Entscheidungsstichwort (Thema)

Förderung eines Kindes in Tagespflege. Tagespflege, Förderung eines Kindes in –. Feststellung der Geeignetheit und Erforderlichkeit einer – als Verwaltungsakt. Vermittlung einer Tagespflegeperson. Verwaltungsakt, Feststellung der Geeignetheit und Erforderlichkeit einer Tagespflege als –

 

Leitsatz (amtlich)

1. Mit der Feststellung der Geeignetheit und Erforderlichkeit der Tagespflege für das Wohl des Kindes und der Eignung der Pflegeperson nach § 23 Abs. 3 Satz 2 SGB VIII F. 1993 erklärt das Jugendamt, daß es die Förderung des Kindes in Tagespflege durch die vom Personensorgeberechtigten nachgewiesene Tagespflegeperson in Erfüllung seiner jugendhilferechtlichen Aufgabe übernimmt. Mit diesem Regelungsgehalt ist die Feststellung nach § 23 Abs. 3 Satz 2 SGB VIII F. 1993 ein Verwaltungsakt i.S. des § 31 Satz 1 SGB X.

2. Die Feststellung nach § 23 Abs. 3 Satz 2 SGB VIII F. 1993 steht im „Kann”-Ermessen des Jugendhilfeträgers.

 

Normenkette

SGB VIII F. 1993 § 1 Abs. 2; SGB VIII F. 1993 § 6 Abs. 1 S. 1; SGB VIII F. 1993 § 23 Abs. 1; SGB VIII F. 1993 § 23 Abs. 3 S. 1; SGB VIII F. 1993 § 23 Abs. 3 S. 2; SGB VIII F. 1993 § 80 Abs. 2 Nr. 4; SGB X § 31 S. 1

 

Verfahrensgang

Schleswig-Holsteinisches OVG (Urteil vom 16.10.1995; Aktenzeichen 5 L 74/95)

 

Tenor

Die Revision der Kläger gegen das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Oberverwaltungsgerichts vom 16. Oktober 1995 wird zurückgewiesen.

Die Kläger tragen die Kosten des Revisionsverfahrens. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

 

Tatbestand

I.

Die klagenden Eheleute begehren die Verpflichtung des beklagten Landkreises, die Geeignetheit und Erforderlichkeit der Tagespflege für ihren zweijährigen Sohn S. festzustellen.

Die 1966 geborenen Kläger wohnen mit ihrem am 27. Oktober 1991 geborenen Sohn in I. Der Kläger studierte seit dem Wintersemester 1991/92 Maschinenbau an der Fachhochschule in H. Er hat sein Studium am 28. August 1995 abgeschlossen und arbeitet in einem befristeten Arbeitsverhältnis. Die Klägerin, von Beruf Chemielaborantin, studiert seit dem Wintersemester 1993/94 Biochemie, ebenfalls an der Universität H. Sie hat am 5. Oktober 1995 die Vordiplomprüfung erfolgreich abgelegt.

Seit Oktober 1993 lassen die Kläger ihren Sohn durch eine Tagespflegeperson gegen ein Entgelt von monatlich 350 DM betreuen. Seit Mai 1995 besucht S. zusätzlich nachmittags den Kindergarten. Ein Ganztagsbetreuungsplatz war nach Einlassung der Klägerin nicht zu bekommen.

Im Oktober 1993 beantragte die Klägerin die Übernahme der Tagespflegekosten für die Zeit ab dem 18. Oktober 1993. Der Beklagte lehnte den Antrag ab (Widerspruchsbescheid vom 16. Februar 1994): Bei Abwägung der widerstreitenden Interessen sei der Klägerin der Abbruch des erst nach Geburt ihres Sohnes aufgenommenen Studiums zuzumuten. Insofern habe der Wunsch der Klägerin, zur gleichen Zeit wie der Kläger zu studieren, zurückzutreten, um ihrer gesetzlichen Erziehungspflicht zu genügen. Zudem bestehe für die Klägerin die Möglichkeit, sich für zwei Semester beurlauben zu lassen. Begleitend hierzu käme die Möglichkeit in Betracht, den Besuch von Pflichtveranstaltungen so zu planen, daß beide Ehegatten sich gegenseitig bei der Betreuung des Kindes ablösen könnten. Sollte dies aufgrund der Studienpläne nicht möglich sein, müßten diese Zeiten durch Unterstützung im Freundes- und Bekanntenkreis überbrückt werden.

Die hiergegen erhobene Klage mit dem Ziel, den Beklagten zu verpflichten, die Geeignetheit und Erforderlichkeit der Tagespflege festzustellen, hatte vor dem Verwaltungsgericht Erfolg. Auf die Berufung des Beklagten hat das Oberverwaltungsgericht das erstinstanzliche Urteil aufgehoben und die Klage abgewiesen. Das Urteil ist im wesentlichen wie folgt begründet:

Grundsätzlich hätten nach § 23 Abs. 3 Satz 2 KJHG die Personensorgeberechtigten einen Anspruch auf Feststellung der Geeignetheit und Erforderlichkeit der Tagespflege durch Verwaltungsakt. Im vorliegenden Fall seien die Anspruchsvoraussetzungen jedoch nicht erfüllt, da die Tagespflege des Sohnes der Kläger in dem hier zur Entscheidung stehenden Zeitraum (18. Oktober 1993 bis 16. Februar 1994) nicht erforderlich gewesen sei. Die Erforderlichkeit der Betreuung eines Kindes in den ersten Lebensjahren durch eine Tagespflegeperson sei nur dann gegeben, wenn eine familiäre Betreuung nicht gewährleistet sei. Allerdings sei im Anwendungsbereich der §§ 22 bis 26 SGB VIII zu unterstellen, daß sich die Eltern ihrer Erziehungsverantwortung und -verpflichtung gemäß Art. 6 Abs. 2 GG und § 1 Abs. 2 SGB VIII bewußt seien. Es könne hier nicht davon ausgegangen werden, daß Eltern ihre eigenen Interessen über die ihrer Kinder stellten und das Kindeswohl immer schon dann berührt sei, wenn die Verwirklichung des Wunsches der Eltern auf autonome Lebensgestaltung nicht mit Haushaltsmitteln unterstützt werde. Eine Übernahme der Tagespflegekosten komme daher nur dann in Betracht, wenn es beiden Elternteilen nicht zuzumuten sei, die Betreuung ihres Kindes selbst zu übernehmen. Unzumutbar sei die Aufgabe der Berufstätigkeit zur Betreuung des Kindes insbesondere dann, wenn die Berufstätigkeit beider Elternteile erforderlich sei, um den notwendigen Lebensunterhalt der Familie zu sichern und Unabhängigkeit von der Sozialhilfe zu gewährleisten. Entsprechendes gelte für eine Ausbildung, die der zukünftigen Sicherung des Lebensunterhalts diene. Auf den vorliegenden Fall angewandt bedeute dies, daß es der Klägerin nicht zuzumuten sei, ihr Studium abzubrechen. Denn die Klägerin habe nachvollziehbar vorgetragen, daß sie einen Studienplatz im Fachbereich Biochemie aller Voraussicht nach in der Nähe ihres Wohnortes nicht wieder erhalten würde. Zuzumuten sei es ihr dagegen gewesen, ihr Studium zu unterbrechen. Der Klägerin sei es nach ihrem eigenen Vortrag möglich, sich für zwei Semester beurlauben zu lassen. Es sei nicht ersichtlich, daß der Beurlaubung irgendwelche Hindernisse entgegengestanden hätten, auch wenn Beurlaubungen vor Beendigung des 4. Fachsemesters nur auf besonderen Antrag unter genauer Darlegung der Gründe bewilligt würden. Ein „Aufsparen” der Beurlaubungsmöglichkeit für andere Anlässe möge zwar im allgemeinen Interesse der Klägerin gelegen haben, begründe aber nicht die Erforderlichkeit der Tagespflege ihres Kindes. Im Falle ihrer Beurlaubung wäre aber die Pflege und Betreuung von S. in dem hier maßgeblichen Zeitpunkt bis Februar 1994 gewährleistet gewesen. Der für die Entwicklung des Kindes wünschenswerte Kontakt zu anderen gleichaltrigen Kindern hätte sich auch ohne Tagespflege herstellen lassen. Die Beurlaubung hätte zu einer einjährigen Verzögerung des Abschlusses der Ausbildung geführt, was im Hinblick auf die Lebenssituation der Kläger hinnehmbar sei. Wesentliche Erschwerungen für die Wiederaufnahme des Studiums nach der Beurlaubung seien nicht zu besorgen.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision der Kläger, mit der sie eine Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils begehren. Sie rügen Verletzung des § 86 Abs. 1 VwGO und des materiellen Rechts. Das Berufungsgericht habe den § 23 SGB VIII falsch ausgelegt und die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 28. Mai 1993 und die dort angesprochene staatliche Schutzpflicht gegenüber dem ungeborenen Leben nicht hinreichend beachtet.

Der Oberbundesanwalt tritt der Auffassung der Revision bei: Die „Erforderlichkeit” einer Tagespflege entfalle erst dann, wenn im Einzelfall ein offensichtlicher Mißbrauch auf Kosten der Allgemeinheit zu befürchten sei.

Der Beklagte verteidigt das angefochtene Urteil.

 

Entscheidungsgründe

II.

Die Revision der Kläger ist unbegründet, so daß sie zurückzuweisen ist (§ 144 Abs. 2 VwGO). Im Ergebnis zu Recht hat das Berufungsgericht die Klage unter Aufhebung des verwaltungsgerichtlichen Urteils abgewiesen. Der Beklagte hat die Feststellung der Geeignetheit und Erforderlichkeit der Tagespflege für den Sohn der Kläger nach § 23 Abs. 3 Satz 2 SGB VIII i.d.F. der Bekanntmachung vom 3. Mai 1993 (BGBl. I S. 637) ohne Rechtsfehler abgelehnt.

Die Vorinstanzen haben das Begehren der Kläger zutreffend als Verpflichtungsklage, gerichtet auf einen feststellenden Verwaltungsakt, aufgefaßt. Sie sind dabei zu Recht davon ausgegangen, daß § 23 Abs. 3 Satz 2 SGB VIII zum Erlaß eines entsprechenden Verwaltungsakts ermächtigt.

Die Feststellung nach § 23 Abs. 3 Satz 2 SGB VIII bezieht sich auf die Tagespflege sowie die Tagespflegeperson. Ausgehend vom Gesetzestext in § 23 Abs. 1 SGB VIII und in Abgrenzung zur Vollzeitpflege (§ 33 SGB VIII) ist Tagespflege die Betreuung eines Kindes für einen Teil des Tages oder ganztags entweder im eigenen oder im Haushalt des Personensorgeberechtigten. Während die Tagespflege, also die Betreuung eines Kindes durch eine Tagespflegeperson, als solche auch eine rein private, durch die Eltern selbst organisierte und finanzierte Kinderbetreuung sein kann (vgl. dazu § 25 SGB VIII sowie z.B. Wiesner/Struck, SGB VIII, 1995, § 23 Rn. 16), ist die Feststellung des Jugendamtes nach § 23 Abs. 3 Satz 2 SGB VIII eine jugendhilferechtliche Maßnahme. Gegenstände der Feststellung nach § 23 Abs. 3 Satz 2 SGB VIII sind seinem Wortlaut nach die Geeignetheit und Erforderlichkeit der Tagespflege sowie die Eignung der Pflegeperson, also rechtliche Vorgaben, die nach § 23 Abs. 3 Satz 1 SGB VIII unabhängig von einer Feststellung durch das Jugendamt als Voraussetzungen für einen Aufwendungsersatz vorgeschrieben, aber auch ausreichend sind. Das könnte zu dem Schluß verleiten, auch in Fällen der nicht vom Jugendamt vermittelten, sondern von den Personensorgeberechtigten nachgewiesenen Pflegepersonen habe die Feststellung keine regelnde Funktion, weil die Geeignetheit und Erforderlichkeit der Tagespflege sowie die Eignung der Pflegeperson ohnehin der rechtlichen Überprüfung unterlägen. Eine solche Auslegung beachtete aber nicht, daß der Gesetzgeber den Aufwendungsersatz nach § 23 Abs. 3 Satz 2 SGB VIII von einer Feststellung des Jugendamtes abhängig gemacht hat. Hätte der Gesetzgeber der Feststellung in § 23 Abs. 3 Satz 2 SGB VIII keine regelnde Bedeutung beigemessen, wäre die Anfügung eines Satzes 2 in § 23 Abs. 3 SGB VIII entbehrlich gewesen und hätte er in § 23 Abs. 3 SGB VIII zwischen dem Wort „vermittelt” und dem nachfolgenden „und” nur die Wörter „oder von den Personensorgeberechtigten nachgewiesenen” einzufügen brauchen. Damit wäre sichergestellt, daß der Tagespflegeperson die entstehenden Aufwendungen einschließlich der Kosten der Erziehung nur ersetzt werden (können), wenn die Tagespflegeperson geeignet und die Tagespflege geeignet und erforderlich ist. Hätte der Gesetzgeber allein dieses Ziel erreichen wollen, hätte es einer gesonderten, auf die Eignung der Tagespflegeperson und der Geeignetheit und Erforderlichkeit der Tagespflege gerichteten Feststellung des Jugendamtes, wie sie § 23 Abs. 3 Satz 2 SGB VIII für einen Aufwendungsersatz voraussetzt, also nicht bedurft.

Bei der Auslegung des § 23 Abs. 3 Satz 2 SGB VIII und damit für die Frage nach Inhalt und Sinn der dort geregelten Feststellung des Jugendamtes ist neben dem Wortlaut des Gesetzes insbesondere seine Systematik und damit das Verhältnis des Satzes 2 zu Satz 1 des Absatzes 3 und mittelbar auch zu Absatz 1 des § 23 SGB VIII maßgebend.

§ 23 SGB VIII mit der Überschrift „Tagespflege” gehört zu den Vorschriften, die die Förderung von Kindern in Tageseinrichtungen und in Tagespflege regeln (§§ 22 ff. SGB VIII). § 2 Abs. 2 Nr. 3 SGB VIII führt Angebote zur Förderung von Kindern in Tageseinrichtungen und in Tagespflege als Leistungen der Jugendhilfe an. Ziel der Tagespflege als Aufgabe und Leistung der Jugendhilfe ist die Förderung der Entwicklung des Kindes (§ 23 Abs. 1 SGB VIII). Da dieses Ziel auch noch anderen – zuvörderst den Eltern – gesetzt ist, ist die Förderung des Kindes durch Tagespflege nur dann eine jugendhilferechtliche Maßnahme, wenn das Jugendamt eine konkrete Tagespflege anbietet, vermittelt oder (bei nachgewiesener Tagespflegeperson) akzeptiert, wenn also das Jugendamt im Einzelfall die Förderung durch Tagespflege als seine (der Jugendhilfe) Aufgabe erfüllen will. Diesen Willen, die Förderung des Kindes durch Tagespflege als Aufgabe der Jugendhilfe zu erfüllen, manifestiert das Jugendamt in den Fällen der Vermittlung (vgl. dazu § 23 Abs. 1 SGB VIII) bereits durch die Vermittlung. In diesen Fällen genügt es deshalb für die Leistung von Aufwendungsersatz im Rahmen der (bereits durch die Vermittlung eröffneten) Jugendhilfe, daß die Eignung der Tagespflegeperson und die Geeignetheit und Erforderlichkeit der Tagespflege vorliegen. Einer diesbezüglichen gesonderten Feststellung durch das Jugendamt bedarf es nicht. Anders ist es in den Fällen, in denen die Personensorgeberechtigten eine Tagespflegeperson ohne Vermittlung des Jugendamtes gefunden haben und nun dem Jugendamt nachweisen. Das ist die Ausgangslage für die Regelung in § 23 Abs. 3 Satz 2 SGB VIII. In diesen Fällen ist die Förderung des Kindes in Tagespflege vor der Einschaltung des Jugendamtes noch keine Maßnahme der Jugendhilfe. Anders als bei der vom Jugendamt vermittelten Tagespflege fehlt bei der vom Personensorgeberechtigten nachgewiesenen Tagespflege noch die Manifestation des Jugendamtes, die Förderung des Kindes in Tagespflege als Aufgabe der Jugendhilfe erfüllen zu wollen. Erst dann, wenn das Jugendamt die Förderung des Kindes in Tagespflege in Erfüllung seiner jugendhilferechtlichen Aufgabe übernimmt (nach der Begründung des Bundesrates zur Einfügung des Satzes 2 in § 23 Abs. 3 SGB VIII ≪BTDrucks 12/2866 S. 31≫ wird die Feststellung des Jugendamtes als dessen „Bestätigung” des bereits bestehenden Pflegeverhältnisses verstanden), erhält die Förderung in Tagespflege den Charakter einer jugendhilferechtlichen Maßnahme. Darin liegt die Bedeutung der Feststellung des Jugendamtes nach § 23 Abs. 3 Satz 2 SGB VIII. Mit dieser Feststellung erklärt das Jugendamt, daß es die Förderung des Kindes in Tagespflege durch die vom Personensorgeberechtigten nachgewiesene Tagespflegeperson in Erfüllung seiner jugendhilferechtlichen Aufgabe übernimmt. Mit diesem Regelungsgehalt ist die Feststellung nach § 23 Abs. 3 Satz 2 SGB VIII ein Verwaltungsakt i.S. des § 31 Satz 1 SGB X.

Nicht zu beanstanden ist weiterhin, daß das Berufungsgericht die Kläger für befugt angesehen hat, die ablehnende Entscheidung des Beklagten zur gerichtlichen Nachprüfung zu stellen. Die Vermittlung (§ 23 Abs. 1 und 3 Satz 1 SGB VIII) und die Feststellung (§ 23 Abs. 3 Satz 2 SGB VIII) sind zwei gleichwertige Möglichkeiten, die Förderung des Kindes in Tagespflege als jugendhilferechtliche Aufgabenerfüllung und damit als jugendhilferechtliche Maßnahme zu übernehmen. Darin liegt der Grund, warum ein darauf gerichteter Anspruch dem Personensorgeberechtigten zusteht. Denn nur in seiner Entscheidungsbefugnis (nicht ≪auch≫ der eines Dritten) liegt es, ob er bei der Erziehung und Betreuung die Unterstützung der Jugendhilfe in Anspruch nehmen will. Deshalb scheidet die Pflegeperson als anspruchsberechtigt in bezug auf die Feststellung nach § 23 Abs. 3 Satz 2 SGB VIII (wie auch in bezug auf die Vermittlung nach § 23 Abs. 1 und 3 Satz 1 SGB VIII) aus. Sie hat zwar nach § 23 Abs. 2 SGB VIII Anspruch auf Beratung in allen Fragen der Tagespflege; auch sollen ihr nach § 23 Abs. 3 SGB VIII die entstehenden Aufwendungen einschließlich der Kosten der Erziehung ersetzt werden. Sie kann aber nicht (eigenständig, vom Elternrecht unabhängig und auf Kosten der Eltern ≪§ 91 Abs. 2 SGB VIII≫) die Förderung des Kindes in Tagespflege durch das Jugendamt beanspruchen. Auch dem Kind selbst steht ein solcher Anspruch nicht zu. Zwar kommen auch Kinder als Leistungsberechtigte nach dem Achten Buch Sozialgesetzbuch in Betracht (§ 6 Abs. 1 Satz 1 SGB VIII). Dies zeigt sich z.B. in § 24 Abs. 1 Satz 1 SGB VIII, der dem die Tagespflege regelnden § 23 SGB VIII unmittelbar folgt und mit diesem im Dritten Abschnitt „Förderung von Kindern in Tageseinrichtungen und in Tagespflege” steht. Soweit im Achten Buch Sozialgesetzbuch der Anspruchsberechtigte nicht ausdrücklich angegeben ist, ist zu berücksichtigen, daß Pflege und Erziehung der Kinder das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht sind (§ 1 Abs. 2 Satz 1 SGB VIII). Da die Tagespflege eine die elterliche Pflege und Erziehung unterstützende und ergänzende Betreuung des Kindes ist, sind anspruchsberechtigt für die Aufnahme darauf gerichteter Jugendhilfe die Personensorgeberechtigten. Deshalb ist auch Voraussetzung für die Feststellung des Jugendamtes nach § 23 Abs. 3 Satz 2 SGB VIII, daß eine Pflegeperson von den Personensorgeberechtigten nachgewiesen ist.

Bundesrecht verletzt aber das Berufungsgericht mit seiner Auffassung, § 23 Abs. 3 Satz 2 SGB VIII gebe den Personensorgeberechtigten einen Rechtsanspruch auf die Feststellung durch das Jugendamt.

Der Wortlaut des § 23 Abs. 3 Satz 2 SGB VIII gibt keinen Anhalt für einen Rechtsanspruch. In bezug auf die in § 23 Abs. 3 Satz 2 SGB VIII beschriebene Feststellung ist dort weder ein gegen das Jugendamt gerichtetes Recht, die Feststellung zu verlangen, noch auch nur eine dem Jugendamt auferlegte Pflicht, die Feststellung zu treffen, bezeichnet oder erkennbar. Vielmehr heißt es dort: … „wenn das Jugendamt … feststellt.” Damit ist die Feststellung als Bedingung, als Voraussetzung für die Soll-Verpflichtung zum Aufwendungsersatz formuliert, womit nichts darüber ausgesagt ist, ob auf die Feststellung selbst ein Rechtsanspruch besteht.

Auch aus der Systematik des Gesetzes ist kein Rechtsanspruch ersichtlich. Für die vom Gesetz zunächst allein geregelten Fälle vermittelter Tagespflege bestimmt § 23 Abs. 1 SGB VIII, daß eine Tagespflegeperson vermittelt werden „kann”. Damit stellt der Gesetzgeber das Eingreifen der Jugendhilfe im Bereich der Tagespflege in das Ermessen des Jugendamtes. Erst im Rahmen der so (durch Vermittlung) in Jugendhilfe übernommenen Tagespflege sollen nach § 23. Abs. 3 Satz 1 SGB VIII die entstehenden Aufwendungen einschließlich der Kosten der Erziehung ersetzt werden. Für die durch § 23 Abs. 3 Satz 2 SGB VIII in der Fassung des Ersten Gesetzes zur Änderung des Achten Buches Sozialgesetzbuch vom 16. Februar 1993 (BGBl. I S. 239) mit Wirkung vom 1. April 1993 einbezogenen Fälle nachgewiesener Tagespflege wollte der Gesetzgeber nicht von der Grundaussage des § 23 Abs. 1 SGB VIII abrücken, sondern lediglich erreichen, daß das Jugendamt die jugendhilferechtliche Förderung des Kindes in Tagespflege nicht nur über die Vermittlung einer Tagespflege, sondern auch über die Bestätigung einer vom Personensorgeberechtigten zunächst selbst organisierten Tagespflege bewirken kann (vgl. BTDrucks 12/2866 S. 31, Begründung zu Nr. 4). Da das Gesetz die Vermittlung nach § 23 Abs. 1 und Abs. 3 Satz 1 SGB VIII und die Feststellung nach § 23 Abs. 3 Satz 2 SGB VIII funktionsgleich geregelt hat, ist davon auszugehen, daß das für die jugendhilferechtliche Vermittlung nach § 23 Abs. 1 und 3 Satz 1 SGB VIII in § 23 Abs. 1 SGB VIII normierte Ermessen entsprechend auch für die jugendhilferechtliche Feststellung nach § 23 Abs. 3 Satz 2 SGB VIII gilt. Ohne dieses Ermessen auch in Fällen nachgewiesener Pflegeperson könnten die Personensorgeberechtigten dem Jugendamt anders als in Fällen der Vermittlung die Förderung in Tagespflege aufdrängen.

Wie § 23 Abs. 1 SGB VIII bestimmt, daß eine Tagespflegeperson vermittelt werden „kann”, steht demnach auch die Feststellung nach § 23 Abs. 3 Satz 2 SGB VIII im „Kann”-Ermessen. Das Berufungsgericht hätte demnach nur einen Anspruch auf pflichtgemäße Ausübung des jugendhilferechtlichen Ermessens (§ 39 Abs. 1 Satz 2 SGB I) zugrunde legen dürfen.

Die Abweisung der Klage erweist sich jedoch im Ergebnis als richtig (§ 144 Abs. 4 VwGO). Denn das Berufungsgericht hat zu Recht entschieden, daß die Anspruchsvoraussetzung der Erforderlichkeit der Tagespflege, die auch für einen Anspruch auf fehlerfreie Ermessensausübung gilt, nicht erfüllt ist. Dabei ist das Oberverwaltungsgericht zutreffend davon ausgegangen, daß der Begriff der Erforderlichkeit ein unbestimmter Gesetzesbegriff ist, der der vollen verwaltungsgerichtlichen Kontrolle unterliegt.

Dem Berufungsgericht ist auch darin zu folgen, daß die Jugendhilfe und der Einsatz von Jugendhilfemitteln nicht primär dem Interesse der Eltern und deren Freiheitsentfaltung zu dienen hat, sondern dem Wohl des Kindes. Zwar hat der Gesetzgeber mit der Einführung des Angebots der Förderung von Kindern in Tageseinrichtungen und in Tagespflege in den §§ 22 ff. SGB VIII auch dem Bedürfnis der Eltern Rechnung tragen wollen, Familie und Erwerbstätigkeit besser miteinander vereinbaren zu können (vgl. § 80 Abs. 2 Nr. 4 SGB VIII). Er hat aber gleichzeitig gesehen, daß der Wunsch beider Elternteile, erwerbstätig sein zu wollen, mit dem Bedürfnis des Kindes nach Zuwendung, Kontinuität der Erziehung und zeitlicher Verfügbarkeit der Eltern kollidieren kann (vgl. BTDrucks 11/5948 S. 62). Nicht von ungefähr hat der Gesetzgeber deshalb in § 1 Abs. 2 Satz 1 SGB VIII auch an den – bereits von Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG so umschriebenen – Pflichtengehalt des Elternrechts erinnert: „Pflege und Erziehung der Kinder sind das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht.” Die Ermächtigung an den Jugendhilfeträger, ein Angebot zur Förderung eines Kindes in Tagespflege zu machen, schließt deshalb den Auftrag ein, auf einen vernünftigen Ausgleich zwischen den Interessen des Kindes und der Eltern zu achten. Es ist deshalb nicht zu beanstanden, wenn das Berufungsgericht bei Tagespflegen, mit denen einem durch die Ausbildung beider Elternteile bedingten Betreuungsdefizit entgegengewirkt werden soll, nur diejenigen für mit öffentlichen Jugendhilfemitteln förderungsfähig hält, die deshalb erforderlich sind, weil keinem der in berufsqualifizierender Ausbildung befindlichen Elternteile auch unter Berücksichtigung ihrer besonderen elterlichen Erziehungs- und Betreuungsverantwortung zugemutet werden kann, seinen Ausbildungswunsch ganz oder zeitweilig zurückzustellen. Daß dabei das Berufungsgericht die Anforderungen an die Zumutbarkeit (vgl. hierzu bereits Senatsurteil vom 13. Juni 1991 – BVerwG 5 C 27.88 – ≪Buchholz 436.51 § 6 JWG Nr. 13 S. 15 ff.≫) unter Verkennung der grundrechtlichen Entfaltungsfreiheit der Klägerin überspannt haben könnte, ist nicht ersichtlich. Das Berufungsgericht hat – das Bundesverwaltungsgericht gemäß § 137 Abs. 2 VwGO bindend – festgestellt, daß die Wiederaufnahme des Studiums nach einer Beurlaubung von zwei Semestern nicht wesentlich erschwert worden wäre. Die damit verbundene einjährige Verzögerung des Ausbildungsabschlusses für die Klägerin ist – wie das Berufungsgericht zu Recht angenommen hat – im Hinblick auf die Lebenssituation der Kläger hinnehmbar, zumal die Klägerin bereits eine berufsgualifizierende Ausbildung besaß, erst am Beginn ihrer zweiten Ausbildung stand und der Sohn der Kläger nach Ablauf der Beurlaubungszeit die Altersgrenze für die Aufnahme in einen Kindergarten erreicht haben würde (vgl. § 1 Abs. 2 Nr. 2 Kindertagesstättengesetz vom 12. Dezember 1991 ≪GVBl Schl.-H. S. 651≫). Aus Art. 6 Abs. 4 GG und der staatlichen Schutzpflicht für das ungeborene Leben folgt nichts anderes. Zwar umfaßt die der Mutter geschuldete Fürsorge der Gemeinschaft auch die Verpflichtung des Staates, Nachteile, die einer Frau aus Schwangerschaft für Ausbildung und Beruf erwachsen können, nach Möglichkeit auszuschließen. Der Staat kann und muß jedoch den Eltern nicht alle Belastungen und Einschränkungen abnehmen, die für sie mit der Pflege und Erziehung von Kindern verbunden sind (vgl. BVerfGE 88, 203 ≪259≫). In diesem Rahmen hält sich das Ansinnen an die Klägerin, ihren Ausbildungswunsch zugunsten des Wohls des Kindes für ein Jahr zurückzustellen.

Die Angriffe der Revision gegen die tatsächlichen Grundlagen der berufungsgerichtlichen Entscheidung sind unzulässig. Denn das Oberverwaltungsgericht hat festgestellt, daß irgendwelche Hindernisse, die einer Beurlaubung entgegenstehen könnten, nicht ersichtlich sind. Zulässige und begründete Revisionsgründe gegen diese Feststellung hat die Revision nicht vorgebracht, so daß das Bundesverwaltungsgericht hieran gebunden ist (§ 137 Abs. 2 VwGO). Die insoweit erhobene Rüge einer vermeintlichen Verletzung der Aufklärungspflicht (§ 86 Abs. 1 VwGO) genügt nicht den formellen Anforderungen des § 139 Abs. 3 Satz 4 VwGO. Hat der Revisionskläger in der Vorinstanz keinen förmlichen Beweisantrag gestellt (vgl. § 86 Abs. 2 VwGO), ist für die prozeßordnungsgemäße Bezeichnung der Aufklärungsrüge darzulegen, warum sich dem Tatsachengericht die Notwendigkeit einer weiteren Sachaufklärung in der nunmehr aufgezeigten Richtung durch die jetzt vermißte Beweisaufnahme hätte aufdrängen müssen (stRspr, vgl. BVerwG, Urteil vom 3. August 1992 – BVerwG 8 C 72.90 – ≪NVwZ 1993, 62/63≫). Derlei Darlegungen fehlen hier. Daß das Unterlassen eines entsprechenden Beweisantrages in der Vorinstanz durch einen Verstoß des Tatsachengerichts gegen den Grundsatz des rechtlichen Gehörs verursacht worden sein könnte, wie es wohl die Revision anzudeuten versucht, ist nicht ersichtlich. Denn die Frage der Beurlaubungsmöglichkeit für zwei Semester war bereits vom Beklagten im Widerspruchsbescheid zu einer tragenden Grundlage seiner ablehnenden Entscheidung gemacht worden, so daß die Kläger über die Entscheidungserheblichkeit dieser Frage nicht im Unklaren sein konnten, vielmehr in Rechnung stellen mußten, daß sich das Berufungsgericht insoweit der Auffassung des Beklagten anschließen könnte.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2, § 159 VwGO i.V.m. § 100 Abs. 1 ZPO, die Gerichtskostenfreiheit auf § 188 Satz 2 VwGO.

 

Unterschriften

Dr. Säcker, Dr. Pietzner, Dr. Rothkegel, Dr. Rojahn, Dr. Franke

 

Fundstellen

Haufe-Index 1497431

BVerwGE, 274

BVerwGE: ja

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