Entscheidungsstichwort (Thema)

Vertragsarzt. Schmerztherapeut. Wirtschaftlichkeitsprüfung. Prüfungsart. Prüfmethode. Prüfung nach Durchschnittswerten. Vergleich mit Vorquartalen. Vertikalvergleich

 

Leitsatz (amtlich)

Die Wirtschaftlichkeit der Behandlungsweise eines Vertragsarztes kann anhand eines Vergleichs mit eigenen Abrechnungswerten früherer Quartale geprüft werden, wenn andere geeignete Prüfungsarten nicht zur Verfügung stehen.

 

Normenkette

SGB V § 106

 

Verfahrensgang

SG Stuttgart (Urteil vom 21.04.1993; Aktenzeichen S 15 Ka 3353/90)

 

Tenor

Auf die Revisionen des Beklagten und der Beigeladenen zu 1) wird das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 21. April 1993 aufgehoben.

Die Klage gegen den Bescheid des Prüfungsausschusses vom 2. Mai 1990 wird abgewiesen.

Im übrigen wird die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht Baden-Württemberg zurückverwiesen.

 

Tatbestand

I

Der Kläger ist weitergebildeter Anästhesist und seit 1985 als praktischer Arzt zur kassen- und vertragsärztlichen (inzwischen einheitlich: vertragsärztlichen) Versorgung zugelassen. Er betreibt seit Beginn eine ausschließlich schmerztherapeutisch ausgerichtete Praxis.

In dem streitbefangenen Quartal III/1989 belief sich seine durchschnittliche Honoraranforderung pro Patient im Primärkassenbereich auf 4.136,5 Punkte (Fallkostendurchschnitt der Allgemeinärzte: 758,2 Punkte). Der Prüfungsausschuß kürzte die Gesamthonoraranforderung in Höhe von 1.352.644 Punkten wegen Unwirtschaftlichkeit der Behandlungsweise um 180.240 Punkte auf verbleibende 1.172.404 Punkte. Den Widerspruch des Klägers wies der beklagte Beschwerdeausschuß mit Bescheid vom 17. September 1990 zurück. Zur Begründung führte er ua aus, die Behandlungskosten des Klägers könnten wegen der besonderen Praxisausrichtung und des speziellen Leistungsspektrums weder mit den Durchschnittswerten der Allgemeinärzte noch mit denen der Anästhesisten verglichen werden. Die Wirtschaftlichkeit seiner Praxisführung sei deshalb anhand eines Vergleichs mit den eigenen Durchschnittswerten aus den Abrechnungen für die Vorquartale IV/1987 bis III/1988 geprüft worden. Als tolerierbare Abweichung aufgrund von Schwankungen in der Patientenzusammensetzung sei die doppelte Standardabweichung zugrunde gelegt worden; die bei den einzelnen Leistungen darüber hinausgehenden Ansätze seien unwirtschaftlich.

Das dagegen angerufene Sozialgericht (SG) Stuttgart hat die Bescheide des Beklagten und des Prüfungsausschusses aufgehoben (Urteil vom 21. April 1993). Die Prüfung der Wirtschaftlichkeit anhand der eigenen Abrechnungen des Arztes aus Vorquartalen stelle sich nicht als Prüfung nach Durchschnittswerten iS des § 106 Abs 2 Satz 1 Nr 1 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) dar und sei von den Partnern der Gesamtverträge auch nicht als weitere Prüfungsart vereinbart worden. Für die von den Prüfgremien angewandte Prüfungsart gebe es somit weder eine gesetzliche noch eine vertragliche Rechtsgrundlage mit der Folge, daß sich der angegriffene Kürzungsbescheid als rechtswidrig erweise.

Mit den vom SG zugelassenen Sprungrevisionen rügen der Beklagte und die zu 1) beigeladene Kassenärztliche Vereinigung (KÄV) eine Verletzung materiellen Rechts. Entgegen der im angefochtenen Urteil vertretenen Auffassung falle die Prüfung anhand der eigenen Durchschnittswerte eines Arztes aus Vorquartalen unter den Begriff der Durchschnittsprüfung iS des § 106 Abs 2 Satz 1 Nr 1 SGB V, wie bereits der bewußt weit gefaßte Wortlaut der Vorschrift ergebe. Einer besonderen Vereinbarung dieser Prüfungsart habe es deshalb nicht bedurft. Die für die Überwachung der Wirtschaftlichkeit zuständigen Prüfungseinrichtungen seien gemäß § 20 Abs 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) verpflichtet, den entscheidungserheblichen Sachverhalt von Amts wegen in jeder Richtung aufzuklären. Das könne, wie das Bundessozialgericht (BSG) bereits entschieden habe, erforderlichenfalls auch im Wege eines Vergleichs mit eigenen Vorquartalsabrechnungen geschehen, wenn anders keine verwertbaren Erkenntnisse zu gewinnen seien.

Der Beklagte sowie die Beigeladenen zu 1), 3) und 4) beantragen,

das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 21. April 1993 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Revisionen zurückzuweisen.

Die übrigen Beteiligten haben sich im Revisionsverfahren nicht geäußert.

 

Entscheidungsgründe

II

Die Sprungrevisionen sind zulässig.

Zwar hat innerhalb der Revisionsfrist allein die Beigeladene zu 1) eine den Formerfordernissen des § 161 Abs 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) entsprechende Zustimmungserklärung des Rechtsmittelgegners zur Einlegung der Sprungrevision vorgelegt, während sich der Beklagte auf die Einreichung einer diesen Erfordernissen nicht genügenden Fotokopie der Sitzungsniederschrift des SG beschränkt hat. Für die Zulässigkeit der Revision reicht es indessen aus, wenn die schriftliche Zustimmungserklärung im Original oder in beglaubigter Abschrift von einem der am Revisionsverfahren Beteiligten rechtzeitig innerhalb der Frist des § 164 Abs 1 Satz 1 SGG beigebracht wird.

Die Revisionen sind insofern begründet, als das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache an die Tatsacheninstanz zurückzuverweisen ist. Der Senat kann aufgrund der bisher getroffenen Feststellungen über die Rechtmäßigkeit der umstrittenen Honorarkürzung nicht abschließend entscheiden.

Ohne weiteres abweisungsreif ist die Klage allerdings, soweit sie sich (auch) gegen den Bescheid des am Verfahren nicht beteiligten Prüfungsausschusses richtet. Denn Gegenstand der vom Kläger erhobenen Anfechtungsklage kann entgegen der Ansicht des SG zulässigerweise allein der Bescheid des beklagten Beschwerdeausschusses sein. Eine gerichtliche Anfechtung der im Verfahren der Wirtschaftlichkeitsprüfung von den Prüfungsausschüssen erlassenen Bescheide scheidet – von bestimmten, hier nicht in Betracht kommenden Ausnahmen abgesehen – aus Rechtsgründen aus; eine darauf gerichtete Klage ist unzulässig (vgl Urteil des Senats vom 9. März 1994 – 6 RKa 5/92 – in SozR 3-2500 § 106 Nr 22 mwN).

Auch soweit es der Anfechtungsklage gegen den Bescheid des Beklagten vom 17. September 1990 stattgegeben hat, kann das vorinstanzliche Urteil keinen Bestand haben. Das SG hat die Aufhebung dieses Bescheides damit begründet, daß es für die im Fall des Klägers zur Prüfung der Wirtschaftlichkeit der Behandlungsweise angewandte Methode des Vergleichs mit eigenen Fallkostendurchschnitten früherer Abrechnungsquartale keine Rechtsgrundlage gebe. Zugelassen seien nach der als abschließend zu bewertenden Regelung des § 106 Abs 2 SGB V nur die im Gesetz genannten oder vertraglich besonders vereinbarte Prüfungsarten. Da das hier praktizierte Verfahren weder im SGB V noch in der im Bezirk der beigeladenen KÄV geltenden Prüfvereinbarung vorgesehen sei, könnten die mit seiner Hilfe gewonnenen Erkenntnisse schon aus formal-verfahrensrechtlichen Gründen nicht Grundlage einer Honorarkürzung sein. Diese Ausführungen halten einer rechtlichen Nachprüfung nicht stand.

§ 106 SGB V legt den Krankenkassen und den KÄVn die Verpflichtung auf, die Wirtschaftlichkeit der kassen- bzw vertragsärztlichen Versorgung durch gemeinsame Prüfungseinrichtungen zu überwachen. Die Prüfungseinrichtungen haben festzustellen, ob im Einzelfall gegen das Wirtschaftlichkeitsgebot verstoßen wurde, und ggf zu entscheiden, welche Maßnahmen zu treffen sind. Für die Durchführung der Prüfung sieht § 106 Abs 2 Satz 1 SGB V in der hier noch anzuwendenden Fassung des Gesundheitsreformgesetzes (GRG) vom 20. Dezember 1988 (BGBl I S 2477) bestimmte Prüfungsarten vor, nämlich die arztbezogene Prüfung ärztlicher und ärztlich verordneter Leistungen nach Durchschnittswerten (Nr 1 aaO), die arztbezogene Prüfung bei Überschreitung der Richtgrößen für verordnete Leistungen nach § 84 SGB V (Nr 2 aaO) und die arztbezogene Prüfung ärztlicher und ärztlich verordneter Leistungen auf der Grundlage von Stichproben (Nr 3 aaO). Über diese Regelung hinausgehend eröffnet § 106 Abs 2 Satz 3 SGB V den Landesverbänden der Krankenkassen und den KÄVn gemeinsam die Möglichkeit, andere als die in Satz 1 Nr 1 bis 3 aaO vorgesehenen arztbezogenen Prüfungsarten zu vereinbaren.

Die vom Gesetz als Regelprüfungsart angesehene arztbezogene Prüfung nach Durchschnittswerten (§ 106 Abs 2 Satz 1 Nr 1 SGB V) basiert auf einer Gegenüberstellung der durchschnittlichen Fallkosten des geprüften Arztes einerseits und der Gruppe vergleichbarer Ärzte andererseits. Anknüpfungspunkt für die Beurteilung der Wirtschaftlichkeit ist somit der durchschnittliche Behandlungsaufwand der Ärzte der Vergleichsgruppe in dem zu prüfenden Quartal. Davon unterscheidet sich der vom beklagten Beschwerdeausschuß vorgenommene Vergleich darin, daß die Honoraranforderungen des Klägers in den geprüften Quartalen mit einem aus seinen eigenen Abrechnungswerten früherer Quartale ermittelten Durchschnittswert verglichen worden sind. Es kann dahingestellt bleiben, ob dieses als sog “Vertikalvergleich” (Raddatz, Die Wirtschaftlichkeit der kassenärztlichen und kassenzahnärztlichen Versorgung in der Rechtsprechung – WKR –, 6.3.2) bezeichnete Vorgehen als Modifikation der Prüfung nach Durchschnittswerten der Prüfungsart des § 106 Abs 2 Satz 1 Nr 1 SGB V zuzurechnen ist (so wohl Clemens in: Schulin, Handbuch des Sozialversicherungsrechts, Bd 1, 1994, § 35 RdNr 8) oder – wie das SG gemeint hat – den Voraussetzungen der genannten Vorschrift nicht entspricht (in diesem Sinne auch Spellbrink, Wirtschaftlichkeitsprüfung im Kassenarztrecht nach dem Gesundheitsstrukturgesetz ≪GSG≫, 1994, RdNr 544); denn entgegen der von der Vorinstanz vertretenen Auffassung ist eine Wirtschaftlichkeitsprüfung auf der Grundlage anderer Prüfungsarten rechtlich jedenfalls dann zulässig und geboten, wenn die Prüfung nach den in § 106 Abs 2 Satz 1 Nr 1 bis 3 SGB V aufgeführten und den von den Vertragspartnern zusätzlich vereinbarten Prüfungsarten keine verwertbaren Ergebnisse zu erbringen vermag. Dem Gesetz ist keine generelle Beschränkung auf die gesetzlich vorgesehenen oder vertraglich vereinbarten Prüfungsarten zu entnehmen. Eine Auslegung der maßgeblichen Vorschriften in diesem Sinne stünde im Widerspruch zur Überwachungsverpflichtung des § 106 Abs 1 SGB V; sie verkehrte zudem die normativen Vorgaben des GRG ins Gegenteil und begegnete auch verfassungsrechtlichen Bedenken.

Wie bereits ausgeführt, leitet sich aus § 106 Abs 1 SGB V nicht nur die Befugnis, sondern vielmehr die Verpflichtung der Krankenkassen und der KÄVn als Träger der gemeinsamen Selbstverwaltung von Ärzten und Krankenkassen ab, die Wirtschaftlichkeit der kassen-/vertragsärztlichen Versorgung zu überwachen. Dieses Verständnis der Vorschrift wird durch Sinn und Zweck verschiedener durch das GRG neugefaßter Regelungen des Krankenversicherungsrechts belegt. Es war eines der Hauptanliegen dieser Neuregelungen, die Notwendigkeit einer wirtschaftlichen Leistungserbringung stärker herauszustellen und dieses Vorhaben rechtlich abzusichern (vgl dazu aus der Begründung des Gesetzesentwurfs: BT-Drucks 11/2237, Allg Teil A I, S 132; II 1, S 137; III 2, S 142; V 3, S 150 ua). Demgemäß wendet sich das im Gesetz an mehreren Stellen verankerte Wirtschaftlichkeitsgebot nicht nur an die Versicherten und beschränkt insoweit deren Ansprüche (vgl § 2 Abs 1, Abs 4, § 12 Abs 1; § 27 Abs 1 SGB V: nur “notwendige” Krankenbehandlung); es gilt ebenso sowohl für die Krankenkassen und die Leistungserbringer allgemein (§ 70 Abs 1 SGB V) als auch speziell für die an der kassen-/vertragsärztlichen Versorgung teilnehmenden Ärzte (§ 72 Abs 2 SGB V) sowie andere Leistungserbringer (vgl zB § 113 SGB V). Mit dieser umfassenden Absicherung des Wirtschaftlichkeitsgebotes ging eine strikte Verpflichtung zur Überwachung der Wirtschaftlichkeit der ärztlichen Leistungserbringer einher, weil diese “im gesundheitlichen Versorgungssystem eine Schlüsselstellung einnehmen” (Begründung des Gesetzentwurfs in BT-Drucks, aaO, A II 1, S 137; vgl auch aaO, V 3, S 150). Demgemäß wurde in § 106 SGB V nicht nur das unter der Geltung der RVO in der Praxis der Prüfungsgremien entwickelte und durch die Rechtsprechung bestätigte statistische Prüfverfahren gesetzlich abgesichert; es wurden zugleich auch weitere Prüfungsarten eingeführt, “um die Nachteile einer ausschließlich an Durchschnittswerten orientierten Prüfung, zB durch eine Annäherung an die Fachgruppendurchschnitte, auszuschließen” (Begründung des Gesetzenwurfs, BT-Drucks, aaO, zu § 114, S 196).

Einer Gesetzesinterpretation, die im Ergebnis dazu führt, daß einzelne Ärzte oder Gruppen von ärztlichen Leistungserbringern nicht geprüft werden können, weil die in § 106 Abs 2 Satz 1 Nr 1 bis 3 SGB V vorgesehenen oder die vereinbarten Prüfungsarten ungeeignet sind, kann angesichts dieser Zusammenhänge nicht gefolgt werden. Sie steht im direkten Wertungswiderspruch zu den aufgezeigten gesetzlichen Vorgaben. Denn sie hätte zur Folge, daß die Prüfungseinrichtungen ihrer gesetzlichen Verpflichtung zur Überwachung der Wirtschaftlichkeit in Teilbereichen nicht nachkommen könnten und das Wirtschaftlichkeitsgebot für die betreffenden Ärzte faktisch außer Kraft gesetzt würde. Darin läge zugleich ein Verstoß gegen den allgemeinen Gleichheitssatz des Art 3 Abs 1 Grundgesetz (GG), weil einzelne Leistungserbringer ohne sachlichen Grund von der Wirtschaftlichkeitsprüfung ausgenommen blieben.

Der hier vertretenen Auffassung kann nicht entgegengehalten werden, die Verbände der Krankenkassen und die KÄVn könnten – ihrer Befugnis aus § 106 Abs 2 Satz 3 SGB V entsprechend – von vornherein geeignete Prüfungsarten vereinbaren, so daß die Situation, daß ärztliche Leistungserbringer mangels zugelassener Prüfungsarten einer Wirtschaftlichkeitsprüfung nicht unterzogen werden könnten, nicht eintreten könne. Diese Sichtweise reduziert zum einen die Möglichkeit des Einsatzes alternativer Prüfmethoden auf solche Verfahren, über die sich die Vertragspartner einigen konnten. Zum anderen verkennt sie die praktischen Anforderungen der Wirtschaftlichkeitsprüfung, wie sie sich seit Jahrzehnten in der Rechtsprechung des erkennenden Senats widerspiegeln. Die Prüfungsgremien stehen aufgrund einer ständig zunehmenden Differenzierung ärztlicher Leistungserbringung in der ambulanten Praxis, der Bildung neuer Behandlungsschwerpunkte, des Einsatzes neuer technischer Entwicklungen sowohl bei der ärztlichen Behandlung als auch bei der Abrechnung ärztlicher Leistungen vor Problemstellungen, die sie mit den bisher bekannten und angewandten Prüfungsarten zum Teil nur unzureichend zu lösen vermögen. Es obliegt mithin den Prüfungsgremien schon aufgrund ihrer Zuständigkeit zur Durchführung der Wirtschaftlichkeitsprüfung, sachgerechte Prüfungsarten (= Beweismethoden) zu entwickeln, deren Geeignetheit ggf von der Rechtsprechung zu überprüfen ist. Der Senat hat daher bereits früher darauf hingewiesen, daß die Prüfungsgremien im Verwaltungsverfahren der Wirtschaftlichkeitsprüfung gem § 20 SGB X verpflichtet sind, den Sachverhalt bezüglich der Frage, ob der zu prüfende Arzt unwirtschaftlich gehandelt hat oder nicht, mit allen dazu geeigneten Beweismitteln aufzuklären (BSGE 70, 246, 251 f = SozR 3-2500 § 106 Nr 10). Es besteht kein Anlaß, hiervon angesichts der Regelung des § 106 Abs 2 Satz 3 SGB V abzugehen; denn die Befugnis, neben den im Gesetz vorgesehenen Prüfungsarten weitere zu vereinbaren, ist nicht eingeräumt worden, um de facto die Prüfungsbefugnis der Prüfungsgremien zu beschränken, sondern vielmehr, um das vorgegebene Prüfungsspektrum erweitern zu können.

Aus allem folgt, daß die Prüfungsgremien neue Prüfungsarten, dh auch solche, die nicht gem § 106 Abs 2 Satz 3 SGB V vereinbart worden sind, anwenden dürfen, sofern weder die gesetzlich vorgesehenen noch die vereinbarten Prüfungsarten zur Durchführung einer sachgerechten Wirtschaftlichkeitsprüfung geeignet sind.

Unter den nachfolgend genannten Voraussetzungen liegen auch keine durchgreifenden rechtlichen Bedenken dagegen vor, aus dem Vergleich der Honoraranforderungen eines Arztes in einem Quartal mit Durchschnittswerten aus seinen Honorarabrechnungen in früheren Quartalen auf die Unwirtschaftlichkeit der von ihm abgerechneten Leistungen zu schließen.

Verwaltungspraxis und Rechtsprechung haben es schon in der Vergangenheit in mehrfacher Beziehung als sachgerecht angesehen, den in Vorquartalen erbrachten Leistungsumfang als Beurteilungskriterium für die Wirtschaftlichkeit der Leistungserbringung ergänzend mit heranzuziehen (vgl BSGE 11, 102, 114 f für die Schätzung des unwirtschaftlichen Mehraufwandes; BSGE 17, 79, 86 = SozR Nr 5 zu § 368n RVO für die Verfeinerung des Vergleichsmaßstabes; BSGE 46, 136, 140 = SozR 2200 § 368n Nr 14 und BSG SozR 3-2500 § 106 Nr 14, S 85 für die Festlegung des offensichtlichen Mißverhältnisses; BSGE 50, 84, 87 = SozR 2200 § 368e Nr 4 und BSG SozR 2200 § 368n Nr 31 S 105 für die Quantifizierung einer Praxisbesonderheit; BSG SozR 2200 § 368n Nr 19, S 55 für die Ausübung des Kürzungsermessens). Sofern keine andere geeignete Prüfungsart zur Verfügung steht, kann ein solcher “Vertikalvergleich” auch als alleinige Prüfmethode in Betracht kommen und verwertbare Erkenntnisse über die Wirtschaftlichkeit der ärztlichen Tätigkeit erbringen. Allerdings kann die Rechtfertigung eines solchen Vergleichs sich nicht auf die der Regelung des § 106 Abs 2 Satz 1 Nr 1 SGB V zugrundeliegende Fiktion stützen, nach der davon auszugehen ist, daß die Gesamtheit der Ärzte einer Vergleichsgruppe im Durchschnitt gesehen wirtschaftlich handelt. Stattdessen wird der Durchschnittswert der eigenen Honoraranforderungen des geprüften Arztes als Vergleichsmaßstab zugrunde gelegt, selbst wenn es keinerlei Beleg dafür gibt, daß der von ihm in früheren Quartalen erbrachte Leistungsumfang dem Wirtschaftlichkeitsgebot entsprochen hat. Bereits die in dieser Vorgehensweise liegende Begünstigung des im Vertikalvergleich geprüften Arztes im Verhältnis zu anderen Ärzten schließt eine allgemeine Anwendung dieser Prüfungsmethode aus. Auf sie darf daher, wie bereits oben schon ausgeführt, ausschließlich in den Fällen zurückgegriffen werden, in denen die Prüfung nach anderen Prüfungsarten, etwa wegen der Unvergleichbarkeit des Leistungsspektrums, ausscheidet.

Darüber hinaus sind bei dem Vertikalvergleich verschiedene Anforderungen zu beachten, um Zufallsergebnisse zu vermeiden. Voraussetzung für seine Zulässigkeit ist zunächst, daß sich sowohl Patientengut als auch Behandlungsstruktur in den zu vergleichenden Zeiträumen nicht wesentlich geändert haben. Weiter sind für die Bildung des Durchschnittswertes mindestens vier aufeinanderfolgende Quartale zugrunde zu legen. Ausgeschlossen muß schließlich sein, daß es sich bei dem geprüften Quartal um ein einzelnes aus der Reihe fallendes “Spitzenquartal” handelt. Ob den so ermittelten Durchschnittswerten daneben – wie im vorliegenden Verfahren von dem Beklagten praktiziert – wegen möglicher Schwankungen in der Patientenstruktur hierfür noch ein Zuschlag hinzuzufügen ist, mag dahingestellt bleiben, weil derartige Schwankungen bereits durch die Bildung des Durchschnittswertes berücksichtigt worden sind. Liegen die genannten Voraussetzungen vor, kommt den so ermittelten Durchschnittswerten die Funktion zu, die das “offensichtliche Mißverhältnis” bei der statistischen Vergleichsmethode hat. Den Arzt trifft ab dem Überschreiten der Durchschnittswerte die Beweislast für die Wirtschaftlichkeit seiner Behandlungsweise.

Der Senat kann nicht abschließend beurteilen, ob der angefochtene Bescheid des Beklagten den aufgezeigten Anforderungen entspricht, weil insoweit hinreichende tatsächliche Feststellungen fehlen. Zwar lagen der Bildung der Duchschnittswerte vier aufeinanderfolgende Quartale zugrunde, und die geprüften Quartale waren durch eine stetige Steigerung insbesondere beim Gesamtfallwert gekennzeichnet. Die Praxis des Klägers war weiterhin seit ihrer Eröffnung ausschließlich schmerztherapeutisch ausgerichtet, was gegen eine – vom Kläger im gerichtlichen Verfahren geltend gemachte – Veränderung in der Patientenstruktur sprechen könnte, die zudem nur beachtlich wäre, wenn sie zwischen den Vergleichsquartalen IV/87 bis III/88 und den geprüften Quartalen I bis III/90 eingetreten wäre. Das SG hat hierzu und zu der vom Kläger weiter dargelegten Fortentwicklung des schmerztherapeutischen Behandlungsstandards und einer damit verbundenen Kostensteigerung – von seiner Auffassung ausgehend zu Recht – keine Feststellungen getroffen. Das Landessozialgericht, an das die Sache gem § 170 Abs 4 Satz 1 SGG zurückverwiesen worden ist, wird die diesbezüglichen Feststellungen nachzuholen und bei seiner abschließenden Entscheidung auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu entscheiden haben.

 

Fundstellen

BSGE, 220

NVwZ-RR 1996, 39

AusR 1995, 23

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