Entscheidungsstichwort (Thema)

Bodenrecht. Baurecht. Bauordnungsrecht. Bebauungsplan. örtliche Bauvorschriften. Baugestaltung. Verunstaltungsabwehr. Ortsbildgestaltung

 

Leitsatz (amtlich)

Bundesrecht steht nicht entgegen, wenn Landesrecht die Gemeinde ermächtigt, mit örtlichen Baugestaltungsvorschriften über die Verunstaltungsabwehr hinaus positive Gestaltungsziele zu verfolgen.

Auf Landesrecht gestützte örtliche Bauvorschriften, die in einem Bebauungsplan enthalten sind, dürfen nicht bodenrechtliche Regelungen „im Gewande von Baugestaltungsvorschriften” sein.

 

Normenkette

BauGB § 9 Abs. 1, 4

 

Verfahrensgang

Schleswig-Holsteinisches OVG (Urteil vom 27.11.1996; Aktenzeichen 1 K 13/93)

 

Tenor

Die Beschwerde der Antragstellerin gegen die Nichtvorlage der Sache in dem Normenkontrollverfahren, in dem das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Oberverwaltungsgerichts vom 27. November 1996 ergangen ist, wird zurückgewiesen.

Die Antragstellerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 40 000 DM festgesetzt.

 

Tatbestand

I.

Die Antragstellerin begehrt die Feststellung der Nichtigkeit eines ihr Grundstück erfassenden Bebauungsplans. Sie wendet sich unter anderem gegen baugestalterische Festsetzungen insbesondere über Dachneigungen, Dachformen, Dachgauben, Erdgeschoßfußbodenhöhe, Traufhöhe, Einfriedigungen und das Verbot von Kellergaragen. Der Normenkontrollantrag war erfolglos. Mit der Beschwerde macht die Antragstellerin geltend, das Normenkontrollgericht hätte die Sache dem Bundesverwaltungsgericht wegen grundsätzlicher Bedeutung verschiedener Rechtsfragen vorlegen müssen.

 

Entscheidungsgründe

II.

Die auf § 47 Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 VwGO a.F. gestützte Beschwerde ist nach § 47 Abs. 7 Satz 1 VwGO a.F. statthaft und auch sonst zulässig. Sie ist jedoch unbegründet. Das Normenkontrollgericht brauchte die Sache dem Bundesverwaltungsgericht nicht zur Entscheidung vorzulegen. Die Beschwerde zeigt keine Fragen auf, die einer grundsätzlichen Klärung bedürfen.

1. Die Frage, ob es einer Gemeinde auf der Grundlage einer landesrechtlichen Ermächtigung gestattet ist, „im Wege örtlicher Bauvorschriften auch bodenrechtlich relevante Festsetzungen zu treffen”, läßt sich vor dem Hintergrund des Rechtsgutachtens des Bundesverfassungsgerichts vom 16. Juni 1954 – 1 PBvV 2/52 – (BVerfGE 3, 407) und der Senatsrechtsprechung unschwer beantworten. Dem Landesgesetzgeber ist die Regelung des Bauordnungsrechts vorbehalten. Hierzu zählt nicht mehr bloß die Abwehr von Gefahren, die der Allgemeinheit oder dem einzelnen von baulichen Anlagen drohen. Das Bauordnungsrecht darf, soweit dies im Rahmen einer Inhalts- und Schrankenbestimmung im Sinne des Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG zulässig ist, auch zur Wahrung ästhetischer Belange nutzbar gemacht werden. Dies schließt neben der Abwehr von Verunstaltungen eine positive Gestaltungspflege ein. Den Gemeinden ist es auf landesrechtlicher Grundlage unbenommen, über die äußere Gestaltung einzelner baulicher Anlagen auf das örtliche Gesamterscheinungsbild Einfluß zu nehmen. Hierzu gehören Vorschriften, die dazu bestimmt sind, das Orts- oder Straßenbild je nach ihren gestalterischen Vorstellungen zu erhalten oder umzugestalten. Gegenstand örtlicher Bauvorschriften können dagegen nicht Regelungen sein, die der Gesetzgebungskompetenz der Länder entzogen sind, so im Bereich der konkurrierenden Gesetzgebung, soweit der Bund von seiner Kompetenz verfassungsgemäßen Gebrauch gemacht hat (Art. 72 GG). Hierzu gehört das Bodenrecht im Sinne des Art. 74 Abs. 1 Nr. 18 GG, das der Bundesgesetzgeber insbesondere im Baugesetzgebuch kodifiziert hat. Dieses Gesetz regelt die rechtlichen Beziehungen zum Grund und Boden und trifft Bestimmungen darüber, in welcher Weise der Eigentümer sein Grundstück nutzen darf. Nicht zuletzt über die Vorschriften, die die Art und das Maß der baulichen Nutzung, die Bauweise und die überbaubare Grundstücksfläche betreffen, leistet auch das Städtebaurecht einen Beitrag zur Gestaltung des Ortsbildes (vgl. § 1 Abs. 5 Satz 2, § 34 Abs. 1 Satz 2 und § 35 Abs. 3 BauGB). Das städtebauliche Instrumentarium reicht unter diesem Blickwinkel indes nur soweit, wie das Baugesetzbuch entsprechende Gestaltungsmöglichkeiten eröffnet. Zur bodenrechtlichen Ortsbildgestaltung steht der Gemeinde der in § 9 Abs. 1 BauGB abschließend umschriebene Festsetzungskatalog zur Verfügung. Gestaltungsvorschriften, die hierüber hinausgehen, ohne den Grund und Boden unmittelbar zum Gegenstand rechtlicher Ordnung zu haben, stehen dem landesrechtlichen Bauordnungsrecht offen (vgl. BVerwG, Urteile vom 28. April 1972 – BVerwG 4 C 11.69 – BVerwGE 40, 94, und vom 16. Dezember 1993 – BVerwG 4 C 22.92 – Buchholz 406.11 § 29 BauGB Nr. 52; vgl. auch BVerwG, Urteil vom 3. Dezember 1992 – BVerwG 4 C 27.91 – BVerwGE 91, 234).

Der von der Beschwerde angenommene Klärungsbedarf besteht in diesem Zusammenhang nicht deshalb, weil die Antragsgegnerin sich nach den Feststellungen des Normenkontrollgerichts des Mittels der örtlichen Bauvorschriften, gegen die die Antragstellerin sich zur Wehr setzt, bedient hat, da „allein die Festsetzungsmöglichkeiten nach der BauNVO nicht ausreichen, um die vorhandene Siedlungsstruktur zu erhalten”. Hätte die Vorinstanz hiermit zum Ausdruck bringen wollen, daß sie die Gemeinde für berechtigt hält, im Gewande bauordnungsrechtlicher Gestaltungsvorschriften bodenrechtliche Regelungen zu treffen, so stünde dies eindeutig im Widerspruch zu der vom Bundesverfassungsgericht und vom Bundesverwaltungsgericht vertretenen Rechtsansicht. Der Begriff der „Siedlungsstruktur” hat einen vornehmlich städtebaulichen Gehalt (vgl. BVerwG, Urteil vom 29. Mai 1981 – BVerwG 4 C 34.78 – BVerwGE 62, 250). Das Normenkontrollgericht hat ihn indes ersichtlich nicht in diesem Sinne verwenden wollen. Denn an anderer Stelle spricht es davon, daß es der Antragsgegnerin darum gegangen sei, das „vorhandene Siedlungsbild” bzw. das in dem maßgeblichen Bereich durch eine unterschiedliche Bebauung gekennzeichnete „Bild” aus anderen als „aus städtebaulichen optischen Gründen” zu erhalten. Dies deutet darauf hin, daß es die Gestaltungsvorschriften als Mittel der Ortsbildpflege außerhalb der Festsetzungsmöglichkeiten, die das Bodenrecht bietet, trotz der mißverständlichen Wortwahl nicht nur formal, sondern auch dem sachlichen Gehalt nach dem Bauordnungsrecht zuordnet. Das gilt auch für das Verbot von Kellergaragen, „da diese optisch die Gebäudewand in dem Bereich um ein weiteres Geschoß erhöhen und im übrigen zu erheblichen Einschnitten in die Vorgartenfläche führen” (UA S. 23).

2. Auch die Frage, ob örtliche Bauvorschriften, denen bodenrechtliche Relevanz zukommt, dem Abwägungsgebot nach § 1 Abs. 6 BauGB unterliegen, verleiht der Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung. Sie ist nicht entscheidungserheblich, da das Normenkontrollurteil nicht von der Annahme getragen wird, die von der Antragstellerin angegriffenen Bauvorschriften seien bodenrechtlicher Natur. Im übrigen stellt sich die von der Beschwerde aufgeworfene Frage auch deshalb nicht, weil eine Vorschrift, die unter dem Deckmantel örtlicher Baugestaltung eine bodenrechtliche Regelung enthält, schon wegen eines Verstoßes gegen die grundgesetzliche Kompetenzordnung nichtig wäre. Vor dieser Rechtsfolge könnte auch die Beachtung des Abwägungsgebots die Gemeinde nicht bewahren.

3. Ebensowenig brauchte das Normenkontrollgericht die Frage, ob örtliche Bauvorschriften dem Abwägungsgebot des § 1 Abs. 6 BauGB unterliegen, wenn sie gemäß § 9 Abs. 4 BauGB als Festsetzungen in den Bebauungsplan aufgenommen werden, zum Anlaß für eine Vorlage zu nehmen. Die Antwort ergibt sich ohne weiteres aus dem Gesetz. Nach § 9 Abs. 4 BauGB können die Länder, die durch Rechtsvorschriften bestimmt haben, daß auf Landesrecht beruhende Regelungen in den Bebauungsplan als Festsetzungen aufgenommen werden können, auch regeln, inwieweit auf diese Festsetzungen die Vorschriften des Baugesetzbuchs Anwendung finden. Zu diesen Vorschriften gehört nicht zuletzt § 1 Abs. 6 BauGB. Ob beim Erlaß örtlicher Bauvorschriften das Abwägungsgebot zu beachten ist, richtet sich danach ausschließlich nach den jeweiligen Vorgaben des Landesrechts, das auszulegen und anzuwenden den Verwaltungsgerichten des betreffenden Landes vorbehalten ist. Das hat der Senat bereits ausdrücklich bestätigt. Im Urteil vom 16. März 1995 – BVerwG 4 C 3.94 – (Buchholz 406.12 § 15 BauNVO Nr. 24 = DVBl 1995, 754) hat er klargestellt, daß § 9 Abs. 4 BauGB es zuläßt, aber nicht gebietet, das Abwägungsgebot des § 1 Abs. 6 BauGB für anwendbar zu erklären. Die Beschwerde legt nicht dar, in welcher Richtung es noch einer weiteren Klärung bedürfen sollte.

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 13 Abs. 1 Satz 1 GKG.

 

Unterschriften

Gaentzsch, Berkemann, Halama

 

Fundstellen

Haufe-Index 1464897

NuR 1998, 198

BRS 1997, 64

BRS 1998, 64

UPR 1998, 63

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