Verfahrensgang

OVG für das Land NRW (Beschluss vom 30.08.2007; Aktenzeichen 4 B 1954/06)

OVG für das Land NRW (Beschluss vom 22.08.2006; Aktenzeichen 4 B 853/06)

VG Düsseldorf (Beschluss vom 22.05.2006; Aktenzeichen 3 L 781/06)

 

Tenor

Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.

 

Tatbestand

Die Verfassungsbeschwerde betrifft die – unter Verweis auf die Übergangszeitregelung des Sportwetten-Urteils des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG, Urteil des Ersten Senats vom 28. März 2006 – 1 BvR 1054/01 –, BVerfGE 115, 276 ≪319≫) im Verfahren nach § 80 Abs. 7 VwGO fachgerichtlich bestätigte – sofortige Vollziehung einer ordnungsrechtlichen Verfügung, mit der die Vermittlung von Sportwetten untersagt wird.

I.

1. Die Beschwerdeführerin ist eine gewerbliche Vermittlerin von Sportwetten mit festen Gewinnquoten. Sie vermittelt in ihren Geschäftslokalen insbesondere Wetten der Sportwetten GmbH in Gera, die aufgrund einer nach dem Gewerbegesetz der Deutschen Demokratischen Republik vom 6. März 1990 (GBl I S. 138) erteilten Erlaubnis gewerbliche Sportwetten anbietet.

Mit Ordnungsverfügung vom 6. April 2004 untersagte die Stadt Moers der Beschwerdeführerin diese Geschäftstätigkeit für das in Moers befindliche Geschäftslokal und ordnete die sofortige Vollziehung der Untersagungsverfügung an. Den dagegen gestellten Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung des gegen die Untersagung eingelegten Widerspruchs lehnten das Verwaltungs- und das Oberverwaltungsgericht mit den im Verfassungsbeschwerdeverfahren 1 BvR 2677/04 (vgl. BVerfGK 9, 8) angegriffenen Beschlüssen ab.

Infolge des Sportwetten-Urteils (BVerfGE 115, 276) stellte die Beschwerdeführerin im April 2006 einen Abänderungsantrag gemäß § 80 Abs. 7 Satz 2 VwGO, mit dem sie erneut, nunmehr aber unter Verweis auf die dortige Übergangszeitregelung, die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung des noch anhängigen Hauptsacherechtsbehelfs begehrte. Dies lehnten das Verwaltungs- und das Oberverwaltungsgericht mit den im vorliegenden Verfahren angegriffenen Eilbeschlüssen ab. Die gegen den Eilbeschluss des Oberverwaltungsgerichts vom 22. August 2006 erhobene Anhörungsrüge wies dieses mit Beschluss vom 30. August 2007 zurück.

2. Mit ihrer Verfassungsbeschwerde rügt die Beschwerdeführerin eine Verletzung ihrer Rechte aus Art. 2 Abs. 1, Art. 3 Abs. 1, Art. 12 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 19 Abs. 3, Art. 19 Abs. 4, Art. 103 Abs. 1 sowie Art. 103 Abs. 2 GG.

3. Der im Rahmen des vorliegenden Verfassungsbeschwerdeverfahrens gestellte Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wurde abgelehnt (BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 28. September 2006, BVerfGK 9, 291).

 

Entscheidungsgründe

II.

Die Verfassungsbeschwerde ist nicht zur Entscheidung anzunehmen. Zur Annahme führende Gründe (§ 93a Abs. 2 BVerfGG) liegen nicht mehr vor.

1. Der Verfassungsbeschwerde kommt keine grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung im Sinne von § 93a Abs. 2 Buchstabe a BVerfGG zu. Sie wirft keine verfassungsrechtlichen Fragen auf, die sich nicht ohne weiteres aus dem Grundgesetz beantworten lassen oder die noch nicht durch die verfassungsgerichtliche Rechtsprechung geklärt sind (vgl. BVerfGE 90, 22 ≪24 f.≫).

Dies gilt neben den verfassungsrechtlichen Anforderungen, die gemäß Art. 19 Abs. 4 GG an einen effektiven – einstweiligen – verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutz zu stellen sind, auch hinsichtlich der Frage der Vereinbarkeit von Beschränkungen der Veranstaltung und Vermittlung von Sportwetten mit Art. 12 Abs. 1 GG sowie insbesondere im Hinblick auf die verfassungsrechtlichen Anforderungen an das übergangsweise Aufrechterhalten eines – nach seiner rechtlichen und tatsächlichen Ausgestaltung defizitären – staatlichen Wettmonopols.

Das Bundesverfassungsgericht hat im Sportwetten-Urteil des Ersten Senats vom 28. März 2006 – 1 BvR 1054/01 – (BVerfGE 115, 276) anhand der damals in Bayern geltenden Rechtslage entschieden, dass das gewerbliche Veranstalten von Wetten und das Vermitteln von Wetten, die nicht vom Freistaat Bayern veranstaltet werden, trotz der Unvereinbarkeit der gesetzlichen und tatsächlichen Ausgestaltung des Wettmonopols mit Art. 12 Abs. 1 GG während der Übergangszeit bis zur Neuregelung des Bereichs der Sportwetten als verboten angesehen und ordnungsrechtlich unterbunden werden dürfen, wenn der Freistaat Bayern in dem von ihm zu verantwortenden Wettangebot unverzüglich ein Mindestmaß an Konsistenz zwischen dem Ziel der Begrenzung der Wettleidenschaft und der Bekämpfung der Wettsucht einerseits und der tatsächlichen Ausübung seines Monopols andererseits herstellt und er im Hinblick auf ein beabsichtigtes Festhalten am Wettmonopol dadurch schon während der Übergangszeit damit beginnt, die zur Unzumutbarkeit des Ausschlusses der privaten Anbieter führenden Umstände in wesentlichen Punkten abzustellen (vgl. BVerfGE 115, 276 ≪319≫).

Diesen Bedingungen für eine verfassungsrechtlich zu rechtfertigende Auslegung und Anwendung von § 284 StGB als ein die Veranstaltung und Vermittlung von Sportwetten umfassendes Repressivverbot und dessen ordnungsrechtliche Durchsetzung hat die 2. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch Beschluss vom 22. November 2007 – 1 BvR 2218/06 – (NVwZ 2008, S. 301), auf dessen ausführliche Gründe insoweit Bezug genommen wird, ergänzend präzisiert: Nur wenn und soweit das geforderte Mindestmaß an Konsistenz tatsächlich hergestellt ist, entspricht die Auslegung von § 284 StGB als Vermittlungsverbot schon einstweilen den verfassungsrechtlichen Rechtfertigungsanforderungen und kann eine ordnungsrechtliche Untersagungsverfügung, die allein mit einem – objektiven – Verstoß gegen § 284 StGB, nicht aber (auch) mit anderen Gefahren für ordnungsrechtliche Schutzgüter begründet ist, als verfassungsmäßig beurteilt werden. Ist dies der Fall, so ergibt sich aus dem Vermittlungsverbot auch unabhängig von einer Strafbarkeit zugleich ein besonderes öffentliches Interesse an der sofortigen Vollziehung (vgl. bereits BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 4. Juli 2006 – 1 BvR 138/05 –, BVerfGK 8, 343 ≪348≫).

Die verfassungsrechtlichen Aussagen sind – wovon insbesondere das Oberverwaltungsgericht im angegriffenen Beschluss vom 22. August 2006 zutreffend ausgeht – auf die Rechtslage in Nordrhein-Westfalen übertragbar (vgl. dazu bereits BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 2. August 2006 – 1 BvR 2677/04 –, BVerfGK 9, 8 ≪9≫).

2. Zur Durchsetzung der von der Beschwerdeführerin als verletzt gerügten Rechte ist die Annahme der Verfassungsbeschwerde nicht mehr angezeigt (§ 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG).

a) Soweit die mit der Verfassungsbeschwerde in der Sache geltend gemachte Beschwer, namentlich die sofortige Vollziehbarkeit der gegenüber der Beschwerdeführerin ergangenen Untersagungsverfügung, in die Zeit ab dem 1. Januar 2008 fällt, entspricht die Verfassungsbeschwerde nicht mehr dem Grundsatz der Subsidiarität, der grundsätzlich eine Ausschöpfung sämtlicher Möglichkeiten fachgerichtlicher Abhilfe verlangt (zum Grundsatz der Subsidiarität vgl. BVerfGE 107, 395 ≪414≫).

Angesichts der durch den Staatsvertrag zum Glücksspielwesen in Deutschland (vgl. GV NRW 2007 S. 454) in Verbindung mit dem Gesetz des Landes Nordrhein-Westfalen zum Staatsvertrag zum Glücksspielwesen in Deutschland vom 30. Oktober 2007 (GV NRW S. 445) erfolgten Änderung der Rechtslage ist die Beschwerdeführerin insoweit auf die Möglichkeit eines Abänderungsantrags gemäß § 80 Abs. 7 Satz 2 VwGO zu verweisen (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 10. November 2008 – 1 BvR 2783/06 –, zur Veröffentlichung in BVerfGK vorgesehen, dort zur identischen Situation in Rheinland-Pfalz; vgl. grundlegend bereits BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 4. Juli 2006 – 1 BvR 138/05 –, BVerfGK 8, 343, dort zur Auslösung erneuter Subsidiarität durch die Übergangszeitregelung des Sportwetten-Urteils, BVerfGE 115, 276).

b) Soweit die Verfassungsbeschwerde sich gegen die während der Zeit bis zum 31. Dezember 2007 – also während der Übergangszeit bis zu einer gesetzlichen Neuregelung des Bereichs der Sportwetten – gegebene sofortige Vollziehbarkeit wendet, hat sich diese in zeitlicher Hinsicht erledigt (vgl. dazu BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 10. November 2008 – 1 BvR 2783/06 –).

Unabhängig davon, ob und inwieweit die Beschwerdeführerin infolge der sofort vollziehbaren Untersagung ihre Geschäftstätigkeit in dem betreffenden Geschäftslokal tatsächlich eingestellt hat und ihr dadurch ein etwaiger realer Nachteil entstanden ist (zur Nichtannahme mangels realen Nachteils vgl. BVerfGK 8, 343), könnte selbst eine etwaige verfassungsgerichtliche Aufhebung der angegriffenen Entscheidungen an einem etwaigen Vollzug der Untersagung in der Zeit bis zum 31. Dezember 2007 faktisch nichts mehr ändern. Eine tatsächlich effektive Rechtsdurchsetzung wäre daher sowohl im Hinblick auf die Gewährleistung effektiven Rechtsschutzes nach Art. 19 Abs. 4 GG, als auch im Hinblick auf die nach Art. 12 Abs. 1 GG gewährleistete Berufsfreiheit und die im Übrigen von der Beschwerdeführerin als verletzt gerügten Verfassungsrechte rückwirkend nicht mehr möglich. Dies gilt nicht zuletzt auch in Bezug auf die gerügte Verletzung des Rechts auf Gewährung rechtlichen Gehörs durch den Beschluss des Oberverwaltungsgerichts vom 22. August 2006. Umstände, die eine Annahme der Verfassungsbeschwerde insoweit dennoch gebieten würden, liegen insbesondere unter dem Gesichtspunkt eines besonders schweren Nachteils nicht vor.

Die Frage, ob die schon einstweilen erfolgte Einstellung der Geschäftstätigkeit im Ergebnis der materiellen Rechtslage entsprach, bemisst sich ausschließlich nach der Verfassungsmäßigkeit der gegenüber der Beschwerdeführerin ergangenen Untersagungsverfügung, die Gegenstand des – soweit erkennbar – noch anhängigen Hauptsacherechtsbehelfs und vorrangig dort – sowie gegebenenfalls im Rahmen einer an die dortigen fachgerichtlichen Entscheidungen anschließenden Verfassungsbeschwerde – zu klären ist. Dies gilt auch im Hinblick auf eine – für die Beschwerdeführerin günstige – etwaige bundesweite Legalisierungswirkung der bei der Sportwetten GmbH in Gera vorliegenden Erlaubnis nach dem Gewerbegesetz der Deutschen Demokratischen Republik (vgl. insoweit bereits BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 20. Dezember 2006 – 1 BvR 271/05 –, zur Veröffentlichung in BVerfGK vorgesehen).

Im Rahmen der Hauptsache wird es für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Untersagungsverfügung während der so genannten Übergangszeit maßgeblich auf die tatsächlich wirksame Umgestaltung des – nordrhein-westfälischen – staatlichen Wettangebots in dem vom Sportwetten-Urteil (BVerfGE 115, 276) genannten Umfang, namentlich also auf eine tatsächliche Herstellung eines Mindestmaßes an Konsistenz an der Schnittstelle zu den – potenziellen – Wettkunden ankommen, die nicht allein aus den vom Innenministerium des Landes Nordrhein-Westfalen gegenüber der Westdeutschen Lotterie GmbH & Co. OHG und auch nicht ohne weiteres aus deren den Stand der Umsetzung betreffenden Bericht an das Ministerium vom 6. Juni 2006 geschlossen werden kann (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 10. November 2008 – 1 BvR 2783/06 –). Einer verfassungsgerichtlichen Klärung, ob und inwieweit vor allem die vom Oberverwaltungsgericht im Ausgangsverfahren vorgenommene (nur) summarische Prüfung den verfassungsrechtlichen Vorgaben des Sportwetten-Urteils (BVerfGE 115, 276) für die Übergangszeit gerecht wird, bedarf es aus den zuvor genannten Gründen nicht mehr.

3. Von einer weiteren Begründung wird gemäß § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.

III.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

 

Unterschriften

Papier, Bryde, Schluckebier

 

Fundstellen

Dokument-Index HI2148334

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