Entscheidungsstichwort (Thema)

Revisionszulassung, Beschränkung der – auf einen von mehreren Ansprüchen in der Zulassungsbegründung. Hauptfürsorgestelle, Prüfungsmaßstab im Zustimmungsverfahren zur beabsichtigten außerordentlichen Kündigung des Arbeitsverhältnisses eines Schwerbehinderten bei fehlendem Zusammenhang zwischen Kündigung und Behinderung. Sollvorschrift, Auslegung einer gesetzlichen –. Sollvorschrift, atypischer Fall als Rechtsvoraussetzung für Ermessensausübung

 

Leitsatz (amtlich)

1. Erfolgt die außerordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses eines Schwerbehinderten aus einem Grunde, der nicht mit der Behinderung im Zusammenhang steht, hatte nach der Soll-Vorschrift des § 18 Abs. 4 SchwbG F. 1979 die Hauptfürsorgestelle im Regelfall die Zustimmung zu erteilen. Nur bei Vorliegen von Umständen, die den Fall als atypisch erscheinen lassen, durfte die Hauptfürsorgestelle nach pflichtgemäßem Ermessen entscheiden (wie Urteil vom 2. Juli 1992 – BVerwG 5 C 39.90 – ≪zur Veröffentlichung in der Entscheidungssammlung bestimmt≫).

2. Ob ein atypischer Fall vorliegt, der eine Ermessensentscheidung ermöglicht und gebietet, ist als Rechtsvoraussetzung im Rechtsstreit von den Gerichten zu überprüfen und zu entscheiden. Ein atypischer Fall liegt vor, wenn die außerordentliche Kündigung den Schwerbehinderten in einer die Schutzzwecke des Schwerbehindertengesetz berührenden Weise besonders hart trifft, ihm im Vergleich zu den der Gruppe der Schwerbehinderten im Falle außerordentlicher Kündigung allgemein zugemuteten Belastungen ein Sonderopfer abverlangt (wie Urteil vom 2. Juli 1992 – BVerwG 5 C 39.90 –).

 

Normenkette

VwGO § 132 Abs. 2 Nr. 1, § 143 S. 2; SchwbG F. 1979 § 18 Abs. 1; SchwbG F. 1979 § 18 Abs. 4; SchwbG F. 1979 § 12

 

Verfahrensgang

OVG für das Land NRW (Urteil vom 10.10.1988; Aktenzeichen 10 A 922/86)

VG Gelsenkirchen (Urteil vom 03.02.1986; Aktenzeichen 11 K 634/85)

 

Tenor

Das Urteil des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 10. Oktober 1988 wird aufgehoben, soweit es das Urteil des Verwaltungsgerichts Gelsenkirchen vom 3. Februar 1986 geändert und den Bescheid des Beklagten vom 7./14. September 1984 sowie den Widerspruchsbescheid vom 14. Dezember 1984 aufgehoben hat. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts wird zurückgewiesen.

Im übrigen werden die Revisionen des Beklagten und der Beigeladenen verworfen.

Die Kosten des Berufungs- und des Revisionsverfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen tragen je zur Hälfte der Beklagte und die Beigeladene als Gesamtschuldner einerseits und der Kläger andererseits. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

 

Tatbestand

I.

Die Beteiligten streiten darüber, ob die Hauptfürsorgestelle des Beklagten der ordentlichen und der außerordentlichen Kündigung des Arbeitsverhältnisses des Klägers durch die Beigeladene zustimmen durfte.

Der 1928 geborene Kläger war als gelernter Pharmaziekaufmann seit 1967 bei der Beigeladenen, einem Unternehmen des pharmazeutischen Großhandels, tätig, und zwar zuletzt als Sachbearbeiter im Bereich Wareneingang. Nach dem Bescheid des Versorgungsamtes D. vom 5. September 1980 ist er wegen Magen-, Darm- und Kreislaufstörungen, Hüft- und Kniegelenkleiden, Senk- und Spreizfuß sowie Spondylose der Wirbelsäule zu 50 v.H. in seiner Erwerbsfähigkeit gemindert.

Unter dem 14. August 1984 beantragte die Beigeladene bei der Hauptfürsorgestelle des Beklagten, einer aus betrieblichen Gründen beabsichtigten ordentlichen Kündigung des Klägers – im Rahmen einer insgesamt 35 Arbeitnehmer betreffenden Entlassungsaktion – zuzustimmen. Am 3. September 1984 beantragte die Beigeladene auch die Zustimmung zur außerordentlichen Kündigung des Arbeitsverhältnisses mit dem Kläger, weil dieser trotz ausdrücklicher Ablehnung eines Urlaubsantrags am 24. August 1984 nicht zur Arbeit erschienen sei.

Am 7. September 1984 stimmte der Beklagte fernschriftlich der außerordentlichen Kündigung zu und begründete dies durch Bescheid vom 14. September 1984 wie folgt: Zwischen den Behinderungen des Klägers und dem geltend gemachten Kündigungsgrund bestehe kein Zusammenhang. Das Verhalten des Klägers könne auch nicht in der Weise interpretiert werden, daß es offensichtlich keinen wichtigen Grund für eine außerordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses darstelle. Unter diesen Umständen sei auch unter Berücksichtigung der Stellungnahme des Betriebsrates und des Vertrauensmannes der Schwerbehinderten und trotz der langjährigen Betriebszugehörigkeit und des Lebensalters des Klägers die Zustimmung zur außerordentlichen Kündigung zu erteilen gewesen. Gegen die am 8. September 1984 ausgesprochene fristlose Kündigung erhob der Kläger Kündigungsschutzklage vor dem Arbeitsgericht.

In der mündlichen Verhandlung vor der Hauptfürsorgestelle über die beabsichtigte ordentliche Kündigung erklärte die Beigeladene, sie stütze ihren Antrag nicht mehr auf betriebsbedingte, sondern nunmehr auf verhaltensbedingte Gründe. Mit Bescheid vom 25. Oktober 1984 erteilte der Beklagte auch seine Zustimmung zur ordentlichen Kündigung. Daraufhin kündigte die Beigeladene das Arbeitsverhältnis des Klägers zum 30. Juni 1985. Der Kläger erhob auch hiergegen Kündigungsschutzklage vor dem Arbeitsgericht, das beide Klagen miteinander verband und bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die Zustimmungsbescheide der Beklagten aussetzte.

Die nach erfolglosem Widerspruchsverfahren (Widerspruchsbescheide vom 14. Dezember 1984) erhobene Anfechtungsklage hatte hinsichtlich der Zustimmung zur ordentlichen Kündigung Erfolg; im übrigen (Zustimmung zur außerordentlichen Kündigung) hat das Verwaltungsgericht die Klage abgewiesen. Hiergegen haben alle Beteiligten im Umfang ihrer Beschwer Berufung eingelegt. Das Oberverwaltungsgericht hat die Berufungen des Beklagten und der Beigeladenen zurückgewiesen und auf die Berufung des Klägers auch den Zustimmungsbescheid zur außerordentlichen Kündigung und den hierzu ergangenen Widerspruchsbescheid aufgehoben. Die Entscheidung ist im wesentlichen wie folgt begründet:

Zwar könne das dem Kläger zur Last gelegte Verhalten ein wichtiger Grund zur außerordentlichen Kündigung auch eines Schwerbehinderten Arbeitnehmers sein; es habe auch nicht im Zusammenhang mit den festgestellten Behinderungen des Klägers gestanden. Die Zustimmung sei jedoch ermessensfehlerhaft, weil der Beklagte in seine Erwägungen nicht die Absicht der Beigeladenen eingestellt habe, den Kläger im Rahmen eines Sozialplans mit halbjähriger Kündigungsfrist und gegen Zahlung einer festgelegten Abfindung zu entlassen. Denn die bevorstehende baldige Beendigung des Arbeitsverhältnisses könne auch dann einen besonderen Grund darstellen, die Zustimmung zur außerordentlichen Kündigung zu verweigern, wenn dem Schwerbehinderten zum Ausgleich der wirtschaftlichen Nachteile der betriebsbedingten Kündigung eine Abfindung gezahlt werden müßte. Die Berufungen des Beklagten und der Beigeladenen hätten dagegen zurückgewiesen werden müssen, weil die vom Verwaltungsgericht aufgehobenen Bescheide, mit denen Hauptfürsorgestelle und Widerspruchsausschuß der ordentlichen Kündigung zugestimmt hätten, an formellen und materiellen Fehlern litten.

Gegen dieses Urteil richten sich die Revisionen des Beklagten und der Beigeladenen, mit denen sie die Abweisung der Klage erstreben. Sie rügen Verletzung des § 18 Abs. 4 SchwbG F. 1979.

Allgemeine soziale Erwägungen könnten die Versagung der Zustimmung nicht rechtfertigen, sondern nur solche Gründe, die speziell in der Behinderung des betroffenen Arbeitnehmers lägen. Die Aufhebung der Zustimmung zur ordentlichen Kündigung verletze ebenfalls Bundesrecht.

Der Kläger verteidigt das angefochtene Urteil.

Der Oberbundesanwalt beim Bundesverwaltungsgericht hat sich zu der Frage geäußert, ob die Hauptfürsorgestelle das Vorliegen eines wichtigen Grundes für die außerordentliche Kündigung gemäß § 626 BGB abschließend zu prüfen habe. Er bejaht diese Frage in Übereinstimmung mit dem angefochtenen Urteil.

Die Beteiligten haben übereinstimmend auf mündliche Verhandlung verzichtet.

 

Entscheidungsgründe

II.

Die Revisionen des Beklagten und der Beigeladenen, über die gemäß § 141 Satz 1, § 125 Abs. 1 Satz 1 und § 101 Abs. 2 VwGO ohne mündliche Verhandlung entschieden werden konnte, sind als unzulässig zu verwerfen, soweit sie die ordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses des Klägers betreffen. Denn insoweit hat das Berufungsgericht die Zulassung der Revision auf den die außerordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses des Klägers betreffenden Verfahrensteil eingeschränkt.

Diese Beschränkung ergibt sich zwar nicht schon aus dem Ausspruch über die Revisionszulassung im Tenor des angefochtenen Urteils. Doch steht dies der Annahme einer nur eingeschränkten Revisionszulassung nicht entgegen, sofern die Beschränkung zulässig ist und aus der Zulassungsbegründung eindeutig hervorgeht (vgl. BVerwG, Urteil vom 4. Juli 1985 – BVerwG 5 C 7.82 – ≪Buchholz 424.01 § 85 FlurbG Nr. 2 = RdL 1987, 130≫ mit weiteren Nachweisen). Beides ist hier der Fall.

Der Kläger hat im Wege der objektiven Klagehäufung (§ 44 VwGO) zwei tatsächlich und rechtlich selbständige Zustimmungsbescheide des Beklagten angefochten. Das Oberverwaltungsgericht hat die Zulassung der Revision auf § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO gestützt. Als grundsätzlich bedeutsam hat es dabei allein die Rechtsfrage bezeichnet, „aus welchen besonderen Gründen die Hauptfürsorgestelle die Zustimmung trotz Vorliegens eines wichtigen Grundes verweigern kann und ob sie sie insbesondere dann versagen kann, wenn in absehbarer Zeit das Arbeitsverhältnis aus anderen Gründen enden oder aufgelöst würde”. Diese Rechtsfrage kann sich von vornherein nur im Zusammenhang mit einer Zustimmung zur außerordentlichen Kündigung stellen. Nach § 18 Abs. 4 SchwbG in der hier noch anzuwendenden Fassung des Gesetzes vom 8. Oktober 1979 (BGBl. I S. 1650), der ausschließlich außerordentliche Kündigungen betrifft, soll die Hauptfürsorgestelle die Zustimmung erteilen, wenn die Kündigung aus einem Grund erfolgt, der nicht im Zusammenhang mit der Behinderung steht. Das Oberverwaltungsgericht hält für grundsätzlich klärungsbedürftig, aus welchen Gründen trotz Fehlens dieses Zusammenhangs die Zustimmung versagt werden darf. Von daher kann die Zulassung der Revision sich nur auf die Zustimmung zur außerordentlichen Kündigung beziehen. Soweit der Beklagte und die Beigeladene sich gegen das Berufungsurteil auch insoweit wenden, als das Oberverwaltungsgericht die Aufhebung der Zustimmung zur ordentlichen Kündigung durch das Verwaltungsgericht bestätigt hat, ist demnach die Revision mangels Zulassung unstatthaft und deshalb als unzulässig (§ 143 Satz 2 VwGO) zu verwerfen. Dies kann trotz § 144 Abs. 1 VwGO durch Urteil erfolgen (vgl. BVerwGE 15, 239 ≪240≫); denn soweit sich die Revisionen des Beklagten und der Beigeladenen gegen die Aufhebung des Zustimmungsbescheids zur außerordentlichen Kündigung vom 7./14. September 1984 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 14. Dezember 1984 richten, ist ohnehin in der Sache durch Urteil zu entscheiden.

Insoweit sind die Revisionen begründet. Das angefochtene Urteil beruht auf der Verletzung von Bundesrecht (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO). Das Oberverwaltungsgericht hätte die Berufung des Klägers zurückweisen müssen. Denn das Verwaltungsgericht hat zu Recht die Anfechtungsklage insoweit abgewiesen. Die der Beigeladenen erteilte Zustimmung zur außerordentlichen Kündigung des Arbeitsverhältnisses des Klägers ist rechtmäßig. Das ergibt sich aus § 18 Abs. 4 SchwbG F. 1979. Danach soll die Hauptfürsorgestelle die nach den §§ 12, 18 Abs. 1 SchwbG F. 1979 erforderliche Zustimmung zur außerordentlichen Kündigung des Arbeitsverhältnisses eines Schwerbehinderten durch den Arbeitgeber erteilen, wenn die Kündigung aus einem Grunde erfolgt, der nicht im Zusammenhang mit der Behinderung steht. Diese Voraussetzung war nach den für das Bundesverwaltungsgericht nach Maßgabe des § 137 Abs. 2 VwGO verbindlichen Feststellungen des Berufungsgerichts erfüllt.

§ 18 Abs. 4 SchwbG F. 1979 ist als „Soll”-Vorschrift im verwaltungsrechtlichen Sinne ausgestaltet. Derartige Normen sind im Regelfall für die mit ihrer Durchführung betraute Behörde rechtlich zwingend und verpflichten sie, grundsätzlich so zu verfahren, wie es im Gesetz bestimmt ist. Im Regelfall bedeutet das „Soll” ein „Muß”. Nur bei Vorliegen von Umständen, die den Fall als atypisch erscheinen lassen, darf die Behörde anders verfahren als im Gesetz vorgesehen und den atypischen Fall nach pflichtgemäßem Ermessen entscheiden (BVerwGE 12, 284 ≪285≫; 20, 117 ≪118≫; 56, 220 ≪223≫; 64, 318 ≪323≫; 78, 101 ≪105≫ sowie Urteil vom 2. Juli 1992 – BVerwG 5 C 39.90 – ≪Urteilsabdruck S. 8 f.≫ zum wort- und inhaltsgleichen § 21 Abs. 4 SchwbG F. 1986 ≪zur Veröffentlichung in der Entscheidungssammlung vorgesehen≫).

Das Vorliegen atypischer Besonderheiten, die ein Abweichen von der grundsätzlichen Zustimmungspflicht der Hauptfürsorgestelle rechtfertigen könnten, hat das Berufungsgericht zu Unrecht bejaht. Der Regelfall, in dem die Hauptfürsorgestelle nach dem Willen des Gesetzgebers die Zustimmung zur außerordentlichen Kündigung zu erteilen hat, ist dadurch gekennzeichnet, daß die Kündigung einen Schwerbehinderten trifft, aber aus einem Grund erfolgt, der nicht in Zusammenhang mit der Behinderung steht. Dem ist die gesetzliche Wertung zu entnehmen, die Gruppe der Schwerbehinderten Arbeitnehmer bei derartigen Fallgestaltungen nicht stärker gegen außerordentliche Kündigungen zu schützen als Nichtbehinderte. Die Nachteile und Gefahren, die der Gruppe der Schwerbehinderten durch eine außerordentliche Kündigung allgemein für ihre Eingliederung in Arbeit, Beruf und Gesellschaft entstehen, können demnach die Annahme eines atypischen Falles nicht begründen. Die außerordentliche Kündigung muß vielmehr den Schwerbehinderten in einer die Schutzzwecke des Schwerbehindertengesetzes berührenden Weise besonders hart treffen, ihm im Vergleich zu den der Gruppe der Schwerbehinderten im Falle außerordentlicher Kündigung allgemein zugemuteten Belastungen ein Sonderopfer abverlangen.

Diese drastische Einschränkung des Abwägungsermessens der Hauptfürsorgestelle zu Lasten des Schwerbehinderten (vgl. BVerwGE 48, 264 ≪267≫), die – wie der Senat in seinem Urteil vom 2. Juli 1992 ≪a.a.O. S. 10 ff.≫ für die insoweit inhaltsgleiche Fassung des Schwerbehindertengesetzes 1986 näher dargelegt hat – auch dem Zweck des Schwerbehindertengesetzes und der Entstehungsgeschichte entspricht, hat das Berufungsgericht nicht hinreichend beachtet. Das Oberverwaltungsgericht hält die Erteilung der Zustimmung im vorliegenden Fall für ermessensfehlerhaft, weil die Hauptfürsorgestelle in ihre Erwägungen überhaupt nicht die Absicht der Beigeladenen eingestellt habe, den Kläger im Rahmen eines Sozialplans mit halbjähriger Kündigungsfrist und gegen Zahlung einer festgelegten Abfindung zu entlassen. Dabei ist das Berufungsgericht davon ausgegangen, die Frage, ob ein atypischer Fall vorliege, sei Teil der Ermessensentscheidung. Dem vermag sich der Senat nicht anzuschließen. Das durch eine Soll-Vorschrift eingeräumte Ermessen beschränkt sich grundsätzlich auf die Frage, was im Ausnahmefall zu geschehen hat; ob ein atypischer Fall vorliegt, der eine solche Ermessensentscheidung ermöglicht und gebietet, ist dagegen als Rechtsvoraussetzung im Rechtsstreit von den Gerichten zu überprüfen und zu entscheiden (vgl. BVerwGE 78, 101 ≪105, 113≫ sowie Urteil vom 2. Juli 1992 ≪a.a.O. S. 12≫).

Eine atypische Fallgestaltung liegt nach dem vom Berufungsgericht festgestellten Sachverhalt nicht vor. Denn es ist grundsätzlich nicht Aufgabe der Hauptfürsorgestelle, bei ihrer Entschließung die allgemeinen sozialen Interessen des einzelnen Schwerbehinderten als Arbeitnehmer zu wahren. Der öffentlich-rechtliche Sonderkündigungsschutz des Schwerbehindertengesetzes ist präventiver Art. Er unterwirft die Ausübung des arbeitgeberseitigen Kündigungsrechts einer vorherigen Kontrolle der Hauptfürsorgestelle, indem er die Kündigung einem Verbot mit Erlaubnis-(Zustimmungs-)vorbehalt unterstellt, um bereits im Vorfeld der Kündigung die spezifischen Schutzinteressen schwerbehinderter Arbeitnehmer zur Geltung zu bringen und eine mit den Schutzzwecken des Gesetzes unvereinbare Kündigung zu verhindern. Es ist dagegen nicht Aufgabe des Sonderkündigungsschutzes, den von den Arbeitsgerichten nach erfolgter Kündigung zu gewährenden arbeitsrechtlichen Kündigungsschutz zu ersetzen oder gar überflüssig zu machen. Der Hauptfürsorgestelle ist nicht die umfassende Abwägung aller den Kündigungsstreit zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer bestimmenden widerstreitenden Interessen aufgetragen, sondern nur die Einbringung bestimmter, vom Schutzzweck des Schwerbehindertengesetzes erfaßter Interessen. Der Hauptfürsorgestelle obliegt im Rahmen des Sonderkündigungsschutzes die fürsorgerische Inschutznahme des Schwerbehinderten mit dem Ziel, die aus seiner Behinderung resultierenden Benachteiligungen auf dem Arbeitsmarkt auszugleichen und dadurch seine Wettbewerbsfähigkeit mit Nichtbehinderten herzustellen. All das hat der Senat in seinem den Beteiligten bekanntgegebenen Urteil vom 2. Juli 1992 ≪a.a.O. S. 13 ff.≫ eingehend dargelegt; hierauf kann zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug genommen werden.

Diese spezifischen Schutzzwecke des Schwerbehindertengesetzes werden nicht durch die Frage berührt, ob die zur fürsorgerechtlichen Prüfung gestellte außerordentliche Kündigung unter Umständen deshalb als unverhältnismäßig erscheint, weil der Arbeitgeber daneben auch im Rahmen eines Sozialplans eine ordentliche betriebsbedingte Kündigung mit Abfindungszahlungen plant. Derartige Fragen gehören zum allgemeinen sozialen Abwägungsmaterial, dessen Prüfung den Arbeitsgerichten vorbehalten ist.

Das Berufungsurteil erweist sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig im Sinne des § 144 Abs. 4 VwGO. Allgemeine Schwierigkeiten, denen die Schwerbehinderten als Gruppe bei der Arbeitsplatzsuche ausgesetzt sind, reichen für die Annahme einer atypischen Fallgestaltung ebensowenig aus wie fortgeschrittenes Alter und langjährige Beschäftigung bei dem die Kündigung beabsichtigenden Arbeitgeber. Derartige Umstände sind nicht außergewöhnlich. Denn sonst wäre die Soll-Vorschrift des § 18 Abs. 4 SchwbG F. 1979 entgegen der ihr zugrunde liegenden gesetzgeberischen Wertung im Regelfall gerade nicht anwendbar. Insbesondere schlechte Vermittlungsaussichten auf dem Arbeitsmarkt können deshalb nur dann eine atypische Fallgestaltung begründen, wenn sie aufgrund einer nach Art oder Schwere besonders gelagerten Behinderung über die typische Benachteiligung von Schwerbehinderten hinausgehen. Dafür besteht hier indes kein Anhaltspunkt.

Daß Zweifel an der arbeitsrechtlichen Wirksamkeit der außerordentlichen Kündigung eine Abweichung von der Rechtsfolge des § 18 Abs. 4 SchwbG F. 1979 grundsätzlich nicht rechtfertigen, hat der Senat in seinem Urteil vom 2. Juli 1992 (a.a.O. S. 13 ff.) zur inhaltsgleichen Vorschrift des § 21 Abs. 4 SchwbG F. 1986 bereits ausgeführt. Ob etwas anderes gilt, wenn die vom Arbeitgeber geltend gemachten Gründe eine außerordentliche Kündigung offensichtlich nicht zu rechtfertigen vermögen, kann auch im vorliegenden Fall offenbleiben. Denn das Berufungsgericht hat – in tatsächlicher Hinsicht für das Bundesverwaltungsgericht bindend (§ 137 Abs. 2 VwGO) – festgestellt, daß das dem Kläger zur Last gelegte Verhalten, insbesondere im Zusammenhang mit den Vorfällen des Vortages, ein wichtiger Grund zur außerordentlichen Kündigung auch eines Schwerbehinderten Arbeitnehmers sein kann.

Das Berufungsurteil war nach alledem insoweit aufzuheben, als es unter Änderung des verwaltungsgerichtlichen Urteils den Bescheid des Beklagten vom 7./14. September 1984 sowie den dazugehörigen Widerspruchsbescheid vom 14. Dezember 1984 aufgehoben hat; insoweit war die Berufung des Klägers zurückzuweisen. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1 bis 3, § 155 Abs. 1 Satz 1, § 159 Satz 2 und § 162 Abs. 3 VwGO. Gerichtskosten werden gemäß § 188 Satz 2 VwGO nicht erhoben.

 

Unterschriften

Dr. Franke, Dr. Pietzner, Schmidt, Dr. Rothkegel, Dr. Storost

 

Fundstellen

Haufe-Index 1212102

NZA 1994, 420

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Deutsches Anwalt Office Premium. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge