Entscheidungsstichwort (Thema)

Krankenversicherungsbeiträge. Erstattung. Freistellung. Zuschuß. freiwillige Krankenversicherung. Sonderversorgung. Sonder-Invalidenrente. Beiträge. Zahlbetragsgarantie. Eigentum. Gleichbehandlung. Rechtssicherheit. Vertrauensschutz. Sozialstaat

 

Leitsatz (amtlich)

  • Sonderversorgungsrentner waren nur bis Ende 1990 weiterhin beitragsfrei krankenversichert.
  • Seit 1.1.1991 waren sie grundsätzlich freiwillig krankenversichert mit Austrittsrecht, frühestens seit dem 1.1.1992 mögliche Pflichtmitglieder der Krankenversicherung der Rentner.
  • Sonderversorgungsrentner haben keinen Anspruch auf Erstattung oder Freistellung von freiwilligen oder pflichtigen Krankenversicherungsbeiträgen, die sie nach Beitragsrecht selbst tragen müssen.
  • Die Begrenzung des Beitragszuschusses im Jahre 1991 auf Sonderversorgungsrentner mit niedrigen und in die gesetzliche Rentenversicherung überführbaren Renten ist verfassungsgemäß.
 

Normenkette

AAÜG § 12; EinigVtr Anlage I Kap VIII G II Nr. 1; EinigVtr Anlage I Kap XIX B II Nr. 2 § 6; EinigVtr Anlage II Kap VIII F III, G III, H III Nr. 9; GG Art. 3, 14, 20; SozPflVV § 8

 

Verfahrensgang

SG Frankfurt (Oder) (Urteil vom 26.02.1993; Aktenzeichen S 1 An 12/93)

 

Tenor

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt/Oder vom 26. Februar 1993 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten auch des Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.

 

Tatbestand

I

Streitig ist, ob die beklagte Bundesrepublik Deutschland dem Kläger Krankenversicherungsbeiträge, die er seit dem 1. Januar 1991 an die Allgemeine Ortskrankenkasse (AOK-Frankfurt/Oder – jetzt: AOK für das Land Brandenburg) gezahlt hat, erstatten und ihm in Zukunft einen Zuschuß in Höhe der von ihm zu tragenden Krankenversicherungsbeiträge gewähren muß.

Der im Juni 1929 geborene Kläger wurde mit dem 30. November 1989 als Oberstleutnant der Grenztruppen der “Nationalen Volksarmee” (NVA) aus dem aktiven Dienst entlassen. Das Wehrbereichskommando Frankfurt/Oder der NVA gewährte ihm mit Bescheid vom 8. Dezember 1989 ab 1. Dezember 1989 gemäß einer Entscheidung des Ministers für “Nationale Verteidigung” vom 21. Juni 1989 als Sonderregelung iS der – unveröffentlichten – Grundsatzentscheidung vom 21. November 1987 zur – unveröffentlichten – Ordnung-Nr 005/9/003 über die soziale Versorgung der Angehörigen der NVA (Versorgungsordnung – VersO, vom 1. September 1982) eine Invalidenrente wegen Entlassung aus dem aktiven Dienst nach Vollendung des 60. Lebensjahres. Diese Versorgungsleistung betrug zunächst monatlich 1.785,00 M, seit Januar 1992 1.888,98 DM, seit Juli 1992 2.009,21 DM und ab Januar 1993 2.010,00 DM. Sie wird inzwischen von der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA) im Auftrag der Beklagten ausgezahlt. Zwischen dem Kläger und der AOK besteht seit dem 1. Januar 1991 ein freiwilliges Krankenversicherungsverhältnis, aufgrund dessen er Beiträge in Höhe von anfänglich monatlich 204,51 DM trägt und zahlt. Eine Austrittserklärung iS von § 309 Abs 2 Satz 2 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) hat der Kläger nicht abgegeben.

Die Beklagte lehnte seinen Antrag ab, ihm die bislang verauslagten Krankenversicherungsbeiträge zu erstatten und ihm zukünftig einen Zuschuß zur Sonder-Invalidenrente in Höhe dieser Beiträge zu zahlen und ihm auf diesem Wege einen kostenfreien Krankenversicherungsschutz zu gewährleisten (Bescheid vom 19. Dezember 1991; Widerspruchsbescheid vom 12. Februar 1992). Die BfA gewährt dem Kläger ab 1. Juli 1994 einen Vorschuß auf die Rente wegen Alters iS der §§ 35 ff des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch (SGB VI). Seither wird nach Angabe des Klägers die Krankenversicherung der Rentner durchgeführt, wenn auch bisher nur auf vorläufiger Grundlage.

Das Sozialgericht (SG) Frankfurt/Oder hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 26. Februar 1993). Es ist folgender Ansicht: Der Rechtsweg zu den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit sei gemäß § 17 des Gesetzes zur Überführung der Ansprüche und Anwartschaften aus Zusatz- und Sonderversorgungssystemen des Beitrittsgebiets (Anspruchs- und Anwartschaftsüberführungsgesetz – AAÜG) eröffnet. Der Kläger begehre aus der VersO zusätzlich zu seiner Versorgungsleistung die wirtschaftliche Freistellung von den Kosten seiner Krankenversicherung. Dieses Thema sei in § 12 AAÜG geregelt worden. Ein Zuschuß nach dieser Vorschrift stehe ihm aber nicht zu. Er gehöre nicht zu den dort genannten Leistungsempfängern, weil die ihm gewährte Versorgungsleistung keine in die Rentenversicherung überführte Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit, sondern eine Invalidenrente bei Erreichen besonderer Altersgrenzen iS von § 9 Abs 1 Nr 1 Buchst c AAÜG sei. § 12 AAÜG könne mangels planwidriger Regelungslücke auch nicht entsprechend angewandt werden. Außerdem stünde dem Kläger sogar bei Anwendung dieser Vorschrift wegen Überschreitens der Anrechnungsgrenzen kein Anspruch zu. Hieran ändere die Bindungswirkung des Bescheides der NVA vom 8. Dezember 1989 nichts. Dort sei nur als Hinweis mitgeteilt worden, daß Empfänger einer Rente aus der VersO Anspruch auf die Gewährung von Sachleistungen durch die Sozialversicherung der Arbeiter und Angestellten hätten. Diese Rechtslage verstoße weder gegen den Einigungsvertrag (EV) noch gegen das Grundgesetz (GG). Die sog Zahlbetragsgarantie in Kapitel VIII Sachgebiet H Abschnitt III Nr 9 Buchst b Satz 4 und 5 sei nur auf Ansprüche und Anwartschaften aus der VersO auf Leistungen wegen verminderter Erwerbsfähigkeit, Alter und Tod anwendbar, gemäß EV Nr 9 Buchst e Satz 2 Halbsatz 2 aaO aber gerade nicht für die von ihm bezogene Versorgungsleistung. Die Eigentumsgarantie des Art 14 Abs 1 Satz 1 GG sei nicht verletzt, weil der Kläger nie einen eigentumsgeschützten Anspruch auf “kostenfreie” Krankenversicherung gehabt habe. Das Gleichbehandlungsgebot des Art 3 Abs 1 GG sei nicht verletzt, weil der Gesetzgeber sachliche Gründe für die Ausgestaltung des § 12 AAÜG gehabt habe (schonender Übergang, Rechtskontinuität, soziales Schutzbedürfnis). Ein Anspruch auf Gleichbehandlung mit heilfürsorgeberechtigten Beamten bestehe nicht. Vertrauensschutzgesichtspunkte seien angesichts der Rechtsentwicklung seit der Demokratisierung der DDR nicht beeinträchtigt; ein nachträglicher Eingriff des Gesetzgebers in von ihm gewährte Rechtspositionen liege nicht vor.

Zur Begründung der – vom SG zugelassenen (Sprung-) – Revision rügt der Kläger eine Verletzung der Zahlbetragsgarantie des EV Nr 9 Buchst b, der Eigentumsgarantie des Art 14 Abs 1 GG, des Gleichheitsgrundsatzes des Art 3 Abs 1 GG und des rechtsstaatlichen Verbotes der Kollektivbestrafung. Zwar sei er kein Empfänger einer Invalidenvollrente, die nach § 4 Abs 2 AAÜG in die Rentenversicherung überführt worden sei, sondern Bezieher einer gemäß § 9 Abs 1 AAÜG nicht überführten Rente. Er gehöre daher nicht zu den in § 12 AAÜG genannten Leistungsempfängern. Es liege jedoch im AAÜG eine Regelungslücke vor. Denn nach EV Anlage I Kapitel XIX Sachgebiet B Abschnitt II Nr 2 § 6 gelten für die Versorgungsbezüge der Soldaten der NVA die Regelungen der Anlage II Kapitel VIII Sachgebiet H Abschnitt III Nr 9 (EV Nr 9). Nach diesen Vorschriften seien die leistungsrechtlichen Regelungen der VersO bis zur Überführung in die Rentenversicherung weiter anzuwenden. Da die Ansprüche des Klägers noch nicht in die Rentenversicherung überführt worden seien und es vor Beginn des Rentenalters auch nicht werden könnten, habe er nach dem EV Nr 9 Anspruch darauf, so gestellt zu werden, wie er bei Weitergeltung der VersO iVm der Sozialversicherungsordnung der DDR im Blick auf den Krankenversicherungsschutz gestanden hätte. Dann aber hätte er keine wirtschaftliche Belastung durch Aufwendungen für Leistungen im Krankheitsfall und auch keine Beitragslasten gehabt. Die Verweigerung der Übernahme des kostenfreien Krankenversicherungsschutzes stelle einen unzulässigen Eingriff in die vom Kläger in 41 Dienstjahren erworbene Rechtsposition dar, die den Schutz der Eigentumsgarantie genieße. Im übrigen hätten auch die Angehörigen der NVA Beiträge zur Sozialversicherung geleistet. Eigentlich hätte § 309 Abs 2 SGB V in seinem Fall nicht angewendet werden dürfen, weil er mit Ablauf des 31. Dezember 1990 aus keiner “Versicherungspflicht” ausgeschieden sei. Er stelle aber, da ihm der vom Bund geschuldete kostenfreie Krankenversicherungsschutz vorenthalten werde, nicht in Frage, daß er Mitglied der AOK und ihr gegenüber beitragspflichtig sei. Die Versagung kostenfreier Krankenversicherung verstoße auch gegen den Gleichheitssatz. Die anderen Angehörigen der Sonderversorgungssysteme erhielten entweder in der gesetzlichen Rentenversicherung oder nach § 12 AAÜG einen Zuschuß zur Krankenversicherung; nur der Kläger und der ihm gleichgestellte Personenkreis müsse seinen Schutz für den Krankheitsfall selbst finanzieren. Diese Differenzierung könne nicht mit einer angeblichen “Regimenähe” gerechtfertigt werden. Als Berufssoldat sei er Angehöriger einer Berufsgruppe gewesen, die es in jedem Staate gebe, als Stabsoffizier habe er keine politischen Privilegien genossen. Die in der Versagung kostenfreien Krankenschutzes liegende Kollektivbestrafung sei auch rechtsstaatlich unzulässig.

Der Kläger beantragt,

  • das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt/Oder vom 26. Februar 1993 sowie den Bescheid der Beklagten vom 19. Dezember 1991 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12. Februar 1992 aufzuheben,
  • die Beklagte zu verurteilen, ihm die an die AOK Frankfurt/Oder ab 1. Januar 1991 bisher gezahlten Beiträge zur Krankenversicherung zu erstatten und ihm zukünftig zu seinen Versorgungsbezügen einen Zuschuß in Höhe der von ihm zu zahlenden Krankenversicherungsbeiträge zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Sie hält das Urteil des SG für zutreffend. Sie weist ergänzend darauf hin, daß Berufs- und Zeitsoldaten der ehemaligen NVA keine Beiträge zur Sozialversicherung, also auch nicht zur allgemeinen Krankenversicherung zu entrichten hatten. Die sog Pflichtbeiträge der Berufs- und Zeitsoldaten der NVA aufgrund der VersO der NVA seien im Rahmen des (Teil-)Haushalts der NVA verwendet, also gerade weder dem allgemeinen Staatshaushalt noch der allgemeinen Sozialversicherung zugeführt worden.

 

Entscheidungsgründe

II

Die zulässige (Sprung-)Revision des Klägers ist unbegründet. Das SG hat zutreffend entschieden, daß die streitigen Verwaltungsentscheidungen rechtmäßig sind. Die – auch im Blick auf zukünftig wiederkehrende Leistungen – zulässige Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs 4 des Sozialgerichtsgesetzes ≪SGG≫) ist unbegründet, weil der Kläger keinen Anspruch hat, von der Beklagten Erstattung der von ihm verauslagten freiwilligen Krankenversicherungsbeiträge und künftig einen Zuschuß zu seiner Versorgungsrente in Höhe seiner Krankenversicherungsbeiträge zu verlangen.

1. Der Kläger stellt mit der Revision nicht mehr in Frage, daß § 12 AAÜG ihm keine Grundlage für den streitigen Anspruch gibt. Das SG hat in Ergebnis und Begründung zutreffend dargelegt, daß er als Bezieher einer in die gesetzliche Rentenversicherung nicht überführten Sonder-Invalidenrente weder unter den persönlichen Geltungsbereich dieser Vorschrift fällt noch – deren Geltung für und Anwendbarkeit auf ihn unterstellt – einen Beitragszuschuß wegen Überschreitens der Anrechnungsgrenzen beanspruchen kann.

2. Das SG hat auch richtig erkannt, daß das AAÜG hinsichtlich des Krankenversicherungsschutzes der Bezieher einer Rente aus einem Sonderversorgungssystem der ehemaligen DDR nicht planwidrig lückenhaft ist, sondern sich in die Vorgaben des EV einpaßt. Eine ausdehnende Auslegung oder entsprechende Anwendung der Vorschrift scheidet daher aus:

Der EV ließ für die sonderversorgungsberechtigten Rentner einen “kostenfreien”, dh von anderen zu bezahlenden Anspruch auf die Sachleistungen der Sozialversicherung (iS von § 8 der Verordnung zur Sozialpflichtversicherung der Arbeiter und Angestellten ≪SVO≫, vom 17. November 1977 ≪GBl I Nr 35 S 373≫, zuletzt idF der Verordnung vom 28. Juni 1990 ≪GBl I Nr 38 S 509≫) nur noch bis zum Ablauf des 31. Dezember 1990 zu. Denn nach Maßgabe von EV Anlage I Kap VIII G II Nr 1 trat im Beitrittsgebiet am 1. Januar 1991 als Bundesrecht das SGB V in Kraft, das grundsätzlich nur einen aus Mitgliedschaftsbeiträgen finanzierten Krankenversicherungsschutz kennt. Bis dahin konnte nach den bislang geltenden Regelungen verfahren werden.

Obwohl die weitere Anwendung der den Schutz bei Krankheit regelnden Bestimmungen der VersO, die ua auf die SVO verweisen, in EV Anlage II Kap VIII F und G jeweils III (Sozialversicherung – Allgemeine Vorschriften; Krankenversicherung – Gesundheitliche Versorgung) nicht ausdrücklich angeordnet (und damit grundsätzlich ausgeschlossen) ist, konnte der Kläger bis Ende 1990 “kostenfreien” Krankenversicherungsschutz nach § 8 SVO genießen. In EV Anlage II Kap VIII H III Nr 9 (EV Nr 9) Buchst a ist nämlich speziell für die versicherungs- und beitragsrechtlichen Regelungen ua der Sonderversorgungssysteme angeordnet, daß sie (“bis zur Schließung”) weiter anzuwenden sind, soweit sich aus dem EV nichts anderes ergibt. Daher war der Kläger bis Ende 1990 beitragsfrei “versicherungspflichtig” (iS des EV) und ab 1. Januar 1991 gemäß EV Anlage I Kap VIII G II Nr 1, dort § 309 Abs 2 SGB V, bei der AOK freiwillig versichert.

Anderes ergibt sich – entgegen der Revision – nicht daraus, daß für die Versorgungsbezüge der Soldaten der ehemaligen NVA, die mit dem Wirksamwerden des Beitritts Soldaten der Bundeswehr geworden sind, ebenfalls grundsätzlich die Regelungen von EV Nr 9 gelten (gemäß EV Anlage I Kap X B II Nr 2 § 6 Abs 1 Satz 1). Denn EV Nr 9 Buchst a enthält auch hinsichtlich des Schutzes bei Krankheit nur eine gegenüber den sachbereichsspezifischen Bestimmungen des EV zum Krankenversicherungsschutz nachrangige Regelung. Daher bedarf keiner Ausführung, daß der Kläger seit Dezember 1989 kein Soldat der ehemaligen NVA mehr war und somit vom persönlichen Geltungsbereich von EV Anlage I Kap XIX B II Nr 2 § 6 Abs 1 Satz 1 nicht erfaßt wird.

Somit stand dem Kläger aufgrund des EV nur noch bis Ende 1990 “kostenfrei” ein Recht auf Sachleistungen der Sozialversicherung zu.

3. Als Anspruchsgrundlage kommt demnach allenfalls der allgemeine öffentlichrechtliche Erstattungsanspruch in Betracht. Dessen Voraussetzungen liegen aber schon deswegen nicht vor, weil aufgrund der Zahlung der Krankenversicherungsbeiträge und der Belastung mit der Beitragspflicht keine rechtsgrundlose Vermögensverschiebung, insbesondere keine zugunsten der Beklagten eingetreten ist. Der Kläger hat nämlich – wie ausgeführt – aufgrund eines freiwilligen Krankenversicherungsverhältnisses eigene Beitragsschulden beglichen und zu tilgen.

4. Für einen allgemeinen Anspruch gegen die Beklagte, ihn von Aufwendungen für seine Krankenversicherung im wirtschaftlichen Ergebnis freizustellen, gibt es hingegen keine Anspruchsgrundlage:

Der Kläger muß vielmehr – wie jeder Versorgungsempfänger im Bundesgebiet, der nicht sozialhilfebedürftig ist – im Rahmen der für alle geltenden Gesetze Beiträge zur Krankenversicherung tragen. Das AAÜG regelt seit dem Zeitpunkt seines Inkrafttretens am 1. August 1991 abschließend, ob und ggf welche Ansprüche aus den früheren Zusatz- oder Sonderversorgungssystemen ab wann durch Leistungen der gesetzlichen Rentenversicherung oder durch im AAÜG benannte Leistungen der Versorgungsträger als Funktionsnachfolger ersetzt werden. Ein Recht auf “kostenfreie”, dh durch andere zu bezahlende Krankenbehandlung für Versorgungsempfänger kennt das AAÜG nicht. Es geht vielmehr von dem Grundsatz aus, daß auch Versorgungsempfänger aus dem in den Sonderversorgungssystemen erfaßten Staatsdienst der DDR, die keine Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung beziehen, wie alle anderen krankenversicherten Versorgungsempfänger aus dem Bereich des öffentlichen Dienstes behandelt werden sollen. Diese müssen – was keiner Darlegung bedarf – Krankenversicherungsbeiträge selbst tragen; dies gilt auch, wenn sie freiwilliges Mitglied einer gesetzlichen Krankenkasse sind.

Nur für das Jahr 1991 trifft § 12 AAÜG eine Übergangsregelung, die allein den Empfängern von in die Rentenversicherung überführbaren (§ 4 Abs 2 aaO) niedrigen Versorgungsrenten (Grenzwert: 725,00 DM, uU 771,00 DM monatlich) durch Gewährung eines Zuschusses entsprechend § 106 SGB VI einen schonenden Übergang von dem bis Ende 1990 auf Kosten der Allgemeinheit genossenen Krankenversicherungsschutz zu einem zumindest auch aus eigenen Mitteln des Versicherten finanzierten Krankenversicherungsbeitrag ermöglicht. Grund hierfür ist, daß diese – obwohl Bezieher von in die Rentenversicherung überführbaren Renten – frühestens ab 1. Januar 1992, dem Zeitpunkt des Inkrafttretens des SGB VI (gesetzliche Rentenversicherung), beitragspflichtige Mitglieder der Krankenversicherung der Rentner werden können. Da § 12 AAÜG die Frage der Entlastung von Krankenversicherungsbeiträgen durch Leistungen der Versorgungsträger abschließend ausgestaltet und nur für Bezieher von überführbaren, aber niedrigen Renten eine thematisch auf freiwillige Krankenversicherungsbeiträge sowie zeitlich auf das Jahr 1991 begrenzte Zuschußgewährung vorsieht, hat die Norm Sperrwirkung; das bedeutet: Kein Versorgungsträger darf aufgrund von (Zusatz- und) Sonderversorgungsrecht (Anlage 1 und 2 AAÜG) über den in § 12 AAÜG für das Jahr 1991 vorgesehenen Zuschuß hinaus irgendwelche Leistungen zur Entlastung von Krankenversicherungsbeiträgen gewähren.

5. Auch EV Nr 9 Buchst b enthält – entgegen der Revision – keine zugunsten des Klägers eingreifende Anspruchsgrundlage. Auf diese Vorschrift kann schon deswegen nicht zurückgegriffen werden, weil sie für die Zeit ab 1. Januar 1991 durch § 12 AAÜG iVm den allgemeinen Vorschriften über Beitragstragung und Beitragszahlung in der gesetzlichen Krankenversicherung verdrängt ist. Im übrigen hat das SG – wie dargelegt – richtig erkannt, daß EV Nr 9 Buchst b hier schon deswegen nicht anwendbar ist, weil dort nur das Programm ausgestaltet ist, welche Rentenansprüche nach welchen Grundsätzen in die gesetzliche Rentenversicherung zu überführen sind; das Sachthema des Krankenversicherungsschutzes liegt also schon außerhalb des thematischen Geltungsbereichs von EV Nr 9 Buchst b.

6. Das SG hat auch richtig entschieden, daß sich aus dem bindend (iS von EV Art 19) gebliebenen Bescheid der NVA vom 8. Dezember 1989 kein Anspruch auf “kostenfreie” Verschaffung von Naturalleistungen zur Krankenbehandlung ergibt. Die Vorinstanz hat den auf der Rückseite dieses Bescheides gegebenen Hinweis (“als Empfänger einer Rente haben sie Anspruch auf die Gewährung von Sachleistungen durch die Sozialversicherung der Arbeiter und Angestellten”) nicht als Verwaltungsakt, sondern als bloße Mitteilung verstanden. Dies ist rechtlich nicht zu beanstanden. Der Hinweis findet sich nach den Angaben über die Rentenberechnung und in der Mitte weiterer allgemeiner Hinweise auf Melde-, Anzeige- und sonstige Mitwirkungspflichten und ist von der Unterschrift unter den Bescheid nicht gedeckt.

7. Soweit der Kläger unter Berufung auf EV Nr 9 Buchst b Satz 2 und 3 meint, die weitere Anwendung und die Anpassung der Leistungsvorschriften der VersO dürften zu keiner wirtschaftlichen Schlechterstellung, insbesondere zu keiner Belastung führen, die ihrer Art nach in der VersO nicht vorgesehen war, ist dem SG beizupflichten, daß dies dem EV nicht entnommen werden kann. Zum einen bezieht sich die sog Zahlbetragsgarantie in EV Nr 9 Buchst b Satz 4 und 5 nur auf die in Buchst b Satz 1 aaO genannten Leistungen wegen verminderter Erwerbsfähigkeit, Alter und Tod, also schon augenfällig nicht auf Leistungen der Krankenbehandlung. Für alle anderen in der VersO vorgesehenen Leistungen ist aber – vorbehaltlich spezieller Regelungen im EV – EV Nr 9 Buchst e maßgeblich, der diese grundsätzlich mit dem 31. Dezember 1990 abgeschafft hat. Bestandsschutz gibt es hier nur nach Buchst e Satz 2 aaO, dh, daß der Leistungsfall vor dem 3. Oktober 1990 eingetreten und der Berechtigte bis Ende 1990 aus dem Dienst entlassen worden sein muß. Deshalb hat der Kläger seine Sonder-Invalidenrente weiterbezogen. Für diese weitergezahlten Versorgungsleistungen gilt jedoch nach Satz 2 Halbsatz 2 aaO die sog Zahlbetragsgarantie (EV Nr 9 Buchst b Satz 4 und 5) nicht. Die angeordnete entsprechende Anwendung nur von Buchst b Satz 2 und 3 aaO dient ausschließlich dem Zweck, Bezieher mit in die Rentenversicherung nicht überführten Versorgungsleistungen nicht besserzustellen als diejenigen, deren Rente nach Buchst b Satz 1 aaO überführt wurden.

8. Nach alledem findet sich im “einfachgesetzlichen” Bundesrecht (iS von § 162 SGG) keine Rechtsnorm, welche die Beklagte verpflichtet hätte, den Kläger ab Januar 1991 durch Erstattungen, Zuschüsse oder in irgendeiner anderen Form von den Aufwendungen für seine freiwilligen Krankenversicherungsbeiträge freizustellen oder diese auszugleichen. Mit der Tragung und Zahlung dieser Beiträge hat der Kläger also ausschließlich eine eigene Schuld erfüllt; eine rechtsgrundlose Vermögensverschiebung zu seinen Lasten und zugunsten der Beklagten (oder eines sonstigen Hoheitsträgers) liegt nicht vor.

9. Der Revision muß darin widersprochen werden, daß diese Rechtslage verfassungswidrig wäre:

a) Richtig hat das SG ausgeführt, daß dem Kläger zu keinem Zeitpunkt eine dem Schutz des Art 14 Abs 1 Satz 1 GG unterliegende Rechtsposition mit dem Inhalt zugestanden hat, er könne ab 1. Januar 1991 trotz eigener wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit (iS der Vorschriften des Bundessozialhilfegesetzes) “kostenfrei”, dh auf Kosten anderer, Krankenversicherungsschutz erlangen. Insbesondere ist die sog Zahlbetragsgarantie iS von EV Nr 9 Buchst b Satz 4 und 5 nicht berührt; sie greift für Ansprüche der vorliegenden Art – wie ausgeführt – von vornherein nicht ein. Diese Vorschrift ist aber im Konzept von EV Nr 9 das erste und einzige inhaltsbestimmende Gesetz iS von Art 14 Abs 1 Satz 2 GG, das Rechtspositionen, die letztlich aus Sonder- oder Zusatzversorgungssystemen entstanden sind, Eigentumsqualität verschafft haben könnte.

Der Bundesgesetzgeber war ferner aus der Institutsgarantie des Eigentums nicht verpflichtet, alle in der DDR den Sonderversorgungsberechtigten gewährten Leistungen nach Art und Höhe in ein inhaltsbestimmendes Gesetz zu übernehmen und für die damals Begünstigten als grundrechtsgeschütztes Eigentum zu qualifizieren. Vielmehr war er befugt, die soziale Sicherung dieser Personen in der Weise zu gestalten, daß er ihnen vor dem Hintergrund ihres Berufslebens in typisierender Betrachtung nach Bundesrecht die sozialen Rechte zuerkannt hat, die allen in der Bundesrepublik Deutschland vergleichbar Erwerbstätigen nach allgemeinem Sozialrecht (iS von § 1 SGB I) zustehen. Eine Versorgung nach den hergebrachten Grundsätzen des Berufsbeamtentums (Art 33 Abs 5 GG) mußte er ihnen schon deshalb nicht zugestehen, weil sie in keinem besonderen Dienst- und Treueverhältnis zur Bundesrepublik Deutschland oder zu einem Land oder unterstaatlichem Dienstherrn gestanden haben. Abgesehen davon sieht das dienstrechtliche Versorgungsrecht nur ausnahmsweise “freie Heilfürsorge”, grundsätzlich hingegen nur einen Zuschuß zu eigenfinanzierten krankheitsbedingten Aufwendungen vor. Keiner Darlegung bedarf, daß die sog Beiträge zum Versorgungssystem keine Pflicht für den parlamentarischen Gesetzgeber auslösen können, dieser Personengruppe einen eigentumsgeschützten krankenversicherungsrechtlichen Sonderstatus einzuräumen. Abgesehen davon, daß diese “Beiträge” nur dem Namen nach wirklichen Sozialversicherungsbeiträgen ähneln, es sich aber rechtlich und wirtschaftlich um bloße Kürzungen des Nominalgehalts gehandelt hat, würden sogar “echte” Sozialversicherungsbeiträge nicht rechtfertigen, nur diesen Personen ab Rentenbezug beitragsfreien Krankenversicherungsschutz zu gewähren, allen anderen Rentnern aber nicht. Schließlich hat der Bundesgesetzgeber im Wege der Schuldgrundersetzung (Novation) (BSGE 72, 50, 56 = SozR 8570 § 10 Nr 1) die – aus bundesrechtlicher Sicht – kranken- und rentenversicherungsrechtlichen Ansprüche und Anwartschaften aus der VersO durch die Rechte und Pflichten nach dem SGB V und dem SGB VI ersetzt. Gerade dadurch sind – auch für den Kläger – erstmals eigentumsgeschützte sozialversicherungsrechtliche Rechte entstanden.

b) Der allgemeine Gleichheitssatz (Art 3 Abs 1 GG) ist gleichfalls nicht verletzt. Im Gegenteil: Durch die Anwendbarkeit des SGB V ab 1. Januar 1991 ist die Gleichbehandlung der Bürger im Blick auf den Krankenversicherungsschutz gestärkt und ausgeweitet worden. Der Kläger wird – wie alle anderen freiwillig Versicherten – nach dem Maße seiner individuellen Leistungsfähigkeit zum Solidarbeitrag herangezogen. Wenn er sich mit Berechtigten vergleicht, die früher Renten aus einem Sonderversorgungssystem bezogen haben, jetzt aber “überführte” Renten aus der Rentenversicherung erhalten, übersieht er, daß diese Personen – anders als er – als Bezieher einer SGB VI-Rente in der Regel krankenversicherungspflichtig sind (§ 5 Abs 1 Nr 11 SGB V), die Hälfte der Krankenversicherungsbeiträge aus der Rente tragen (§ 249a SGB V) und die Zahlung dieses Anteils unter Einbehaltung von der Rente hinnehmen müssen (§ 255 SGB V). Im übrigen haben alle freiwilligen Mitglieder der gesetzlichen Krankenversicherung ihre Krankenversicherungsbeiträge allein zu tragen und zu zahlen (§§ 250 Abs 2, 252 SGB V). Zwischen dem Kläger und der von ihm ins Auge gefaßten Vergleichsgruppe bestehen also grundlegende rechtliche und wirtschaftliche Unterschiede; insbesondere wird auch den wegen Rentenbezugs krankenversicherungspflichtigen Mitgliedern einer Kasse keine iS des Klägers “kostenfreie” Krankenbehandlung gewährt; der Kläger will also günstiger gestellt werden als versicherungspflichtige Mitglieder einer Krankenkasse. Daß ihm dies versagt wird, ist keine “Bestrafung wegen Systemnähe”.

c) Kein Verstoß gegen das Sozialstaatsprinzip iVm dem Gleichheitssatz liegt – entgegen der Revision – ferner darin, daß der Kläger keinen Zuschuß nach § 12 AAÜG bekommen kann. Abgesehen davon, daß sein Klagebegehren weit über die Gewährung eines solchen Zuschusses hinausgeht, ist § 12 AAÜG mit seinem bereits ausgesprochenen übergangsrechtlichen Inhalt sachlich gerechtfertigt. Die Vorschrift soll Beziehern von in die gesetzliche Rentenversicherung überführbaren, aber im Jahre 1991 noch niedrigen (Versorgungs-)Renten ermöglichen, die jetzt erstmals auf sie zukommenden Krankenversicherungsbeiträge leichter tragen zu können. Denn alle Sonderversorgungsberechtigten (Anlage 2 zum AAÜG) konnten frühestens mit dem Inkrafttreten des SGB VI am 1. Januar 1992 wegen eines “Anspruchs auf eine Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung” iS von § 5 Abs 1 Nrn 11 und 12 SGB V krankenversicherungspflichtig werden. § 12 AAÜG trägt also dem sozialen Schutzbedürfnis von Versorgungsrentnern mit niedrigen Renten, die bei einem früheren Inkrafttreten des SGB VI – anders als der Kläger – krankenversicherungspflichtig geworden wären, für eine Übergangszeit noch angemessen Rechnung. Wer jedoch – wie der Kläger – nicht in die Rentenversicherung überführbare Versorgungsleistungen erhält, deren Betrag außerdem weit oberhalb des für die Lebensführung notwendigen Selbstbehaltes liegt, kann sich nicht berechtigterweise mit den Personen vergleichen, für die § 12 AAÜG eine Milderung der Belastung durch Gewährung eines Zuschusses vorsieht.

d) Die rechtsstaatlichen Prinzipien der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes sind nicht beeinträchtigt. Daß die vor dem 3. Oktober 1990 amtlich nicht veröffentlichten Bestimmungen der VersO weder Rechtssicherheit noch Vertrauensschutz begründen konnten, liegt schon daran, daß sie kein “Recht”, sondern allenfalls verwaltungsinterne geheime Richtlinien waren. Ob und ggf wieweit und in welchem Sinn sie durch die Regelungen insbesondere in EV Nr 9 trotz weiterhin fehlender amtlicher Veröffentlichung in das Bundesrecht integriert werden und zu Rechtsquellen erstarken konnten, ist hier nicht zu entscheiden. Denn das im EV enthaltene Bundesrecht hat – wie ausgeführt – den Sonderversorgungsberechtigten ab 1. Januar 1991 nicht mehr zuerkannt, ohne eigene Beiträge, dh ausschließlich auf Kosten anderer, “kostenfreien” Krankenversicherungsschutz zu genießen. Richtig hat das SG aufgezeigt, daß schon die demokratisierte DDR den Sonderversorgungsberechtigten verdeutlicht hat, sie könnten auf den Fortbestand eines Krankenversicherungsschutzes auf Kosten Dritter nicht vertrauen. Das Rechtsstaatsprinzip ist schließlich auch nicht dadurch verletzt, daß das AAÜG von den bundesrechtlichen Vorgaben im EV zum Nachteil des Klägers abgewichen wäre. Eine solche dem Kläger nachteilige Abweichung liegt – wie ausgeführt – nicht vor; das AAÜG trägt den krankenversicherungsrechtlichen Aussagen im EV dadurch Rechnung, daß es für die Zeit ab 1. Januar 1991 – abgesehen von der schonenden Härtefallregelung des § 12 AAÜG – keine eigenständigen Regelungen trifft; denn insoweit hatte der EV das allgemeine Krankenversicherungsrecht für maßgeblich erklärt. Schon deswegen kommt es hier nicht darauf an, daß die Vorschriften in EV Nr 9 keinen Geltungs- oder Anwendungsvorrang vor den Vorschriften des AAÜG haben.

Nach alledem sind das Urteil des SG und die Verwaltungsentscheidungen der Beklagten zu bestätigen. Diese hat es zu Recht abgelehnt, den Kläger, der wie alle anderen Bürger im Rahmen seiner Leistungsfähigkeit zu Selbstvorsorge und solidarischer Mitwirkung verpflichtet ist, wirtschaftlich durch Erstattungen von oder durch Zuschüsse zu seinen Krankenversicherungsbeiträgen zu entlasten.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs 1 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI911877

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