Entscheidungsstichwort (Thema)

Nachbarklage. Sanierungsgebiet. Sanierungskonzept. Einvernehmen der Gemeinde. Drittschutz. Überfahrtslast

 

Leitsatz (amtlich)

Mit der baurechtlichen Nachbarklage kann nicht geltend gemacht werden, daß eine für ein Bauvorhaben in einem förmlich festgelegten Sanierungsgebiet erteilte Baugenehmigung nicht im Einklang mit dem Sanierungskonzept der Gemeinde stehe.

 

Normenkette

BauGB §§ 34, 36, 144 Abs. 1, § 145 Abs. 2

 

Verfahrensgang

VGH Baden-Württemberg (Urteil vom 21.01.1997; Aktenzeichen 5 S 2066/96)

VG Karlsruhe (Entscheidung vom 20.06.1996; Aktenzeichen 9 K 3039/94)

 

Tenor

Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg vom 21. Januar 1997 wird zurückgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen, die dieser selbst trägt.

Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 16 000 DM festgesetzt.

 

Gründe

Die auf § 132 Abs. 2 Nrn. 1 und 3 VwGO gestützte Beschwerde bleibt erfolglos. Sie ist teilweise schon unzulässig, im übrigen jedenfalls unbegründet. Aus dem Beschwerdevortrag ergibt sich kein Grund, der die Zulassung der Revision rechtfertigen könnte.

1. Mit der Frage, ob Sanierungsrecht in keinem Fall drittschützend sei, möchte die Beschwerde sinngemäß geklärt wissen, ob im Rahmen einer baurechtlichen Nachbarklage geltend gemacht werden könne, daß eine für ein Bauvorhaben in einem förmlich festgelegten Sanierungsgebiet erteilte Baugenehmigung nicht im Einklang mit dem Sanierungskonzept der Gemeinde stehe.

Zur Klärung dieser Frage bedarf es jedoch keines Revisionsverfahrens. Denn schon die objektiv-rechtliche Zulässigkeit eines Vorhabens richtet sich auch in einem Sanierungsgebiet in planungsrechtlicher Hinsicht allein nach den Vorschriften des allgemeinen Städtebaurechts, insbesondere nach den Vorschriften der §§ 29 ff BauGB. Für Sanierungsgebiete bestimmt das besondere Städtebaurecht der §§ 136 ff BauGB lediglich, daß Vorhaben zusätzlich einer schriftlichen Genehmigung der Gemeinde bedürfen (§ 144 Abs. 1 BauGB); sie darf nur versagt werden, wenn Grund zu der Annahme besteht, daß das Vorhaben die Durchführung der Sanierung unmöglich machen oder wesentlich erschweren oder den Zielen und Zwecken der Sanierung zuwiderlaufen würde (§ 145 Abs. 2 BauGB). Das bedeutet, daß um die sanierungsrechtliche Genehmigung nur im Verfahren mit der Gemeinde gestritten werden kann. Ob ein materieller Anspruch auf die sanierungsrechtliche Genehmigung besteht oder ob umgekehrt diese Genehmigung zu Unrecht erteilt worden ist, spielt im Verfahren mit der Baugenehmigungsbehörde keine Rolle. Schon deshalb kann mit der – gegen die Baugenehmigungsbehörde gerichteten – Nachbarklage nicht geltend gemacht werden, daß ein Bauvorhaben in einem Sanierungsgebiet dem Sanierungskonzept der Gemeinde widerspricht.

Zum andern entspricht es aber auch allgemeiner Auffassung, daß der sanierungsrechtliche Genehmigungsvorbehalt keine Nachbarrechte begründet (vgl. Bielenberg, in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg, BauGB ≪Mai 1990≫, § 145 Rn. 31, m.w.N.). Sein Zweck besteht in erster Linie darin, den Gemeinden einen angemessenen Zeitraum für die Verwirklichung ihrer Sanierungsziele bis hin zur Aufstellung eines (Sanierungs-) Bebauungsplans einzuräumen (vgl. BVerwG, Urteil vom 6. Juli 1984 – BVerwG 4 C 14.81 – Buchholz 406.15 § 15 StBauFG Nr. 6 – DVBl 1985, 114). Damit erfüllt der Genehmigungsvorbehalt des § 144 BauGB im Sanierungsgebiet dieselbe Aufgabe, die sonst die Veränderungssperre erfüllt (Krautzberger, in Battis/Krautzberger/Löhr, BauGB, 5. Aufl. 1996, § 144 Rn. 3). Auch sie dient allein der Sicherung künftiger Planungen der Gemeinde und nicht (auch) dem Schutz des Nachbarn (BVerwG, Beschluß vom 5. Dezember 1988 – BVerwG 4 B 182.88 – Buchholz 406.11 § 14 BBauG/BauGB Nr. 11 = ZfBR 1989, 79).

Die von der Beschwerde geltend gemachte “Funktionsschwäche des Bereichs” ist demgemäß für sich nicht geeignet, einen Abwehranspruch des Klägers zu begründen. Eine Verletzung nachbarschützender Vorschriften des Bauplanungsrechts durch die angefochtenen Baugenehmigungen haben die Vorinstanzen dagegen verneint. Die Beschwerde greift diese Beurteilung zwar an; eine rechtsgrundsätzliche Frage kann ihrem Vortrag jedoch nicht entnommen werden.

2. Die Frage, ob § 36 BauGB in der förmlichen Sanierung nachbarschützend sei, wenn im Bauantragsverfahren das Einvernehmen der Gemeinde nicht eingeholt worden und der Gemeinderat über die Einwendungen von Sanierungsbetroffenen nicht unterrichtet worden sei, beruht auf einem Sachverhalt, den das Berufungsgericht nicht festgestellt hat; schon deshalb kann sie eine Revisionszulassung nicht rechtfertigen. Die Frage bedürfte aber auch keiner Klärung in einem Revisionsverfahren. Denn § 36 Abs. 1 Satz 1 BauGB ist keine Schutznorm für die Bürger der Gemeinde, sondern nur für die Gemeinde selbst (BVerwG, Beschluß vom 30. Dezember 1991 – BVerwG 4 B 226.91 –, n.v.).

3. Keine rechtsgrundsätzliche Bedeutung hat die Frage, ob eine “Überfahrtslast aus dem Jahre 1835” wie eine Baulast nach gegenwärtigem Recht zu behandeln sei. Abgesehen davon, daß die Beschwerde auch hierzu umfangreich tatsächliche Umstände vorträgt, die das Berufungsgericht nicht festgestellt hat, läßt sich diese Frage nicht allgemeinverbindlich klären, sondern erfordert eine Würdigung aller Einzelheiten des gegebenen Sachverhalts; dies ist Aufgabe der Tatsachengerichte, nicht des Revisionsgerichts. Eine revisionsgerichtliche Klärung ist schließlich auch deshalb nicht möglich, weil die Frage kein revisibles Recht betrifft; ob die nach dem Vortrag des Klägers zu seinen Gunsten bestehende “Überfahrtslast” nicht als Grunddienstbarkeit, sondern rechtlich als Baulast einzuordnen ist, würde sich allenfalls aus den irrevisiblen Vorschriften der Landesbauordnung über die Baulast ergeben können.

4. Soweit die Beschwerde die grundsätzliche Bedeutung der Sache im Hinblick auf Art. 3 und Art. 14 GG geltend macht, ist sie unzulässig, weil sie sich in der Rechtsbehauptung erschöpft, hier seien Grundrechte des Klägers verletzt. Den Darlegungsanforderungen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO würde die Beschwerde nur dann genügen, wenn sie eine entscheidungserhebliche Frage von allgemeiner Bedeutung zur Auslegung der genannten Grundrechtsvorschriften aufwerfen würde; daran fehlt es.

5. Erfolglos bleiben müssen schließlich auch die Verfahrensrügen der Beschwerde. Auch sie bestehen im wesentlichen in einer bloßen Kritik an der berufungsgerichtlichen Entscheidung und genügen weitgehend nicht den Darlegungsanforderungen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO; jedenfalls liegen die geltend gemachten Verfahrensmängel nicht vor.

So ist den Ausführungen hinsichtlich der notwendigen Stellplätze nicht zu entnehmen, in welcher Weise das “Übersehen” der Nichteinhaltung der “Auflage Nr. 14” zur Rechtswidrigkeit der angefochtenen Baugenehmigungen geführt haben sollte. Im übrigen hat das Berufungsgericht eine Ortsbesichtigung durchgeführt und dabei nicht den Eindruck gewonnen, daß durch den Zu- und Abgangsverkehr sowie durch Ladevorgänge und “tagelanges Zuparken” eine unzumutbare Unruhe entstehe. Es wäre Sache des Klägers gewesen, spätestens im Rahmen der Ortsbesichtigung weitergehende konkrete Beweisanträge zu stellen; dies ist ausweislich des Protokolls nicht geschehen und wird auch von der Beschwerde nicht vorgetragen. In Wirklichkeit setzt die Beschwerde lediglich der Würdigung des Berufungsgerichts ihre eigene Wertung entgegen; ein Verfahrensfehler ergibt sich daraus nicht.

Mit ihren Ausführungen zum Bestandsschutz verkennt die Beschwerde, daß das Berufungsgericht keineswegs angenommen hat, daß das Haus Marktstraße 12a Bestandsschutz genieße. Indem es berücksichtigt hat, daß “an dieser Stelle bereits ein etwa gleich großes Gebäude stand” (Berufungsurteil, S. 9), hat es lediglich der Rechtsprechung Rechnung getragen, daß auch ein zum Zweck der Wiederbebauung beseitigter Altbestand die planungsrechtliche Situation im unbeplanten Innenbereich prägen kann (vgl. z.B. BVerwG, Urteil vom 19. September 1986 – BVerwG 4 C 15.84 – BVerwGE 75, 34). Im übrigen ist der Beschwerdebegründung nicht zu entnehmen, welcher Verfahrensfehler dem Berufungsgericht vorgehalten werden soll. Gerügt wird allein, daß das Gericht den Vortrag des Klägers hierzu nicht “gewürdigt” habe. Das Berufungsgericht hat aber auf der Grundlage seiner Augenscheinseinnahme ausgeführt, daß sich das in wesentlichen Teilen bereits errichtete Gebäude nicht als rücksichtslos gegenüber dem Kläger erweise. Eine Verpflichtung, auf jedes Argument des Klägers einzeln und ausführlich einzugehen, bestand für das Berufungsgericht nicht.

Die Rüge hinsichtlich der Abstandsfläche geht ins Leere; denn geltend gemacht wird nur, daß der Grenzabstand in der Örtlichkeit tatsächlich nicht eingehalten werde. Das Berufungsgericht hat jedoch – zu Recht – nur geprüft, ob die in der Baugenehmigung zugelassene Ausführung mit den Abstandsvorschriften vereinbar sei; Abweichungen von der Baugenehmigung sind nicht Gegenstand eines gegen die Baugenehmigung gerichteten Verfahrens.

Die Rüge, das Berufungsurteil sei ein unzulässiges Überraschungsurteil, weil der Kläger nicht darauf hingewiesen worden sei, daß sein Vortrag zur Flächenberechnung und Flächendarstellung unsubstantiiert sei, ist nicht nachvollziehbar. Denn dieser Hinweis erfolgte bereits in dem Beschluß des Verwaltungsgerichts vom 5. September 1994 im Eilverfahren 9 K 2114/94 (S. 8), auf den sich das Verwaltungsgericht und mittelbar auch das Berufungsgericht in ihren späteren Entscheidungen bezogen haben. Die Beschwerde macht nicht geltend, daß der Kläger seinen Vortrag nach Erlaß des Beschlusses vom 5. September 1994 präzisiert habe. Im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren kann dies nicht mehr nachgeholt werden.

Ebenso stellt das Berufungsurteil hinsichtlich der Wertung des Überfahrtsrechts keine Überraschungsentscheidung dar. Denn auch hierzu hatte das Verwaltungsgericht bereits in seinem Beschluß vom 5. September 1994 dieselbe Rechtsauffassung vertreten. Der Kläger mußte mit der Möglichkeit rechnen, daß sich auch das Berufungsgericht dieser Beurteilung anschließen werde; jedenfalls war es nicht verpflichtet, seine Rechtsauffassung schon vor seiner Entscheidung zu offenbaren.

Alle weiteren Rügen der Beschwerde richten sich sinngemäß allein gegen die rechtliche Würdigung durch das Berufungsgericht. Sie lassen nicht erkennen, welcher konkrete Verfahrensfehler dem Berufungsgericht vorgeworfen werden soll. Die Beschwerde verkennt, daß im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren keine umfassende Prüfung des Rechtsstreits erfolgen kann, sondern nur zu prüfen ist, ob ein in der Beschwerde im einzelnen genau benannter Rechtsfehler vorliegt. Ein solcher Fehler wird in der Beschwerde nicht hinreichend dargelegt.

6. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2, § 162 Abs. 3 VwGO. Den Wert des Streitgegenstandes setzt der Senat gemäß § 14 Abs. 1, § 13 Abs. 1 Satz 1 GKG fest.

 

Unterschriften

Gaentzsch, Lemmel, Rojahn

 

Fundstellen

DÖV 1997, 832

NuR 1999, 59

BRS 1997, 524

BRS 1998, 524

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