Rz. 8

Bei mehrköpfigen Leitungsorgangen gilt auch hier der Grundsatz der Gesamtverantwortung. Grundsätzlich besteht für die Erfüllung der steuerlichen Pflichten eine Gesamtverantwortung aller Leitungsmitglieder (sog. Generalzuständigkeit). Durch eine Ressortaufteilung kann die Aufgabe jedoch einzelnen Organmitgliedern zugewiesen werden, die diese Aufgabe dann kraft ihrer Ressortverantwortung zu erfüllen haben. Damit die Ressortaufteilung dem Finanzamt entgegengehalten werden kann, darf diese nicht nur mündlich erfolgen, sondern muss schriftlich und im Voraus dokumentiert sein.[1] Die nicht betrauten Organmitglieder trifft jedoch eine Überwachungsverantwortung für die Ressorts der anderen Manager. Sie müssen Indizien nachgehen, die für eine nicht ordnungsmäße Erfüllung sprechen. Man wird grundsätzlich annehmen müssen, dass je nach Größe des Betriebs bzw. seiner Gesamtsituation, die Intervalle zu bestimmen sind, in denen sich der Geschäftsleiter mindestens durch einen Blick in entsprechende Geschäftsunterlagen - wie die aktuelle BWA, Summen-Salden-Liste, Offene-Posten-Liste, Auftragsbücher - über die aktuelle Situation vertraut machen sollte. Hat dieser Anhaltspunkte für Versäumnisse entdeckt, muss er eingreifen und nachfassen. Hier kann ihn auch nicht eine in der Praxis abhängige Position, etwa als Fremdgeschäftsführer einer Tochtergesellschaft entlasten, auch wenn er aufgrund seiner Weisungsgebundenheit ohnehin nicht viel ausrichten kann. Notfalls muss er, wenn es ihm nicht gelingt, für eine Abstellung der Missstände zu sorgen, sein Amt niederlegen.[2] Interessant ist in diesem Zusammenhang die Frage, ob und wann ein Geschäftsleiter, der selbst für die Erfüllung der steuerlichen Pflichten nicht zuständig ist, seinen Versicherungsschutz wegen wissentlicher Pflichtverletzung einbüßt. Greift der Geschäftsleiter ein, wird ihm nur nicht gefolgt, z.B. weil die Konzernmuttergesellschaft durch ihre Praxis weiterhin Steuerrückstände verursacht bzw. den Verstoß steuerlicher Pflichten in Kauf nimmt, begeht der Geschäftsleiter keine wissentliche Pflichtverletzung, die die Verletzung der steuerlichen Pflichten auslöst. Er unterlässt nur die Einhaltung, da ihm dies aber faktisch nicht möglich ist, kann nicht von einer wissentlichen Pflichtverletzung ausgegangen werden, da der Geschäftsleiter alles ihm Zumutbare unternimmt.

 

Rz. 9

In jedem Fall sind nachgeordnete Mitarbeiter zu überwachen. Grundsätzlich dürfte es grob fahrlässig sein, wenn Mitarbeiter nicht ausreichend überwacht werden, die insbesondere in den Bereichen der Finanzen, der Rechnungstellung, des Forderungseinzugs bzw. der Kassenführung tätig sind. Hier wird regelmäßig eine Haftung des Geschäftsleiters einhergehen, der durch unzureichende Überwachung die Verstöße ermöglicht hat.

 

Rz. 10

 

Beispiel: "Die Gastronomin"[3]

Giselle Gutman (G) betreibt das Landhaus Gutman in der Rechtsform einer GmbH, sie ist die einzige Geschäftsführerin. Die Geschäfte vor Ort leitet ihr Mitarbeiter Fritz Funke (F). Dieser führt die Kasse seit drei Jahren nicht ordentlich, ein Großteil der Umsätze geht nicht durch die Bücher, diesen steckt sich F in die eigene Tasche. Hierbei kauft F Ware privat ein und veräußert sie über das Lokal, ohne diese einzubongen. Das Finanzamt stellt bei einer Betriebsprüfung erhebliche formelle und materielle Mängel bei der Kassenführung fest, welche nicht den Grundsätzen ordnungsmäßiger Buchführung entsprechen. Das Finanzamt erlässt im Bereich der Körperschaftsteuer und Umsatzsteuer Schätzbescheide in Höhe von insgesamt 500.000 EUR. Die GmbH kann nicht zahlen, das Finanzamt stellt Insolvenzantrag und meldet nach Eröffnung des Verfahrens die Steuerforderung zur Insolvenztabelle an. Weder der Insolvenzverwalter noch G widersprechen. Ein Jahr später erlässt das Finanzamt gegen G einen Haftungsbescheid über einen Gesamtbetrag von 600.000 EUR, weil noch Zinsen und Säumniszuschläge hinzugekommen sind. G meint, was sogar der Wahrheit entspricht, dass sie nichts von den Fehlbeträgen in der Kasse bzw. von dem Fehlverhalten des F wusste. Dies habe F vor ihr verborgen, bei ihren wöchentlichen Besuchen im Lokal sei ihr nichts aufgefallen. Dies wird G nicht nützen, sie hat ihre Überwachungspflichten als Geschäftsführerin leichtfertig verletzt.

 

Rz. 11

Jetzt lässt G durch einen Fachmann die Buchhaltung prüfen, der nachvollziehbar und zutreffend ermittelt, dass am Ende höchstens eine Nachzahlung von 200.000 EUR berechtigt sei. Auch dies könnte G nicht mehr helfen, da sie gegen die Anmeldung der Steuerforderung zur Insolvenztabelle keinen Widerspruch eingelegt hat. Der Geschäftsführer der GmbH ist nämlich mit seinen Einwendungen im Haftungsverfahren gegen die Höhe der Steuerforderung dann ausgeschlossen, wenn er zuvor der Forderungsanmeldung des Finanzamts hätte widersprechen können, dies aber unterlassen hat.[4] Dies ergibt sich aus § 166 der AO.[5]

 

Rz. 12

Das Vertrauen der G auf F, bei dem übrigens nichts zu holen ist, kommt also der G teuer zu stehen. Das Finanzamt vollstre...

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