Verfahrensgang

VG Gera (Aktenzeichen 5 K 1919/97 GE)

 

Tenor

Das Urteil des Verwaltungsgerichts Gera vom 29. März 2001 wird aufgehoben.

Der Rechtsstreit wird zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Verwaltungsgericht zurückverwiesen.

Die Entscheidung über die Kosten bleibt der Schlussentscheidung vorbehalten.

Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 1 000 000 DM festgesetzt.

 

Gründe

Die Beschwerde hat Erfolg. Zwar kommt der Rechtssache nicht die ihr von der Beschwerde beigemessene grundsätzliche Bedeutung (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) zu. Es liegt aber ein geltend gemachter Verfahrensmangel vor, auf dem die Entscheidung beruhen kann (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO). Dies führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und zur Zurückverweisung der Streitsache an das Verwaltungsgericht (§ 133 Abs. 6 VwGO).

1. Grundsätzlich bedeutsam im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO ist eine Rechtssache nur dann, wenn in dem angestrebten Revisionsverfahren die Klärung einer bisher höchstrichterlich ungeklärten, in ihrer Bedeutung über den der Beschwerde zugrunde liegenden Einzelfall hinausgehenden klärungsbedürftigen Rechtsfrage des revisiblen Rechts zu erwarten ist. Diese Voraussetzungen liegen nicht vor. Die von der Beschwerde gestellte Rechtsfrage,

„ob eine Maßnahme – wie der Kabinettsbeschluss der Landesregierung Sachsen-Anhalt vom 26.11.1948 – besatzungshoheitlichen Charakter (§ 1 Abs. 8 lit. a VermG) haben konnte, wenn sie auf die deutschrechtliche Bestimmung des § 87 BGB gestützt war, die mit dem Besatzungsrecht der Jahre 1945 bis 1949 nichts zu tun hatte, insoweit sie dem Stiftungsprivatrecht des bürgerlichen Gesetzbuches vom 18. August 1896 entsprang”,

ist nicht klärungsbedürftig. Vielmehr lässt sie sich ohne weiteres anhand der bisherigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts beantworten. In ständiger Rechtsprechung ist geklärt, dass Enteignungen auf besatzungshoheitlicher Grundlage solche sind, die auf Wünsche oder Anregungen der sowjetischen Besatzungsmacht zurückgingen oder sonst ihrem generellen oder im Einzelfall geäußerten Willen entsprachen. Ausreichend ist, dass die Besatzungsmacht mit den Enteignungsmaßnahmen deutscher Stellen generell einverstanden war. Das gilt auch dann, wenn die deutschen Stellen die Enteignungsgrundlagen exzessiv ausgelegt oder willkürlich angewendet haben (Urteil vom 28. Juli 1994 – BVerwG 7 C 14.94 – Buchholz 428 § 1 VermG Nr. 27; Beschluss vom 16. Oktober 1996 – BVerwG 7 B 232.96 – Buchholz 428 § 1 VermG Nr. 90; Urteil vom 27. Juli 1999 – BVerwG 7 C 36.98 – Buchholz 428 § 1 Abs. 8 VermG Nr. 6; Beschluss vom 13. Juli 2000 – BVerwG 7 B 211.99 – Buchholz 428 § 1 Abs. 8 VermG Nr. 14. Eine Enteignung, die auf einer von der Besatzungsmacht getroffenen Anordnung beruht oder von ihrem generellen Einverständnis gedeckt ist, ist der Besatzungsmacht auch dann zuzurechnen, wenn sie von der zuständigen deutschen Stelle im weitergehenden Umfang als zunächst geplant vorgenommen wurde. Der zum Restitutionsausschluss führende Zurechnungszusammenhang ist erst dann unterbrochen, wenn der Anordnung der positive Wille der Besatzungsmacht entnommen werden kann, die Enteignung auf den darin vorgesehenen Umfang zu begrenzen (vgl. Beschluss vom 13. Juli 2000 – BVerwG 7 B 211.99 – Buchholz 428 § 1 Abs. 8 VermG Nr. 14). Der besatzungshoheitliche Zurechnungszusammenhang entfällt zudem bei Maßnahmen deutscher Stellen erst dann, wenn die Besatzungsmacht das Handeln generell oder im Einzelfall ausdrücklich missbilligt und ein entsprechendes Verbot verhängt hatte. Der Verstoß gegen ein derartiges Enteignungsverbot rechtfertigt die Annahme, dass die von deutschen Stellen durchgeführte Enteignung nicht mehr in den Verantwortungsbereich der Besatzungsmacht fiel (Urteil vom 27. Juli 1999 – BVerwG 7 C 36.98 – Buchholz 428 § 1 Abs. 8 VermG Nr. 6 m.w.N.).

Entgegen der Auffassung der Beschwerde ist es damit nicht maßgebend, auf welche Rechtsgrundlage die deutsche Stelle die Enteignung gestützt hat. Die von der Beschwerde getroffene Unterscheidung zwischen Stiftungsprivatrecht, das mit dem Besatzungsrecht der Jahre 1945 und 1949 nichts zu tun habe und den sonstigen besatzungshoheitlichen Rechtsakten, trifft angesichts dieser Rechtsprechung nicht zu. Selbst wenn, was sich anhand der Aktenlage derzeit nicht feststellen lässt, die Stiftung anhand des § 87 BGB aufgelöst worden sein sollte und das Stiftungsvermögen an dritte Stellen zugewiesen sein sollte, wie die Niederschrift über die Kabinettsitzung der Landesregierung Sachsen-Anhalt vom 26. November 1948 vermuten lässt, ändert dieser Umstand allein nichts an der grundsätzlichen Verantwortlichkeit der russischen Besatzungsmacht für die mit der Auflösung verbundene Enteignung, da jedenfalls im Grundsatz von einer stillschweigenden Duldung ausgegangen werden kann. Eine exzessive Auslegung der Rechtsgrundlagen oder ihre willkürliche Anwendung auf den Sachverhalt ist in diesem Zusammenhang unschädlich. Die von der Beschwerde aufgestellte Prämisse, dass zur Zeit der Ausübung der russischen Besatzungsmacht zwischen dem allgemeinen Besatzungsrecht und dem deutschrechtlichen Stiftungsprivatrecht unterschieden sein soll, entspricht im Übrigen von vornherein nicht der dem § 1 Abs. 8 Buchst. a VermG zugrunde liegenden Vorstellung, dass die sowjetische Besatzungsmacht Inhaberin der obersten Hoheitsgewalt war und jederzeit „lenkend und korrigierend eingreifen konnte”.

2. Hingegen liegt der von der Beschwerde als Verfahrensmangel im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO gerügte Verstoß des Verwaltungsgerichts gegen seine Aufklärungspflicht (§ 86 Abs. 1 VwGO) vor.

Auf der Grundlage der im Ansatz zutreffenden Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichts kommt es für die Entscheidung der vorliegenden Streitsache entscheidend darauf an, ob der besatzungshoheitliche Zurechnungszusammenhang im vorliegenden Fall bei dem Akt der Stiftungsauflösung und der Verteilung des Stiftungsvermögens entfallen war, weil die Besatzungsmacht dieses Handeln jedenfalls im Einzelfall missbilligt oder ein entsprechendes Verbot verhängt hatte. Das Verwaltungsgericht hat aber unter Verstoß gegen die Aufklärungspflicht des § 86 Abs. 1 VwGO unterlassen, trotz des ausdrücklich in der mündlichen Verhandlung gestellten Hilfsbeweisantrags des Klägers, nach weiteren Unterlagen zu forschen, aus denen eine fehlende Verantwortung der Besatzungsmacht für die erfolgte Enteignung hervorgehen konnte. Es ist zwar richtig, dass die Verwaltungsgerichte auch in vermögensrechtlichen Streitigkeiten grundsätzlich nicht verpflichtet sind, von sich aus ohne nähere Anhaltspunkte in Archiven nach Unterlagen zu forschen oder Nachforschungen bei Behörden zu veranlassen, bei denen unter Umständen im Zusammenhang mit dem streitbefangenen Vermögenswert Unterlagen entstanden und möglicherweise noch vorhanden sein können (vgl. Beschluss vom 24. Juli 1998 – BVerwG 8 B 22.98 – Buchholz 310 § 86 Abs. 1 VwGO Nr. 292). Eine derartige Beweisermittlung war aber gerade im vorliegenden Fall angebracht. Das Landesarchiv Magdeburg, Landeshauptarchiv hat in seiner Stellungnahme gegenüber dem Verwaltungsgericht vom 9. Februar 2001 ausdrücklich darauf hingewiesen, „dass es sich bei den übersandten Schriftstücken nur um eine Auswahl der uns vorliegenden Unterlagen handelt und wir eine persönliche Einsicht in die Akten empfehlen”. Gleichwohl hat das Verwaltungsgericht eine Beiziehung und Auswertung des noch vorhandenen Aktenbestandes unterlassen. Auch nach dem Schreiben des Landesarchivs Oranienbaum vom 15. Februar 2001 bestand für das Verwaltungsgericht die Notwendigkeit weiterer Beweisermittlungen. Denn das Landesarchiv hat in diesem Schreiben mitgeteilt, dass es umfangreiche Akteneinheiten ermittelt habe, „die u.a. Angelegenheiten zu Ihrem o.a. Anliegen enthalten”. Zur Sichtung der Unterlagen ist dem Verwaltungsgericht eine persönliche Benutzung des Archivs, darüber hinaus aber auch vorgeschlagen worden, sich noch an weitere Einrichtungen zu wenden, wie etwa das Deutsche Museum in München, das Militärarchiv des Bundesarchivs in Freiburg etc.

Gleichwohl hat das Verwaltungsgericht von weiteren Beweisermittlungen im vorliegenden Fall abgesehen und gemeint, die Klägerin auf eine Einsichtnahme in die Unterlagen des Landesarchivs Oranienbaum verweisen zu dürfen (vgl. UA S. 25). Durch eine solche Verfahrensweise hat das Verwaltungsgericht aber seine Pflicht zur Ermittlung der Tatsachen unzulässigerweise verkürzt. Der Hinweis in der gerichtlichen Verfügung vom 19. Februar 2001, das Gericht halte die Beiziehung weiterer Unterlagen nicht für notwendig, musste die Klägerin – entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts – schon deshalb nicht im Rahmen seiner prozessualen Mitwirkungspflicht zu eigenen Ermittlungen veranlassen, weil daraus nicht hervorging, ob und ggf. aus welchem Grund das Verwaltungsgericht nach den bisher festgestellten Tatsachen die Klage für unbegründet hielt.

Auf der unterlassenen Beweisaufnahme kann das angefochtene Urteil auch beruhen, weil nicht auszuschließen ist, dass der notwendige besatzungshoheitliche Zurechnungszusammenhang im vorliegenden Fall durch eine generelle oder im Einzelfall vorhandene Missbilligung der Besatzungsmacht unterbrochen war.

Im Interesse der Beschleunigung des Verfahrens macht der Senat daher von der Möglichkeit des § 133 Abs. 6 VwGO Gebrauch und hebt das angefochtene Urteil ohne vorherige Zulassung der Revision auf und verweist den Rechtsstreit zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Verwaltungsgericht zurück.

Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 13, 14 GKG.

 

Unterschriften

Dr. Müller, Dr. Pagenkopf, Sailer

 

Fundstellen

Dokument-Index HI671928

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