Entscheidungsstichwort (Thema)

Arbeitsstättenrecht: Öffnungsmöglichkeit von Türen im Verlauf von Rettungswegen

 

Leitsatz (redaktionell)

Läßt sich eine Tür nur mit einem Schlüssel öffnen und ist dieser ohne Verletzungsgefahr nur dadurch zu erreichen, daß man die Frontscheibe eines Schlüsselkastens mit einem Werkzeug einschlägt, so entspricht die Tür nicht den Anforderungen des § 10 Abs. 7 Satz 2 ArbStättV.

 

Normenkette

ArbStättV § 4 Abs. 1 Nr. 2, § 10 Abs. 7 S. 2

 

Verfahrensgang

OVG für das Land NRW (Entscheidung vom 03.12.1991; Aktenzeichen 4 A 1766/90; GewArch 1992, 238)

VG Gelsenkirchen (Entscheidung vom 25.07.1990; Aktenzeichen 7 K 21/90)

 

Gründe

Die auf den Revisionszulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) gestützte Beschwerde hat keinen Erfolg.

Wegen grundsätzlicher Bedeutung kann die Revision nur zugelassen werden, wenn die Beschwerde eine Frage des revisiblen Rechts aufwirft, die für die Entscheidung des Berufungsgerichts maßgeblich war (vgl. z.B. Beschlüsse vom 7. Januar 1986 - BVerwG 2 B 94.85 - Buchholz 310 § 75 VwGO Nr. 11 und vom 22. August 1988 - BVerwG 2 NB 2.88 - Buchholz 310 § 47 VwGO Nr. 27) und im Interesse der Einheit oder der Fortbildung des Rechts revisionsgerichtlicher Klärung bedarf. Eine solche Frage zeigt die Beschwerde nicht auf.

Sie möchte geklärt sehen, ob eine "Schlüsselkasten-Lösung" von der Art, wie sie im Betrieb der Klägerin praktiziert wird, den Anforderungen des § 10 Abs. 7 Satz 2 der Verordnung über Arbeitsstätten (Arbeitsstättenverordnung - ArbStättV) vom 20. März 1975 (BGBl. I S. 729) entspricht. Gemäß § 10 Abs. 7 ArbStättV müssen sich Türen von Arbeitsstätten im Verlauf von Rettungswegen (Satz 1) "von innen ohne fremde Hilfsmittel jederzeit leicht öffnen lassen, solange sich Arbeitnehmer in der Arbeitsstätte befinden" (Satz 2). Nach den tatsächlichen Feststellungen des Berufungsgerichts (vgl. § 137 Abs. 2 VwGO) sind neben den regelmäßig verschlossenen Notausgangstüren der Lagerhalle der Klägerin "Schlüsselkästen angebracht, deren Verglasung mit einem daneben aufbewahrten Metallstab eingeschlagen werden kann" (BU S. 3). Wer eine Notausgangstür benutzen will, muß daher "zunächst das Werkzeug lösen, sodann die Frontscheibe des Schlüsselkastens einschlagen und kann erst dann den Schlüssel herausnehmen und die Tür aufschließen" (BU S. 10). Das Berufungsurteil beruht auf der Ansicht, dies widerspreche dem § 10 Abs. 7 Satz 2 ArbStättV, da sich die Türen nicht ohne "fremdes Hilfsmittel" und darüber hinaus auch nicht "leicht" öffnen ließen. Die Beschwerde wirft daher die beiden Rechtsfragen auf, was ein "fremdes Hilfsmittel" ist und welche Anforderungen erfüllt sein müssen, damit eine Tür "leicht" zu öffnen ist.

1. Die erste Frage bedarf zumindest insoweit, als sie für das Berufungsurteil maßgeblich war, nicht der Klärung in einem Revisionsverfahren. Dem Berufungsgericht hat sich die Frage nämlich nicht umfassend, sondern nur dahin gestellt, ob bei einer "Schlüsselkasten-Lösung" der von der Klägerin praktizierten Art das Tatbestandsmerkmal "ohne fremde Hilfsmittel" erfüllt ist oder nicht. Diese eingeschränkte Frage läßt sich aufgrund des Wortlauts und Zwecks der Vorschrift ohne weiteres, und zwar im Sinne des Berufungsurteils, beantworten.

Nach den erwähnten Feststellungen des Berufungsgerichts ist die "Schlüsselkasten-Lösung" der Klägerin unter anderem dadurch gekennzeichnet, daß sich die Tür nicht ohne Verwendung eines Werkzeugs (Hammer, Metallstab) öffnen läßt (BU S. 9 unten). Das Werkzeug ist, wie das Berufungsgericht zutreffend ausführt und weder im erstinstanzlichen Urteil noch in der Beschwerde in Abrede gestellt wird, ein "Hilfsmittel" für das Öffnen der Tür, und zwar - weil es nicht wie eine Klinke oder ein im Türschloß steckender Schlüssel als Teil der Tür erscheint oder mit ihr in engem Zusammenhang steht - ein "fremdes" Hilfsmittel. Übrigens kommt es nicht darauf an, ob sich das Glas des Schlüsselkastens lediglich mit einem Werkzeug im engeren Sinne oder - was das Berufungsgericht wohl nicht ausschließen will - auch mit einem anderen harten Gegenstand wie einem Schuh oder mit der durch eine Umkleidung wie z.B. einen Handschuh oder einen heruntergezogenen Ärmel einer Jacke geschützten Faust einschlagen läßt; denn auch in diesen Fällen würde ein fremdes Hilfsmittel benutzt, nämlich der Schuh oder die Umkleidung. Davon, daß eine Umkleidung der Hand beim Eindrücken des Glases nicht erforderlich und somit jedes fremde Hilfsmittel überflüssig wäre, kann der Senat wegen der vom Berufungsgericht festgestellten Verletzungsgefahr nicht ausgehen. Daß die für das Einschlagen der Schlüsselkastenscheibe erforderlichen Gegenstände als "fremde Hilfsmittel" zu werten sind, entspricht auch dem Sinn der Regelung: Sie will gewährleisten, daß Menschen einen Raum im Notfall auf den vorgesehenen Rettungswegen schnell verlassen können. Das Verlassen eines Raumes wird aber typischerweise kompliziert und verzögert, wenn zum Öffnen der Tür der Einsatz fremder Hilfsmittel - hier die Benutzung eines besonderen Gegenstandes zum Einschlagen des Glases des Schlüsselkastens - nötig ist. Deshalb verbietet § 10 Abs. 7 ArbStättV im Verlauf von Rettungswegen generell solche Türen, zu deren Öffnung man sich eines derartigen Hilfsmittels bedienen muß.

Aus der Entstehungsgeschichte der Vorschrift ergibt sich nichts anderes. Im erstinstanzlichen Urteil (UA S. 10 f.) und in der Literatur (Eberstein/Meyer, Arbeitsstättenrecht, Band 1, Stand Januar 1990, § 10 Anm. 29) wird zwar darauf hingewiesen, daß der Referentenentwurf der Arbeitsstättenverordnung noch nicht die Worte "ohne f r e m d e Hilfsmittel", sondern die Formulierung "ohne Hilfsmittel" enthalten habe und daß das Adjektiv "fremde" eingefügt worden sei, um klarzustellen, daß verschlossene Türen, die erst mit Hilfe des dafür bestimmten Schlüssels geöffnet werden müßten, erlaubt seien. Wie das Berufungsgericht zu Recht bemerkt, läßt sich daraus aber allenfalls ableiten, daß der zur Tür gehörige S c h l ü s s e l kein fremdes Hilfsmittel ist, nicht dagegen, daß ein zum Öffnen des Schlüsselkastens erforderlicher Gegenstand gleichfalls kein fremdes Hilfsmittel im Sinne des § 10 Abs. 7 Satz 2 ArbStättV wäre. Diese Schlußfolgerung wird denn auch, soweit ersichtlich, weder in der Rechtsprechung noch in der Literatur gezogen.

Das Verbot von Türen, die sich von innen nur mit einem fremden Hilfsmittel öffnen lassen, beugt einer abstrakten Gefahr vor. Im Einzelfall mag diese Gefahr wegen besonderer Umstände ausgeschlossen sein. Solchen Sonderfällen kann jedoch nicht etwa durch eine je nach der konkreten Gefahrenlage differenzierende Auslegung des Begriffs "fremde Hilfsmittel" Rechnung getragen werden; hierfür besteht vielmehr die Ausnahmeermächtigung des § 4 Abs. 1 Nr. 2 ArbStättV, auf die das Berufungsurteil (S. 13 f.) eingeht, die aber nicht Gegenstand der vorliegenden Beschwerde ist.

2. Trifft demnach die das Berufungsurteil tragende Rechtsauffassung, die "Schlüsselkasten-Lösung" der Klägerin widerspreche dem § 10 Abs. 7 Satz 2 ArbStättV, schon deswegen zu, weil das Tatbestandsmerkmal "ohne fremde Hilfsmittel" nicht erfüllt ist, so kommt es auf die zweite von der Beschwerde aufgeworfene Frage, die sich auf das Tatbestandsmerkmal "leicht" bezieht, nicht mehr an.

 

Fundstellen

Buchholz 406.55 ArbStättV, Nr 3 (LT)

WiR 1992, 471 (L)

GewArch 1992, 385-386 (LT)

ZfSH/SGB 1994, 31 (S)

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