Verfahrensgang

LG Kiel (Beschluss vom 26.01.1998; Aktenzeichen 37 Qs 18/98)

AG Kiel (Beschluss vom 22.12.1997; Aktenzeichen 41 Ls 586/97)

 

Tenor

Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.

Dem Beschwerdeführer wird eine Mißbrauchsgebühr in Höhe von 500 DM (in Worten: fünfhundert Deutsche Mark) auferlegt.

 

Gründe

I.

Der Beschwerdeführer ist Rechtsanwalt. Wegen des Tatvorwurfs der Untreue in Tateinheit mit versuchtem Betrug erhob die Staatsanwaltschaft am 3. November 1997 Anklage gegen den Beschwerdeführer. Mit seiner Verfassungsbeschwerde wendet er sich gegen die Bestellung und die Auswahl eines Pflichtverteidigers durch das Amtsgericht und gegen die Verwerfung seiner hiergegen gerichteten Beschwerde durch das Landgericht. Durch die angegriffenen Entscheidungen sieht er sich in seinen Grundrechten auf rechtliches Gehör und auf ein faires Verfahren verletzt. Zur Begründung trägt er vor:

Mit Schreiben des Amtsgerichts vom 20. November 1997 sei er aufgefordert worden, einen Verteidiger zu benennen. Aus dem Erklärungsinhalt des Schreibens folge, daß damit ein Wahlverteidiger gemeint gewesen sei. Nur für den Fall der Nichtbenennung sei die gerichtliche Beiordnung angedroht worden. Tatsächlich habe der Beschwerdeführer aber einen Verteidiger, nämlich sich selbst, benannt. Dies sei “rechtlich durchaus zulässig und nirgends verboten”. Wenn das Gericht trotzdem meine, einen Pflichtverteidiger bestellen zu müssen, hätte es zur Wahrung der Grundrechte des Beschwerdeführers unbedingt eines weiteren Hinweises bedurft. Dies sei nicht geschehen. Vielmehr habe das Gericht aus “heiterem Himmel”; den benannten Pflichtverteidiger beigeordnet. Die Beschwerdeentscheidung des Landgerichts sei “schlicht willkürlich”, weil es zur Durchführung einer fairen Hauptverhandlung geboten gewesen sei, daß der Beschwerdeführer von einem Pflichtverteidiger seines Vertrauens vertreten werde.

II.

Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung an, weil ein Annahmegrund im Sinne des § 93a Abs. 2 BVerfGG nicht vorliegt. Die Verfassungsbeschwerde ist bereits nicht zulässig erhoben worden. Der Rügevortrag des Beschwerdeführers entspricht in mehrfacher Hinsicht nicht den Mindestanforderungen an eine substantiierte Begründung nach Maßgabe der §§ 23 Abs. 1 Satz 2, 1. Halbsatz, 92 BVerfGG:

1. Soweit sich die Verfassungsbeschwerde gegen die Pflichtverteidigerbestellung als solche richtet, ist sie offensichtlich unzulässig, weil der Beschwerdeführer durch sie als Angeschuldigter im Strafverfahren nicht beschwert ist.

Die Vorschriften der Strafprozeßordnung über die notwendige Mitwirkung und die Bestellung eines Verteidigers im Strafverfahren stellen sich als einfachrechtliche Konkretisierungen im Rahmen des Gewährleistungsgehalts des Rechtsstaatsprinzips des Grundgesetzes dar, insbesondere unter dem Gesichtspunkt der Gewährleistung eines fairen, rechtsstaatlichen Verfahrens (stRspr; vgl. z.B. BVerfGE 46, 202 ≪210≫). Mit dem Institut der notwendigen Verteidigung und mit der Bestellung eines Verteidigers ohne Rücksicht auf die Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Angeschuldigten sichert der Gesetzgeber damit das Interesse, das der Rechtsstaat an einem prozeßordnungsgemäßen Strafverfahren und zu diesem Zweck nicht zuletzt an einer effektiven Verteidigung des Beschuldigten hat (stRspr; vgl. z.B. BVerfGE 39, 238 ≪242≫; 65, 171 ≪174≫ und 68, 237 ≪254≫, jeweils m.w.N.). Die durch die Beiordnung eines Pflichtverteidigers bewirkte Stärkung der Stellung des Angeschuldigten im Strafverfahren wird auch in einem Fall nicht in Frage gestellt, in dem der Angeschuldigte – wie hier – selbst rechtskundig ist und zu dem nach § 138 Abs. 1 StPO zu Verteidigern wählbaren Personenkreis gehört.

Der gesetzgeberischen Zielsetzung der §§ 140 ff. StPO entspricht in konsequenter Weise, daß eine Anfechtung der Pflichtverteidigerbestellung nach herrschender Auffassung schon einfachrechtlich regelmäßig mangels Beschwer ausscheiden wird (vgl. Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO, 43. Aufl., § 141 Rn. 9; Laufhütte in: Karlsruher Kommentar, StPO, 3. Aufl., § 141 Rn. 12; Dünnebier in: Löwe/Rosenberg, StPO, 23. Aufl., § 141 Rn. 45 und Müller in: KMR, StPO, § 141 Rn. 10, jeweils m.w.N.).

2. Auch soweit sich der Beschwerdeführer gegen die Auswahl des beigeordneten Rechtsanwalts nach § 142 StPO wendet, entspricht sein Rügevortrag ersichtlich nicht den Substantiierungsanforderungen der §§ 23 Abs. 1 Satz 2, 1. Halbsatz, 92 BVerfGG. Insbesondere fehlt für den gerügten Gehörsverstoß (Art. 103 Abs. 1 GG) angesichts des prozeßordnungsgemäß durchgeführten Verfahrens jeglicher Anhalt. Die Argumentation des Beschwerdeführers läßt schon die (entfernte) Möglichkeit nicht erkennen, er könne in den von ihm in Anspruch genommenen Grundrechten beeinträchtigt sein. Denn Gründe, die die konkrete Auswahl des bestellten Verteidigers als ermessensfehlerhaft oder gar willkürlich erscheinen lassen könnten, werden vom Beschwerdeführer neben der pauschalen Behauptung, es handele sich nicht um einen Pflichtverteidiger seines Vertrauens, nicht vorgetragen. Dem Vorbringen der Verfassungsbeschwerde läßt sich auch nicht entnehmen, daß der bestellte Verteidiger nicht gewillt oder in der Lage wäre, die Belange des Beschwerdeführers im Strafverfahren wirksam wahrzunehmen.

Nach Ablauf der Einlegungsfrist für die Verfassungsbeschwerde sind die aufgezeigten Begründungsmängel nicht mehr zu beheben (vgl. z.B. BVerfGE 28, 17 ≪19≫).

3. Die Verfassungsbeschwerde wäre im übrigen ersichtlich unbegründet. Denn der in einem Strafverfahren beschuldigte Rechtsanwalt kann in eigener Sache weder sein Wahlverteidiger sein, noch kann er in Fällen notwendiger Verteidigung zu seinem eigenen Pflichtverteidiger bestellt werden. Dies folgt schon aus dem miteinander unvereinbaren Status des Verteidigers einerseits und der Stellung des Beschuldigten im Strafverfahren andererseits (vgl. neben BVerfGE 53, 207 ≪214 f.≫ etwa Kleinknecht/Meyer-Goßner, a.a.O., § 138 Rn. 6 und Laufhütte in: Karlsruher Kommentar, a.a.O., § 138 Rn. 3, jeweils m.w.N.).

Für eine sonst willkürliche Rechtsanwendung oder einen Verstoß gegen das aus dem Rechtsstaatsprinzip in Verbindung mit dem allgemeinen Freiheitsrecht aus Art. 2 Abs. 1 GG abgeleiteten allgemeinen Prozeßgrundrecht auf ein faires Verfahren ist nichts ersichtlich.

III.

Dem Beschwerdeführer ist eine Mißbrauchsgebühr gemäß § 34 Abs. 2 BVerfGG in der als angemessen erscheinenden Höhe von 500,- DM aufzuerlegen, weil die Einlegung der offensichtlich unzulässigen, in der Sache zudem substanzlosen Verfassungsbeschwerde als mißbräuchlich anzusehen ist.

Aufgabe des Bundesverfassungsgerichts ist es, grundsätzliche Verfassungsfragen zu entscheiden, die für das Staatsleben, die Allgemeinheit und insbesondere die Grundrechtsverwirklichung des Einzelnen von Bedeutung sind; es ist jedoch nicht gehalten hinzunehmen, daß es in der Erfüllung dieser Aufgabe durch – wie hier – an gravierenden Zulässigkeitsmängeln leidende Verfassungsbeschwerden behindert wird und dadurch anderen Bürgern nur mit erheblicher Verzögerung in deren Angelegenheiten Grundrechtsschutz zu gewähren vermag (stRspr; vgl. z.B. BVerfG, Beschluß der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 16. Dezember 1991 – 2 BvR 1608/91 –, NJW 1992, S. 1952 f.; Beschluß der 1. Kammer des Ersten Senats vom 5. August 1994 – 1 BvR 1259/94 –, NJW 1995, S. 1418 f. und Beschluß der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 29. Mai 1996 – 2 BvR 725/96 –, NJW 1996, S. 2785). Dem Beschwerdeführer – selbst Rechtsanwalt – war zuzumuten, vor Einlegung der Verfassungsbeschwerde deren wesentliche Zulässigkeitsvoraussetzungen nach den einschlägigen Vorschriften zur Kenntnis zu nehmen.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

 

Unterschriften

Limbach, Kruis, Winter

 

Fundstellen

Haufe-Index 1276499

NJW 1998, 2205

NStZ 1998, 363

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