. BGB genügt der h.M. entweder die Kenntnisnahme...

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