Verfahrensgang

Hessischer VGH (Urteil vom 23.01.1996; Aktenzeichen 9 UE 2209/93)

VG Frankfurt am Main (Gerichtsbescheid vom 23.06.1993; Aktenzeichen X/V E 2133/92)

 

Tenor

Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.

 

Tatbestand

I.

Die Verfassungsbeschwerde betrifft die Frage, ob es gegen Art. 3 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 6 Abs. 1 GG verstößt, daß die Hessischen Bestimmungen zur Förderung von Nachwuchswissenschaftlern eine Anrechnung des Einkommens der Ehefrau eines Stipendiaten auf die Förderung vorsehen.

  • Dem Beschwerdeführer war für eine beabsichtigte Promotion von der Beklagten des Ausgangsverfahrens, einer Universität, im Februar 1992 ein monatliches Stipendium von 1.200 DM nach dem Hessischen Gesetz zur Förderung von Nachwuchswissenschaftlern vom 11. Juli 1984 (GVBl I S. 189) in der Fassung des Änderungsgesetzes vom 28. August 1986 (GVBl I S. 253) und der dazugehörigen Durchführungsverordnung vom 18. August 1984 (GVBl I S. 229, im folgenden: DVO) bewilligt worden. Das Stipendium ist in mehrfacher Hinsicht vom Einkommen und vom Familienstand abhängig. Arbeitseinkommen bringt den Anspruch entweder ganz in Wegfall, wenn die hierfür aufgewandte Zeit mehr als 16 Stunden im Monat beträgt (§ 3 DVO). Bleibt die Arbeitszeit unter dieser Grenze, wird das hierdurch erzielte Arbeitsentgelt hingegen nicht berücksichtigt (§ 4 Abs. 1 DVO). Der Jahresfreibetrag, der für Ledige 15.000 DM und für Verheiratete 24.000 DM (§ 4 Abs. 2 DVO) beträgt, betrifft beim Stipendiaten also nur andere Einkünfte als solche aus abhängiger Beschäftigung. Die Anrechnung des die Freibeträge übersteigenden Jahreseinkommens erfolgt in der Weise, daß der übersteigende Teil durch 13 geteilt und der sich so ergebende Betrag vom Förderungshöchstbetrag abgezogen wird (§ 4 Abs. 2 Satz 3 DVO). Nach den hier anzuwendenden Anrechnungsregelungen entfällt die Förderung daher bei einem verheirateten Stipendiaten ohne Kinder, sofern das gemeinsame Jahreseinkommen 39.600 DM erreicht. Liegt bei verheirateten Stipendiaten das Einkommen des Ehegatten unter 15.000 DM jährlich, wird außerdem ein Familienzuschlag von monatlich 300 DM gewährt (§ 1 Abs. 2 DVO).

    Nach der Heirat des Beschwerdeführers im Juni 1992 hob die Beklagte den Bewilligungsbescheid wieder auf und forderte bereits gezahlte Beträge zurück, weil nach ihren Berechnungen die Ehefrau ein Jahresnettoeinkommen von mehr als 50.000 DM hatte.

  • Nach erfolglosem Widerspruch erhob der Beschwerdeführer Klage vor dem Verwaltungsgericht, die abgewiesen wurde. Die dagegen eingelegte Berufung wies der Hessische Verwaltungsgerichtshof zurück. Die gegen das Urteil beim Bundesverwaltungsgericht eingelegte Nichtzulassungsbeschwerde hatte keinen Erfolg.
 

Entscheidungsgründe

II.

Mit seiner Verfassungsbeschwerde wendet sich der Beschwerdeführer gegen die Entscheidungen des Verwaltungsgerichts und des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs. Er rügt eine Verletzung seiner Grundrechte aus Art. 6 Abs. 1 GG. Sinngemäß rügt er auch eine Verletzung von Art. 3 Abs. 1 GG. Er hält die Anrechnungsvorschriften der Durchführungsverordnung für verfassungswidrig, weil im Falle einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft das Einkommen des Partners unberücksichtigt bleibe. Das stelle eine Schlechterstellung der Ehe gegenüber der nichtehelichen Lebensgemeinschaft dar.

III.

Die Verfassungsbeschwerde ist nicht zur Entscheidung anzunehmen, weil die Annahmevoraussetzungen des § 93a Abs. 2 BVerfGG nicht vorliegen.

  • Der Verfassungsbeschwerde kommt keine grundsätzliche Bedeutung zu (§ 93a Abs. 2 Buchstabe a BVerfGG). Die mit der Verfassungsbeschwerde aufgeworfenen Fragen sind in der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung geklärt.

    Art. 3 Abs. 1 GG, der in diesem Fall Art. 6 Abs. 1 GG als Prüfungsmaßstab vorgeht (BVerfGE 28, 324 ≪346 f.≫ m.w.N.; 75, 348 ≪357≫), verlangt nach der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung, daß die rechtliche Unterscheidung in sachlichen Gründen eine ausreichende Stütze findet. Dabei ist es Sache des Gesetzgebers, zu entscheiden, welche Merkmale er als maßgebend für eine gleiche oder ungleiche Behandlung ansehen will (BVerfGE 83, 395 ≪401≫). Grenzen ergeben sich aus dem Willkürverbot, bei personenbezogenen Unterscheidungen weitergehend auch aus dem Verhältnismäßigkeitsprinzip. Die Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers wird allerdings durch Art. 6 Abs. 1 GG beschränkt. Nimmt der Gesetzgeber Differenzierungen vor, die zum Nachteil von Ehe und Familie wirken, so hat er den besonderen Schutz zu beachten, den der Staat nach Art. 6 Abs. 1 GG Ehe und Familie schuldet (BVerfGE 18, 257 ≪269≫; 67, 186 ≪195 f.≫; 75, 382 ≪393≫; 87, 1 ≪37≫). Danach dürfen Eheleute jedenfalls nicht deswegen schlechter als Ledige gestellt werden, nur weil sie verheiratet sind (BVerfGE 47, 1 ≪19≫; 69, 188 ≪205≫; 75, 361 ≪366≫).

    Unabhängig davon kann die eheliche Lebens- und Wirtschaftsgemeinschaft Anknüpfungspunkt für wirtschaftliche Rechtsfolgen sein, sofern dadurch die Ehe nicht diskriminiert wird (BVerfGE 75, 382 ≪393≫ m.w.N.). Aus der Natur des geregelten Lebensverhältnisses müssen sich nur einleuchtende Sachgründe für die Differenzierung zu Lasten Verheirateter ergeben (BVerfGE 28, 324 ≪347≫ m.w.N.). Die Differenzierung ist daher gerechtfertigt, wenn die Regelung ihren Grund in der durch die eheliche Lebens- und Wirtschaftsgemeinschaft gekennzeichneten besonderen Situation von Ehegatten hat und deren Berücksichtigung gerade in dem konkreten Sachverhalt den Gerechtigkeitsvorstellungen der Allgemeinheit entspricht (BVerfGE 75, 361 ≪366≫).

    Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist es daher grundsätzlich nicht zu beanstanden, wenn bei der Ermittlung des Bedarfs, welcher der Bemessung von Sozialleistungen zugrunde gelegt wird, Einkommen und Vermögen des Ehegatten – unter Zubilligung ausreichender Freibeträge – bedarfsmindernd berücksichtigt wird (BVerfGE 91, 389 ≪402≫ m.w.N.). Dabei ist allerdings eine Ungleichbehandlung von Alleinverdiener- und Doppelverdienerehen zu vermeiden (vgl. BVerfGE 87, 234 ≪258≫).

  • Die Annahme der Verfassungsbeschwerde ist auch nicht zur Durchsetzung der als verletzt bezeichneten Grundrechte angezeigt (§ 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG), denn sie hat keine hinreichende Aussicht auf Erfolg. Der Beschwerdeführer wird durch die angegriffenen Entscheidungen nicht in seinen Rechten aus Art. 3 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 6 Abs. 1 GG verletzt.

    Für einen Teilbereich der Promotionsförderung kann eine diskriminierende Behandlung der Ehe schon deshalb nicht festgestellt werden, weil bei verheirateten Stipendiaten das gemeinsame Jahreseinkommen bis 24.000 DM auf die Grundförderung nicht angerechnet wird. In diesen Fällen wird vielmehr der Unterhaltslast Rechnung getragen, weil der gemeinsame Anrechnungsfreibetrag um 9.000 DM erhöht ist und zusätzlich ein Familienzuschlag gewährt werden kann, wenn das Einkommen des Ehegatten 15.000 DM jährlich nicht übersteigt (§ 1 Abs. 2 Nr. 3, § 4 Abs. 2 DVO).

    Für den Bereich gemeinsamer Einkünfte oberhalb von 24.000 DM können sich die Anrechnungsregelungen allerdings zu Lasten verheirateter Stipendiaten auswirken. Das gilt insbesondere, wenn der Stipendiat als Lediger neben zulässigem Arbeitsentgelt noch etwa 15.000 DM Zusatzeinkünfte hat und der Ehepartner ein Jahreseinkommen von etwas mehr als 9.000 DM bezieht. Dann reduziert sich bereits das im Höchstfall jährlich 14.400 DM ausmachende Stipendium, obwohl es höher als das hinzutretende Einkommen ist und ersichtlich vom Ehegatten auch kein Unterhalt geleistet werden kann, weil der Partner nicht einmal sein eigenes Existenzminimum mit diesem Betrag sicherstellt. Insoweit könnte gegen das Gebot realitätsgerecht typisierter Unterhaltsleistungen verstoßen worden sein (vgl. BVerfGE 66, 214 ≪223≫; 87, 234 ≪261≫). Gemessen an Art. 3 Abs. 1 GG ist auch nicht unmittelbar einsichtig, warum ein 15.000 DM übersteigendes Einkommen des Ehegatten den Familienzuschlag von jährlich 3.600 DM völlig entfallen läßt, während im umgekehrten Fall (Einkommen des Stipendiaten zum Beispiel 15.200 DM und des Ehegatten 8.900 DM) der Zuschlag verbleibt. Auch insoweit bestehen Zweifel, ob die Differenzierung zwischen Verheirateten je nach der Einkommensverteilung noch mit einer am Gerechtigkeitsgedanken orientierten Betrachtungsweise vereinbar ist. Für diesen Bereich sind die mit der Verfassungsbeschwerde geltend gemachten Bedenken mithin nicht von der Hand zu weisen. Zudem könnte die Regelung insoweit auch – entgegen Art. 3 Abs. 2 GG – in die freie Entscheidung der Eheleute über ihre Aufgabenverteilung in der Ehe eingreifen (vgl. BVerfGE 87, 234 ≪258 f.≫).

    Im vorliegenden Fall kann eine Grundrechtsverletzung jedoch nicht festgestellt werden. Denn das Jahreseinkommen der Ehefrau des Beschwerdeführers betrug im Bewilligungszeitraum 51.749 DM netto. Es erreichte damit eine Höhe, bei der Unterhalt in der Regel geleistet werden kann und nach bürgerlichem Recht auch geschuldet wird, wenn zwischen den Eheleuten bei Eingehung der Ehe Einigkeit über die Fortsetzung eines bereits eingeschlagenen Ausbildungsweges besteht (vgl. BGH, FamRZ 1985, S. 353 ≪353 f.≫; OLG Stuttgart, FamRZ 1983, S. 1030 ≪1032≫; Diederichsen, in: Palandt, Bürgerliches Gesetzbuch, Kommentar, 56. Aufl., 1997, § 1360a Rn. 3; Wacke, in: Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, 3. Aufl., 1993, Band 7, § 1360a Rn. 8; Hübner, in: Staudinger, Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, 12. Aufl., 1993, Viertes Buch, Familienrecht, § 1360 a Rn. 25; a.A. Heckelmann, in: Ermann, Handkommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, 9. Aufl., 1993, 2. Band, § 1360a Rn. 4 m.w.N.).

    Im übrigen wird von einer Begründung abgesehen.

    Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

 

Unterschriften

Kühling, Jaeger, Steiner

 

Fundstellen

Haufe-Index 1276097

FamRZ 1998, 893

NVwZ 1998, 726

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