Verfahrensgang

VG Berlin (Aktenzeichen 25 A 167.95)

 

Tenor

Auf die Beschwerde der Klägerinnen gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin vom 22. Mai 2001 wird dieses Urteil aufgehoben.

Der Rechtsstreit wird zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Verwaltungsgericht zurückverwiesen.

Die Entscheidung über die Kosten bleibt der Schlussentscheidung vorbehalten.

Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 1 Million DM festgesetzt.

 

Gründe

Die Beschwerde ist zulässig und begründet. Es liegt ein geltend gemachter Verfahrensmangel vor, auf dem die Entscheidung beruhen kann (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO). Dies führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und zur Zurückverweisung der Streitsache an das Verwaltungsgericht (§ 133 Abs. 6 VwGO).

Das Verwaltungsgericht hat seine Aufklärungspflicht (§ 86 Abs. 1 VwGO) verletzt. Nach der maßgebenden materiellrechtlichen Auffassung des Verwaltungsgerichts war entscheidungserheblich, ob die Durchführung baulicher Maßnahmen nach der Inanspruchnahme geplant war. Das Verwaltungsgericht führt aus, Bauakten hätten nicht ermittelt werden können und nennt Umstände, die seines Erachtens dafür sprechen, dass sich noch nach der Inanspruchnahme eine erhebliche Bautätigkeit an dem Gebäude entfaltete. Insoweit begnügt sich das Verwaltungsgericht mit bloßen Vermutungen. Nachforschungen, ob weitere Unterlagen in Archiven vorhanden sind, aus denen sich ergibt, ob Baumaßnahmen nach der Inanspruchnahme geplant waren und ggf. auch durchgeführt wurden, hat das Verwaltungsgericht unterlassen. Bei dem Gebäude der Volkskammer handelte es sich aber um ein Bauwerk, dem in der DDR eine herausragende Bedeutung zukam. Es liegt daher nahe, dass sich weitere Unterlagen über dieses Gebäude in Archiven befinden. In der mündlichen Verhandlung haben die Klägerinnen vorsorglich angeregt, für den Fall, dass die Sachlage dem Gericht für eine Entscheidung zu ihren Gunsten noch nicht hinreichend geklärt erscheine, weitere Nachforschungen zum Vorgang der Inanspruchnahme und etwa folgenden Baumaßnahmen zu betreiben, etwa beim Archiv des Deutschen Bundestages. Der Sache nach handelt es sich dabei um einen Hilfsbeweisantrag. Aufgrund der besonderen Bedeutung des Gebäudes und der Beweisanregung der Klägerin, hätte es sich dem Verwaltungsgericht aufdrängen müssen, die genannten Nachforschungen in Archiven – insbesondere bei dem von den Klägerinnen ausdrücklich genannten Archiv des Bundestages – anzustellen.

2. Das verwaltungsgerichtliche Urteil erweist sich auch nicht aus anderen Gründen als im Ergebnis richtig (§ 144 Abs. 4 VwGO analog). Das Verwaltungsgericht ist zwar zu dem Ergebnis gelangt, dass die Inanspruchnahme eines Hausgrundstücks für die bauliche Herrichtung als Parlamentsgebäude nach dem Recht der DDR zulässig war. Insoweit unterscheidet sich der vorliegende Fall von dem mit Urteil vom 26. Juni 1997 – BVerwG 7 C 25.96 – (Buchholz 428 § 1 VermG Nr. 113 S. 344) entschiedenen. In dem genannten Urteil des Bundesverwaltungsgerichts wird ausgeführt, für die dort zu beurteilende Enteignung habe es offenkundig keine Rechtsgrundlage gegeben. Dies wird damit begründet, dass nicht nur ein versehentliches Unterbleiben einer an sich nach DDR-Recht möglichen Inanspruchnahme des Grundstücks vorgelegen habe, demzufolge deren formelle Gesetzwidrigkeit durch die nachträgliche Enteignung gleichsam hätte legalisiert werden können. Vielmehr habe während der Durchführung der Baumaßnahmen zu keiner Zeit eine Rechtsgrundlage bestanden, auf die eine Enteignung hätte gestützt werden können. Für die später erfolgte Enteignung allein zum Zweck der nachträglichen Sicherung bereits verausgabter Haushaltsmittel habe es offenkundig keine Rechtsgrundlage gegeben (vgl. Urteil vom 26. Juni 1997 – BVerwG 7 C 25.96 – a.a.O. S. 347 f.). Das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts enthält also nicht den Rechtssatz, eine unlautere Machenschaft (§ 1 Abs. 3 VermG) liege allgemein vor, wenn erst nach Vollendung einer Baumaßnahme nach dem Aufbaurecht enteignet wurde.

Umgekehrt ist aber eine unlautere Machenschaft nicht allgemein ausgeschlossen, wenn für eine Enteignung vor Durchführung der Baumaßnahmen eine Rechtsgrundlage nach dem Recht der DDR bestanden hatte, die Enteignung aber erst danach erfolgte. Maßgebend ist vielmehr auch hier, ob nach dem irrevisiblen Recht der DDR offenkundig eine Rechtsgrundlage für die (nachträgliche) Enteignung fehlte. Dies wird das Verwaltungsgericht prüfen müssen, falls die weitere Aufklärung des Sachverhalts ergibt, dass bei der Inanspruchnahme weitere Baumaßnahmen nicht geplant waren.

Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf den §§ 13 und 14 GKG.

 

Unterschriften

Dr. Pagenkopf, Krauß, Golze

 

Fundstellen

Dokument-Index HI660196

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