Tenor

Das Verfahren wird ausgesetzt.

Dem Europäischen Gerichtshof werden folgende Fragen gemäß Art. 234 EG zur Vorabentscheidung vorgelegt:

  1. Sind einzelstaatliche Bestimmungen des Futtermittelrechts, die den Import von in einem anderen Mitgliedstaat rechtmäßig hergestellten Futtermitteln wegen des dem Recht des Einfuhrstaates nicht entsprechenden Gehalts an Vitamin D 3 verbieten, unmittelbar an Art. 28, 30 EG zu messen?
  2. Ist Art. 19 der Zusatzstoffrichtlinie 70/254/EWG dahin auszulegen, dass er das Verbot des Imports eines in einem anderen Mitgliedstaat rechtmäßig hergestellten Ergänzungsfuttermittels wegen Überschreitung des im Einfuhrmitgliedsstaat zugelassenen Gehalts an Vitamin D 3 zulässt?
  3. Hängt die Entscheidung zu Frage 2. davon ab, ob die Divergenz der Regelungen im Herstellungs- und Einfuhrmitgliedsstaat auf einer unterschiedlichen Ausnutzung der Regelungsmöglichkeiten des Art. 12 Abs. 2 Satz 1 b Richtlinie 70/254/EWG beruht?
 

Tatbestand

I.

Die Beteiligten streiten darüber, ob die Klägerin ein in den Niederlanden rechtmäßig hergestelltes und vertriebenes Ergänzungsfuttermittel, das den Anforderungen des deutschen Futtermittelrechts nicht entspricht, gleichwohl in das Bundesgebiet einführen und hier in Verkehr bringen darf.

Die Klägerin ist Herstellerin, Importeurin und Exporteurin von Tierfuttermitteln. Sie vertreibt im Bundesgebiet u.a. das von ihrer Schwesterfirma in den Niederlanden hergestellte und für die Verfütterung an Ferkel bestimmte Ergänzungsfuttermittel „Denkavit Kern Ferkel 125”. Dieses Futtermittel enthält 16 000 Internationale Einheiten (IE) Vitamin D 3 je Kilogramm. Nach seiner Etikettierung und der Gebrauchsanweisung ist es nicht zur unmittelbaren Verfütterung an Tiere bestimmt sondern vor der Verfütterung im Verhältnis 1: 7 mit Einzelfuttermitteln – insbesondere Getreide – zu mischen. Das niederländische Futtermittelrecht lässt die Herstellung und den Vertrieb eines entsprechenden Ergänzungsfuttermittels zu.

Bei einer Betriebskontrolle beanstandete das Landesamt für Ernährungswirtschaft und Jagd Nordrhein-Westfalen im Mai 1991 das Futtermittel „Denkavit Kern Ferkel 125” wegen seines Gehalts an Vitamin D 3. Nach § 17 Abs. 3 Nr. 1 Futtermittelverordnung (FMV) dürften Ergänzungsfuttermittel für Ferkel höchstens 10 000 IE Vitamin D 3/kg enthalten. Die Überdosierung um 6 000 IE Vitamin D 3/kg führe nach § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 2 b Futtermittelgesetz (FMG) zu einem Verkehrs- und Verfütterungsverbot.

Am 23. März 1993 hat die Klägerin Klage auf Feststellung erhoben, dass sie berechtigt ist, das in den Niederlanden rechtmäßig hergestellte Ergänzungsfuttermittel „Denkavit Kern Ferkel 125” mit einem Vitamin D 3-Gehalt von 16 000 IE/kg und der Verwendungsbestimmung einer Vermischung mit Einzelfuttermitteln im Verhältnis 1: 7 nach Deutschland einzuführen und hier in Verkehr zu bringen. Dazu hat sie vorgetragen, die Anwendung des deutschen Futtermittelrechts stelle ein die Art. 30, 36 des EG-Vertrages (jetzt Art. 28, 30 EG) verletzendes Handelshindernis dar. Für dieses Hindernis gäbe es keinerlei Rechtfertigung.

Der Beklagte ist der Klage entgegengetreten. Er hat vorgetragen, eine Überprüfung der nationalstaatlichen Regelung des § 17 Abs. 3 Nr. 1 FMV am Maßstab der Art. 30, 36 EGV sei unzulässig, weil insoweit eine gemeinschaftsrechtliche Harmonisierung vorliege. Das deutsche Recht halte sich im Rahmen dessen, was die Richtlinie 70/524/EWG über Zusatzstoffe in der Tierernährung dem nationalen Gesetzgeber an Gestaltungsmöglichkeiten eröffne.

Das Verwaltungsgericht hat die Klage durch Urteil vom 21. Mai 1996 abgewiesen. Auf die Berufung der Klägerin hat das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen der Klage durch Urteil vom 13. Dezember 2000 stattgegeben und die begehrte Feststellung ausgesprochen. Dazu hat es ausgeführt, das Verbringungsverbot des § 14 Abs. 1 Satz 1 FMG und das Verbot des Inverkehrbringens für das streitige Ergänzungsfuttermittel stellten eine den freien Warenverkehr zwischen den Mitgliedstaaten beeinträchtigende Maßnahme gleicher Wirkung wie eine mengenmäßige Einfuhrbeschränkung im Sinne von Art. 28 EG dar und sei nach dieser Bestimmung verboten. Das Ergänzungsfuttermittel sei in den Niederlanden verkehrsfähig. Das niederländische Futtermittelrecht sei auch mit den gemeinschaftsrechtlichen Harmonisierungsbestimmungen vereinbar. Bei Einhaltung des vorgeschriebenen Mischungsverhältnisses von 1: 7 gegenüber dem gleichzeitig zu verfütternden Einzelfuttermittel werde die seit Jahren als gesundheitlich unbedenklich angesehene Tageshöchstdosis von 2 000 IE/kg in Alleinfuttermitteln für Schweine nach Art. 2 aaaa der Zusatzstoff-Richtlinie 70/524/EWG in der Fassung der Richtlinie 96/51/EG des Rates vom 23. Juli 1996 (AWL Nr. L 235/39) i.V.m. Art. 9 d Abs. 2 und Kapitel 3 des Verzeichnisses nach Art. 9 t Buchst. b eingehalten. Die weitere Zusammensetzung des streitigen Ergänzungsfuttermittels gewährleiste entsprechend Art. 12 Abs. 3 der Zusatzstoff-Richtlinie, dass eine Überschreitung der für Alleinfuttermittel festgelegten Gehalte an Zusatzstoffen oder eine Zweckentfremdung durch Verwendung bei anderen Tierarten praktisch ausgeschlossen sei.

Der sich aus dem deutschen Verkehrsverbot ergebende Effekt der Beschränkung des freien Warenverkehrs entfalle nicht deshalb, weil das Gemeinschaftsrecht keine vollständige Harmonisierung im Hinblick auf die Zusetzung von Vitamin D 3 herbeigeführt habe. Denn das Gemeinschaftsrecht zwinge den deutschen Gesetzgeber nicht, ein entsprechendes Verbot auszusprechen. Der deutsche Gesetzgeber könnte das streitige Ergänzungsfuttermittel zulassen, wenn er es denn wollte. Deshalb sei die freie Entschließung des deutschen Gesetzgebers und nicht etwa eine Vorgabe des EG-Rechts Auslöser der Beschränkung des freien Warenverkehrs zwischen Deutschland und den Niederlanden.

Diese Beschränkung sei nicht durch Gründe nach Art. 30 EG gerechtfertigt. Insbesondere seien keine Gründe des Gesundheitsschutzes bei Mensch oder Tier ersichtlich, die ein solches absolutes Verkehrsverbot erforderten. Falls der Beklagte Bedenken hege, dass im Einzelfall ein Ergänzungsfuttermittel mit mehr als 10 000 IE/kg Vitamin D 3 sich gesundheitsschädlich auswirken könne, wäre es ausreichend, dem durch ein schnelles und einfaches Zulassungsverfahren Rechnung zu tragen. Der Beklagte könne sich auch nicht auf unterschiedliche Fütterungssysteme in Deutschland und den Niederlanden berufen. Selbst wenn in den Niederlanden industriell hergestellte Ergänzungs- und Alleinfuttermittel überwögen, stehe außer Frage, dass es derartige Futtermittel auch in Deutschland gebe. Angesichts der unmittelbaren Nachbarschaft zwischen Deutschland und den Niederlanden sei nicht zu erkennen, dass wegen abweichender geografischer oder klimatischer Umstände eine spezielle deutsche Fütterungspraxis existiere.

Gegen dieses Urteil hat der Beklagte Revision eingelegt. Er trägt vor, der Rückgriff auf Art. 28, 30 EG sei unzulässig, weil die Verwendung von Zusatzstoffen in der Tierernährung durch sekundäres Gemeinschaftsrecht vollständig harmonisiert sei. Unter diesen Umständen stelle sich die Frage einer Rechtfertigung nach Art. 30 EG nicht mehr. Mit dem insoweit maßgeblichen Gemeinschaftsrecht sei die deutsche Regelung ohne weiteres vereinbar. In Deutschland herrsche ein anderes Fütterungssystem als in den Niederlanden. In Deutschland dominiere die Verwendung von Eigenfuttermitteln der landwirtschaftlichen Betriebe in der Tierernährung; zugekaufte Ergänzungsfuttermittel würden vielfach freihändig im Trog nach Gefühl über die Eigenfuttermittel – insbesondere Getreide – geschüttet. Dadurch ergebe sich leicht die Gefahr einer Überschreitung der Tageshöchstdosis an Vitamin D 3. Im Übermaß eingesetzt habe dieses Vitamin toxische Wirkung.

Die Klägerin hält das angefochtene Urteil für zutreffend. Sie trägt insbesondere vor, dass hinsichtlich der Verwendung von Vitamin D 3 als Zusatzstoff in der Tierernährung gemeinschaftsrechtlich nur eine Teilharmonisierung in der Form einer „optionalen Harmonisierung” vorliege. Bei einer solchen Teilharmonisierung sei nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs die Prüfung der getroffenen mitgliedstaatlichen Maßnahmen an Art. 30 EG erforderlich. Gründe, die das von Deutschland angeordnete Verkehrsverbot für das streitige Ergänzungsfuttermittel rechtfertigen könnten, seien aber nicht gegeben.

Der Vertreter der Bundesinteressen beim Bundesverwaltungsgericht beteiligt sich am Verfahren. In Übereinstimmung mit dem Bundesministerium für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft vertritt er wie die Beklagte die Auffassung, die Art. 28, 30 EG dürften zur Beurteilung der deutschen Regelung nicht herangezogen werden. Die Futtermittelverordnung entspreche voll dem gemeinschaftlichen Sekundärrecht.

 

Entscheidungsgründe

II.

Das Verfahren ist auszusetzen. Nach Art. 234 Abs. 3 EG ist eine Vorabentscheidung des Europäischen Gerichtshofs zur Auslegung der im Tenor genannten gemeinschaftsrechtlichen Bestimmungen einzuholen, weil der Regelungsgehalt des Gemeinschaftsrechts zweifelhaft ist und die Entscheidung des Rechtsstreits davon abhängt.

1. Nach nationalem Recht stellt sich der Rechtsstreit wie folgt dar:

Das Berufungsgericht hat festgestellt, die Klägerin sei berechtigt, ihr Ergänzungsfuttermittel „Denkavit Kern Ferkel 125” nach Deutschland einzuführen und hier in den Verkehr zu bringen. Es steht außer Zweifel, dass diese Feststellung mit den Bestimmungen des deutschen Futtermittelrechts nicht vereinbar ist. § 14 Abs. 1 des Futtermittelgesetzes i.d.F. der Bekanntmachung vom 25. August 2000 (BGBl I S. 1358 – FMG) verbietet die Einfuhr von Futtermitteln, die nicht den im Inland geltenden futtermittelrechtlichen Vorschriften entsprechen. Darüber hinaus enthält § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 2 b FMG ein Verkehrsverbot für Futtermittel, die einer durch Rechtsverordnung nach Abs. 1 Nr. 4 festgesetzten Anforderung nicht entsprechen; die damit in Bezug genommene Bestimmung des § 4 Abs. 1 Nr. 4 FMG ermächtigt dazu, durch Rechtsverordnung den Gehalt an Zusatzstoffen in Futtermitteln festzusetzen. Diese Bestimmungen sind hier einschlägig, weil das von der Klägerin eingeführte Ergänzungsfuttermittel § 17 a der Futtermittelverordnung i.d.F. der Bekanntmachung vom 23. November 2000 (BGBl I S. 1605 – FMV) wegen seines Gehalts an Vitamin D 3 nicht entspricht.

§ 17 a Abs. 1 Satz 2 FMV i.V.m. Anlage 3 Nr. 11 dieser Verordnung schreibt für Mischfuttermittel, die an Ferkel und Schweine verfüttert werden sollen und kein Milchaustauschfuttermittel sind, einen maximalen Gehalt von 2 000 IE/kg an Vitamin D 3 vor. In Ergänzungsfuttermitteln dürfen zwar nach § 17 a Abs. 2 FMV die festgesetzten Höchstgehalte an Zusatzstoffen grundsätzlich überschritten werden, wenn bei der bestimmungsgemäßen Verwendung der Ergänzungsfuttermittel zusammen mit anderen Futtermitteln die Höchstgehalte an den Zusatzstoffen eingehalten werden. Dieser Grundsatz wird jedoch in § 17 a Abs. 3 FMV wieder eingeschränkt. Nach Nr. 1 dieser Bestimmung darf in Ergänzungsfuttermitteln der Gehalt an Vitamin D bis zum Fünffachen des festgesetzten Höchstgehaltes betragen, wenn das Ergänzungsfuttermittel eine oder mehrere Eigenschaften in der Zusammensetzung, insbesondere hinsichtlich des Gehaltes an Rohprotein, Laktose oder Mineralstoffen, aufweist, die sicherstellen, dass beim Verfüttern die festgesetzten Höchstgehalte an Zusatzstoffen nicht überschritten werden und eine Zweckentfremdung durch Verwendung bei anderen Tierarten praktisch ausgeschlossen ist. Unter den selben Voraussetzungen ist nach § 17 a Abs. 3 Nr. 2 d FMV in Ergänzungsfuttermitteln für alle Tierarten oder Tierkategorien zur kurzfristigen zusätzlichen Vitaminversorgung ein Gehalt an Vitamin D bis zu 200 000 IE/kg zugelassen.

Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts enthält das streitige Ergänzungsfuttermittel 16 000 IE/kg an Vitamin D 3. Auf der Grundlage des § 17 a Abs. 3 Nr. 1 FMV dürfte der Anteil an Vitamin D 3 die fünffache Menge des Höchstsatzes von 2 000 IE/kg und damit 10 000 IE/kg nicht überschreiten. Die Alternative eines Ergänzungsfuttermittels zur kurzfristigen zusätzlichen Vitaminversorgung, die einen Vitamin D 3-Gehalt von 200 000 IE/kg ermöglichen würde, liegt unstreitig nicht vor.

2. Das Berufungsgericht hat dem nationalen Einfuhr- und Vertriebsverbot für das streitige Ergänzungsfuttermittel die Anerkennung versagt, weil dieses Verbot mit Art. 28 des EG-Vertrages i.d.F. von Maastricht (EG) nicht vereinbar sei. Es handele sich um eine Maßnahme gleicher Wirkung wie eine mengenmäßige Einfuhrbeschränkung, die nach der genannten Vorschrift zwischen den Mitgliedstaaten verboten sei. Rechtfertigende Gründe für diese Maßnahme im Sinne des Art. 30 EG seien nicht erkennbar. Es erscheint zweifelhaft, ob ein solcher Rückgriff auf Art. 28, 30 EG für den hier zur Beurteilung stehenden Bereich des Futtermittelrechts überhaupt zulässig ist.

3. Der Europäische Gerichtshof schließt in ständiger Rechtsprechung einen Rückgriff auf die grundlegenden Bestimmungen der Art. 28, 30 EG aus, soweit durch sekundäres Gemeinschaftsrecht die Bedingungen des innergemeinschaftlichen Handels harmonisiert worden sind. In diesem Fall ist den Mitgliedstaaten der Rückgriff auf Art. 30 EG nicht mehr gestattet und der durch die Harmonisierungsbestimmungen gezogene Rahmen ist nunmehr maßgeblich für die Durchführung der geeigneten Kontrollen und den Erlass von Schutzmaßnahmen (vgl. u.a. Urteil vom 8. November 1979 – Rs 251/78 – Slg. 1979, 3369 Tz. 14 – Denkavit –; Urteil vom 13. Dezember 2001 – Rs C-324/99 – Tz. 43 – Daimler-Chrysler AG –). Bei einer Teilharmonisierung bleibt aber insoweit, als eine Harmonisierung nicht erfolgt ist, der Rückgriff auf die Art. 28, 30 EG zulässig (vgl. Urteil vom 12. Oktober 2000 – Rs C-3/99 – Slg. I-8764 Tz. 56 f – Ruwet).

Die Anwendung dieser Grundsätze bereitet deshalb Schwierigkeiten, weil das sekundäre Gemeinschaftsrecht den Mitgliedstaaten gerade in der Frage der Zusetzung von Vitamin D 3 Gestaltungsfreiheit belässt („optionale Harmonisierung”). Es fragt sich, ob dies einer Teilharmonisierung im Sinne der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs gleichzustellen ist.

3.1 Die Verwendung von Zusatzstoffen in Tierfuttermitteln ist gemeinschaftsrechtlich durch die Richtlinie 70/524/EWG des Rates vom 23. November 1970 über Zusatzstoffe in der Tierernährung (ABl Nr. L 270/1), in den hier interessierenden Vorschriften insbesondere geändert durch die Richtlinie 84/587/EWG vom 29. November 1984 (ABl Nr. L 319/13) und die Richtlinie 96/51/EG vom 23. Juli 1996 (ABl Nr. L 235/39), geregelt. Nach Art. 12 Abs. 1 der Richtlinie 70/524/EWG schreiben die Mitgliedstaaten vor, dass Ergänzungsfuttermittel in der für ihre Verwendung vorgesehenen Verdünnung keine höheren Anteile an in dieser Richtlinie genannten Zusatzstoffe enthalten dürfen, als für Alleinfuttermittel festgelegt sind. Dieser Höchstsatz beträgt nach Anhang C II für Vitamin D 3 in Futtermitteln für Schweine und Ferkel außer in Milchaustauschfuttermitteln 2 000 IE/kg. Art. 12 Abs. 2 Richtlinie 70/524/EWG räumt aber den Mitgliedstaaten die Möglichkeit ein vorzuschreiben, dass in Ergänzungsfuttermitteln der Anteil an D-Vitaminen die für Alleinfuttermittel festgelegten Höchstgehalte in verschiedenen Fällen überschreiten darf: Nach Buchstabe a gilt das zum einen bei Ergänzungsfuttermitteln, die von einem Mitgliedstaat zur Abgabe an Jedermann zugelassen werden, wenn der Gehalt an D-Vitaminen das Fünffache des festgelegten Höchstgehalts nicht übersteigt. Von dieser Möglichkeit hat die Bundesrepublik in § 17 a Abs. 3 Nr. 1 FMV Gebrauch gemacht. Nach Buchst. b des Art. 12 Abs. 2 Richtlinie 70/254/EWG darf darüber hinaus der Gehalt an D-Vitaminen bei Ergänzungsfuttermitteln für bestimmte Tierarten, die von einem Mitgliedstaat für sein Gebiet zur Abgabe an Jedermann zugelassen werden können, wenn dies aufgrund des besonderen Fütterungssystems gerechtfertigt ist, auf bis zu 200 000 IE/kg erhöht werden. Von dieser Möglichkeit hat der nationale Gesetzgeber nur im Hinblick auf die kurzfristige zusätzliche Vitaminversorgung Gebrauch gemacht (§ 17 a Abs. 3 Nr. 2 Buchst. d FMV), während die Niederlande insoweit eine großzügigere und das streitige Ergänzungsfuttermittel einschließende Regelung getroffen haben.

3.2 Daraus ergibt sich die Frage, welche Vorgaben das Gemeinschaftsrecht für die Verbringung von Ergänzungsfuttermitteln, die in einem Mitgliedstaat rechtmäßig hergestellt worden sind, den Vorschriften des Einfuhrmitgliedstaats aber nicht entsprechen, macht. Insoweit bestimmt Art. 19 Richtlinie 70/524/EWG, die Mitgliedstaaten trügen dafür Sorge, dass Zusatzstoffe, Vormischungen und Futtermittel, welche die Bestimmungen dieser Richtlinie erfüllen, nur den in dieser Richtlinie vorgesehenen Verkehrsbeschränkungen unterliegen.

Damit konzentriert sich die Problematik auf die Frage, wie das Merkmal „Futtermittel, welche die Bestimmungen dieser Richtlinie erfüllen” zu verstehen ist, wenn die Anforderungen im Herstellungsstaat des Futtermittels von denen im Einfuhrstaat abweichen. Reicht in diesem Falle die Einhaltung der Vorschriften des Herstellungsstaates oder kann der Einfuhrstaat die Erfüllung seiner darüber hinausgehenden Anforderungen verlangen?

Diese Frage gibt Anlass zu erheblichen Zweifeln. Der Wortlaut des Art. 19 der Richtlinie 70/524/EWG erscheint nicht eindeutig. Das generelle Ziel der europäischen Gemeinschaft, Handelshemmnisse zu beseitigen und in einem Mitgliedstaat rechtmäßig hergestellte Produkte auch in den anderen Mitgliedstaaten zum Verkehr zuzulassen, spricht dafür, allein auf die Einhaltung der Vorschriften des Herstellungsstaates abzustellen. Dafür spricht auch, dass bei einer den Mitgliedstaaten freigestellten Regelung eine gravierende Beeinträchtigung der von der Richtlinie geschützten Rechtsgüter, insbesondere also der Gesundheit von Mensch oder Tier (vgl. dazu die 9. sowie 11. Begründungserwägung Richtlinie 70/524/EWG und die 1. Begründungserwägung Richtlinie 84/587/EWG), nicht zu erwarten ist. Dementsprechend hat das Berufungsgericht festgestellt, dass die Verwendung des streitigen Ergänzungsfuttermittels keine größeren Gesundheitsrisiken für die Tiere mit sich bringt, weil insoweit entscheidend die eingenommene Tagesdosis ist und deren Einhaltung bei bestimmungsgemäßem Gebrauch gesichert ist. Auch das Zweckentfremdungsrisiko ist danach nicht größer als bei der Verwendung des nach deutschem Recht zugelassenen Ergänzungsfuttermittels, zumal nach § 17 a Abs. 3 Nr. 2 d FMV sogar ein Ergänzungsfuttermittel mit einem um ein vielfaches höheren Vitamin D 3-Gehalt auf den Markt gebracht werden darf.

3.3. In Betracht zu ziehen ist allerdings die Möglichkeit, dass für den Vertrieb von Futtermitteln mit hohem Gehalt von Vitamin D-3 besondere – in Art. 19 Richtlinie 70/524/EWG nicht zwingend angelegte – Regeln gelten, weil Art. 12 Abs. 2 b Richtlinie 70/524/EWG ausdrücklich von der Zulassung eines Ergänzungsfuttermittels durch einen Mitgliedstaat „für sein Gebiet” spricht und zusätzlich die Rechtfertigung aufgrund des besonderen Fütterungssystems verlangt. Das könnte dafür sprechen, dass jedenfalls die Zulassung eines Ergänzungsfuttermittels auf dieser Grundlage nicht auf die Verhältnisse im Herstellungsstaat sondern im Verbrauchsstaat abstellt.

Der Sinn einer solchen Regelung ist aber schwer erkennbar. Insbesondere erscheint ganz und gar unklar, was unter dem „besonderen Fütterungssystem” in Art. 12 Abs. 2 Satz 1 b Richtlinie 70/524/EWG (vgl. auch die 10. Begründungserwägung dieser Richtlinie „… insbesondere in Anbetracht der verschiedenen Fütterungssysteme …”) zu verstehen ist. Auf ein Auskunftsersuchen des Berufungsgerichts hat das Bundeslandwirtschaftsministerium mitgeteilt, darunter sei die Zusammensetzung des jeweiligen Futtermittels zu verstehen. Im Revisionsverfahren hat das Ministerium durch den Vertreter des Bundesinteresses vortragen lassen, entscheidend sei insoweit die jeweilige Herstellung des Futtermittels auf industriellem Wege oder durch Vermischung mit Eigenfuttermitteln des landwirtschaftlichen Betriebes. Dieser Hinweis führt ersichtlich nicht weiter, weil das streitige Futtermittel speziell für das zweite Verfahren bestimmt ist. Darüber hinaus macht das Berufungsgericht zu Recht geltend, dass in Deutschland beide Produktionsweisen existieren, mag auch das Verhältnis zueinander anders sein als in den Niederlanden. Es ist mit anderen Worten nicht zu erkennen, welches Rechtsgut geschützt werden soll, wenn ein in den Niederlanden rechtmäßig hergestelltes Ergänzungsfuttermittel wegen seines Gehalts an Vitamin D 3 in der Bundesrepublik als nicht verkehrsfähig betrachtet würde.

 

Unterschriften

Prof. Dr. Driehaus, van Schewick, Dr. Borgs-Maciejewski, Kimmel, Dr. Brunn

 

Fundstellen

Dokument-Index HI738210

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