Verfahrensgang

BVerwG (Beschluss vom 08.05.1987; Aktenzeichen 5 B 139.85)

Bayerischer VGH (Urteil vom 25.07.1985; Aktenzeichen 13A 83 A. 2083)

 

Tenor

Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.

 

Tatbestand

I.

Die Verfassungsbeschwerde betrifft Flurbereinigungsrecht.

  • Die Beschwerdeführerin wendet sich gegen die ihr im Flurbereinigungsplan zugeteilte Landabfindung. Sie hat in das Flurbereinigungsverfahren insgesamt 65 Grundstücke eingebracht und ist mit 15 Ausgleichsgrundstücken abgefunden worden. Im Ausgangsverfahren machte die Beschwerdeführerin vor allem geltend, daß die Ersatzgrundstücke eine ungünstigere Lage hätten als die eingebrachten Grundstücke. Sie seien erheblich weiter vom Ort entfernt als ihre bisherigen Grundstücke, was zu einer beträchtlichen Werteinbuße führe. Demgegenüber vertraten die Flurbereinigungsbehörde und die Teilnehmergemeinschaft die Ansicht, daß die Entfernungsdifferenz teils unberücksichtigt bleiben könne und teils durch Zuteilung von 2.660 Wertverhältniszahlen ausgeglichen sei.
  • Das Flurbereinigungsgericht wies die Klage der Beschwerdeführerin als unbegründet ab. Aufgrund eines Ortstermins und einer Nachberechnung kam es zu dem Ergebnis, daß sich die durchschnittliche Entfernung der Grundstücke um 260 m vergrößert habe. Dabei handele es sich allerdings um kein metrisches, sondern um ein betriebswirtschaftliches Problem. Maßgeblich für den Wertnachteil einer größeren Durchschnittsentfernung sei der Einfluß auf die landwirtschaftlichen Betriebskosten. Ein Ausgleich könne für die größere Durchschnittsentfernung nur verlangt werden, wenn für die Bestellung der Grundstücke mehr Zeit und ein höherer Betriebsaufwand benötigt würden. Im vorliegenden Fall seien die meisten Ersatzgrundstücke aber auf einer im Vergleich zu früher kürzeren nicht ausgebauten Strecke erreichbar. Bei den reinen Maschinentransportfahrten werde somit eine Zeit- und Aufwandsersparnis erzielt. Lediglich die Lastentransportfahrten müßten auf den längeren ausgebauten Wegen durchgeführt werden. Da mehr Maschinentransportfahrten als Lastentransportfahrten durchgeführt würden, entstünden bei der Bewirtschaftung der Ersatzgrundstücke im Durchschnitt keine Mehrkosten. Das Flurbereinigungsgericht ließ die Revision nicht zu. Das Bundesverwaltungsgericht wies die Nichtzulassungsbeschwerde zurück.
  • Mit ihrer Verfassungsbeschwerde rügt die Beschwerdeführerin eine Verletzung ihres Eigentumsgrundrechts.

    a) Die Fachgerichte hätten bei der Auslegung des § 44 Abs. 4 FlurbG Bedeutung und Tragweite der Eigentumsgarantie verkannt. Aus dem Wortlaut der Vorschrift ergebe sich eindeutig, daß die Entfernung der Ersatzgrundstücke der Entfernung der Einlagegrundstücke entsprechen solle. Ein Abweichen von dieser Soll-Vorschrift sei nur in Ausnahmefällen möglich. Die Fachgerichte hätten sich aber nicht einmal darum bemüht, einen solchen Ausnahmefall zu begründen. Der gesetzlichen Regelung liege die Vorstellung zugrunde, daß die Entfernung vom Ort im Grundstücksverkehr für den Verkehrswert eine entscheidende Rolle spiele. Daher sei es verfehlt, allein auf die landwirtschaftlichen Betriebskosten abzustellen.

    b) Die Verwaltungsgerichte hätten auch bei der Bemessung der Abfindung im Rahmen des § 44 Abs. 1 FlurbG die Bedeutung des Art. 14 Abs. 1 GG verkannt. Die zugeteilten Abfindungsgrundstücke hätten nicht den gleichen Verkehrswert wie die Einlagegrundstücke. Unter Vorlage eines Sachverständigengutachtens rechnet die Beschwerdeführerin vor, daß zwischen ihren Einlage- und Abfindungsgrundstücken ein Verkehrswertunterschied von 263.200 DM bestehe. Die Eigentumsgarantie gebiete es aber, daß den Teilnehmern einer Flurbereinigung stets der Verkehrswert ihrer Grundstücke erhalten bleibe. Dies gelte unabhängig davon, ob man die Flurbereinigung als Umwandlung bestehender Rechte im Rahmen des Art. 14 Abs. 1 GG ansehe oder als Enteignung. Richtigerweise müsse die Flurbereinigung als Enteignung angesehen werden, die nach Art. 14 Abs. 3 GG nur gegen vollen Verkehrswertausgleich zulässig sei.

 

Entscheidungsgründe

II.

Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung an, da die Annahmevoraussetzungen des § 93a BVerfGG nicht vorliegen.(Diese Annahmekriterien gelten auch für vor 1993 eingegangene, aber noch nicht erledigte Verfahren (Art. 8 des Fünften Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über das Bundesverfassungsgericht vom 2. August 1993, BGBl I S. 1442).)

  • Die Verfassungsbeschwerde hat keine grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung. Im vorliegenden Fall kommt es nicht auf die Frage an, ob die Regelflurbereinigung entsprechend der fachgerichtlichen Rechtsprechung (BVerwGE 1, 225 ≪226 ff.≫; 85, 129 ≪133 f.≫; BGHZ 27, 15 ≪16 f.≫; 86, 226 ≪230 f.≫) eine Inhalts- und Schrankenbestimmung des Eigentums darstellt oder – wie die Beschwerdeführerin meint – als Enteignung anzusehen ist. Das Bundesverfassungsgericht hat die Frage nach der Rechtsnatur der Regelflurbereinigung im Boxberg-Urteil (BVerfGE 74, 264 ≪279≫) offengelassen. Sie bedarf auch im vorliegenden Fall keiner Klärung, weil die Rechtsnatur der Flurbereinigung für Art und Umfang der von der Beschwerdeführerin angefochtenen Landabfindung keine Bedeutung hat.

    Sieht man das Wesen der Flurbereinigung darin, daß sie eine primär im privaten Interesse der Beteiligten durchgeführte Umwandlung der Eigentumsverhältnisse darstellt, dann ist im Rahmen dieser Inhalts- und Schrankenbestimmung des Eigentums für eine Aufopferung privater Interessen zugunsten öffentlicher Zwecke kein Raum. Vielmehr folgt dann unmittelbar aus Art. 14 Abs. 1 GG, daß die eingebrachten Grundstücke mit den Abfindungsgrundstücken wertgleich sein müssen. Auch das Bundesverwaltungsgericht hat dies als obersten Grundsatz des Umlegungsverfahrens angesehen (BVerwGE 3, 246 ≪249≫). Da die landwirtschaftlichen Produktionsbedingungen verbessert werden sollen, kann bei einer Umwandlung reinen Ackerlandes konsequenterweise nur der landwirtschaftliche Nutzwert maßgeblich sein. Nichts anderes gilt, wenn man die Flurbereinigung als Enteignungsmaßnahme ansieht, in der dem Beteiligten aufgrund des Allgemeininteresses an einer Verbesserung der landwirtschaftlichen Produktionsbedingungen und eines Ausbaus der allgemeinen Landeskultur und Landentwicklung (§ 1 FlurbG) Grund und Boden entzogen wird. Dann stellt die in den §§ 44 Abs. 1, 28 Abs. 1 FlurbG vorgesehene, am landwirtschaftlichen Nutzwert orientierte wertgleiche Abfindung in Land die gesetzlich vorgeschriebene Entschädigung im Sinne von Art. 14 Abs. 3 GG dar. Eine andere oder weitergehende Entschädigung kann von Verfassungs wegen nicht verlangt werden. Denn Art. 14 Abs. 3 GG verpflichtet den Gesetzgeber weder zu einer Entschädigung in Geld noch zu einer starren, allein am Marktwert orientierten Entschädigung in Land (vgl. BVerfGE 24, 367 ≪421≫; 46, 268 ≪285≫). Vielmehr kann er Land durch Land abfinden und bei rein landwirtschaftlichen Flächen auf deren objektiven Bodennutzungswert abstellen.

  • Die Annahme der Verfassungsbeschwerde ist auch nicht zur Durchsetzung des Grundrechts der Beschwerdeführerin aus Art. 14 Abs. 1 GG angezeigt. Denn die Verwaltungsgerichte haben bei der Auslegung der §§ 44, 28 FlurbG das Eigentumsrecht der Beschwerdeführerin nicht verletzt. Die Anwendung und Auslegung dieser Vorschriften des einfachen Rechts ist grundsätzlich Aufgabe der dafür allgemein zuständigen Gerichte und einer verfassungsgerichtlichen Prüfung weitgehend entzogen (BVerfGE 18, 85 ≪92 f.≫). Eine Verletzung der verfassungsrechtlichen Eigentumsgarantie könnte nur festgestellt werden, wenn die Verwaltungsgerichte bei der Bemessung des Abfindungsumfangs nach §§ 44 Abs. 1, 28 FlurbG oder bei der konkreten Ausgestaltung der Abfindung im Rahmen des § 44 Abs. 4 FlurbG Bedeutung und Tragweite der Eigentumsgarantie verkannt hätten.

    a) Die Verwaltungsgerichte haben bei der Bemessung des Abfindungsumfangs im Rahmen des § 44 Abs. 1 FlurbG nicht die Bedeutung der Eigentumsgarantie verkannt. Sie haben sich in verfassungsrechtlich unbedenklicher Weise von den Gedanken leiten lassen, daß rein landwirtschaftliche Grundstücke gemäß den §§ 28, 44 Abs. 1 FlurbG nach ihrem Bodennutzungswert wertgleich sein müssen. Auf einen eventuell höheren Verkehrswert mußten sie aus verfassungsrechtlicher Sicht nicht abstellen. Die Fachgerichte haben ferner berücksichtigt, daß Entfernungsunterschiede bei landwirtschaftlichen Grundstücken den Grundsatz der Wertgleichheit in Frage stellen und daher auf ihre betriebswirtschaftlichen Auswirkungen untersucht werden müssen. Von Verfassungs wegen ist nicht zu beanstanden, wenn die Verwaltungsgerichte bei Anwendung dieser Grundsätze im vorliegenden Fall zu dem Ergebnis gekommen sind, daß aufgrund der doppelten Erschließung der Ersatzgrundstücke über kurze Feldwege und längere ausgebaute Wege kein erheblicher Bewirtschaftungsnachteil eingetreten ist. Darin liegt auch keine gleichheitswidrige Verrechnung spezieller Lagenachteile mit allgemeinen Flurbereinigungsvorteilen, weil die Ersatzgrundstücke nach den Feststellungen der Verwaltungsgerichte eine überdurchschnittlich gute Erschließung und einen überdurchschnittlich hohen Zusammenlegungsgrad aufweisen.

    b) Die Eigentumsgarantie zwingt die Flurbereinigungsgerichte auch nicht dazu, § 44 Abs. 4 FlurbG im Sinne eines strikten Regel-Ausnahme-Verhältnisses auszulegen und regelmäßig eine gleichbleibende durchschnittliche Entfernung zu fordern. Entgegen der Ansicht der Beschwerdeführerin dient die Soll-Vorschrift des § 44 Abs. 4 FlurbG nicht dazu, den Beteiligten den Verkehrswert ortsnaher Grundstücke zu erhalten. Vielmehr verfolgt sie den Zweck, eine Verschlechterung der Arbeits- und Produktionsbedingungen der beteiligten Landwirte zu verhindern. Dies geht schon daraus hervor, daß die Norm an erster Stelle auf die Entfernung zum Wirtschaftshof abstellt und daß sie ausdrücklich einer großzügigen Flächenzusammenlegung den Vorrang vor einer gleichbleibenden Entfernung einräumt. Die Norm ermöglicht es daher den Flurbereinigungsbehörden, ihr Planungsermessen in Richtung auf eine stärkere Flächenzusammenlegung zu betätigen. Verfassungsrechtlich kann es auch nicht zweifelhaft sein, daß eine Flächenzusammenlegung Vorrang vor den Entsprechungsgeboten genießt, wenn sie in stärkerem Maße der Verbesserung der Arbeits- und Produktionsbedingungen der Landwirtschaft dient. Denn dieses Hauptanliegen der Flurbereinigung (vgl. § 1 FlurbG) genießt Vorrang vor dem Erhalt des “status quo”, gleich, ob man die Verbesserung der landwirtschaftlichen Arbeits- und Produktionsbedingungen verfassungsrechtlich als Umwandlungs- oder Enteignungszweck qualifiziert.

    Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

 

Unterschriften

Papier, Grimm, Haas

 

Fundstellen

Haufe-Index 1276253

NVwZ 1999, 62

NuR 1999, 208

UPR 1998, 446

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