Rz. 22

Die Haftung wegen Masseschmälerung setzt ein Verschulden voraus. Das Verschulden muss sich auf sämtliche den Anspruch begründende Tatsachen beziehen.[1] Besonders wichtig ist hierbei das Verschulden bezüglich der Insolvenzreife. Das Verschulden wird bejaht, wenn die Insolvenzreife positiv bekannt oder erkennbar gewesen ist. Das heißt, der Geschäftsleiter handelt schuldhaft, wenn er die Insolvenzreife erkannt hat – dann handelt er vorsätzlich - oder – insoweit liegt dann Fahrlässigkeit vor – er sie hätte erkennen können. Hierbei wird die Erkennbarkeit als Teil des Verschuldens vermutet, so dass ein fahrlässiges Handeln vermutet wird. Der Geschäftsleiter müsste sich entlasten, wenn er vorträgt, die Insolvenzreife sei für ihn nicht erkennbar gewesen.[2] Er trägt hierfür die Beweislast. Vorsatz müsste der Anspruchsteller, das heißt der Insolvenzverwalter beweisen. Für die Rechtsfolge der Haftung bzw. der Erstattung der verbotenen Auszahlungen spielt es keine Rolle, ob der Geschäftsführer vorsätzlich oder fahrlässig gehandelt hat. Für den Versicherungsschutz hingegen schon. Bei Vorsatz hätte der Geschäftsleiter eine ihm treffende Pflicht vorsätzlich oder wissentlich verletzt, weshalb der Versicherungsschutz wegen des Ausschlusses entfallen könnte (siehe A 7.1 AVB D&O). Eine Weisung der Gesellschafter führt nicht zu einem Wegfall der Haftung oder des Verschuldens. In § 15b Abs. 4 Satz 3 InsO ist insoweit ausdrücklich angeordnet, dass soweit die Erstattung oder der Ersatz zur Befriedigung der Gläubiger der juristischen Person erforderlich ist, das Auszahlungsverbot, nicht dadurch ausgeschlossen ist, dass die Geschäftsleiter in Befolgung eines Beschlusses eines Organs der juristischen Person gehandelt haben.

 

Rz. 23

Eine Erkennbarkeit der Insolvenzreife wird häufig zu bejahen sein: Denn der Geschäftsleiter muss grundsätzlich aufgrund seiner Organisationspflicht die Lage der Gesellschaft im Blick haben: Der BGH[3] führt aus, der Geschäftsleiter "die wirtschaftliche Lage des Unternehmens laufend zu beobachten und sich bei Anzeichen einer krisenhaften Entwicklung durch Aufstellung einer Zwischenbilanz oder eines Vermögensstatus einen Überblick über den Vermögensstand zu verschaffen" hat. "Der Geschäftsführer einer GmbH muss für eine Organisation sorgen, die ihm die zur Wahrnehmung seiner Pflichten erforderliche Übersicht über die wirtschaftliche und finanzielle Situation der Gesellschaft jederzeit ermöglicht."[4] Sofern der Geschäftsleiter sich an die Pflicht hält, wird es in der Praxis selten Fälle geben, wo er die Insolvenzreife nicht erkennen konnte. Sofern er seiner Organisationspflicht und damit seiner "Beobachtungspflicht" Folge leistet, wird der Geschäftsführer meist auch die Insolvenzreife erkennen. Zu prüfen wäre dann im Einzelfall, ab welchem Zeitpunkt eine Erkennbarkeit und ein Verschulden gegeben ist, also aufgrund welcher Anzeichen er wie zügig eine Prüfung der Insolvenzreife hätte vornehmen müssen. Schaltet der Geschäftsführer einen Berater (Steuerberater, Anwalt, Wirtschaftsprüfer) zur Prüfung der Insolvenzreife ein, kann dies, wenn dieser zum falschen Ergebnis kommt, dass entgegen der tatsächlichen Rechtslage keine Insolvenzreife vorliegt, den Geschäftsführer entlasten, allerdings wird vom Geschäftsführer dennoch verlangt, dass er das Ergebnis einer Plausibilitätskontrolle unterzieht.[5]

Beispiele für Krisenanzeichen können sein[6]:

 
Checkliste: Befindet sich Ihr Unternehmen in der Krise? ja nein
Haben Sie ein System installiert, mit dem eine Früherkennung der Krise möglich ist? (z.B. durch Beobachtung der Entwicklung der wichtigen Kennzahlen der GmbH/Vergleich mit Vorjahresperiode)    
Ist die Auftragslage rückläufig?    
Fällt der Umsatz?    
Steigen die Kosten? (aufgeschlüsselt nach Kostenarten wie Personalkosten, Miete, Finanzierungskosten usw.)    
Ist der Gewinn rückläufig bzw. entstehen Verluste?    
Wachsen die offenen, fälligen Forderungen an?    
Geraten wichtige Vertragspartner in die Insolvenz bzw. Krise?    
Gibt es nachteilige Entwicklungen, die die gesamte Branche betreffen?    
Erhöhen sich die Verbindlichkeiten?    
Schmelzen die Rücklagen ab?    
Gibt es Veränderungen hinsichtlich der Konkurrenzsituation unter Berücksichtigung der Wettbewerbsfähigkeit der eigenen Produkte/Leistungen?    
Beruht die Krise auf punktuellen Ereignissen, wie einem nicht versicherten großen Schadensfall oder der Insolvenz eines Vertragspartners?    
 

Rz. 24

In der Praxis ist die Frage von Bedeutung, ob das Verschulden entfällt, wenn der Geschäftsleiter zur Ermittlung der Insolvenzreife fachkundigen Rat einholt bzw. die Insolvenzreife fachkundig prüfen lässt. Sofern die Feststellungen plausibel sind und von den zutreffenden Tatsachen ausgehen, also dem Prüfer die vollständigen und zutreffenden Unterlagen vorliegen, handelt der Geschäftsführer nicht schuldhaft, wenn das Ergebnis des Prüfers falsch ist und dieser zu Unrecht die Insolvenzreife verneint.[7]

 

Rz. 25

Aber auch bezüglich der anderen Merkmale neben ...

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