Verfahrensgang

OVG für das Land NRW (Urteil vom 29.08.1989; Aktenzeichen 13 A 1165/88)

 

Tenor

Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 29. August 1989 wird zurückgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens mit Ausnahme etwaiger außergerichtlicher Kosten des Beigeladenen, die dieser selbst trägt. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

 

Gründe

Die Beschwerde ist unbegründet. Die Voraussetzungen, unter denen nach § 132 Abs. 2 VwGO die Revision zuzulassen ist, liegen nicht vor.

Grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO kommt der Rechtssache nicht zu. Über die Zustimmung zur Kündigung des Arbeitsverhältnisses eines Schwerbehinderten durch den Arbeitgeber entscheidet die Hauptfürsorgestelle nach Ermessen (vgl. §§ 15 ff. des Schwerbehindertengesetzes in der hier anzuwendenden Fassung der Bekanntmachung vom 26. August 1986 ≪BGBl. I S. 1421≫). Welche Gesichtspunkte die Behörde bei ihrer Ermessensentscheidung zu berücksichtigen hat und wo die Grenzen dessen liegen, was die Hauptfürsorgestelle bei ihrer interessenwägenden Ermessensentscheidung dem Arbeitgeber zur Verwirklichung der dem Schwerbehinderten gebührenden weitgehenden Fürsorge zumuten darf, sind in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts seit langem geklärt (vgl. BVerwGE 8, 46 ≪51≫; 29, 140 ≪141 ff.≫; 48, 264 ≪266 ff.≫). Diese Rechtsprechung ist zwar noch zu den einschlägigen Vorschriften des Schwerbeschädigtengesetzes in seinen früheren Fassungen ergangen. Der Senat hat jedoch bereits entschieden, daß sie auch für die in den Grundzügen beibehaltenen Regelungen des Schwerbehindertengesetzes 1979 maßgebend ist (vgl. BVerwG, Beschluß vom 18. Mai 1988 – BVerwG 5 B 135.87 – ≪Buchholz 436.61 § 15 SchwbG 1986 Nr. 1≫); für die im vorliegenden Fall geltenden Vorschriften des Schwerbehindertengesetzes 1986 gilt nichts anderes. Einen über die in den genannten Entscheidungen dargelegten Grundsätze hinausgehenden Klärungsbedarf vermag die Beschwerde nicht aufzuzeigen.

Die Beschwerde hält der Sache nach die Frage für grundsätzlich bedeutsam, ob die Hauptfürsorgestelle die Zustimmung zur Kündigung eines auf seinem früheren Arbeitsplatz wegen seiner Behinderung – unstreitig – nicht mehr einsetzbaren Arbeitnehmers, für den im Zeitpunkt der beabsichtigten Kündigung ein behinderungsgerechter Alternativarbeitsplatz nicht verfügbar ist, mit der Begründung versagen darf, es sei dem Arbeitgeber zumutbar, sein Kündigungsansinnen bis zum voraussichtlichen Ende einer – den Arbeitgeber nicht mit Lohnfortzahlungskosten belastenden – Umschulung des Schwerbehinderten zurückzustellen. Diese Frage bedarf keiner Klärung in einem künftigen Revisionsverfahren; denn sie beantwortet sich unmittelbar aus den bereits vorliegenden Rechtsprechungsgrundsätzen. So hat das Bundesverwaltungsgericht mehrfach herausgestellt, daß der Schwerbehindertenschutz an Gewicht gewinnt, wenn die Kündigung des Arbeitsverhältnisses auf Gründe gestützt wird, die in der Beschädigung selbst ihre Ursache haben, und daß infolgedessen an die im Rahmen der interessenwägenden Ermessensentscheidung zu berücksichtigende Zumutbarkeitsgrenze beim Arbeitgeber besonders hohe Anforderungen zu stellen sind, um auch den im Schwerbehindertenrecht zum Ausdruck gekommenen Schutzgedanken der Rehabilitation verwirklichen zu können (BVerwGE 29, 140 ≪141≫; 39, 36 ≪38≫ sowie Beschluß vom 9. August 1973 – BVerwG 5 B 104.72 –). Ebenso ist in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts anerkannt, daß der Arbeitgeber in Ausnahmefällen verpflichtet sein kann, den schwerbehinderten Arbeitnehmer „durchzuschleppen” (vgl. BVerwGE 8, 46 ≪51≫; 48, 264 ≪267≫), andererseits die im Interesse der Schwerbehindertenfürsorge gebotene Sicherung des Arbeitsplatzes auf jeden Fall dort ihre Grenze findet, wo eine Weiterbeschäftigung des Schwerbehinderten allen Gesetzen wirtschaftlicher Vernunft widersprechen würde (BVerwGE 8, 46 ≪51≫; Urteil vom 17. Dezember 1958 – BVerwG 5 C 151.56 – ≪FEVS Bd. 5, 181/ 185≫). Der Senat hat diese Voraussetzung in Sonderheit dann als erfüllt angesehen, wenn dem Arbeitgeber einseitig die Lohnzahlungspflicht auferlegt wird (BVerwGE 8, 46 ≪51≫). Die Versagung der Kündigungszustimmung in Fällen der vorliegenden Art entspricht nach alledem dem dem Schwerbehindertenrecht innewohnenden Rehabilitationsgedanken und könnte sich allenfalls dann wegen unverhältnismäßiger Einschränkung des Direktionsrechts des Arbeitgebers als ermessensfehlerhaft erweisen, wenn bereits vor Abschluß der Rehabilitationsmaßnahme erkennbar ist, daß ein anderer behinderungsgerechter Arbeitsplatz nicht zur Verfügung stehen wird. Entsprechende tatsächliche Feststellungen hat das Berufungsgericht jedoch nicht getroffen, so daß auch die weitere von der Beschwerde für grundsätzlich bedeutsam gehaltene Frage, ob es einem Arbeitgeber zugemutet werden könne, die Kündigung eines wegen der Schwerbehinderung nicht mehr fortführbaren Arbeitsverhältnisses auch dann zu unterlassen, wenn eine Änderungskündigung unstreitig nicht möglich ist, sich in einem Revisionsverfahren nicht stellen würde.

Aus den vorangestellten Ausführungen ergibt sich zugleich, daß eine Zulassung der Revision nach § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO wegen entscheidungstragender Abweichung des Berufungsurteils von einer Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts nicht in Betracht kommt. Dies gilt auch für das von der Beschwerde bezeichnete Urteil vom 5. Juni 1975 – BVerwG 5 C 57.73 – (BVerwGE 48, 264 ff.). In dem dort auf S. 267 zu findenden Satz: „Mit der gebotenen Interessenabwägung wäre es nicht zu vereinbaren, wenn – wie dem Kläger vorschwebt – die Hauptfürsorgestelle trotz festgestellter Unmöglichkeit einer anderweitigen Beschäftigung im Betrieb des zur Kündigung entschlossenen Arbeitgebers ihre Zustimmung solange versagen würde, bis ein anderer Arbeitsplatz gesichert ist.” setzt sich das Berufungsurteil nicht in Widerspruch. Denn er ist ersichtlich zugeschnitten auf den dort entschiedenen Fall, in dem die Weiterbeschäftigung des Schwerbehinderten unter Lohnfortzahlung bis zur Sicherung eines anderen Arbeitsplatzes in Rede stand. Den von der Beschwerde zitierten Satz der Entscheidungsbegründung auch auf Umschulungsmaßnahmen zu beziehen, die von dritter Seite finanziert werden und in denen deshalb eine Lohnfortzahlungspflicht des Arbeitgebers nicht in Betracht kommt, verbietet auch die von BVerwGE 48, 264 (267) herausgestellte Kontinuität mit der bisherigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, in der als tragender Grund dafür, daß ein „Durchschleppen” des Schwerbehinderten dem Arbeitgeber grundsätzlich nicht zuzumuten sei, angegeben wurde (BVerwGE 8, 46 ≪51≫): „Anderenfalls würde man dem Betrieb einseitig die Lohnzahlungspflicht auferlegen und damit schließlich bewirken, daß sich die Lage der Schwerbeschädigten insgesamt verschlechtert”.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 154 Abs. 2, 162 Abs. 3 VwGO; die Gerichtskostenfreiheit ergibt sich aus § 188 Satz 2 VwGO.

 

Unterschriften

Dr. Zehner, Rochlitz, Dr. Pietzner

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1212074

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