Verfahrensgang

OVG Berlin (Urteil vom 19.02.1998; Aktenzeichen 5 B 68.96)

 

Tenor

Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts Berlin vom 19. Februar 1998 wird zurückgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 74 616 DM festgesetzt.

 

Gründe

Die Beschwerde hat keinen Erfolg. Die vorgetragenen Gründe rechtfertigen die Zulassung der Revision nicht.

Grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO kommt der Rechtssache nicht zu. Grundsätzliche Bedeutung hat eine Rechtssache nur dann, wenn zu erwarten ist, daß die Entscheidung im künftigen Revisionsverfahren dazu dienen kann, die Rechtseinheit in ihrem Bestand zu erhalten oder die Weiterentwicklung des Rechts zu fördern (BVerwGE 13, 90 ≪91≫). Um das Vorliegen dieser Voraussetzungen im Sinne des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO darzulegen, bedarf es der Formulierung einer konkreten, höchstrichterlich noch ungeklärten und für die Revisionsentscheidung erheblichen Rechtsfrage des revisiblen Rechts und der Angabe, worin ihre allgemeine, über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung bestehen soll (vgl. BVerwGE 13, 90 ≪91 f.≫).

Die Beschwerde wirft als rechtsgrundsätzlich klärungsbedürftig zunächst die Frage der „grundsätzliche(n) Geltung des Zweckentfremdungsverbots in Berlin” auf und ist der Auffassung, entgegen den Feststellungen der Berufungsinstanz sei das Zweckentfremdungsverbot für Berlin offensichtlich entbehrlich. Eine rechtsgrundsätzlich bedeutsame Frage des revisiblen Rechts ist mit dem Hinweis auf Presseveröffentlichungen und einen Büromarktbericht, aus denen sich der Beurteilung durch das Berufungsgericht widersprechende Entwicklungstendenzen auf dem Berliner Wohnungs- und Büromarkt ergeben mögen, jedoch nicht dargetan. Rechtsanwendungsfehler im Einzelfall verleihen der Rechtssache ebensowenig grundsätzliche Bedeutung wie Fehler in der Sachverhalts- und Beweiswürdigung; mit bloßen Angriffen gegen die Rechtsauffassung der Vorinstanz kann deshalb die grundsätzliche Bedeutung einer Rechtssache nicht dargelegt werden (vgl. BVerwG, Beschluß vom 21. Februar 1990 – BVerwG 5 B 94.89 – ≪Buchholz 424.01 § 1 FlurbG Nr. 9≫). Dies gilt auch dann, wenn die Sache in tatsächlicher Hinsicht eine über den der Beschwerde zugrundeliegenden Einzelfall hinausgehende Bedeutung hat.

Auch soweit die Beschwerde geltend macht, die Erhebung bzw. Erhöhung von Ausgleichsabgaben sei bei Arztpraxen in der Regel unzulässig, und hierzu eine Abweichung des angefochtenen Urteils von der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 4. Februar 1975 – 2 BvL 5/74 – (BVerfGE 38, 348 ff.) behauptet, liegen die Voraussetzungen einer Revisionszulassung nicht vor.

Das Berufungsgericht hält in dem angefochtenen Urteil (S. 13 ff.) an seiner ständigen Rechtsprechung fest, bei einer Umwandlung von Wohnraum in Arztpraxen könne auch eine im überwiegenden öffentlichen Interesse erteilte Zweckentfremdungsgenehmigung grundsätzlich mit einer Zahlungsauflage versehen werden. Die Auflage werde erst in denjenigen Fällen unzulässig, in denen das öffentliche Interesse an der Erhaltung des Wohnraums durch ein anderes öffentliches Interesse in einem Maße verdrängt werde, daß jede andere Entscheidung als die – auflagenfreie – Genehmigung rechtswidrig wäre. So liege der Fall bei Arztpraxen aber regelmäßig nicht, und auch im Falle des Klägers habe kein die Beifügung von Auflagen ausschließendes öffentliches Interesse bestanden. Darin liegt entgegen der Auffassung der Beschwerde keine die Zulassung der Revision rechtfertigende Divergenz zu der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (§ 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO). Eine die Revision eröffnende Abweichung, also ein Widerspruch im abstrakten Rechtssatz, läge nur vor, wenn das Berufungsgericht in Anwendung derselben Rechtsvorschrift mit einem seine Entscheidung tragenden abstrakten Rechtssatz von einem in der genannten Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts aufgestellten ebensolchen Rechtssatz abgewichen wäre (vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 26. Juni 1995 – BVerwG 8 B 44.95 – ≪Buchholz 310 § 132 Abs. 2 Ziff. 2 VwGO Nr. 2≫ und vom 9. Oktober 1998 – BVerwG 4 B 98.98 ≪NVwZ 1999, 183≫; stRspr). Dies ist nicht zu erkennen.

Das Bundesverfassungsgericht hat in der genannten Entscheidung die bundesrechtliche Ermächtigungsgrundlage für landesrechtliche Zweckentfremdungsverordnungen (Art. 6 § 1 Abs. 1 Satz 1 des Gesetzes zur Verbesserung des Mietrechts und zur Begrenzung des Mietanstiegs sowie zur Regelung von Ingenieur- und Architektenleistungen vom 4. November 1971 ≪BGBl I S. 1745≫ – MRVerbG –) am Maßstab des Art. 80 Abs. 1 Satz 1 und 2 GG geprüft. Mit Blick auf die danach erforderliche hinreichend deutliche Bestimmtheit von Inhalt, Zweck und Ausmaß der Ermächtigung hat es u.a. ausgeführt: Die genannte Bestimmung diene dem Zweck des Bestandsschutzes von Wohnraum im Interesse der Aufrechterhaltung oder Wiederherstellung einer Normalsituation, was nicht ausschließe, daß bei der Genehmigung einer Zweckentfremdung von Wohnraum „im Einzelfall ausnahmsweise neben dem Bestandsschutz andere öffentliche Interessen ins Spiel kommen können, z.B. … wenn es um die Errichtung einer Arztpraxis geht …” (a.a.O. S. 362). Eine Genehmigung könne nur erteilt werden, wenn „vorrangige öffentliche Belange oder ein schutzwürdiges, berechtigtes Eigeninteresse des Verfügungsberechtigten ausnahmsweise das öffentliche Interesse am Bestandsschutz des betroffenen Wohnraums überwiegen” (a.a.O. S. 368). Weiter hat das Bundesverfassungsgericht die Ermächtigungsnorm am Maßstab des Grundsatzes der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung überprüft und in diesem Zusammenhang u.a. ausgeführt, die Verwaltung dürfe von dem Befreiungsvorbehalt „nur in den Fällen Gebrauch machen, in denen die Grundsätze der Verhältnismäßigkeit und des Übermaßverbotes dies erfordern”. Diese Voraussetzung sei gegeben, „wenn vorrangige öffentliche Belange oder ein schutzwürdiges, berechtigtes Eigeninteresse des Verfügungsberechtigten ausnahmsweise das öffentliche Interesse am Bestandsschutz des betroffenen Wohnraums überwiegen” (S. 368). Zur Beifügung von Auflagen heißt es weiter, daß die in Betracht kommenden Auflagen „sich streng am Zweck der Ermächtigung auszurichten (haben). Insbesondere darf die Auferlegung von Geldleistungen nicht zu fiskalischen Zwecken mißbraucht werden und scheidet daher z.B. aus, wenn die Genehmigung nicht nur im privaten, sondern auch im öffentlichen Interesse erteilt wird” (a.a.O. S. 369). Der Senat verkennt nicht, daß der Wortlaut dieser Aussage die Rechtsauffassung der Beschwerde zu stützen scheint; es handelt sich dabei aber zur Überzeugung des Senats nicht um einen zur Begründung einer Divergenz geeigneten, tragenden Rechtssatz der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts. Der Senat sieht darin vielmehr lediglich ein erläuterndes Beispiel zu der tragenden Aussage, daß die Fehlbelegungsabgabe sich streng am Zweck der Ermächtigung auszurichten habe und nicht zu fiskalischen Zwecken mißbraucht werden dürfe. Dies verdeutlicht auch die anschließende Bezugnahme des Bundesverfassungsgerichts auf Grundsätze, die unter Geltung des § 21 des Wohnraumbewirtschaftungsgesetzes entwickelt worden seien, und der Hinweis auf eine Kommentarstelle, in der diese Grundsätze dargestellt würden (a.a.O. S. 369). Es kann nicht angenommen werden, es handle sich bei der auf eine in Bezug genommene Kommentarstelle und dort näher dargelegte Grundsätze gestützten Ableitung eines Beispiels selbst um einen tragenden Rechtssatz. Der Senat teilt daher die Auffassung des Berufungsgerichts, daß die Aussage des Bundesverfassungsgerichts einer Einschränkung in dem Sinne zugänglich ist, das Bundesverfassungsgericht habe mit seinem Beispiel keine Aussage dazu getroffen, welches Gewicht das öffentliche Interesse an der Zweckentfremdung haben müsse, damit eine Zahlungsauflage unzulässig werde. Das Berufungsgericht konnte demnach ohne Verstoß gegen die Bindungswirkung verfassungsrechtlicher Entscheidungen in Normenkontrollverfahren nach § 13 Nr. 11 BVerfGG (vgl. § 31 Abs. 1 BVerfGG) zu dem Rechtssatz kommen, die Beifügung einer Zahlungsauflage werde erst im Fall einer Ermessensreduzierung in dem oben genannten Sinne unzulässig. Für andere Fallkonstellationen hat auch das Bundesverwaltungsgericht – wie die Beschwerde nicht verkennt – schon mehrfach entschieden, daß eine Zweckentfremdung im Zusammenhang mit der Einrichtung einer Arztpraxis in aller Regel in erster Linie privaten Interessen diene, und das insoweit hinzutretende öffentliche Interesse als ein in aller Regel gegenüber dem öffentlichen Interesse am Bestandsschutz von Wohnraum untergeordnetes Interesse angesehen, welches der Ablehnung einer Zweckentfremdungsgenehmigung bzw. der Auferlegung einer Geldleistung nicht entgegenstehe (vgl. Urteile vom 25. Juni 1982 – BVerwG 8 C 80.81 – ≪Buchholz 454.51 MRVerbG Nr. 8, S. 12≫ betreffend eine Zweckentfremdungsgenehmigung mit Zahlungsauflage und vom 20. August 1986 – BVerwG 8 C 16.84 – ≪Buchholz a.a.O. Nr. 13, S. 56 f.≫ betreffend die Frage der Genehmigungspflichtigkeit der Erweiterung einer (zahn)ärztlichen Praxis); eine Divergenz zu der Auffassung des Bundesverfassungsgerichts hat es dabei verneint. Daran ist auch für die vorliegende Fallgestaltung einer im überwiegenden öffentlichen Interesse erteilten, aber mit einer Zahlungsauflage versehenen Zweckentfremdungsgenehmigung festzuhalten.Auch eine rechtsgrundsätzliche Bedeutung kommt der vom Kläger aufgeworfenen Rechtsfrage nach den in den genannten Urteilen des Bundesverwaltungsgerichts im Zusammenhang mit der Errichtung von Arztpraxen bereits getroffenen Aussagen nicht zu.

Rechtsgrundsätzliche Bedeutung haben auch nicht die von der Beschwerde weiter aufgeworfenen Fragen, ob die Erhöhung der Ausgleichsabgabe um 257 % dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz widerspreche, ob eine Ausgleichsabgabe bei Ärzten trotz entspannten Wohnungsmarkts erhoben werden könne, und ob die erheblichen Immissionsbelastungen der fraglichen Wohnung oder das Zusammentreffen einer entspannten Marktlage mit erheblichen Immissionsbelastungen bei Arztpraxen der Erhebung einer Ausgleichsabgabe entgegenstünden.

Die Vorinstanz hat (S. 15 ff. des Urteils) zutreffend ausgeführt, daß der Beklagte sich bei der Bemessung der Ausgleichsabgabe an der Kostenentwicklung im sozialen Wohnungsbau orientieren durfte, und die Erhöhung von 2,80 auf 10 DM/qm mit Blick auf einen vorangegangenen „Anpassungsstau” von etwa 18 Jahren als nicht unverhältnismäßig angesehen. Einen rechtsgrundsätzlichen Klärungsbedarf legt die Beschwerde demgegenüber nicht dar. Es bedarf nicht der Durchführung eines Revisionsverfahrens, um zu klären, daß eine für einen langen Zeitraum unterbliebene Anpassung einer zweckgebundenen Abgabe an die reale Kostenentwicklung keinen Vertrauenstatbestand dahin begründet, Anpassungen würden auch mit Wirkung für die Zukunft nicht oder nur in kleinen Schritten nachgeholt. Was das Maß der Anpassung betrifft, ergibt der von den Vorinstanzen festgestellte Sachverhalt insbesondere keine Anhaltspunkte für die Annahme, der Kläger hätte davon ausgehen dürfen, die Abgaben hätten noch im Zeitpunkt der Erteilung der Zweckentfremdungsgenehmigungen an ihn der realen Preisentwicklung im sozialen Wohnungsbau entsprochen, so daß auch im Falle künftig zu erwartender Anpassungen mit sprunghaften Erhöhungen nicht zu rechnen sei. Es bedarf schließlich auch nicht der Durchführung eines Revisionsverfahrens, um zu klären, daß die Kappungsgrenzen des Mietrechts auf die Ausgleichsabgabe nicht übertragen werden können.

Daß Entwicklungen auf dem Wohnungsmarkt, welche die Voraussetzungen der zweckentfremdungsrechtlichen Genehmigungspflicht, und Immissionsbelastungen, welche die Wohnraumeigenschaft der betroffenen Wohnung entfallen lassen, der Erhebung der Ausgleichsabgabe entgegenstehen, versteht sich nach der Gesetzeslage und der vorhandenen höchstrichterlichen Rechtsprechung von selbst und bedarf nicht der revisionsgerichtlichen Klärung. Daß auch Marktentwicklungen und Immissionsbelastungen, welche unterhalb dieser zum Wegfall der Genehmigungspflicht bzw. zum Wegfall der Wohnraumeigenschaft führenden Schwellen liegen, durch Abschläge von der Abgabe bzw. einen Verzicht auf eine Abgabenerhöhung Rechnung getragen werden müßte, ist jedenfalls für den vorliegenden Fall nicht zu erkennen; insbesondere gibt der von den Vorinstanzen festgestellte Sachverhalt keine Anhaltspunkte für eine unverhältnismäßige, den Kläger unzumutbar treffende oder gar konfiskatorische Abgabenfestsetzung.

Die von der Beschwerde behauptete Abweichung des angefochtenen Urteils von dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 12. Dezember 1979 (– BVerwG 8 C 2.79 – ≪BVerwGE 59, 195, 197 = Buchholz 454.51 MRVerbG Nr. 5 = NJW 1980, 1970≫ a.a.O.) liegt nicht vor. Diese Entscheidung enthält keinen Rechtssatz des Inhalts, daß die Ausgleichsabgabe schon bei einer (nur) relativen, noch nicht zu einem deutlich in Erscheinung tretenden Ende der Mangellage führenden Entspannung auf dem Wohnungsmarkt nicht erhoben werden dürfe oder Abschläge vorsehen müsse. In einer angeblich unrichtigen Anwendung eines in der höchstrichterlichen Rechtsprechung entwickelten und vom Berufungsgericht nicht in Frage gestellten Rechts(grund)satzes auf den Einzelfall liegt keine Abweichung.

Soweit die Beschwerde bezüglich der Lärm- und Abgasbeeinträchtigungen des Hauses die Aufklärungsrüge (§ 86 Abs. 1 VwGO) erhebt, genügt sie nicht den Anforderungen, die nach § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO an die Darlegung eines Verfahrensmangels zu stellen sind. Dieses setzt im Falle einer Aufklärungsrüge voraus, daß angegeben wird, inwiefern sich der Vorinstanz – nach deren materiellrechtlicher Ansicht – (vgl. BVerwG, Urteil vom 25. März 1987 – BVerwG 6 C 10.84 – ≪Buchholz 310 § 108 VwGO Nr. 183 S. 4≫) eine weitere Beweisaufnahme hätte aufdrängen müssen, welches Ergebnis die unterbliebene Beweisaufnahme im einzelnen gehabt hätte und inwiefern dieses Ergebnis zu einer für den Beschwerdeführer günstigeren Entscheidung hätte führen müssen (vgl. BVerwG, Beschluß vom 2. März 1978 – BVerwG 6 B 24.78 – ≪Buchholz 310 § 132 VwGO Nr. 164 S. 43 f. ≫ sowie Urteil vom 3. Juli 1992 – BVerwG 8 C 72.90 – ≪NVwZ 1993, 62/63≫). Der nicht näher substantiierte Hinweis, daß der Kläger sich „zur Untermauerung seines Vortrages ausdrücklich auf ein Sachverständigengutachten berufen” habe, reicht zur Darlegung eines Aufklärungsmangels nicht aus.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Festsetzung des Wertes des Streitgegenstandes beruht auf § 13 Abs. 2 GKG.

 

Unterschriften

Dr. Säcker, Schmidt, Dr. Franke

 

Fundstellen

NZM 1999, 815

LKV 2000, 75

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