Entscheidungsstichwort (Thema)

Versicherungsschutz in der gesetzlichen Unfallversicherung

 

Leitsatz (redaktionell)

Zum Versicherungsschutz in der gesetzlichen Unfallversicherung:

Bei einer geselligen Kegelveranstaltung, die auf Initiative von Betriebsangehörigen regelmäßig stattfindet und an der sich nur ein relativ geringer Teil der Belegschaft beteiligt, handelt es sich weder um die Ausübung von Betriebssport noch um eine betriebliche Gemeinschaftsveranstaltung.

 

Normenkette

RVO § 539 Abs. 1 Nr. 1 Fassung: 1963-04-30

 

Tenor

Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen vom 21. Juli 1970 wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, daß die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Lüneburg vom 12. März 1970 als unzulässig verworfen wird, soweit sie Sterbegeld und Überbrückungshilfe betrifft.

Kosten sind nicht zu erstatten.

 

Gründe

I

Die Klägerin ist die Witwe des Bauingenieurs Hans-Joachim M (M.). Sie begehrt Hinterbliebenenentschädigung aus der gesetzlichen Unfallversicherung (UV) aus Anlaß des Todes ihres Ehemannes am 9. Mai 1969.

Durch Bescheid vom 22. August 1969 lehnte die Beklagte die Gewährung einer Entschädigung ab. Zur Begründung führte sie aus: Der bei der Firma L, S, als Bauingenieur beschäftigte M. habe am 8. Mai 1969 an einer Kegelveranstaltung der betrieblichen Kegelgemeinschaft (Insgesamt 10 Mitglieder) im Keglerheim B, teilgenommen. Außer M. seien an diesem Abend acht Betriebsangehörige der Firma L anwesend gewesen. Während des Kegelns von ca. 20 Uhr bis 24 Uhr habe M. etwa drei Glas Bier und drei Schnäpse getrunken. Der Unfall habe sich auf der Heimfahrt mit dem Kraftwagen am 9. Mai 1969 gegen 0,20 Uhr infolge überhöhter Geschwindigkeit in O ereignet. Dabei sei M. aus dem Wagen geschleudert worden und an der Unfallstelle verstorben. Eine von der Polizei angeordnete Blutentnahme habe wegen des Blutverlustes nicht durchgeführt werden können. Bei der Kegelveranstaltung habe es sich nicht um einen versicherten Betriebssport, sondern um ein geselliges Beisammensein gehandelt, bei dem geraucht und getrunken worden sei. Der Kegelabend habe auch nicht unter der Leitung und der Autorität des Betriebes gestanden. Es habe auch keine betriebliche Gemeinschaftsveranstaltung vorgelegen, da die Gesamtbelegschaft etwa 230 Personen betrage. M. habe daher auf dem Wege nach Hause nicht unter Versicherungsschutz gestanden.

Das Sozialgericht (SG) Lüneburg hat die Beklagte nach Vernehmung des Bauingenieurs G, des Baukaufmanns W des Gastwirtsehepaares K und des Kreissportwarts (Kegeln) B antragsgemäß verurteilt, der Klägerin aus Anlaß des tödlichen Unfalls ihres Ehemannes Hinterbliebenenentschädigung zu gewähren (Urteil vom 12. März 1970). Auf die Berufung der Beklagten hat das Landessozialgericht (LSG) Niedersachsen nach Vernehmung des Bauunternehmers L das Urteil des SG aufgehoben und die Klage abgewiesen (Urteil vom 21. Juli 1970). Zur Begründung hat es ausgeführt: Bei dem Kegeln habe es sich weder um einen versicherten Betriebssport noch um eine betriebliche Gemeinschaftsveranstaltung gehandelt. Nach den Angaben der vorgenommenen Zeugen, nach denen die Mitglieder der "Blaue Neun" genannten Kegelgemeinschaft während des Kegelns Bier und Schnaps getrunken haben, könne von einem unter Unfallversicherungsschutz stehenden Betriebssport nicht gesprochen werden. Auch die von der Klägerin selbst vorgetragene Tatsache, daß die Mitglieder gelegentlich aus gewissen Anlässen Schnaps- und Bierrunden ausgegeben hätten, sprächen gegen die Ausübung eines Betriebssports. Diesen Feststellungen ständen die Ausführungen des Sachverständigen B über das Sportkegeln nicht entgegen. Daß M. entgegen den sehr vorsichtigen Angaben aller Zeugen am 8. Mai 1969 mehr getrunken haben müsse, folge aus seiner zum Unfall führenden Fahrweise. Ein einigermaßen nüchterner Kraftfahrer wäre auf der insgesamt kurzen Strecke zwischen Keglerheim und Wohnung nicht mit etwa 130 bis 140 km/h in die ihm bekannte scharfe Linkskurve in O gefahren. Das mache nach den Erfahrungen des täglichen Lebens nur ein durch Alkohol enthemmter Mensch. Aber nicht nur der während des Kegelns genossene Alkohol charakterisiere die Gemeinschaft "B" als bloße Geselligkeitsrunde. Der ernstlich betriebene Betriebssport erfordere einen echten Ausgleich der einseitigen Beanspruchung während der Arbeit. Dieser sei nicht dadurch zu erzielen, daß er nur an zwei Abenden im Monat betrieben werde, wie es bei der "B" der Fall gewesen sei. Das Kegeln habe im übrigen auch nicht im Rahmen einer betriebsbezogenen Organisation stattgefunden. Die Kegelabende habe weder der Unternehmer selbst geleitet noch habe er einen Beauftragten bestellt oder den Personalrat damit beauftragt. Es sei eine Gemeinschaft gewesen, die ihren Vorsitzenden selbst gewählt habe, eine Gruppe, auf die der Betrieb keinen Einfluß genommen und die der Betrieb auch geldlich nicht unterstützt habe. Die Kegelabende der "B" könnten auch nicht als eine betriebliche Gemeinschaftsveranstaltung angesehen werden. Es fehle insoweit an der Voraussetzung der Gesamtbeteiligung des Betriebes oder der Angehörigen einer Betriebsabteilung. Die Teilnehmer der Kegelabende gehörten zur Verwaltung des Betriebes, die aus 19 Mitgliedern bestanden habe. Davon hätten im Höchstfall zehn bestimmte Angehörige der Verwaltung am Kegeln teilgenommen; die übrigen seien ausgeschlossen gewesen.

Das LSG hat die Revision zugelassen.

Die Klägerin hat das Rechtsmittel eingelegt und im wesentlichen wie folgt begründet: Das LSG überspanne die Anforderungen für den Ausgleichssport. Zutreffend habe es darauf hingewiesen, daß die sportliche Betätigung nicht der Teilnahme am allgemeinen Wettkampfverkehr oder der Erzielung von Spitzenleistungen dienen dürfe. Dies stehe hier auch nicht zur Erörterung. Dem Kegeln, wie es bei den Veranstaltungen der üblichen Kegelklubs betrieben werde, könne entgegen der Ansicht des LSG nicht der sportliche, dem Ausgleich für die berufliche sitzende Tätigkeit dienende Wert abgesprochen werden. Das LSG hätte dazu das Gutachten eines Sportmediziners einholen müssen. Bei kleinen Unternehmen genüge statt einer straffen, unternehmensbezogenen Organisation ein lockerer Zusammenschluß der Teilnehmer, um deren Veranstaltungen als Betriebssport anzusehen. Es sei ausreichend, wenn ein Teilnehmer mit Billigung der Betriebsleitung die Aufgaben der Organisation neben seiner sonstigen betrieblichen Tätigkeit übernehme.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen vom 21. Juli 1970 aufzuheben und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Lüneburg vom 12. März 1970 zurückzuweisen,

hilfsweise:

das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen vom 21. Juli 1970 aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückzuverweisen.

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Sie trägt vor, daß ein unfallversicherungsrechtlich geschützter Betriebssport nur vorliege, wenn das Unternehmen ein betriebliches Interesse an der sportlichen Betätigung an gerade der ausgeübten Sportart habe. Die betreffende Sportart müsse als Maßnahme zur Gesunderhaltung der Beschäftigten des Unternehmens zur Wiederherstellung ihrer Arbeitskraft dienen. Es genüge nicht, daß sich mehrere Arbeitskollegen desselben Betriebes oder derselben Abteilung gelegentlich, wenn auch regelmäßig, zu einer Freizeitgestaltung zusammenfänden. Es sei daher lebensnah, daß das LSG dem Kegeln, wie es im allgemeinen in Kegelklubs betrieben werde, den Charakter als Betriebssport nicht zuerkenne.

II

Die Revision hatte keinen Erfolg.

Die Berufung der Beklagten war allerdings entgegen der Auffassung des LSG nicht zulässig, soweit sie das Sterbegeld (§ 589 Abs. 1 Nr. 1 der Reichsversicherungsordnung - RVO -) und die Überbrückungshilfe (§ 589 Abs. 1 Nr. 4 iVm § 591 RVO) betrifft. Dabei handelt es sich um Ansprüche auf eine einmalige Leistung und auf eine wiederkehrende Leistung für einen Zeitraum bis zu drei Monaten, bei denen die Berufung ausgeschlossen ist (§ 144 Abs. 1 Nrn. 1 und 2 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -). In der Sachentscheidung über prozessual selbständige Teile des Entschädigungsanspruchs liegt ein bei einer zugelassenen Revision von Amts wegen zu berücksichtigender wesentlicher Verfahrensmangel (BSG 2, 225, 226 und 245, 246; 3, 234, 235; 15, 65, 67). Das Urteil des LSG war daher insoweit zu ändern und die Berufung als unzulässig zu verwerfen, soweit sie das Sterbegeld und die Überbrückungshilfe betrifft.

Mit Recht hat das LSG die Voraussetzungen eines Anspruchs auf Witwenrente nicht für gegeben erachtet.

Das Berufungsgericht stützt seine Entscheidung im wesentlichen auf das Urteil des erkennenden Senats vom 28. November 1961 (BSG 16, 1). Darin ist ausgesprochen, daß sportliche Betätigungen, die einen Ausgleich für die den Beschäftigten meist einseitig beanspruchende Betriebsarbeit bezwecken, nicht nur dem persönlichen Interesse des Beschäftigten, sondern auch betrieblichem Interesse dienen, deshalb dem Unternehmen zuzurechnen sind und vom UV-Schutz umfaßt werden. Die fünf Merkmale, die nach Auffassung des erkennenden Senats vorhanden sein müssen, um einen unfallversicherten Betriebssport annehmen zu können, hat das LSG zutreffend - verkürzt - wiedergegeben. Zu Recht hat das LSG bereits das erste Merkmal als nicht erfüllt angesehen.

Die Leibesübungen müssen dem Ausgleich für die - körperliche, geistige und nervliche - Belastung durch die Betriebstätigkeit dienen. Dieser Zielsetzung entspricht am meisten der reine Ausgleichssport in Gestalt von Gymnastik, Lockerungsübungen und dgl., ohne daß der Betriebssport auf Übungen dieser und ähnlicher Art beschränkt ist. Jedoch können schon die Art der gewählten körperlichen Betätigung und deren Durchführung Anhaltspunkte dafür geben, ob die Veranstaltung den vom Ausgleichszweck her gezogenen Rahmen noch einhält. Ohne daß es erforderlich erscheint, auf die vom LSG herausgestellten Unterschiede zwischen dem Sportkegeln und dem Kegeln im Rahmen eines geselligen Zusammenseins im einzelnen einzugehen, ist auch der erkennende Senat der Auffassung, daß nach den vom LSG getroffenen tatsächlichen Feststellungen, gegen die zulässige und begründete Revisionsrügen nicht vorgebracht worden sind und an die das Bundessozialgericht (BSG) daher gebunden ist (§ 163 SGG), das Kegeln der Gemeinschaft "Blaue Neun" keinen Betriebs"sport" darstellte. Dabei wird nicht verkannt, daß auch das Kegeln in dieser Gemeinschaft eine körperliche Betätigung war und dabei, wie die Revision ausführt, besondere Muskeln angestrengt wurden. Entscheidend ist jedoch, daß von Mitgliedern der Gemeinschaft während des Kegelns teilweise in nicht unerheblichem Maße alkoholische Getränke genossen wurden. Bezüglich M. hat das LSG festgestellt, daß er auf der Rückfahrt vom Kegeln infolge einer alkoholbedingten Enthemmung mit 130 bis 140 km/h in eine scharfe Linkskurve hineingefahren und dadurch verunglückt ist. Die Teilnahme am Kegeln war daher nach der Art der Durchführung keine sportliche Betätigung im Rahmen des betrieblichen Interessen dienenden Ausgleichssports, sondern ein dem privaten Lebensbereich zuzurechnendes unversichertes geselliges Beisammensein (vgl. BSG 2. Senat, Urteil vom 27. Oktober 1967 - 2 RU 101/64 -).

Das Kegeln der Gemeinschaft "B" fand auch nicht im Rahmen einer unternehmensbezogenen Organisation statt. Es fehlte damit an einem weiteren Merkmal für einen unfallversicherten "Betriebs" sport. Nach den Feststellungen des LSG wurden die Kegelabende weder vom Unternehmer selbst geleitet, noch hatte er einen Beauftragten bestellt oder den Personalrat beauftragt. Die Gemeinschaft wählte ihren Vorsitzenden selbst, und der Betrieb konnte auf die Gemeinschaft keinen Einfluß nehmen. Die Auffassung der Revision, bei kleinen Unternehmen müsse ein loser Zusammenschluß der Mitglieder als genügend angesehen werden und es sei ausreichend, wenn ein einzelner Arbeitnehmer unter Billigung des Betriebsleiters die Aufgabe der Organisation nebenher übernehme, wird vom Senat nicht geteilt. Die Abgrenzung des versicherten Betriebssports von einer mit dem Betriebsinteresse weniger verknüpften Sportausübung einerseits und von den rein eigenwirtschaftlichen geselligen Veranstaltungen mit körperlicher Betätigung andererseits macht es erforderlich, an dem Merkmal der unternehmensbezogenen Organisation grundsätzlich auch bei kleineren Betrieben festzuhalten (Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, 7. Aufl., S. 482 x). Wie der erkennende Senat bereits entschieden hat (BSG 16, 1,6), braucht der Unternehmer nicht selbst Veranstalter des Betriebssports zu sein; er kann auch eigenverantwortlich von der Belegschaft des Betriebes oder von den zu ihrer Vertretung berufenen Organen veranstaltet werden. Es muß aber eine vom Unternehmer oder einem Beauftragten ausgehende zweckgerichtete Einflußnahme auf die Gestaltung der Übungen vorhanden sein (vgl. BSG in Breithaupt 1969, 566, 568). Daran hat es nach den Feststellungen des LSG hier gefehlt.

Ob darüber hinaus, wie das LSG meint, eine betriebssportliche Veranstaltung auch deshalb zu verneinen ist, weil das Kegeln an nur zwei Abenden im Monat seine Funktion als Ausgleichssport nicht erfüllt, kann dahingestellt bleiben, da ein unfallversicherungsrechtlich geschützter Betriebssport schon aus den dargelegten Gründen nicht vorgelegen hat.

Mit zutreffender Begründung hat das LSG auch dargelegt, daß es sich bei dem Kegeln um keine betriebliche Gemeinschaftsveranstaltung gehandelt hat.

Die Revision mußte daher mit der im Urteilsausspruch gemachten Einschränkung als unbegründet zurückgewiesen werden.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1670501

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