Entscheidungsstichwort (Thema)

Unfallversicherungsschutz bei Pannenhilfe. zuständiger Versicherungsträger

 

Orientierungssatz

1. Erleidet ein für den Fall der Krankheit Versicherter beim Herausschleppen eines auf dem Seitenraum einer Bundesstraße festgefahrenen Kraftwagens (Pannenhilfe) einen Arbeitsunfall, wird er gemäß RVO § 539 Abs 2 wie ein nach RVO § 539 Abs 1 Nr 1 Versicherter tätig. Unerheblich ist, daß die Abschlepptätigkeit mit erheblichem technischen Aufwand erfolgt ist und es sich daher um eine Tätigkeit handelt, die ein aufgrund eines Arbeitsverhältnisses beschäftigter Kraftfahrer im Rahmen seines Beschäftigungsverhältnisses üblicherweise nicht zu verrichten hat. Der Versicherungsschutz nach RVO § 539 Abs 2 ist nicht auf Arbeiten beschränkt, die von den im unterstützen Unternehmen Beschäftigten üblicherweise verrichtet werden.

2. Zur Entschädigung der Folgen eines solchen Unfalls ist die für die nicht gewerbsmäßige Fahrzeughaltung zuständige Berufsgenossenschaft verpflichtet. Der für Versicherte im Haushalt zuständige Versicherungsträger kommt als leistungspflichtig nicht in Betracht (vergleiche BSG 1973-01-25 2 RU 55/71 = BSGE 35, 140, 1973-01-25 2 RU 216/72 und 1973-05-29 2 RU 92/70).

 

Normenkette

RVO § 539 Abs. 2 Fassung: 1953-04-30, Abs. 1 Nr. 1 Fassung: 1963-04-30, § 657 Abs. 1 Nr. 3 Fassung: 1963-04-30, § 658 Abs. 2 Nr. 2 Fassung: 1963-04-30, § 1504

 

Tenor

Die Urteile des Landessozialgerichts Hamburg vom 11. April 1973 und des Sozialgerichts Hamburg vom 12. April 1972 werden aufgehoben.

Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 4.360,35 DM zu zahlen.

Die Beklagte hat dem Beigeladenen zu 3) die Kosten aller Rechtszüge zu erstatten.

 

Gründe

I

Die Klägerin begehrt von der Beklagten oder von den Beigeladenen zu 1) oder 2) gemäß § 1504 Reichsversicherungsordnung (RVO) die Erstattung von 4.360,35 DM, die ihr aus Anlaß des Unfalls des bei ihr für den Fall der Krankheit versicherten Beigeladenen zu 3) entstanden sind.

Der Beigeladene zu 3) ist technischer Angestellter in dem seinem Vater gehörenden "Betonwerk F". Am 13. Juni 1969 befuhr er mit seinem Kraftwagen gegen 22.30 Uhr die Bundesstraße 71 bei B. Dort hatte sich der Soldat D (D.) mit seinem Kraftwagen auf dem nicht befestigten Seitenraum neben der Bundesstraße festgefahren. Der Beigeladene zu 3) hielt an, stoppte einen hinter ihm herkommenden Lastkraftwagen des Betonwerks F und veranlaßte dessen Fahrer, den Kraftwagen des D. freizuschleppen. Als nach Befestigung des Abschleppseils der Beigeladene zu 3) neben dem Führerhaus des Lastkraftwagens stand, um mit dem Fahrer die weiteren Maßnahmen zu besprechen und für das Freischleppen Anweisungen zu erteilen, wurde er von einem die Bundesstraße 71 befahrenden Kraftwagen erfaßt, der gegen den Lastkraftwagen geprallt war. Der Beigeladene zu 3) erlitt dadurch erhebliche Verletzungen. Der Beigeladene zu 1) hat Entschädigungsleistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung durch Bescheid vom 23. September 1970 abgelehnt, weil es sich bei der unfallbringenden Tätigkeit um keine von ihm zu entschädigende Hilfeleistung im Sinne des § 539 Abs. 1 Nr. 9 a RVO gehandelt habe.

Da sowohl die Beklagte als auch der Beigeladene zu 1) den auf § 1504 gegründeten Erstattungsanspruch der Klägerin ablehnten, hat sie vor dem Sozialgericht (SG) Hamburg Klage erhoben und die Verurteilung der Beklagten, hilfsweise des Beigeladenen zu 1) oder der Beigeladenen zu 2) zur Zahlung der der Höhe nach unstreitigen Kosten der Heilbehandlung des Beigeladenen zu 3) wegen der Folgen des Unfalls vom 13. Juni 1969 begehrt.

Klage und Berufung sind ohne Erfolg geblieben (Urteile des SG Hamburg vom 12. April 1972 und des Landessozialgerichts - LSG - Hamburg vom 11. April 1973). Zur Begründung hat das LSG im wesentlichen ausgeführt: Der Beigeladene zu 3) habe zur Zeit des Unfalls in keinem Arbeits- oder Dienstverhältnis zu dem Fahrzeughalter D. gestanden. Ein Versicherungsschutz nach § 539 Abs. 1 Nr. 1 RVO scheide daher aus. Auch ein innerer ursächlicher Zusammenhang mit dem seinem Vater gehörenden Betonwerk F sei zu verneinen. Diese Firma befasse sich weder hauptbetrieblich noch im Rahmen einer Nebentätigkeit mit dem Abschleppen fremder Fahrzeuge. Unerheblich sei, daß der Beigeladene zu 3) bei der begonnenen Hilfeleistung sich eines Lastkraftwagens des Betonwerks bedient habe. Die Benutzung betrieblicher Einrichtungen für eigenwirtschaftliche Handlungen mache solche Handlungen nicht zu einer betrieblichen Tätigkeit und begründe daher keinen Versicherungsschutz. Es habe auch kein Versicherungsschutz nach § 539 Abs. 1 Nr. 9 a RVO bestanden, da der steckengebliebene Kraftwagen weder einen Unglücksfall noch eine Gemeingefahr dargestellt habe. Die durch das beabsichtigte Freischleppen des Kraftwagens für den fließenden Verkehr entstandene Gefahr seine keine Gemeingefahr im Sinne dieser Vorschrift. Es genüge nicht, daß eine Gefahr durch die Beseitigung eines Zustandes ausgelöst werde, vielmehr müsse der zu beseitigende Zustand selbst einen Unglücksfall oder eine gemeine Gefahr darstellen. Ein Versicherungsschutz nach § 539 Abs. 2 RVO für eine Tätigkeit wie der Beschäftigte eines privaten Fahrzeughalters scheitere daran, daß die Abschlepptätigkeit sonst nicht von Personen verrichtet werde, die in einem dem allgemeinen Erwerbsleben zuzurechnenden Beschäftigungsverhältnis zu einem privaten Fahrzeughalter stehen. Zwar könne das Hinausschieben eines steckengebliebenen Kraftwagens ohne besondere Hilfsmittel noch zum Tätigkeitsbereich eines bei einem privaten Fahrzeughalter beschäftigten Chauffeurs gehören. Das treffe aber, wie das SG zutreffend ausgeführt habe, nicht für eine Abschlepptätigkeit mit erheblichem technischen Einsatz zu. Der Beigeladene zu 3) habe zu dem privaten Kraftfahrzeughalter auch nicht in betriebliche Beziehungen treten wollen. Vielmehr entspreche es einer natürlichen Betrachtungsweise, daß er nur in der Vorstellung tätig geworden ist, einer allgemeinen Pflicht zu Hilfeleistung zu genügen.

Das LSG hat die Revision zugelassen.

Die Klägerin hat dieses Rechtsmittel eingelegt und im wesentlichen wie folgt begründet: Aufgrund der neuesten Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) sei der Versicherungsschutz des Beigeladenen zu 3) nach § 539 Abs. 2 iVm Abs. 1 Nr. 1 RVO zu bejahen, da er wie ein Beschäftigter im Unternehmen des privaten Kraftfahrzeughalters D. (§ 658 Abs. 2 Nr. 2 RVO) tätig gewesen sei (Urteile vom 25. Januar 1973 - 2 RU 55/71 und 2 RU 216/72). Im Gegensatz zur Auffassung des LSG sei es unerheblich, daß hier eine Abschlepptätigkeit mit erheblichem technischen Einsatz erfolgt sei. V m Unfallversicherungsschutz werde jede Arbeit im Rechtssinn erfaßt. Das gelte auch für Gefälligkeitsleistungen und Nachbarschaftshilfen. Die Hilfeleistung des Beigeladenen zu 3) habe zudem der Abwendung einer gemeinen Gefahr im Sinne des § 539 Abs. 1 Nr. 9 a RVO gegolten. Dadurch, daß D. aus seinem festgefahrenen Kraftfahrzeug ausgestiegen sei und Vorüberfahrende auf seine Situation aufmerksam gemacht habe, sei von ihm und seinem Kraftwagen schon ein ablenkendes Moment ausgegangen. Dies habe dazu geführt, daß vor dem Beigeladenen zu 3) ein anderes Kraftfahrzeug bei D. gehalten und sich schräg vor den festgefahrenen Wagen gesetzt habe. Bereits damit sei bei der herrschenden Dunkelheit für den fließenden Verkehr eine Gefahrensituation entstanden. Nach dem Anhalten des Beigeladenen zu 3) sei es zu einer die Fahrbahn verengenden Stauung von Fahrzeugen am Fahrbahnrand gekommen. In dieser Situation habe der Beigeladene zu 3) den Entschluß gefaßt, die Ursache dieser den fließenden Verkehr gefährdenden Stauung zu beseitigen. Bei dieser Hilfeleistung sei er verunglückt. In der mündlichen Verhandlung hat die Klägerin ergänzend vorgetragen, daß der Beigeladene zu 3) als Angestellter und Sohn des Inhabers des Betonwerks F. auch im Rahmen dieses Betriebes tätig geworden sei. Denn er habe den Kraftwagen des D. mit einem zum Betonwerk gehörenden Lastkraftwagen herauszuschleppen unternommen.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Landessozialgerichts Hamburg vom 11. April 1973 und des Sozialgerichts Hamburg vom 12. April 1972 aufzuheben und die Beklagte, hilfsweise den Beigeladenen zu 1) oder die Beigeladene zu 2) zu verurteilen, 4.360,35 DM zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Der Beigeladene zu 1) beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Die Beklagte trägt vor, sie könne sich nicht mit der Rechtsprechung des 2. Senats des BSG abfinden, daß in Fällen der hier zu entscheidenden Art, nicht die Zuständigkeit des für Haushaltungen nach § 657 Abs. 1 Nr. 3 RVO zuständigen gemeindlichen Unfallversicherungsträgers gegeben sei. Private Kraftfahrzeuge seien wie Kühlschränke, Rundfunk- und Fernsehgeräte oder Waschmaschinen Gegenstände des häuslichen Bedarfs. Halter und Unternehmer der Haushaltung seien der Ehemann oder beide Ehegatten. Das Unternehmen habe, indem zu ihm Kraftfahrzeuge und sonstige Geräte gehören, den Charakter eines Unternehmens mit verschiedenartigen Bestandteilen. Nach § 647 Abs. 1 RVO sei in einem solchen Fall derjenige Versicherungsträger zuständig, dem das Hauptunternehmen oder - für den vorliegenden Fall abgewandelt - die Mehrheit der anderen verschiedenartigen Bestandteile zuzuordnen seien. Das sei bei einer Haushaltung der gemeindliche Unfallversicherungsträger.

Der Beigeladene zu 1) trägt vor, daß im Hinblick auf das Urteil des 2. Senats des BSG vom 29. Mai 1973 (2 RU 92/70) seine Zuständigkeit nicht gegeben sei. Als Unternehmer der privaten Kraftfahrzeughaltung sei nur der Halter des Fahrzeuges anzusehen. Die Voraussetzungen für eine Hilfeleistung bei gemeiner Gefahr seien ebenfalls zutreffend verneint worden.

Die Beigeladenen zu 2) und 3) haben keinen Antrag gestellt und nichts vorgetragen.

II

Die Revision der Klägerin ist begründet.

Die Beklagte hat der Klägerin 4.360,35 DM zu erstatten.

Nach § 1504 RVO hat der Träger der Unfallversicherung dann, wenn die Erkrankung eines krankenversicherten Verletzten Folge eines entschädigungspflichtigen Arbeitsunfalls ist, der Krankenkasse in vollem Umfang die Kosten zu erstatten, die nach Ablauf des 18. Tages nach dem Arbeitsunfall entstehen. Ausgenommen von der Ersatzpflicht sind u. a. die Kosten der Krankenpflege (§ 182 Abs. 1 Nr. 1 RVO).

Der bei der Klägerin für den Fall der Krankheit versicherte Beigeladene zu 3) hatte am 13. Juni 1969 einen von der Beklagten zu entschädigenden Arbeitsunfall erlitten. Der Klägerin sind wegen der als Krankheit zu wertenden gesundheitlichen Folgen dieses Unfalls 4.360,35 DM erstattungsfähige Kosten entstanden.

Das LSG hat zu Recht verneint, daß der Beigeladene zu 3) zur Zeit des Unfalls im Rahmen seines zum Betonwerk F bestehenden Dienstverhältnisses als technischer Angestellter tätig geworden ist und daher nach § 539 Abs. 1 Nr. 1 RVO versichert war. Allein die Tatsache, daß der Beigeladene zu 3) im Unternehmen seines Vaters beschäftigt war und zum Herausschleppen des Kraftwagens des D. einen hinter ihm herfahrenden Lastkraftwagens dieses Unternehmens angehalten hatte, reicht nicht aus, um die Tätigkeit seinem Dienstverhältnis im väterlichen Unternehmen zuzurechnen. Dazu wäre vielmehr Voraussetzung, daß das Herausschleppen des festgefahrenen Kraftwagens objektiv oder zumindest vom Standpunkt des Beigeladenen zu 3) aus, also subjektiv, den Interessen des Betonwerks F zu dienen geeignet war (vgl. Lauterbach, Gesetzliche Unfallversicherung, 3. Aufl., Anm. 7 zu § 548). Den tatsächlichen Feststellungen des LSG kann jedoch nichts in dieser Hinsicht entnommen werden. Die Klägerin hat das Fehlen entsprechender Feststellungen auch nicht gerügt. Unter diesen Umständen kann dahingestellt bleiben, ob der ursächliche Zusammenhang der Tätigkeit des Beigeladenen zu 3) beim Abschleppen mit dem Dienstverhältnis im Unternehmen seines Vaters auch deshalb nicht gegeben war, weil - wie das LSG meint - sich das Betonwerk F nicht mit dem Abschleppen fremder Fahrzeuge befasse und die Benutzung des dem Unternehmen gehörenden Lastkraftwagens hier eine eigenwirtschaftliche Handlung gewesen sei.

Ein nach § 539 Abs. 1 Nr. 1 RVO versichertes Arbeits- oder Dienstverhältnis des Beigeladenen zu 3) zum Kraftfahrzeughalter D. hat das LSG ebenfalls zu Recht verneint, ohne daß es dazu näherer Darlegungen bedurft hätte.

Der erkennende Senat stimmt dem LSG auch darin zu, daß die Tätigkeit des Beigeladenen zu 3) keine Hilfeleistung im Sinne des § 539 Abs. 1 Nr. 9 a RVO gewesen ist. Nach dieser Vorschrift sind u. a. Personen gegen Arbeitsunfall versichert, die bei Unglücksfällen oder gemeiner Gefahr oder Not Hilfe leisten. Ein Unglücksfall im Sinne dieser Vorschrift kann zwar auch ein Ereignis sein, das keinen Personenschaden, sondern nur einen Schaden an Sachgütern zur Folge hat (Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, 8. Aufl., S. 472 x; Lauterbach aaO Anm. 53 zu § 539). Die Nr. 9 a des § 539 Abs. 1 RVO bezweckt jedoch, wie aus dem Vergleich mit den anderen, durch diese Vorschrift außerdem noch erfaßten Fällen hervorgeht - Hilfeleistung bei gemeiner Gefahr oder Not, Rettung aus gegenwärtiger Lebensgefahr oder erheblicher gegenwärtiger Gefahr für Körper oder Gesundheit - und sich aus dem Sinn der Vorschrift ergibt, Versicherungsschutz nur zu gewähren, solange ein Unglücksfall mit seinen unmittelbaren Schadensfolgen noch nicht abgeschlossen ist; es muß in diesem Sinn noch ein weiterer Schaden drohen (BSG 35, 140 Lauterbach aaO Anm. 53 zu § 539; Brackmann aaO S. 474 a; Ebermayer/Lohe, Strafgesetzbuch, 8. Aufl. Anm. II 1 zu § 330 c; Wittmann SGb 1971, 420). Das war hier jedoch nicht der Fall. Nach den für das Revisionsgericht bindenden Feststellungen des LSG (§ 163 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -) hat D. seinen Kraftwagen auf dem nicht befestigten Seitenraum der Bundesstraße 71 festgefahren. Von dem Fahrzeug drohte somit kein Schaden. Die Stellung des Fahrzeuges bedeutete auch keine gemeine Gefahr, wie das LSG zutreffend dargelegt hat. Eine Gemeingefahr liegt nur vor, wenn die ernste und naheliegende Besorgnis eines Schadens begründet ist, durch den die Allgemeinheit betroffen werden könnte, wobei es genügt, daß nur das Leben einer einzigen unbestimmten Person gefährdet erscheint (Lauterbach aaO Anm. 57 zu § 539; Ebermayer/Lohe aaO Vorbem. III des 27. Abschnitts). Nun meint zwar die Klägerin selbst nicht, daß der im Seitenraum stehende Kraftwagen des D. eine Gemeingefahr darstellt habe. Zu Unrecht sieht sie diese jedoch dadurch verursacht, daß ein schon vor dem Beigeladenen zu 3) bei D. angehaltener Kraftwagen und der Kraftwagen des Beigeladenen zu 3) eine die Fahrbahn verengende Stauung verursacht haben. Es kann dahingestellt bleiben, ob eine den Versicherungsschutz nach § 539 Abs. 1 Nr. 9 a RVO begründende Gemeingefahr auch dann vorliegt, wenn zwar nicht das zur Hilfeleistung Anlaß gebende festgefahrene Fahrzeug eine solche Gefahr darstellte, diese aber durch die am Ort der Hilfeleistung sich einfindenden Helfer hervorgerufen wird. Das angefochtene Urteil enthält nämlich keine ausreichenden tatsächlichen Feststellungen, die zu einer Entscheidung dieser Frage Anlaß geben könnten. Das LSG hat lediglich ausgeführt, daß D. bereits einen anderen Kraftwagen angehalten hatte, dessen Warnblinklicht eingeschaltet war und daß der später hinzukommende Beigeladene zu 3) seinen Kraftwagen am rechten Fahrbahnrand abstellte. Das Fehlen weiterer Feststellungen ist von der Klägerin auch nicht in einer dem Formerfordernis des § 164 Abs. 2 Satz 2 SGG entsprechenden Weise gerügt worden. Daher kann in tatsächlicher Hinsicht nicht davon ausgegangen werden, daß die bei D. haltenden Kraftfahrzeuge eine die Fahrbahn verengende Stauung bildeten, wodurch möglicherweise für den fließenden Verkehr auf der Bundesstraße 71 eine Gefahrensituation herbeigeführt worden war.

Das LSG hat jedoch verkannt, daß die Voraussetzungen für einen Versicherungsschutz nach § 539 Abs. 2 RVO vorgelegen haben. Nach dieser Vorschrift sind gegen Arbeitsunfall Personen versichert, die "wie" ein nach Abs. 1 Versicherter tätig werden; dies gilt auch bei nur vorübergehender Tätigkeit. Mit Einleitung der Maßnahmen zum Herausschleppen des festgefahrenen Kraftwagens des D. ist der Beigeladene zu 3) wie ein nach § 539 Abs. 1 Nr. 1 RVO Versicherter, nämlich wie ein im Unternehmen der privaten Kraftfahrzeughaltung des D. aufgrund eines Arbeitsverhältnisses Beschäftigter, tätig geworden. Nach der ständigen Rechtsprechung des erkennenden Senats ist es für die Anwendung dieser Vorschrift nicht erforderlich, daß ein Abhängigkeitsverhältnis vorliegt; auch die Beweggründe des Hilfeleistenden für sein Eingreifen sind nicht wesentlich. Es genügt, daß es sich um eine ernstlich dem Unternehmen dienliche Tätigkeit handelt, die dem mutmaßlichen Willen des Unternehmens entspricht und die ihrer Art nach sonst von Personen verrichtet werden könnte, die in einem dem allgemeinen Arbeitsmarkt zuzurechnenden Beschäftigungsverhältnis stehen, wobei eine allerdings nur theoretische Möglichkeit hierfür nicht ausreicht (BSG 34, 240; 35, 140). Es muß also der Art nach eine arbeitnehmerähnliche Tätigkeit sein. Jedoch kommt es entgegen der Ansicht des LSG nicht darauf an, daß die Tätigkeit üblicherweise von in dem betreffenden Unternehmen beschäftigten Personen im Rahmen eines Beschäftigungsverhältnisses verrichtet wird. Für die Anwendung des § 539 Abs. 2 RVO iVm Abs. 1 Nr. 1 dieser Vorschrift ist daher sowohl der Umstand unerheblich, daß der Kraftfahrzeughalter D., dem die Tätigkeit des Beigeladenen zu 3) diente, keinen Chauffeur beschäftigte, als auch die Erwägung des LSG, daß eine Abschlepptätigkeit mit erheblichem technischen Einsatz nicht zu den Tätigkeiten gehört, die ein aufgrund eines Arbeitsverhältnisses beschäftigter Kraftfahrer im Rahmen seines Beschäftigungsverhältnisses üblicherweise zu verrichten hat (vgl. Brackmann aaO S. 475 bis 476 ff II mit weiteren Nachweisen). Der Senat hat daher einen selbständigen Landwirt nach § 539 Abs. 2 iVm Abs. 1 Nr. 1 RVO als versichert angesehen, der beim Herausschleppen eines steckengebliebenen Kraftwagens mit seinem Traktor umgestürzt und dabei tödlich verletzt worden war (Urteil vom 25. Januar 1973 - 2 RU 216/72). Die Beschränkung des Versicherungsschutzes nach § 539 Abs. 2 RVO auf Arbeiten, die von dem im unterstützten Unternehmen Beschäftigten üblicherweise verrichtet werden, würde insbesondere der systematischen Verbindung dieser Vorschrift mit Abs. 1 Nr. 1 nicht ausreichend Rechnung tragen (BSG 34, 240, 242). Da der Versicherungsschutz der Beschäftigten nicht nur für die in dem jeweiligen Unternehmen typischen Tätigkeiten besteht, sondern z. B. auch die im Einzelfall weisungsgemäß verrichteten sonstigen Arbeiten umfaßt, wird derjenige, der - ohne beschäftigt zu sein - eine ebensolche, dem allgemeinen Erwerbsleben zugängliche Tätigkeit für das Unternehmen übernimmt, "wie" ein nach § 539 Abs. 1 Nr. 1 RVO Versicherter tätig; die Anwendung des § 539 Abs. 2 RVO hängt nicht davon ab, daß der Außenstehende, der für ein Unternehmen tätig wird, vor seinem Eingreifen Überlegungen anstellt, ob die Tätigkeit von dem im Unternehmen Beschäftigten üblicherweise verrichtet wird. Da es auf die Beweggründe für die Hilfeleistung ebenfalls nicht ankommt, ist es auch unerheblich, daß der Beigeladene zu 3) nach der Meinung des LSG "nur" in der Vorstellung tätig geworden ist, einer allgemeinen Pflicht zur Hilfeleistung zu genügen, wobei das LSG überdies unerwähnt läßt, woraus sich diese Pflicht herleitet, nachdem es die Voraussetzungen für die allgemeine Pflicht zur Hilfeleistung nach § 330 c Strafgesetzbuch (StGB) - Unglücksfall oder gemeine Gefahr - ausdrücklich verneint hat. Schließlich besteht auch kein Zweifel, daß die vom Beigeladenen zu 3) zur Vorbereitung des Herausschleppens ergriffenen Maßnahmen dem Willen des Kraftfahrzeughalters D. entsprochen haben.

Der Beigeladene zu 3) ist bei seinem Eingreifen in dem Unternehmen des privaten Kraftfahrzeughalters D. tätig geworden. Dieser war insoweit Unternehmer im Sinne der Unfallversicherung. Denn nach § 658 Abs. 2 Nr. 2 RVO ist Unternehmer beim nicht gewerbsmäßigen Halten von Fahrzeugen derjenige, der das Fahrzeug hält. Der Senat hat bereits wiederholt entschieden, daß der Begriff des Unternehmers im Sinne der Unfallversicherung keinen Geschäftsbetrieb oder eine auf Erwerb gerichtete Tätigkeit voraussetzt (BSG 14, 1; SozR Nr. 1 zu § 658 RVO). Der Versicherungsschutz ist auch in Fällen des § 539 Abs. 2 RVO nicht davon abhängig, daß für die jeweilige Tätigkeit Beiträge an die Berufsgenossenschaft geleistet werden. Einer der Hauptanwendungsfälle dieser Vorschrift bezieht sich gerade auf Fälle eines unvorhergesehenen, vorübergehenden Tätigwerdens.

Zur Entschädigungsleistung ist die für die Fahrzeughaltung sachlich zuständige beklagte Berufsgenossenschaft verpflichtet. Der für Versicherte in Haushaltungen zuständige Versicherungsträger kommt dagegen als leistungspflichtig nicht in Betracht, wie der erkennende Senat bereits wiederholt entschieden hat (BSG 35, 140, 143; Urteile vom 25. Januar 1973 - 2 RU 216/72 - und vom 29. Mai 1973 - 2 RU 92/70-). Selbst wenn das Halten eines Kraftfahrzeuges noch in den Rahmen einer Haushaltung fallen sollte, so ergibt sich jedoch aus der ausdrücklichen Regelung des § 658 Abs. 2 Nr. 2 RVO, daß als Unternehmer der privaten Kraftfahrzeughaltung nicht der Haushaltungsvorstand, sondern der Halter des Fahrzeuges anzusehen ist. Im vorliegenden Fall haben die Ausführungen der Beklagten über die vermeintliche Zuständigkeit des für Haushaltungen nach § 657 Abs. 1 Nr. 3 RVO zuständigen gemeindlichen Unfallversicherungsträgers ohnehin keinen realen Bezug, da das angefochtene Urteil keine tatsächlichen Feststellungen darüber enthält, daß D. als Halter des festgefahrenen Kraftwagens zugleich Unternehmer einer Haushaltung gewesen ist oder der Kraftwagen einer anderen Haushaltung diente. Die Beklagte hat das Fehlen solcher Feststellungen auch nicht mit Verfahrensrügen angegriffen.

Da die Beklagte der für die Entschädigung des Arbeitsunfalls vom 13. Juni 1969 zuständige Versicherungsträger ist, war sie unter Aufhebung der Urteile des LSG und des SG zur Zahlung des der Höhe nach unstreitigen Betrages von 4.360,35 DM zu verurteilen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1648716

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