Entscheidungsstichwort (Thema)

Liturgisches Glockenläuten. Angelusläuten. Nachbarschutz. allgemeines Wohngebiet. Zumutbarkeit. Mittelungspegel. Wirkpegel. Einzelgeräusch

 

Leitsatz (amtlich)

– Liturgisches Glockengeläute (hier: dreimal tägliches Angelusläuten) stellt im herkömmlichen Rahmen regelmäßig keine erhebliche Belästigung, sondern eine zumutbare, sozialadäquate Einrichtung dar (wie BVerwGE 68, 62).

– Für die Frage der Zumutbarkeit des Angelusläutens ist in erster Linie auf die Lautstärke und Lästigkeit des Einzelgeräusches und damit auf den Wirkpegel abzustellen, während die Mittelwertbildung an Bedeutung zurücktritt.

 

Normenkette

BlmschG § 22; BauNVO § 4

 

Verfahrensgang

Niedersächsisches OVG (Urteil vom 13.05.1996; Aktenzeichen 6 L 1093/94)

VG Oldenburg (Entscheidung vom 11.01.1994; Aktenzeichen 4 A 1049/92)

 

Tenor

Die Besschwerde der Kläger gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 13. Mai 1996 wird zurückgewiesen.

Die Kläger tragen als Gesamtschuldner die Kosten des Beschwerdeverfahrens mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen, die diese selbst trägt.

Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 10 000 DM festgesetzt.

 

Tatbestand

I.

Die Kläger wenden sich gegen das dreimal tägliche (7.00 Uhr, 12.00 Uhr und 18.00 Uhr) Angelusläuten aus dem von ihrem Wohnhaus nur ca. 10 m entfernten Glockenturm der beigeladenen Kirchengemeinde. Sie haben beantragt, den Beklagten zu verpflichten, die der Beigeladenen für den Glockenturm erteilte Baugenehmigung um eine Auflage des Inhalts zu ergänzen, daß der Beigeladenen das Angelusläuten untersagt wird. Die Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen, weil es sich bei dem Glockenläuten um zumutbare Einwirkungen handle. Auch bei einer Überschreitung der Immissionsrichtwerte nach der TA-Lärm sei nicht ohne weiteres davon auszugehen, daß das Angelusläuten den üblichen Rahmen einer sozialadäquaten Einwirkung übersteige. Der vom Sachverständigen ermittelte Beurteilungspegel von 66,6 dB(A) und der gemessene Wirkpegel von 80,2 dB(A) seien nicht so hoch, daß sie die Annahme der Unzumutbarkeit rechtfertigen könnten.

 

Entscheidungsgründe

II.

Die auf § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO gestützte Beschwerde der Kläger gegen die Nichtzulassung der Revision ist unbegründet.

Die von den Klägern für grundsätzlich klärungsbedürftig bezeichnete Frage,

„ob die vom Angelusläuten ausgehenden Geräuschimmissionen auch dann noch als sozialadäquate Einwirkung und damit als objektiv zumutbare Belästigung angesehen werden können, wenn die nach der TA-Lärm bzw. nach der VDI-Richtlinie 2058 geltenden Immissionsrichtwerte und sogar die hiernach zulässigen Maximalpegel deutlich überschritten werden”,

rechtfertigt nicht die Zulassung der Revision. Die Fragestellung bezieht sich auf einen Sachverhalt, der so vom Berufungsgericht nicht festgestellt wurde; sie wäre deshalb für das erstrebte Revisionsverfahren nicht entscheidungserheblich (vgl. § 137 Abs. 2 VwGO).

Richtig ist zwar, daß der vom Sachverständigen ermittelte Beurteilungspegel (als Mittelungspegel) mit 66,6 dB(A) den nach den Richtlinien für allgemeine Wohngebiete genannten Richtwert von 55 dB(A) deutlich übersteigt. Entscheidend ist aber, daß der gemessene Wirkpegel des Einzelgeräusches mit 80,2 dB(A) den nach den Regelwerken tagsüber als tolerierbar angesehenen Maximalpegel für Einzelgeräusche in Höhe von 85 dB(A) unterschreitet; insoweit mißverstehen die Kläger das Berufungsurteil, wenn sie meinen, dort werde auch die deutliche Überschreitung der für kurzzeitige Geräuschspitzen zulässigen Maximalpegel als zumutbar angesehen. Für die Frage der Zumutbarkeit des nur dreimal täglichen Angelusläutens ist aber in erster Linie auf die Lautstärke und Lästigkeit des Einzelgeräusches und damit auf den Wirkpegel abzustellen, während die Mittelwertbildung hier an Bedeutung zurücktritt (vgl. Urteil vom 19. Januar 1989 – BVerwG 7 C 77.87BVerwGE 81, 197 ≪203 f.≫ – Sportplatz –; Urteil vom 30. April 1992 – BVerwG 7 C 25.91BVerwGE 90, 163 ≪166≫ – Kirchturmuhr –). Hält sich somit der Wirkpegel des Einzelgeräusches des Angelusläutens innerhalb des Rahmens, den die Regelwerke ganz allgemein für Einzelgeräusche in einem allgemeinen Wohngebiet als zumutbar ansehen, so führt die Überschreitung des Mittelungspegels, der hier ohnehin nur als „grober Anhalt” (vgl. Urteil vom 19. Januar 1989 a.a.O.) dienen kann, nicht zur Unzumutbarkeit; denn in die „Güterabwägung”, die bei der Beurteilung der Erheblichkeit von Lärm durchzuführen ist (vgl. z. B. auch Urteil vom 29. April 1988 – BVerwG 7 C 33.87BVerwGE 79, 254: Feueralarmsirene), ist auch der Gesichtspunkt einzustellen, daß das liturgische Glockengeläute im herkömmlichen Rahmen regelmäßig keine erhebliche Belästigung, sondern eine zumutbare, sozialadäquate Einwirkung darstellt (vgl. Urteil vom 7. Oktober 1983 – BVerwG 7 C 44.81BVerwGE 68, 62). Die Frage, von welchem Geräuschpegel an das Glockenläuten gleichwohl als unzumutbare erhebliche Belästigung anzusehen wäre, entzieht sich weitgehend einer abstrakten Beantwortung; jedenfalls bietet der vorliegende Fall keinen Anlaß, diese Frage in einem Revisionsverfahren einer über die bisherige Rechtsprechung hinausgehenden Klärung zuzuführen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2, § 159 Satz 2 und § 162 Abs. 3 VwGO, die Festsetzung des Streitwerts auf §§ 14, 13 Abs. 1 Satz 1 GKG.

 

Unterschriften

Gaentzsch, Hien, Heeren

 

Fundstellen

BRS 1996, 182

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