Entscheidungsstichwort (Thema)

Besitzrecht des Mieters an der gemieteten Wohnung als Eigentum iSd GG Art. 14 Abs. 1 S. 1. kein Verstoß gegen GG Art. 13 Abs. 1 durch Kündigung eines Mietverhältnisses

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Das Besitzrecht des Mieters an der gemieteten Wohnung ist Eigentum im Sinne von Art 14 Abs 1 Satz 1 GG.

2. Art 13 Abs 1 GG ist ebenso wie andere Grundrechte bei der Auslegung und Anwendung zivilrechtlicher Vorschriften zu beachten. Sein Schutzbereich wird jedoch in Räumungsprozessen des Vermieters gegen den Mieter nicht berührt.

 

Orientierungssatz

1. Zu Ls 1: Angesichts der Funktion der Eigentumsgarantie, dem einzelnen einen Freiraum im vermögensrechtlichen Bereich zu erhalten und die eigenverantwortliche Gestaltung seines Lebens zu ermöglichen, fallen alle vermögenswerten Rechte, die der Inhaber aufgrund der Rechtsordnung zu seinem privaten Nutzen ausüben darf, in den Schutzbereich des GG Art 14 (vgl BVerfG, 1991-01-09, 1 BvR 929/89, BVerfGE 83, 201 ≪208≫). In Übereinstimmung mit diesem Grundsatz und unter Zugrundelegung der faktischen Bedeutung der Wohnung für die Befriedigung der elementaren Lebensbedürfnisse des Großteils der Bevölkerung erfüllt das Besitzrecht des Mieters - insbesonders im Hinblick auf dessen Abwehrrechte iSd BGB §§ 862 Abs 1, 858 Abs 1, 861 Abs 1, 823 Abs 1 - Funktionen, wie sie typischerweise dem Sacheigentum zukommen.

2. Aus der Qualifizierung des aus einem Wohnmietvertrag zugunsten des Mieters erwachsenden Besitzrechts als Eigentum iSd GG Art 14 Abs 1 S 1 kann eine bestimmte Ausgestaltung des Mietrechts nicht abgeleitet werden, so daß im Konflikt der durch die Verfassung geschützten Eigentumspositionen des Vermieters und des Mieters das Bestandsinteresse des Mieters nicht zwangsläufig vorgeht. Vielmehr ist es Aufgabe des Gesetzgebers, die Befugnisse von Mieter und Vermieter unter Berücksichtigung des Umstandes, daß die Eigentumsgarantie ihre freiheitssichernde Wirkung in beide Richtungen entfaltet, im Rahmen des Mietrechts zuzuordnen und abzugrenzen.

3. Bei Auslegung des BGB § 564b Abs 1 und Abs 2 Nr 2 durch die Mietgerichte muß hinsichtlich der Eigenbedarfskündigung des Vermieters dessen Erlangungswunsch auf seine Ernsthaftigkeit, Vernünftigkeit und Nachvollziehbarkeit geprüft (vgl BverfG 1989-02-14, 1 BvR 308/88, BVerfGE 79, 292 ≪305≫) und gegen das verfassungsrechtlich geschützte Bestandsinteresse des Mieters abgewogen werden. Ferner sind Bedeutung und Tragweite des zugunsten des Mieters wirkenden Bestandsinteresses namentlich bei der Prüfung der Anwendbarkeit der Härtefallregelung des BGB § 556a BGB zu berücksichtigen.

4. Zu Ls 2: Da einerseits die Kündigung eines Mietverhältnisses die Privatheit der Wohnung als Schutzgut des GG Art 13 Abs 1 nicht berührt, andererseits das Besitzrecht an der gemieteten Wohnung nicht in den Schutzbereich dieser Grundrechtsverbürgung fällt, verstößt weder eine gerichtlich für wirksam befundene Kündigung noch ein darauf gestütztes Räumungsurteil gegen den Grundsatz der Unverletzlichkeit der Wohnung.

 

Normenkette

GG Art. 14 Abs. 1 Sätze 1-2, Art. 13 Abs. 1; BGB § 564b Abs. 1, 2 Nr. 2, §§ 556a, 862 Abs. 1, § 858 Abs. 1, § 861 Abs. 1, § 823 Abs. 1

 

Verfahrensgang

LG Essen (Entscheidung vom 02.12.1992; Aktenzeichen 10 S 351/92)

AG Essen (Urteil vom 03.07.1992; Aktenzeichen 25 C 376/91)

 

Fundstellen

Haufe-Index 543660

BVerfGE, 1

NJW 1993, 2035

EuGRZ 1993, 411

JuS 1993, 961

MDR 1993, 728

DVBl. 1993, 1001

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