Entscheidungsstichwort (Thema)

Zwangsverkauf. Verfolgungsmaßnahme nach § 1 Abs. 6 VermG. Maßregel zur Erhaltung des Nachlasses. Anfechtungsklage des Miterben als Erhaltungsmaßnahme. notwendige Beiladung der übrigen Erben. Prozeßführungsbefugnis nach bürgerlichem Recht. Umfang der Sachaufklärungspflicht bei Zwangsverkäufen

 

Leitsatz (amtlich)

Klagen einzelne Mitglieder einer ungeteilten Erbengemeinschaft gegen die vermögensrechtliche Restitution eines Nachlaßgegenstandes an einen Dritten, sind die übrigen Miterben nicht notwendig beizuladen.

 

Normenkette

VwGO § 65 Abs. 2, § 86 Abs. 1 S. 1; BGB § 2038 Abs. 1; VermG § 1 Abs. 6, § 31 Abs. 1 S. 1

 

Verfahrensgang

VG Magdeburg (Urteil vom 08.04.1997; Aktenzeichen A 5 K 962/96)

 

Tenor

Das Urteil des Verwaltungsgerichts Magdeburg vom 8. April 1997 wird aufgehoben.

Die Sache wird zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Verwaltungsgericht zurückverwiesen.

Die Entscheidung über die Kosten bleibt der Schlußentscheidung vorbehalten.

Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 400 000 DM festgesetzt.

 

Gründe

Die Kläger wenden sich als Miterben gegen die vermögensrechtliche Rückgabe eines im Eigentum einer Erbengemeinschaft stehenden Hausgrundstücks an die Beigeladenen. Das Verwaltungsgericht hat ihre Klage abgewiesen, weil der Rechtsvorgänger der Beigeladenen das Grundstück im Jahre 1936 verfolgungsbedingt habe veräußern müssen und daher einer Schädigungsmaßnahme im Sinne des § 1 Abs. 6 des VermögensgesetzesVermG – ausgesetzt gewesen sei.

Die Beschwerde der Kläger gegen die Nichtzulassung der Revision in diesem Urteil hat Erfolg.

1. Soweit die Kläger geltend machen, die Rechtssache habe grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO, genügt ihr Rechtsbehelf allerdings nicht den Anforderungen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO an die Begründung einer solchen Rüge; denn sie legen nicht dar, welche grundsätzlich klärungsbedürftige Rechtsfrage in einem Revisionsverfahren zu beantworten wäre.

2. Ebensowenig kann ihre Verfahrensrüge zum Erfolg führen, der Miterbe R. habe nach § 65 Abs. 2 VwGO notwendig beigeladen werden müssen. Zwar steht die Verwaltung des Nachlasses nach § 2038 Abs. 1 Satz 1 BGB den Erben gemeinschaftlich zu. Die zur Erhaltung des Nachlasses notwendigen Maßregeln, zu denen auch die hier erhobene Anfechtungsklage gegen die Restitution eines Nachlaßgegenstandes gehört (vgl. BVerwG, Urteil vom 19. März 1956 – BVerwG 5 C 265.54 – BVerwGE 3, 208; Urteil vom 7. Mai 1965 – BVerwG 4 C 24.65 – BVerwGE 21, 91; Urteil vom 27. November 1981 – BVerwG 4 C 1.81 – NJW 1982, 1113), kann jedoch nach § 2038 Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 2 BGB jeder Miterbe ohne Mitwirkung der anderen treffen. Daraus folgt, daß die nicht klagenden Miterben weder als Streitgenossen noch als Beigeladene am Verfahren zu beteiligen sind.

Die sie betreffenden Auswirkungen des in einem solchen Prozeß ergangenen Urteils bestimmen sich vielmehr unabhängig von ihrer Beteiligung nach dem Umfang der Rechtsstellung, mit der das bürgerliche Recht den klagenden Erben ausstattet.

3. Begründet ist jedoch die Rüge der Kläger, das Verwaltungsgericht habe seine Pflicht zur Sachaufklärung nach § 86 Abs. 1 VwGO verletzt. Dies gilt zwar nicht im Hinblick auf die von den Klägern behauptete Unmöglichkeit der Restitution nach § 5 Abs. 1 Buchst. a VermG. Insoweit ist ausgehend von der der Rechtsprechung des Senats (Urteil vom 7. November 1996 – BVerwG 7 C 24.96 – VIZ 1997, 162) folgenden Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichts ein Ermittlungsmangel nicht erkennbar. Der Verfahrensverstoß liegt jedoch darin, daß das Gericht es unterlassen hat, die Akten der Entschädigungsbehörde beizuziehen. Dabei kann dahingestellt bleiben, ob der dahingehende Antrag des Prozeßbevollmächtigten der Kläger in der mündlichen Verhandlung ein zulässiger Beweisantrag oder eher ein Beweisermittlungsantrag war, weil er auf die Gewinnung der beweiserheblichen Tatsachen zielte; denn die Beiziehung der Akten mußte sich dem Gericht unabhängig davon nach Lage der Dinge geradezu aufdrängen. Da alle an dem seinerzeitigen Erwerbsgeschäft Beteiligten seit langem tot und außer den Verträgen keine weiteren Unterlagen über das Rechtsgeschäft vorhanden sind, bleibt die Akte der Entschädigungsbehörde mit den in ihr enthaltenen Antragsunterlagen des Geschädigten die letzte erreichbare Möglichkeit, Aufschluß über die näheren Umstände des seinerzeitigen Verkaufs zu gewinnen. Daß eine solche Akte beim früheren Regierungspräsidenten in Hildesheim existiert hat und daher bei seinem Funktionsnachfolger wahrscheinlich noch vorhanden ist, ergibt sich aus dem von den Beigeladenen vorgelegten Teilbescheid der Entschädigungsbehörde vom 31. Mai 1957. Das Verwaltungsgericht war von dieser Aufklärungspflicht auch nicht etwa deswegen entbunden, weil ein verfolgungsbedingter Vermögensverlust unter den Voraussetzungen des Art. 3 REAO vermutet wird, wenn nicht die dort angegebenen entlastenden Umstände vorliegen; denn das bedeutet nicht, daß es allein Aufgabe des Erwerbers oder seines Rechtsnachfolgers ist, diese entlastenden Tatsachen zu beschaffen. Vielmehr sind unabhängig davon nicht nur die Vermögensbehörden nach § 31 Abs. 1 Satz 1 VermG, sondern auch die Verwaltungsgerichte nach § 86 Abs. 1 VwGO verpflichtet, im Rahmen der gegebenen Möglichkeiten zu ermitteln, ob die Vermutungsregel zu Recht greift. Dazu bot und bietet sich hier der Rückgriff auf die Unterlagen der Entschädigungsbehörde und insbesondere die seinerzeit abgegebenen persönlichen Erklärungen des Verfolgten aus dem Jahre 1956 (vgl. S. 2 der Gründe des erwähnten Teilbescheides) an. Insoweit greift es auch zu kurz, wenn das Verwaltungsgericht meint, es komme nicht darauf an, ob der Verfolgte sich subjektiv geschädigt gefühlt habe; denn es kann nicht von vornherein ausgeschlossen werden, daß sich der Akte und den Angaben des Verfolgten Tatsachen entnehmen lassen, die sowohl Rückschluß darauf zulassen, ob ihm der Kaufpreis seinerzeit zur freien Verfügung gestanden hat, wie dazu, ob der Käufer in besonderer Weise und mit wesentlichem Erfolg den Schutz der Vermögensinteressen des Verkäufers wahrgenommen hat.

Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 14 Abs. 1 Satz 1 in Verbindung mit § 13 Abs. 1 Satz 1 GKG.

 

Unterschriften

Dr. Franßen, Dr. Bardenhewer, Kley

 

Fundstellen

Haufe-Index 1210929

ZAP-Ost 1998, 3

OVS 1998, 62

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