Entscheidungsstichwort (Thema)

Naturschutzverband. Klagebefugnis. Subsidiaritätsklausel. Planfeststellung

 

Leitsatz (amtlich)

1. § 52 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 des Naturschutzgesetzes des Landes Sachsen-Anhalt – NatSchG LSA – schließt die Klagebefugnis eines in Sachsen-Anhalt anerkannten Naturschutzverbandes aus, wenn – bei abstrakter Betrachtung – ein Dritter klagebefugt wäre und dabei die Verletzung der Belange des Naturschutzes geltend machen könnte (vgl. auch BVerwG, Urteil vom 18. Dezember 1987 – BVerwG 4 C 9.86 – BVerwGE 78, 347 und § 39 a NatSchG Bln ≪Fassung 1983≫).

2. Die Klagebefugnis des anerkannten Naturschutzverbandes besteht gemäß § 52 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 NatSchG LSA auch dann nicht, wenn ein Dritter aufgrund Präklusion gehindert ist, die Verletzung der Belange des Naturschutzes geltend zu machen.

 

Normenkette

NatSchG LSA § 52 Abs. 2 S. 1 Nr. 4; GG Art. 20a; BNatSchG § 29; VwGO § 42 Abs. 2

 

Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.

 

Tatbestand

I.

1. Die Beteiligten streiten um die Auslegung des § 52 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 des Naturschutzgesetzes des Landes Sachsen-Anhalt – NatSchG LSA – vom 11. Februar 1992 (GVBl S. 108), geändert durch Gesetz vom 24. Mai 1995 (GVBl S. 608). Nach dieser Vorschrift ist ein anerkannter Naturschutzverband nur klagebefugt, wenn ein anderweitiges Klagerecht nach § 42 Abs. 2 VwGO nicht besteht.

Der Kläger ist ein in Sachsen-Anhalt anerkannter Naturschutzverband. Mit seiner Klage wendet er sich gegen den Planfeststellungsbeschluß des Regierungspräsidiums Dessau vom 30. Mai 1997. Mit diesem Beschluß ist der Plan für den Neubau der Bundesautobahn A 14 Magdeburg – Halle festgestellt, und zwar für die Abschnitte Calbe/Staßfurt und Staßfurt/Bernburg. Ferner stellt der Beschluß den Plan für die Ortsumgehung Ilberstedt im Zuge der B 185 (neu) fest. Eine weitere Klage gegen denselben Planfeststellungsbeschluß wurde von einer „Naturalpartei” erhoben. Nach Klagerücknahme ist dieses Verfahren inzwischen eingestellt worden.

Mit seiner Klage trägt der Verband im wesentlichen vor: Die Klage sei gemäß § 42 Abs. 2 VwGO i.V.m. § 52 NatSchG LSA zulässig. Bei dem angegriffenen Planfeststellungsbeschluß handele es sich um ein Vorhaben, das mit erheblichen Eingriffen in Natur und Landschaft verbunden sei. Die Klagebefugnis scheitere insbesondere nicht an § 52 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 NatSchG LSA. Es komme nicht darauf an, ob bei abstrakter Betrachtungsweise für einen anderen eine Klagebefugnis gegeben sei. Würde man dies voraussetzen, käme eine Verbandsklage kaum jemals in Betracht. Die insoweit wortgleiche frühere Regelung des § 39 a Abs. 2 Nr. 2 des Berliner Naturschutzgesetzes sei allerdings vom Bundesverwaltungsgericht seinerzeit verfassungskonform ausgelegt worden (vgl. BVerwG, Urteil vom 18. Dezember 1987 – BVerwG 4 C 9.86 – BVerwGE 78, 347). Das Bundesverwaltungsgericht habe damit die Auffassung des OVG Berlin korrigiert, welches die Vorschrift wegen Unbestimmtheit für nichtig angesehen habe. Diese Auslegung gehe jedoch nicht weit genug. Die Klagebefugnis des Verbandes könne nur dann entfallen, wenn ein anderer eine Klage erhoben habe und in dieser Klage die Naturschutzbelange behandelt würden. Nur ein derartiges Verständnis verhindere eine Lücke im Rechtsschutzsystem. Diese Auslegung sei im Hinblick auf die Staatszielbestimmung des Art. 20 a GG und die in Art. 35 der Landesverfassung von Sachsen-Anhalt enthaltene Regelung geboten. Ferner spreche auch eine systematische Auslegung des § 52 NatSchG LSA dafür, daß der Landesgesetzgeber das Verbandsklagerecht nur dann habe ausschließen wollen, wenn ein anderer die Naturschutzbelange einklage. Dies ergebe sich aus der in § 52 Abs. 3 NatSchG LSA vorgesehenen Beiladungsmöglichkeit.

Hilfsweise sei zu prüfen, ob im Ausgangsfall ein Klagerecht für einen anderen bestehe, der die naturschutzrechtlichen Belange rügen könne und innerhalb der Klagebegründungsfrist auch gerügt habe. Der Kläger könne hierzu näheres nicht vortragen. Es werde indes vorsorglich gerügt, daß ein derartiger Kläger mit seinem Klagevorbringen materiell präkludiert sei oder die Klagebegründungsfrist nicht eingehalten habe. Hilfsweise werde auch das Ruhen des Verfahrens gemäß § 94 VwGO beantragt, falls eine anderweitige Klage gegen den Planfeststellungsbeschluß erhoben worden sei.

Zur Begründetheit der Klage trägt der Kläger vor allem vor, die planerische Alternativprüfung sei unzureichend gewesen. Die Belange des Naturschutzes seien hierbei nicht hinreichend beachtet worden. Daher werde die getroffene Abwägung naturschutzrechtlichen Belangen nicht gerecht. Das gelte auch für die erforderlichen Ersatzmaßnahmen. Die Belange seien unzureichend ermittelt und erfaßt worden. Aus diesem Grund seien die Voraussetzungen des § 8 BNatSchG nicht in der gebotenen Weise gesehen worden. Bei einer ordnungsgemäßen Berücksichtigung der naturschutzrechtlichen Belange hätte die Planfeststellungsbehörde in ihrer Abwägung eine andere Trassenführung bevorzugt.

Der Kläger beantragt,

festzustellen, daß der Planfeststellungsbeschluß für den Neubau der Bundesautobahn A 14 Magdeburg-Halle VKE 4122 und 4123/Calbe-Staßfurt-Bernburg und der Ortsumgehung Ilberstedt im Zuge der B 185 (neu) vom 30. Mai 1997 rechtswidrig sei und nicht vollzogen werden dürfe.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Zur Frage der Zulässigkeit trägt der Beklagte vor: Die Klage sei unzulässig. Eine Klagebefugnis nach § 29 BNatSchG scheide aus. Der Kläger sei im Planfeststellungsverfahren ordnungsgemäß beteiligt worden. Er habe seine Mitwirkungsrechte auch umfassend wahrgenommen. Auch nach § 52 NatSchG LSA sei eine Klagebefugnis nicht gegeben. Diese scheitere an § 52 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 NatSchG LSA, da ein anderweitiges Klagerecht bestehe. Das OVG Magdeburg habe diese Bestimmung in seinem Beschluß vom 26. März 1996 – 2 M 22/95 – dahin ausgelegt, daß es unerheblich sei, ob der zur Einlegung von Rechtsbehelfen anderweitig Befugte von diesem Recht tatsächlich Gebrauch gemacht habe. Dem sei zu folgen. Wortlaut, Systematik und Entstehungsgeschichte rechtfertigten eine abweichende Auslegung nicht. Es komme nur auf die abstrakte Möglichkeit einer Klage an. Im Ausgangsfall habe es zahlreiche Einwendungen gegeben. Darunter sei beispielsweise auch das Vorbringen der Agrargenossenschaft Ilberstedt e.G. gewesen. Diese wäre in einem Klageverfahren nicht gehindert gewesen, die Verletzung objektiv-rechtlicher Vorschriften des Naturschutzrechts zu rügen und so eine gerichtliche Überprüfung sowohl der gewählten Trassenalternative als auch der Ersatzmaßnahmen zu erreichen.

Der Oberbundesanwalt beteiligt sich am Verfahren. Er verneint ebenfalls die Klagebefugnis des Klägers aus § 52 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 NatSchG LSA. Diese Vorschrift sei wortgleich mit § 39 a Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 NatSchG Bln a.F. Der Gesetzgeber des Landes Sachsen-Anhalt habe hieran ersichtlich bewußt anknüpfen wollen. Daher sei es auch gerechtfertigt anzunehmen, daß er die vom Bundesverwaltungsgericht seinerzeit gefundene Auslegung gebilligt habe. Das schließe die von dem Kläger befürwortete erweiternde Auslegung aus. Im Ergebnis seien immer noch Fälle denkbar, in denen eine Klagebefugnis der Naturschutzverbände gegeben sei. Aus Art. 20 a GG folge nichts anderes.

2. Das Bundesverwaltungsgericht hat mit Beschluß vom 29. September 1997 gemäß § 173 VwGO, § 280 Abs. 1 ZPO abgesonderte Verhandlung über die Zulässigkeit der Klage angeordnet. Hierüber ist mündlich verhandelt worden.

 

Entscheidungsgründe

II.

Die Klage ist unzulässig.

1. Die Klage ist unzulässig, soweit eine Klagebefugnis im Hinblick auf eine Verletzung der in § 29 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 BNatSchG festgelegten Mitwirkungsrechte in Betracht kommen könnte.

Der Kläger macht mit seinem Vorbringen nicht geltend, daß er gerade hinsichtlich § 29 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 BNatSchG in seinen Rechten verletzt sein könnte (vgl. § 42 Abs. 2 VwGO). Dafür ist auch nichts ersichtlich. Der Kläger ist im Aufstellungsverfahren ausreichend beteiligt worden. Das stellt er selbst nicht in Abrede.

2. Die vom Kläger in Anspruch genommene Klagebefugnis aus § 52 Abs. 1 des Naturschutzgesetzes des Landes Sachsen-Anhalt – NatSchG LSA – vom 11. Februar 1992 (GVBl S. 108), geändert durch Gesetz vom 24. Mai 1995 (GVBl S. 608), besteht nicht. Die hierfür erforderlichen tatsächlichen Voraussetzungen liegen nicht vor. Nach § 52 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 NatSchG LSA sind Rechtsbehelfe nach § 52 Abs. 1 NatSchG LSA nur zulässig, wenn ein anderweitiges Klagerecht nach § 42 Abs. 2 VwGO nicht besteht. Dies ist indes der Fall.

a) Das Bundesverwaltungsgericht ist als erst- und letztinstanzliches Gericht prozessual verpflichtet, das maßgebliche Landesrecht selbständig auszulegen (vgl. BVerwG, Beschluß vom 5. Oktober 1993 – BVerwG 4 A 9.93 – Buchholz 406.401 § 29 BNatSchG Nr. 3 = DVBl 1994, 341; Urteil vom 24. Mai 1996 – BVerwG 4 A 16.95 – Buchholz 406.401 § 29 BNatSchG Nr. 10 = NVwZ 1997, 491).

Eine prozessuale Bindung an die Auslegung des § 52 Abs. 2 NatSchG LSA, wie sie das Oberverwaltungsgericht für das Land Sachsen-Anhalt in seinem Beschluß vom 26. März 1996 – 2 M 22/95 – vorgenommen hat, scheidet aus. Eine prozessuale Möglichkeit der Zurückhaltung – wie sie im Revisionsverfahren gemäß § 144 Abs. 4, § 173 VwGO, § 565 Abs. 4 ZPO möglich und auch tunlich sein kann – ist nicht gegeben.

b) § 52 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 NatSchG LSA läßt die von dem Kläger seinem Klagebegehren zugrunde gelegte Auslegung nicht zu.

Nach seinem Wortlaut stellt § 52 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 NatSchG LSA auf das „Bestehen” eines „anderweitigen Klagerechts” nach § 42 VwGO ab. Dies legt ein Verständnis sehr nahe, nach dem die Verbandsklage bereits dann ausgeschlossen sein soll, wenn ein anderer Beteiligter im Sinne des § 42 Abs. 2 VwGO „an sich” klagebefugt ist. Das Gesetz macht die Klagebefugnis des Verbandes von dem Bestehen des anderweitigen Klagerechts abhängig, nicht jedoch davon, daß der andere Beteiligte von seinem Klagerecht auch tatsächlich Gebrauch macht. Der Wortlaut legt ferner die Auslegung nahe, daß es für die Beurteilung der Klagebefugnis des Verbandes in zeitlicher Hinsicht auf die Verhältnisse nach der anzugreifenden Behördenentscheidung ankommt.

Diese Auslegung wird weder durch eine systematische Auslegung noch durch die Entstehungsgeschichte des Gesetzes oder durch eine Verfassungskonforme Auslegung in Zweifel gezogen. In systematischer Hinsicht lassen sich aus § 52 Abs. 3 NatSchG LSA keine tragfähigen Erkenntnisse gewinnen. Es mag dahinstehen, ob und inwieweit der Landesgesetzgeber die Gesetzgebungskompetenz besitzt, das Gericht – auch ein Bundesgericht – zu ermächtigen, einen Verband im Sinne des § 52 Abs. 1 NatSchG LSA beizuladen. Aus dieser vorgesehenen Möglichkeit folgt nicht, daß der Landesgesetzgeber in jedem Falle erreichen wollte, daß die Wahrung der in § 52 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 NatSchG LSA genannten Belange einer gerichtlichen Überprüfung unterzogen werden könnten. Eine anderweitige Klagebefugnis verdrängt zwar die durch § 52 Abs. 1 NatSchG LSA eröffnete Verbandsklage. Dieser Zusammenhang läßt aber keine gesetzgeberische Aussage dahin zu, daß es für die Auslegung des § 52 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 NatSchG LSA auf die „konkrete” Klagemöglichkeit eines anderen ankommen muß.

Auch die Entstehungsgeschichte ergibt nichts zugunsten einer erweiternden Auslegung. Der von der Fraktion der SPD eingebrachte Entwurf eines „Gesetzes über Naturschutz” sah eine umfassende landesgesetzliche Klagebefugnis anerkannter Naturschutzverbände vor. Eine Subsidiarität sollte nicht bestehen (vgl. LTDrucks 1/453 S. 38/39 § 46 Abs. 2). In der ersten Beratung dieses Entwurfs im Landtag am 6. Juni 1991 verwies der Abgeordnete Dr. Recht (SPD) zur Erläuterung der vorgeschlagenen Verbandsklage auf entsprechende gesetzliche Regelungen in den Ländern Berlin, Bremen, Hamburg, Hessen und im Saarland (Sten. Ber. 1/17 S. 1055). Dem schloß sich sinngemäß die Abgeordnete Heidecke (Bündnis 90/Grüne) an (Sten. Ber. 1/17 S. 1057). Der später eingebrachte Entwurf der Landesregierung eines „Naturschutzgesetzes des Landes Sachsen-Anhalt (NatSchG LSA)” vom 4. Juli 1991 (LTDrucks 1/653 – Anlage 1) lehnte dagegen eine landesgesetzliche Verbandsklage, die in der vorangegangenen Anhörung gefordert worden war, ausdrücklich ab. Beide Entwürfe wurden im Ausschuß des Landtages für Umwelt und Naturschutz beraten. Die sich daran anschließende Beschlußempfehlung dieses Ausschusses vom 9. Januar 1992 (LTDrucks 1/1035 neu) enthält sich einer Regelung der Verbandsklage. In seinem mündlichen Bericht über die Tätigkeit des Ausschusses für Umwelt und Naturschutz legte der Abgeordnete Dr. Lüderitz (PDS) als Berichterstatter im Plenum des Landtages am 17. Januar 1992 dar, daß in den Beratungen des Ausschusses die Verbandsklage stark umstritten gewesen sei (Sten. Ber. 1/27 S. 2149 ff.). Mit ihrem Änderungsantrag vom 16. Januar 1992 schlug die Fraktion der SPD in gewollter Anlehnung an eine in Thüringen vorgesehene Regelung zum einen eine Erweiterung der Mitwirkungsrechte der Naturschutzverbände vor (vgl. nunmehr § 46 Abs. 2 Nr. 4 des Vorläufigen Thüringer Gesetzes über Naturschutz und Landschaftspflege vom 28. Januar 1993 – GVBl S. 57). Zum anderen sollte nach den Vorstellungen der Fraktion die Zulässigkeit einer im Änderungsantrag ebenfalls vorgeschlagenen Verbandsklage nur davon abhängig sein, daß eine „anderweitige Klage nach § 42 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) nicht erhoben wird” (LTDrucks 1/1083 S. 3). In der Begründung des Antrages wurde wiederum auf die Regelungen in den Ländern Berlin, Bremen, Hamburg, Hessen und des Saarlandes verwiesen. Auch die Fraktionen von CDU und FDP schlugen mit ihrem Änderungsantrag vom 16. Januar 1992 die Aufnahme einer landesgesetzlichen Verbandsklage vor (LTDrucks 1/1131). Der Vorschlag enthält die später Gesetz gewordene Regelung der Subsidiarität. Nach der dem Antrag beigefügten Begründung sollte ein Verband nur klagen können, „wenn ein anderweitiges Klagerecht, also etwa von einzelnen betroffenen Bürgern nach § 42 der Verwaltungsgerichtsordnung nicht besteht”. Die dem Landtag in seiner Sitzung vom 17. Januar 1992 vorliegenden Änderungsanträge wurden kontrovers behandelt (Sten. Ber. 1/27 S. 2149 ff.). Die Erörterungen lassen im Hinblick auf die allseits bekannte parlamentarische Vorgeschichte ohne jeden Zweifel erkennen, daß sich die Abgeordneten des Landtages durchaus der faktisch geringen Reichweite der mit dem Änderungsantrag der Fraktionen der CDU und FDP vorgeschlagenen Verbandsklage bewußt waren. Das Abstimmungsverfahren im Landtag zeigte dies erneut. Über beide eingebrachten Änderungsanträge wurde namentlich abgestimmt. Der Änderungsantrag der Fraktion der SPD, der als der weitergehende angesehen und über den zunächst abgestimmt wurde, fand keine Mehrheit, hingegen der Änderungsantrag der Fraktionen der CDU und der FDP. Angesichts der deutlich abweichenden Fassung des Änderungsantrages der Fraktion der SPD von der angenommenen Fassung des Änderungsantrages der Fraktionen der CDU und FDP bietet die Entstehungsgeschichte keine Grundlage, die Subsidiaritätsklausel des § 52 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 NatSchG LSA gegen ihren Wortlaut erweiternd auszulegen.

Aus den bundes- und landesverfassungsrechtlichen Staatszielbestimmungen läßt sich ebenfalls eine den Wortlaut des § 52 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 NatSchG LSA überwindende Auslegung nicht begründen. Art. 20 a GG ist – für sich betrachtet – kein Mittel, um subjektive Rechte zu begründen und hierauf bezogene Klagebefugnisse gerade zugunsten der anerkannten Naturschutzverbände zu entwickeln (vgl. BVerwG, Urteil vom 18. April 1996 – BVerwG 11 A 86.95 – BVerwGE 101, 73 ≪83≫). Dagegen spricht bereits der Wortlaut dieser verfassungsrechtlichen Vorgaben selbst. Art. 20 a GG normiert den Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen im Sinne einer Staatszielbestimmung, die sich in erster Linie an den Gesetzgeber wendet. Der Umweltschutz wird damit zu einer fundamentalen Staatsaufgabe. Das eröffnet wie bei jeder Verfassungsbestimmung so auch hier die Möglichkeit der verfassungskonformen Auslegung (vgl. BVerwG, Beschluß vom 13. April 1995 – BVerwG 4 B 70.95 – Buchholz 406.11 § 35 BauGB Nr. 309 = DVBl 1995, 1008; Beschluß vom 21. September 1995 – BVerwG 4 B 263.94 – Buchholz 406.401 § 20 g BNatSchG Nr. 1; Beschluß vom 31. Januar 1997 – BVerwG 4 NB 27.97 – DVBl 1997, 1112). Das setzt indes wirkliche Auslegungszweifel voraus. Diese bestehen hier nicht. Daß § 52 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 NatSchG LSA den Anwendungsbereich der Verbandsklage weitgehend einschränkt, mag zwar wegen geringer Effektivität gerichtlicher Kontrollmöglichkeiten rechtspolitisch fragwürdig sein. Die anerkannten Naturschutzverbände mögen sich durch eine derartige Bestimmung in ihrem Bemühen um einen wirksamen Umweltschutz gehindert sehen. Jedoch hat die grundgesetzliche Kompetenzordnung diese auch umweltpolitische Frage der politischen Beurteilung und Verantwortung des Bundes- und des jeweiligen Landesgesetzgebers überantwortet. Dem kann ein Gericht nicht entgegentreten.

Die in § 52 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 NatSchG LSA bestimmte Subsidiarität weicht zwar von einem allgemeinen prozeßrechtlichen Grundsatz ab, nach dem das Vorliegen der Sachurteilsvoraussetzungen sich nach den Verhältnissen im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung richtet. Ausgeschlossen ist eine Regelung dieses Inhalts jedoch nicht. An die Verhältnisse im Zeitpunkt der Klageerhebung anzuknüpfen, erscheint im übrigen sachgerecht, wenn – wie hier – Klagebefugnisse verschiedener Beteiligter in ein rechtliches Stufenverhältnis zueinander gestellt werden sollen.

c) Ein anderweitiges Klagerecht im Sinne des § 42 Abs. 1 VwGO bestand im Zeitpunkt der hier zu beurteilenden Klageerhebung. Ein anderer Beteiligter hat beim Bundesverwaltungsgericht gegen denselben Planfeststellungsbeschluß Klage erhoben (Verfahren BVerwG 4 A 17.97). Dieser Kläger war auch klagebefugt im Sinne des § 42 Abs. 1 VwGO.

Der Kläger des anderweitigen Verfahrens war im Sinne des Art. 14 Abs. 3 GG enteignungsbetroffen. Das ergibt der Planfeststellungsbeschluß. Danach beabsichtigt die beklagte Planfeststellungsbehörde einen Teil des Grundeigentums jenes Klägers, der dort in anonymisierter Form bezeichnet wird, für den Ausbau einer Zufahrt, in Anspruch zu nehmen. Die Zufahrt ist Teil des Planungskonzepts der planfestgestellten Trasse. Als enteignungsbetroffenem Grundeigentümer stand diesem Kläger die Möglichkeit offen, die Verletzung naturschutzrechtlicher Vorschriften geltend zu machen (vgl. BVerwG, Urteil vom 18. März 1983 – BVerwG 4 C 80.79 – BVerwGE 67, 74 ≪76≫; Urteil vom 21. März 1986 – BVerwG 4 C 48.82 – BVerwGE 74, 109 ≪110≫; Urteil vom 6. März 1987 – BVerwG 4 C 11.83 – BVerwGE 77, 86 ≪91≫; Urteil vom 18. Dezember 1987 – BVerwG 4 C 9.86 – BVerwGE 78, 347 ≪355≫; Urteil vom 21. März 1996 – BVerwG 4 C 26.94 – BVerwGE 100, 388 ≪391≫). Es war also in diesem Rechtsstreit rechtlich möglich, jene Belange vorzutragen, deren Mißachtung auch ein anerkannter Naturschutzverband geltend machen könnte.

Ob der Kläger des Verfahrens BVerwG 4 A 17.97 oder andere am Planfeststellungsverfahren beteiligte Dritte aufgrund verfahrensrechtlicher Bestimmungen von der Geltendmachung naturschutzrechtlicher Einwände allerdings präkludiert waren, bedarf keiner weiteren Prüfung. Zwar hat der erkennende Senat in seinem Urteil vom 18. Dezember 1987 – BVerwG 4 C 9.86 – (BVerwGE 78, 347 ≪355≫) zu dem damaligen § 39 a NatSchG Bln ≪Fassung 1983≫ angenommen, daß die Klagebefugnis des Naturschutzverbandes dann nicht ausgeschlossen sei, wenn der Dritte es versäumt habe, seine Einwendungen im Verwaltungsverfahren geltend zu machen und er aus diesem Grunde mit seinem Vorbringen im gerichtlichen Verfahren präkludiert sei. Die seinerzeit zu beurteilende Rechtslage unterscheidet sich indes von der jetzigen grundlegend. Nach der gegenwärtigen Rechtslage besteht gemäß § 17 Abs. 4 Satz 1 des Fernstraßengesetzes in der Fassung der Bekanntmachung vom 8. August 1990 (BGBl I S. 1714) eine materiellrechtliche Präklusion. Danach sind Einwendungen gegen den Planfeststellungsbeschluß nach Ablauf der im Planfeststellungsverfahren eröffneten Einwendungsfrist ausgeschlossen. Die Einwendungsfrist besitzt für das gerichtliche Verfahren, das einem Planfeststellungsverfahren folgt, materiellrechtlichen Charakter (vgl. BVerwG, Urteil vom 24. Mai 1996 – BVerwG 4 A 38.95 – Buchholz 407.4 § 17 FStrG Nr. 119 = NVwZ 1997, 489 = DVBl 1997, 51). Dagegen erfaßte die Präklusion nach früherer Rechtslage als formelle Präklusion nur jene einwendungsfähigen Umstände, die sich der Planfeststellungsbehörde nicht von Amts wegen aufdrängen mußten (BVerwG, Urteil vom 14. April 1967 – BVerwG 4 C 42.65 – BVerwGE 26, 302 ≪303≫; Urteil vom 6. August 1982 – BVerwG 4 C 66.79 – BVerwGE 66, 99 ≪102≫). Hiervon ist der erkennende Senat in seinem Urteil vom 18. Dezember 1987 ausgegangen. Die Erörterung der Bedeutung einer materiellen Präklusion lag ihm fern. Würde eine materielle Präklusion ein anderweitiges Klagerecht im Sinne des § 52 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 NatSchG LSA begründen, wäre der Sinn der gesetzlichen Regelung nahezu in sein Gegenteil verkehrt. Dann müßte nämlich im Rahmen der Klagebefugnis des § 52 Abs. 1 und 2 NatSchG LSA detailliert geprüft und entschieden werden, ob gerade hinsichtlich bestimmter Belange, welche der klagende Naturschutzverband mit seiner Klage vorträgt, tatsächlich im Planfeststellungsverfahren eine Präklusion bei einem potentiell klagebefugten Dritten ausgelöst worden ist. Je nach der Zahl derartiger Dritter und der Detailgenauigkeit der erhobenen Einwendungen (vgl. BVerwG, Beschluß vom 13. März 1995 – BVerwG 11 VR 5.95 – Buchholz 445.5 § 17 WaStrG Nr. 3 = NVwZ 1995, 904; Urteil vom 23. August 1996 – BVerwG 4 A 30.95 – Buchholz 407.4 § 17 FStrG Nr. 122; Beschluß vom 12. Februar 1996 – BVerwG 4 VR 19.95 – DVBl 1996, 684 = DÖV 1996, 608) würden sich die Sachfragen in die Erörterung der Klagebefugnis des Naturschutzverbandes verlagern. Das würde dazu führen, daß der klagende Verband im äußeren Rahmen der Prüfung einer Sachurteilsvoraussetzung letztlich eine gerichtliche Sachprüfung erreichen könnte. Gerade dieses Ergebnis will § 52 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 NatSchG LSA ersichtlich unterbinden. Der Landesgesetzgeber hat – wie erörtert – den Bereich der Verbandsklage von vornherein nur restriktiv bestimmen wollen.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.

 

Unterschriften

Berkemann, Lemmel, Heeren, Halama, Rojahn

 

Fundstellen

BVerwGE

BauR 1998, 200

DÖV 1998, 338

NuR 1998, 254

ZUR 1998, 220

BRS 1997, 729

BRS 1998, 729

DVBl. 1998, 585

UPR 1998, 150

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