Leitsatz (redaktionell)

Der Versicherungsschutz entfällt für den restlichen Heimweg von der Arbeitsstätte jedenfalls dann, wenn der Versicherter an einem bestimmten Ort erkennbar bereits zur Feierabendgestaltung übergegangen war.

 

Normenkette

RVO § 543 Abs. 1 S. 1 Fassung: 1942-03-09

 

Tenor

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 19. Februar 1963 aufgehoben.

Die Berufung der Kläger gegen das Urteil des Sozialgerichts Münster vom 13. November 1958 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Von Rechts wegen.

 

Gründe

I

Der Ehemann der Klägerin zu 1) und Vater der Kläger zu 2) bis 8), der Vorarbeiter und Walzenführer Josef D (D.), ist am Abend des 31. August 1956 mit seinem Motorrad auf der Landstraße verunglückt und an den Folgen dieses Unfalls am 1. September 1956 verstorben. Die Beteiligten streiten darüber, ob D. im Zeitpunkt des Unfalls unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung gestanden hat. Über den Hergang des Unfalls enthält das Urteil des Landessozialgerichts (LSG) Nordrhein-Westfalen vom 19. Februar 1963 u. a. folgende Feststellungen:

D. war seinerzeit bei der Baufirma N & Kl beschäftigt und auf der Baustelle Niederbauer eingesetzt. Der von ihm mit dem Motorrad zurückgelegte Weg von seiner Wohnung in Liesborn führte über den Ort Herzfeld zur Arbeitsstätte. Am Tage des Unfalls arbeitete der Pflasterer K mit D. zusammen. Dieser hatte K, als beide zuvor auf einer anderen Baustelle ihrer Firma tätig gewesen waren, immer nach Hause gefahren. Seit sie auf der Baustelle in Niederbauer arbeiteten, war dies nicht mehr nötig, weil K von einem firmeneigenen Kraftwagen abgeholt und heimgefahren wurde. Am 31. August 1956 wurde dieses Fahrzeug von der Firma für andere Zwecke benötigt. D. bot K im Laufe des Tages an, daß er ihn abends nach Hause bringe. Nach Beendigung der Arbeit um 18 Uhr fuhren beide um 18.15 Uhr zunächst nach Herzfeld, um dort im Auftrag ihrer Firma mit dem Gastwirt Kn eine betriebliche Angelegenheit zu regeln. Während ihres Aufenthalts in Herzfeld - sie mußten auf Kn einige Zeit warten - nahm jeder von ihnen zwei Schnäpse zu sich. Hinter Herzfeld befindet sich eine Straßengabelung. Nach rechts zweigt die kürzeste Strecke nach Liesborn ab. D. und K bogen nach links in die nach Diestedde führende Straße ab. In Diestedde , wo K seinerzeit wohnte, kamen sie gegen 18.50 Uhr an. D. fuhr nun nicht nach seinem Wohnort Liesborn weiter, sondern schlug die entgegengesetzte Richtung nach Beckum ein, weil er dort, wie er seinem Arbeitskollegen K erzählt hatte, etwas erledigen wollte. Was er in Beckum vorhatte, ist nicht festzustellen gewesen. Geraume Zeit später befand sich D. in der Bahnhofswirtschaft des zwischen Diestedde und Beckum gelegenen Ortes D. . Als er den ihm bekannten, bei einer anderen Baufirma tätigen Walzenführer W vor der Bahnhofswirtschaft sah, holte er ihn zu sich herein, um mit ihm das Ereignis, wieder Vater geworden zu sein, zu feiern. W trank einen Wacholder und ein Glas Bier. Welche Mengen Alkohol D. zu sich nahm, ist nicht festgestellt. Zehn Minuten später machten sich D. und W mit ihren Motorrädern in Richtung Diestedde - Liesborn auf den Weg. Gegen 20.15 Uhr, hinter dem Ortsausgang von Diestedde , fuhr D. - bei einer Geschwindigkeit von etwa 60 km/std. - einen Fußgänger an. Er erlitt selbst so starke Verletzungen, daß er am nächsten Morgen starb. Eine Blutprobe wurde angesichts der Schwere der Verletzungen nicht entnommen. Wäre D., nachdem er seinen Arbeitskollegen K in Diestedde abgesetzt hatte, sofort nach Hause gefahren, hätte er die Unfallstelle etwa um 18.55 Uhr passiert.

Die Beklagte verneinte mit Bescheid vom 15. Juli 1957 ihre Entschädigungspflicht mit folgender Begründung: Bereits seit Herzfeld habe sich D. auf einem unversicherten Weg befunden, weil die Beförderung des Arbeitskollegen K - nach dessen Wohnort eine eigenwirtschaftliche Betätigung gewesen sei; der Zusammenhang mit der betrieblichen Tätigkeit sei weiterhin durch die Fahrt nach Beckum gelöst worden.

Die hierauf zum Sozialgericht (SG) Münster erhobene Klage ist ohne Erfolg gewesen (Urteil vom 13. November 1958). Auf Berufung hat das LSG die Entscheidung des SG sowie den Bescheid der Beklagten aufgehoben und diese verpflichtet, den Klägern Hinterbliebenenrente zu gewähren. Sein Urteil hat das Berufungsgericht im wesentlichen wie folgt begründet:

Auf der Fahrt von der Baustelle nach Herzfeld habe sich D. zweifellos auf einem versicherten Weg befunden, weil der Besuch beim Gastwirt Kn in einem inneren betrieblichen Zusammenhang mit der Tätigkeit des tödlich Verunglückten gestanden habe. Auch für die Weiterfahrt nach Diestedde , die im Vergleich zu dem unmittelbaren Weg nach Liesborn einen Umweg von mehreren Kilometern zur Folge gehabt habe, habe Versicherungsschutz bestanden, weil nach der gegenüber der Amtsverwaltung Wadersloh abgegebenen Aussage des Pflasterers K (dieser ist inzwischen nach Mitteldeutschland verzogen) dieser gemeinsam mit D. beauftragt gewesen sei, auf der Rückfahrt bei Kn vorzusprechen, und mit diesem Auftrag angesichts der gegebenen ungünstigen Beförderungsmöglichkeiten mittelbar der Wunsch der Betriebsleitung verbunden gewesen sei, daß D. im Anschluß an diese Besprechung seinen Arbeitskollegen nach Hause bringe; es bestehe kein Anhalt dafür, daß D., wenn er K nicht nach Hause gebracht hätte, in jedem Fall über Diestedde gefahren wäre, er diese Fahrt somit aus eigenwirtschaftlichen Gründen unternommen habe. Da die Weiterfahrt von Herzfeld nach Diestedde versichert gewesen sei, habe es sich auch bei der Fahrt von diesem Ort nach dem Heimatort Liesborn um einen versicherten Weg gehandelt. Die zunächst in entgegengesetzter Richtung nach Beckum angetretene Fahrt habe nur eine zeitweilige Unterbrechung des Versicherungsschutzes bewirkt. Sie habe trotz ihrer Zeitdauer von einer Stunde und 20 Minuten nicht zu einer Lösung von der betrieblichen Tätigkeit geführt. Der Aufenthalt in der Bahnhofsgaststätte von D. sei versicherungsrechtlich nicht nachteilig, weil D. nach einem langen Arbeitstag auf der Baustelle das Bedürfnis nach einer Erfrischung gehabt habe. Aus welchem Grunde D. seine Heimfahrt unterbrochen habe, sei nicht aufzuklären gewesen. Dieser Umstand wirke sich jedoch nach dem Grundsatz der objektiven Beweislast gegen die Beklagte aus, da es sich insoweit um eine anspruchsfeindliche Tatsache handele.

Das LSG hat die Revision zugelassen.

Die Beklagte hat ihr Rechtsmittel im wesentlichen wie folgt begründet: Zwar sei die Ansicht des Vordergerichts, daß der Besuch bei dem Gastwirt Kn in einem inneren Zusammenhang mit der betrieblichen Tätigkeit gestanden habe, unbedenklich. D. habe jedoch dort zwei Schnäpse getrunken. Wenn er auch möglicherweise im Geschäftsinteresse etwas zu sich habe nehmen müssen, so hätte er doch ohne weiteres ein alkoholfreies Getränk verlangen können. Angesichts des in der Bundesrepublik so außerordentlich gesteigerten Kraftfahrzeugverkehrs sei es in keiner Weise mehr vertretbar, daß ein Kraftfahrer Alkohol zu sich nehme. D. habe durch den Genuß zweier Schnäpse den Zusammenhang mit der betrieblichen Tätigkeit gelöst. Aber selbst wenn man diese Meinung nicht teile, sei die von D. - noch dazu an einem Freitagabend - von Herzfeld aus nach Beckum angetretene Fahrt nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme aus rein eigenwirtschaftlichen Gründen, jedenfalls nicht im betrieblichen Interesse unternommen worden und daher nicht versichert gewesen. D. habe nämlich, um nach Beckum zu gelangen, über Diestedde fahren müssen. Im Hinblick darauf, daß die Wegstrecke nach jenem Ort erheblich weiter sei als nach diesem, falle das Nachhausebringen des Arbeitskollegen K gegenüber der unversicherten Fahrt nach Beckum rechtlich nicht ins Gewicht. Der betriebliche Anlaß zur Fahrt nach Diestedde sei somit nur beiläufiger, nebensächlicher Art gewesen. Selbst wenn man jedoch gegenteiliger Ansicht sei, habe jedenfalls von dem Zeitpunkt an, in dem D. seinen Arbeitskameraden nach Hause gebracht habe, kein Versicherungsschutz mehr bestanden; denn D. sei von Diestedde aus in entgegengesetzter Richtung zu seinem Heimatort weitergefahren und habe die nächsten 1 1/2 Stunden bis zum Unfall in einer Weise verbracht, für die ein betrieblicher Anlaß nicht wahrscheinlich sei. Bedeutsam sei, daß D. während dieser Zeit in der Bahnhofswirtschaft von D. gewesen sei und dort nicht nur den ihm bekannten Zeugen W zu sich an den Tisch geholt, sondern auch - wie aus der Aussage dieses Zeugen hervorgehe, was das LSG indes nicht beachtet habe - bereits längere Zeit mit dem Arbeitskollegen J aus Liesborn in dieser Gastwirtschaft gesessen habe. Entgegen der Annahme des Vordergerichts, daß D. hier eine notwendige Erfrischung zu sich genommen habe, habe D., wie den Gesamtumständen zu entnehmen sei, mit Bekannten die Geburt seines jüngsten Kindes gefeiert. Die Notwendigkeit, sich zu erfrischen, habe nach Sachlage überhaupt nicht bestanden, zumal Freitagabend gewesen sei und damit für D. das Wochenende begonnen habe. Es komme hinzu, daß D. sich bereits durch die beiden Schnäpse, die er in Herzfeld zu sich genommen habe, genügend erfrischt habe. Angesichts der Länge der von D. zu rein privaten Zwecken verwendeten Zeit und der Kürze der für die Zurücklegung des Heimwegs erforderlichen Wegstrecke müsse nach den Regeln der Logik davon ausgegangen werden, daß eine Lösung vom Betrieb eingetreten sei. Im Hinblick auf die vorhandenen tatsächlichen Verhältnisse habe sich - entgegen der Auffassung des Vordergerichts - die Beweislage umgekehrt. Die Kläger müßten beweisen, daß die Voraussetzungen des Rentenanspruchs trotz der ihm offensichtlich entgegenstehenden Umstände gegeben seien.

Die Kläger haben sich die Ausführungen des angefochtenen Urteils zu eigen gemacht. Sie meinen, daß der vom LSG seiner Entscheidung zugrunde gelegte Sachverhalt verfahrensrechtlich einwandfrei festgestellt worden sei. Das Berufungsgericht habe weder festgestellt, daß D. bis nach Beckum gefahren sei noch daß er sich längere Zeit in der Bahnhofswirtschaft von D. aufgehalten habe. Es sei auch für die weitere Behauptung der Revision nichts dargetan, daß im Jahre 1956 der Samstag ganz allgemein und insbesondere im Baugewerbe bereits arbeitsfrei gewesen sei.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des LSG aufzuheben und die Berufung der Kläger gegen das Urteil des SG zurückzuweisen,

hilfsweise,

das angefochtenen Urteil mit den ihm zugrunde liegenden Feststellungen aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an die Vorinstanz zurückzuverweisen.

Die Kläger beantragen,

die Revision zurückzuweisen.

II

Die - durch Zulassung statthafte (§ 162 Abs. 1 Nr. 1 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -) - Revision ist begründet.

Zutreffend hat das Berufungsgericht zwar angenommen, daß es sich bei dem von D. am 31. August 1956 nach Arbeitsschluß zunächst von Niederbauer nach Herzfeld mit dem Motorrad zurückgelegten Weg um einen nach § 542 Abs. 1 der Reichsversicherungsordnung - RVO - (in der bis zum Inkrafttreten des Unfallversicherungs-Neuregelungsgesetzes - UVNG - geltenden Fassung - RVO aF -) versicherten Betriebsweg gehandelt hat, weil zumindest D. von seinem Unternehmer beauftragt gewesen ist, mit dem Gastwirt Kn geschäftliche Dinge zu besprechen. Ob, wie die Revision meint, bereits durch den Genuß zweier Schnäpse in der Gaststätte von Kn der Zusammenhang mit der betrieblichen Tätigkeit endgültig gelöst worden ist, kann dahingestellt bleiben, weil - wie noch auszuführen sein wird - die erhobenen Rentenansprüche aus anderen Gründen nicht gegeben sind.

Das LSG hat die nach Erledigung des betrieblichen Auftrags in Herzfeld von D. nach Diestedde angetretene Weiterfahrt als versichert angesehen. Es hat sich hierbei von der Erwägung leiten lassen, daß D. und K zusammen bei dem Gastwirt Kn vorsprechen sollten und sich hieraus angesichts der ungünstigen Verkehrsverbindungen für D. zwangsläufig die Notwendigkeit ergeben habe, seinen Arbeitskollegen nach Hause zu bringen. Den Umstand, daß K an dem Gespräch mit Kn im betrieblichen Auftrag beteiligt sein sollte, hat das Vordergericht aus der von K vor der Amtsverwaltung Wadersloh abgegebenen Erklärung entnommen. Mit der Aussage des von ihm als Zeugen gehörten Unternehmers Kl, aus der hervorgeht, daß D. mit Kn in seinem Auftrag wiederholt verhandelt hat, sowie damit, daß D. als Vorarbeiter, K dagegen als Pflasterer im Unternehmen beschäftigt und am Tage des Unfalls dem Verunglückten unterstellt gewesen ist, sowie daß D. an diesem Tage seinem Mitarbeiter K angeboten hatte, ihn nach Hause zu fahren, hat es sich nicht auseinandergesetzt. Ob die von der Revision gegen jene Feststellung des Berufungsgerichts erhobenen Revisionsrügen zulässig und begründet sind, kann indessen offenbleiben. Es bedarf auch keiner Entscheidung, ob die Ausführungen der Revision zutreffen, daß D. am 31. August 1956 von vornherein die Absicht gehabt habe, aus privaten Gründen nach Beckum zu fahren, was - entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts - unter Umständen den Versicherungsschutz nach § 542 RVO aF für die von Herzfeld nach Diestedde zurückgelegte Wegstrecke, die nicht den kürzesten Weg von Herzfeld nach Liesborn - dem Wohnort des Verunglückten - darstellt, ausschließen würde (zur Frage des Versicherungsschutzes auf Umwegen, die ein Versicherter einschlägt, um Arbeitskollegen mit seinem Beförderungsmittel zur Arbeitsstätte hin- oder von dieser wegzubringen, vgl. die Rechtsprechung des erkennenden Senats in SozR RVO § 543 aF Nr. 33, 42; ferner RVA in Breithaupt-Sammlung 1942, 52; SG Reutlingen in WzS 1955, 193; siehe auch Vollmar in BG 1963, 70).

Nachdem D. nämlich seinen Arbeitskollegen in Diestedde abgesetzt und, statt auf der nach Liesborn abzweigenden Straße und somit nach Hause zu fahren, die entgegengesetzte Richtung nach Beckum eingeschlagen hatte, kann angesichts des weiteren Geschehensablaufs der ursächliche Zusammenhang mit der betrieblichen Tätigkeit des Verunglückten keinesfalls mehr bejaht werden. Das Vordergericht hat allerdings nicht feststellen können, ob D. mit seinem Motorrad überhaupt bis Beckum, wo er, wie er gegenüber K angegeben hatte, etwas erledigen wollte, gelangt ist und was er dort vorhatte. Der Umstand, daß der Sachverhalt insoweit trotz aller Bemühungen nicht aufzuklären gewesen ist, geht aber - entgegen der Ansicht des Vordergerichts - nicht zu Lasten der Beklagten. Die Frage des ursächlichen Zusammenhangs des zurückgelegten Weges mit der betrieblichen Tätigkeit gehört zu den Voraussetzungen der von den Klägern erhobenen Ansprüche. Lassen sich die hierfür maßgeblichen Tatsachen nicht aufklären, wirkt sich dies für den, der hieraus zu seinen Gunsten rechtliche Folgen ableiten will, nachteilig aus. Bei der rechtlichen Wertung, ob der betriebliche Zusammenhang auf der von D. von Diestedde aus in entgegengesetzter Richtung zu seinem Wohnort angetretenen Weiterfahrt gegeben gewesen ist, kann der erkennende Senat somit nicht davon ausgehen, daß diese Fahrt in einem inneren Zusammenhang mit dem Unternehmen gestanden hat.

Dies wäre zwar, wie das LSG angenommen hat, ohne rechtliche Bedeutung, wenn die von D. von Diestedde aus in Richtung Beckum zurückgelegte Hin- und Rückfahrt als eine vorübergehende Unterbrechung des Heimweges von der Arbeitsstätte anzusehen wäre, denn der Unfall hat sich erst auf der Strecke zwischen Diestedde und Liesborn, dem Wohnort D.'s ereignet. Dieser Annahme steht jedoch entgegen, daß D. einige Zeit nach seiner Abfahrt aus Diestedde in der Bahnhofsgaststätte des näher bei Beckum als bei Diestedde gelegenen Ortes D. gesehen worden ist. Das Berufungsgericht meint, dieser Gaststättenaufenthalt sei versicherungsrechtlich als unschädlich zu beurteilen, weil D. das Bedürfnis gehabt habe, sich zu erfrischen. Die Beklagte hat diese Ansicht des Vordergerichts mit Recht angegriffen, denn angesichts des gegebenen Sachverhalts war dieses Bedürfnis nicht durch betriebliche Gründe bedingt. D. wäre nämlich, wäre er von Diestedde aus auf der sich ihm geradezu anbietenden Straße nach Liesborn gefahren, in nicht einmal 10 Minuten zu Hause gewesen. Die Notwendigkeit, sich zu erfrischen, war vielmehr - sofern dafür überhaupt ein echtes Bedürfnis vorgelegen hat - dadurch hervorgerufen worden, daß D. den von der Arbeitsstätte zurückgelegten Weg aus Gründen, für die betriebliche Umstände nicht zu erkennen sind, nicht unerheblich verlängert hatte. Wie das Berufungsgericht festgestellt hat, hat D. in der Bahnhofsgaststätte von D. die Geburt seines jüngsten Kindes gefeiert. Auf die in diesem Zusammenhang von der Revision erhobene Rüge, das Berufungsgericht habe unzutreffenderweise festgestellt, daß D. allein mit dem Walzenführer W in der Bahnhofswirtschaft von D. zusammengewesen sei, während nach dessen Zeugenaussage D. auch noch den Arbeitskollegen J eingeladen habe und sie zu Dritt zusammengesessen seien, braucht nicht eingegangen zu werden. Unabhängig von der Zahl der Teilnehmer lassen auch die tatsächlichen Feststellungen des LSG nur den Schluß zu, daß D. sich nicht aus betrieblichen Gründen in jener Bahnhofsgaststätte aufgehalten hat; sie machen vielmehr deutlich, daß D. spätestens um diese Zeit dazu übergegangen war, seine Freizeit nach seinem Belieben zu gestalten. Damit ist aber der Zusammenhang mit der betrieblichen Tätigkeit nicht mehr vorhanden gewesen, was zur Folge hat, daß D. auf der Rückfahrt von D. nach Liesborn sich nicht mehr auf dem - versicherungsrechtlich geschützten - Heimweg befunden hat.

Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts waren, geht man mit diesem davon aus, daß der von D. bis Diestedde zurückgelegte Weg noch versichert gewesen ist, vom Verlassen dieses Ortes in Richtung Beckum bis zum Unfall nicht ganz 1 1/2 Stunden vergangen. Wie der erkennende Senat in ständiger Rechtsprechung entschieden hat, darf zwar die den endgültigen Verlust des Versicherungsschutzes bewirkende Lösung des Zusammenhangs des Weges von der Arbeitsstätte mit der Tätigkeit im Unternehmen nicht allein danach beurteilt werden, welche Zeitdauer die vom Versicherten in seinen Heimweg eingeschobene private Verrichtung beansprucht hat; maßgebend sind vielmehr die näheren Umstände, welche diese Verrichtung nach Art und Dauer im Einzelfall kennzeichnen, wobei das Zeitmoment nur eines von mehreren Wesensmerkmalen ist (zu vgl. SozR RVO § 542 aF Nr. 25, § 543 aF Nr. 7, 29, 41, 51; BSG 10, 226, 228; BG 1962, 214; Breithaupt-Sammlung 1964, 378 sowie die - nicht veröffentlichten - Entscheidungen des erkennenden Senats vom 27. April 1961 - 2 RU 206/57 - und vom 28. Juni 1963 - 2 RU 63/60; vgl. ferner: RVA in EuM 20, 86 und BG 1930, 74; Bayer. LVAmt in Breithaupt-Sammlung 1952, 762; Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, Band II, S. 485; Lauterbach, Gesetzliche Unfallversicherung, 3. Aufl., Anm. 18 zu § 550 RVO). Im Vergleich zu vom erkennenden Senat bereits entschiedenen Streitfällen mag jene Zeitspanne von annähernd 1 1/2 Stunden zwar als nicht besonders lang angesehen werden. Die in Fällen solcher Art vorzunehmende rechtliche Gesamtwürdigung der einzelnen Umstände kann vorliegendenfalls aber nicht außer acht lassen, daß D. seinem Weg von der Arbeitsstätte schließlich eine Richtung gegeben hat, die seinem üblichen Ziel, nämlich seiner Wohnung, gerade entgegengesetzt gewesen ist, und daß hierfür Gründe betrieblicher Art nicht erkennbar sind. Im Vergleich zu der kurzen Zeit, die D. noch gebraucht hätte, um von Diestedde aus nach Hause zu gelangen, muß die von ihm zu privaten Zwecken aufgewendete Zeit als unverhältnismäßig lang angesehen werden; auch dies kann hier nicht unbeachtet bleiben, weil nach dem vorliegenden Sachverhalt einer der Ausnahmefälle gegeben ist, in denen nach der Rechtsprechung des erkennenden Senats (SozR RVO § 543 aF Nr. 41) das Verhältnis zwischen der Dauer der in den Heimweg eingeschobenen Verrichtung und der Länge des noch zurückzulegenden Heimwegs rechtlich bedeutsam ist. Es kommt hinzu, daß D. an einem Punkt dieses ihn von seiner Wohnung immer weiter wegführenden Weges schließlich, wie die gesamten äußeren Umstände deutlich machen, zur Feierabendgestaltung übergegangen ist. Die Tatsache, daß D. - stimmt man dem Berufungsgericht zu, daß die Fahrt bis Diestedde unter Versicherungsschutz gestanden habe - diesen Ort nach nicht ganz 1 1/2 Stunden wieder erreicht hatte, kommt angesichts der vorher eingetretenen Ereignisse seinen Hinterbliebenen nicht zugute. Der Verunglückte ist - wie eine Gesamtbetrachtung seines Verhaltens ergibt - im Zeitpunkt des Unfalls nicht mehr auf dem Heimweg von der Arbeit gewesen. Versicherungsschutz war sonach seinerzeit nicht mehr gegeben.

Es kann dahingestellt bleiben, ob - wie das LSG für das Saarland entschieden hat (zu vgl. Breithaupt-Sammlung 1963, 873; vgl. hierzu Ricke in SGb 1964, 69 und in BG 1963, 111, sowie Klink in WzS 1956, 166) - "die Rechtsfigur der Lösung vom Betrieb" den Charakter einer Gegennorm mit der Folge hat, daß eine insoweit eingetretene Beweislosigkeit zu Lasten des Versicherungsträgers geht. Der - auch in Angelegenheiten der Sozialgerichtsbarkeit anzuwendende - Grundsatz der objektiven Beweislast (BSG 6, 70, 73; 7, 249, 254) kommt nur dann zur Anwendung, wenn Tatsachen, die für das Bestehen oder Nichtbestehen des erhobenen Anspruchs erheblich sind, sich trotz Ausschöpfung aller vorhandenen Beweismittel im Wege der Amtsermittlung (§ 103 SGG) nicht haben aufklären lassen, so daß sich für das Gericht zwangsläufig die Frage stellt, zu wessen Nachteil sich dieser Umstand auswirken muß. Der Sachverhalt, der dem Berufungsgericht im Zeitpunkt seiner Entscheidung vorgelegen hat, zwingt indessen zur Anwendung dieses Grundsatzes nicht. Aus den vom LSG festgestellten Tatsachen lassen sich für die richterliche Überzeugungsbildung ausreichende Schlüsse zur Frage, ob der Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit nur vorübergehend unterbrochen oder endgültig gelöst worden ist, ziehen. Nach der gegebenen Sachlage können sie allein dahin lauten, daß der ursächliche Zusammenhang zwischen dem von D. erlittenen Unfall und seiner betrieblichen Tätigkeit nicht gegeben ist.

Daher war zu erkennen, wie geschehen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI2380266

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