Rz. 5

Bei der AG sind im Vergleich zur GmbH die Organhaftungsansprüche stärker zu Gunsten der AG und insbesondere mittelbar zu Gunsten der Gläubiger vor einem Verzicht oder Vergleich geschützt. Haftungsbeschränkende Vereinbarungen im Vorfeld, z.B. der Ausschluss für einfach fahrlässige Pflichtverletzungen sind bei der AG wegen der formellen Satzungsstrenge gemäß § 23 Abs. 5 Satz 1 AktG, wonach von den Bestimmungen des AktG nur abgewichen werden kann, wenn dies gesetzlich zugelassen ist, unzulässig (siehe bereits die Ausführungen oben unter 1. Teil A VII 2 b.).Die Gesellschaft kann frühstens drei Jahre nach der Entstehung des Anspruchs und nur dann auf Ersatzansprüche verzichten oder sich über sie vergleichen, wenn die Hauptversammlung zustimmt und nicht eine Minderheit, deren Anteile zusammen den zehnten Teil des Grundkapitals erreichen, zur Niederschrift Widerspruch erhebt (§ 93 Abs. 3 Satz 4 AktG). Vorher ist ausnahmsweise ein Verzicht oder Vergleich statthaft, wenn das Vorstandsmitglied zahlungsunfähig ist und sich zur Abwendung des Insolvenzverfahrens mit seinen Gläubigern vergleicht oder wenn die Ersatzpflicht in einem Insolvenzplan geregelt wird. Ausdrücklich ordnet das Gesetz an, dass gegenüber den Gläubigern die Ersatzpflicht weder durch einen Verzicht oder Vergleich der Gesellschaft noch dadurch aufgehoben wird, dass die Handlung auf einem Beschluss der Hauptversammlung beruht. Soweit der Anspruch zur Gläubigerbefriedigung benötigt wird, wirkt selbst ein nach Ablauf der Dreijahresfrist geschlossener Vergleich oder Verzicht nicht zu deren Lasten. Die Gläubiger können sogar den Anspruch direkt gegenüber den Vorständen geltend machen, wenn die AG ihnen gegenüber nicht zahlt. Ein unter Verstoß gegen § 93 Abs. 4 Satz 3 AktG abgeschlossener Verzicht oder Vergleich ist unwirksam und bleibt dies auch nach Ablauf der Frist von drei Jahren. Auch eine nachträgliche Genehmigung führt nicht zur Wirksamkeit.[1]

 

Rz. 6

Die bloße Nichtgeltendmachung wäre noch kein Verzicht.[2] Der Verzicht ist ein zweiseitiges Rechtsgeschäft zwischen der AG und dem betreffenden Organmitglied. Macht der Aufsichtsrat Organhaftungsansprüche nicht geltend, kann gegen diese ggf. zu gegebener Zeit die Einrede der Verjährung erhoben werden. Bei Untätigkeit des Vorstands können die Hauptversammlung bzw. ggf. Aktionäre unter den Voraussetzungen des § 147 AktG die Ansprüche verfolgen.

 

Rz. 7

§ 93 Abs. 4 AktG wird weit ausgelegt. Auch die Erstattung einer Geldstrafe bzw. eines Bußgeldes, das gegen das Vorstandsmitglied verhängt wurde, kann der Zustimmung der Hauptversammlung unterliegen. Dies gilt jedenfalls dann, wenn das Bußgeld bzw. die Geldstrafe eine Handlung betrifft, die das Vorstandsmitglied im Rahmen seiner Tätigkeit für die Gesellschaft vorgenommen hat.[3]

[2] Siehe Fritz Organhaftungsvergleich, S. 7 f.
[3] BGH Urt. v. 8.7.2014 - II ZR 174/13, DStR 2014, 2518, aus den Gründen Rdnr. 18: "Die Entscheidung über die Übernahme einer Geldstrafe, Geldauflage oder Geldbuße ist entsprechend der Regelung zum Verzicht in § 93 Abs. 4 AktG der Hauptversammlung vorbehalten. Auf die Erstattung einer Strafsanktion durch die Gesellschaft sind die Grundsätze von § 93 AktG anzuwenden. § 93 AktG soll ausschließen, dass der Vorstand durch eine pflichtwidrige Handlung der Gesellschaft dauerhaft einen Nachteil zufügt. Wenn die Gesellschaft dem Vorstand eine strafrechtliche Sanktion ersetzt, die für eine Handlung verhängt wird, die gleichzeitig gegenüber der Gesellschaft pflichtwidrig ist, fügt sie sich einen Nachteil zu, den nach § 93 AktG eigentlich der Vorstand zu tragen hätte (Rehbinder ZHR 148 [1984], Seite 555, 570; Fleischer WM 2005, Seite 909, 917)). Sie verursacht einen Schaden oder vertieft ihn, wenn er aufgrund der Pflichtverletzung bereits eingetreten ist (vgl. Mertens/Cahn, a. a. O., § 8 Rn. 94). sowie Rdnr. 20: „Die Einschaltung der Hauptversammlung entspricht auch dem Zweck der Regelung von § 93 Absatz 4 AktG, die dem Schutz des Gesellschaftsvermögens und der Minderheitsaktionäre dient. Mit der Zahlung der Geldsanktion fügen die Aufsichtsräte der Gesellschaft bewusst einen Vermögensnachteil zu. Das Vermögen der Gesellschaft steht wirtschaftlich aber nicht dem Aufsichtsrat, sondern den Aktionären zu, so dass diese berufen sind, eine solche Selbstschädigung zu beschließen, soweit der Schutz der Gesellschaftsgläubiger gewahrt bleibt. Durch das Erfordernis einer Zustimmung der Hauptversammlung soll auch der Gefahr einer kollegialen Verschonung des Vorstands oder einer Selbstenthaftung der Organe vorgebeugt werden (Mertens/Cahn, a. a. O., § 93 Rn. 161; Hopt in Großkomm AktG, 4. Aufl., § 93 Rn. 354; Fleischer, a. a. O., AktG, 2. Aufl., § 93 Rn. 278; Spindler, a. a. O., § 93 Rn. 252). Diese Gefahr besteht in besonderem Maße bei der Erleichterung einer stillschweigenden Beendigung von Straf- oder Ermittlungsverfahren für das Vorstandsmitglied durch die Übernahme einer verhängten Sanktion. Der...

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