Entscheidungsstichwort (Thema)

Vertragsanpassung. clausula rebus sic stantibus. Anpassungsverlangen. Leistungsklage. Anfechtungsklage. Verwaltungsakt. Negativattest

 

Leitsatz (amtlich)

§ 60 VwVfG verbietet es nicht, ein Anpassungsverlangen in einem behördlichen Verfahren zu berücksichtigen, das mit einem Verwaltungsakt abschließt, den die Vertragspartner mit der Begründung anfechten können, der Vertrag sei unverändert gültig.

 

Normenkette

VwVfG § 60 Abs. 1 S. 1

 

Verfahrensgang

OVG für das Land NRW (Urteil vom 05.09.2002; Aktenzeichen 20 D 145/97.AK)

 

Tenor

Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 5. September 2002 wird zurückgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen.

Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 50 000 EUR festgesetzt.

 

Gründe

Die auf Zulassungsgründe des § 132 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 VwGO gestützte Beschwerde hat keinen Erfolg. Das Beschwerdevorbringen rechtfertigt die Zulassung der Revision nicht.

1. Entgegen der Ansicht der Beschwerde beruht das Urteil der Vorinstanz nicht auf einer Abweichung (§ 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) von dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 26. Januar 1995 – BVerwG 3 C 21.93 – (BVerwGE 97, 331 ff.).

Die Beschwerde zitiert dieses Urteil zutreffend mit der Aussage, dass der Anspruch auf Anpassung eines öffentlich-rechtlichen Vertrages an wesentlich veränderte Verhältnisse nach § 60 VwVfG bei Weigerung einer Vertragspartei durch eine auf die Anpassung gerichtete Leistungsklage durchzusetzen ist (a.a.O., S. 340). Wie aus den von der Vorinstanz angeführten (UA S. 18 f.) Urteilen vom 24. September 1997 – BVerwG 11 C 10.96 – (Buchholz 407.2 § 19 EKrG Nr. 1) und vom 18. Oktober 2001 – BVerwG 3 C 1.01 – (Buchholz 316 § 60 VwVfG Nr. 6) zu entnehmen ist, sind von diesem Grundsatz in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zwischenzeitlich Ausnahmen zugelassen worden. Diese Entscheidungen haben zwar daran festgehalten, dass sich der Vertragsinhalt bei Vorliegen der Anpassungsvoraussetzungen nicht automatisch ändert (so noch vor In-Kraft-Treten des § 60 VwVfG Urteil vom 25. November 1966 – BVerwG 7 C 35.65 – BVerwGE 25, 299 ≪302 ff.≫). Um dem Gedanken der Prozessökonomie Rechnung zu tragen, ist es jedoch für zulässig erachtet worden, das Anpassungsverlangen auch einredeweise einem im Klageweg verfolgten Anspruch aus dem Vertrag entgegenzuhalten. Auch einer „inzidenten” Überprüfung des Anpassungsverlangens in einem Anfechtungsprozess – wie sie hier von der Vorinstanz vorgenommen worden ist – steht damit eine Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts nicht entgegen. Falls dem Urteil vom 26. Januar 1995 (a.a.O.) – wie die Beschwerde annimmt – noch Gegenteiliges zu entnehmen sein sollte, ist diese Rechtsprechung überholt und damit ungeeignet, eine Divergenzrüge zu begründen (vgl. z.B. Beschluss vom 17. April 1991 – BVerwG 5 B 55.91 – Buchholz 310 § 132 VwGO Nr. 300 m.w.N.).

2. Die Beschwerde hat auch keine Fragen von grundsätzlicher Bedeutung aufgezeigt (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO).

Die Beschwerde hält sinngemäß die Frage für klärungsbedürftig, ob ein Anpassungsanspruch nach § 60 VwVfG „inzident” im Rahmen eines von einem der Vertragspartner beantragten behördlichen Bescheides berücksichtigt werden darf, obwohl an dem Vertrag ein weiterer Vertragspartner beteiligt war. Soweit die Beschwerde die Antwort auf diese Frage unter Hinweis auf das Urteil vom 26. Januar 1995 (a.a.O.) für zweifelhaft hält, wird damit ein Klärungsbedarf nicht dargelegt. Wie zuvor erläutert wurde (oben 1.), steht dieses Urteil der Annahme nicht entgegen, dass Gründe der Prozessökonomie es rechtfertigen können, neben einer Leistungsklage auch andere Wege zu eröffnen, um ein Anpassungsverlangen umzusetzen. Es bedarf nicht der Durchführung eines Revisionsverfahrens, um zu klären, dass einer dieser Wege darin bestehen kann, das Anpassungsverlangen in einem behördlichen Verfahren zu berücksichtigen, das mit einem Verwaltungsakt abschließt, den die Vertragspartner mit der Begründung anfechten können, der Vertrag sei unverändert gültig. Das im vorliegenden Fall erlassene „Negativattest” enthält eine Regelung, die allen Anforderungen genügt, die aus Gründen der Rechtsklarheit und Rechtssicherheit an eine Vertragsanpassung gestellt werden können. Die Klägerin hatte mit ihrer gegen das „Negativattest” gerichteten Klage die uneingeschränkte Möglichkeit, das Vorliegen der Anpassungsvoraussetzungen gerichtlich überprüfen zu lassen. Dass sie insoweit mit einer Anfechtungslast beschwert wurde, steht nicht im Widerspruch zu der Vorschrift des § 60 VwVfG, die lediglich eine „automatische” Vertragsanpassung ausschließt. Insofern ist auch nicht erkennbar, welche abweichenden Folgerungen die Beschwerde der Neuregelung entnehmen will, die die Anpassung zivilrechtlicher Verträge in § 313 BGB erfahren hat.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2, § 162 Abs. 3 VwGO, die Streitwertfestsetzung auf § 14 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 i.V.m. § 13 Abs. 1 Satz 1 GKG.

 

Unterschriften

Hien, Vallendar, Prof. Dr. Rubel

 

Fundstellen

Haufe-Index 929229

NVwZ-RR 2003, 470

DÖV 2003, 866

NuR 2003, 714

DVBl. 2003, 750

UPR 2003, 439

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