Zusammenfassung

Für den freiwilligen Rückzug eines Unternehmens von der Börse ist weder ein Hauptversammlungsbeschluss noch ein Barabfindungsangebot an die Aktionäre erforderlich.

Hintergrund

Die Antragsgegnerin, eine börsennotierte Aktiengesellschaft, gab mit einer Ad-Hoc-Meldung den vom Vorstand mit Zustimmung des Aufsichtsrats beschlossenen Wechsel vom regulierten Markt der Berliner Wertpapierbörse in das Premiumsegment Entry Standard des Freiverkehrs (Open Market) der Frankfurter Wertpapierbörse bekannt. Nach Wirksamwerden dieses sog. "Downlistings" beantragten die Aktionäre die Durchführung eines Spruchverfahrens zur Festsetzung einer angemessenen Barabfindung. Landgericht und Oberlandesgericht wiesen die Anträge als unzulässig ab.

BGH, Beschluss v. 8.10.2013, II ZB 26/12

Auch die Rechtsbeschwerden beim BGH blieben erfolglos. Ein Barabfindungsangebot an die Minderheitsaktionäre sei nicht erforderlich. Dies gelte nicht nur beim Downlisting, sondern auch bei einem vollständigen Rückzug von der Börse (Delisting). Die Verkehrsfähigkeit der Aktien aufgrund der Börsennotierung sei eine schlichte Ertrags- und Handelschance und habe keinen geschützten Wert. Die Aktionäre hätten bis zum Wirksamwerden eines bei der Börse beantragten Delistings ausreichend Zeit, ihre Aktien über die Börse zu verkaufen. Auch eines Hauptversammlungsbeschlusses bedürfe es nicht. Das Delisting sei eine bloße Geschäftsführungsmaßnahme und könne allein vom Vorstand, ggf. mit Zustimmung des Aufsichtsrats, beschlossen werden.

Änderung der Rechtsprechung

Änderung der Rechtsprechung Damit hat der BGH überraschend seine seit 2002 geltende "Macrotron"-Rechtsprechung aufgegeben. Seinerzeit ging er davon aus, dass das Delisting wegen der damit verbundenen Beeinträchtigung der Verkehrsfähigkeit der Aktien das in Art. 14 Grundgesetz geschützte Eigentumsrecht des Aktionärs beeinträchtigt. Ein vollständiger Rückzug aus dem regulierten Markt sollte deshalb nur möglich sein, wenn die Hauptversammlung das Delisting beschließt, die Gesellschaft oder ihr Großaktionär den Minderheitsaktionären ein Angebot zum Erwerb ihrer Aktien gegen Barabfindung unterbreitet und die Angemessenheit der Abfindung im Spruchverfahren gerichtlich überprüft werden kann.

Dem hatte das Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung vom 11.7.2012 widersprochen und klargestellt, dass der freiwillige Rückzug eines Unternehmens vom regulierten Markt den Schutzbereich des Eigentumsrechts eines Aktionärs nicht berührt. Die Pflicht zur Unterbreitung eines Barabfindungsangebots sei verfassungsrechtlich nicht geboten. Gleichwohl hatte das Gericht die Rechtsprechung des BGH als zulässige Rechtsfortbildung bestätigt und den Zivilgerichten die Prüfung überlassen, ob die bislang geltende Rechtsprechung Bestand haben kann. Auf die verfassungsrechtlichen Rahmenbedingungen hingewiesen hat der BGH nun mit einer Kehrtwende seine bisherige Rechtsprechung aufgegeben.

Anmerkung

Der Verzicht auf einen Hauptversammlungsbeschluss und ein Barabfindungsangebot macht das Delisting künftig einfacher. Für einen Rückzug aus dem regulierten Markt an der Frankfurter Wertpapierbörse genügt nun ein Antrag des Vorstands auf Widerruf der Börsenzulassung. Dem Anlegerschutz wird genüge getan, wenn die Aktionäre bis zur Wirksamkeit des Widerrufs ausreichend Zeit haben, ihre Aktien zu veräußern. Hierfür sieht die Frankfurter Börsenordnung eine Frist von in der Regel sechs Monaten vor. Gleiches gilt, teilweise mit anderen Fristen, für die Regionalbörsen München und Stuttgart.

Insbesondere der Wegfall der Abfindungspflicht macht es für viele Unternehmen attraktiver, mit einem Börsenrückzug den kosten- und verwaltungstechnischen Aufwand einer Börsennotierung zu reduzieren. Allerdings ist die Rechnung nicht ohne einen Blick in die Börsenordnungen zu machen. Diese regeln den Anlegerschutz künftig allein. Und hier wartet nach der BGH-Entscheidung durchaus eine Überraschung: Gegenwärtig sehen die Börsenordnungen der Regionalbörsen Hamburg, Hannover und Berlin bei einem vollständigen Börsenrückzug zum Schutz der Anleger vor, dass ein Angebot zum Erwerb der Aktien zu unterbreiten ist. Die Börse Düsseldorf erwartet neben dem Kaufangebot sogar einen Hauptversammlungsbeschluss über das Delisting. Hier wird die Entscheidung des BGH zunächst noch keine großen Auswirkungen haben. Allerdings ist davon auszugehen, dass es nur eine Frage der Zeit sein sollte, bis diese Börsenordnungen an die geänderte Rechtsprechung des BGH angepasst werden.

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