Entscheidungsstichwort (Thema)

Unfallversicherungsschutz nach § 539 Abs 1 Nr 9 Buchst a

 

Leitsatz (amtlich)

Zur Frage, wann ein Unglücksfall iS des § 539 Abs 1 Nr 9 Buchst a RVO beendet ist.

 

Leitsatz (redaktionell)

Erstattungsanspruch des unzuständigen Leistungsträgers (§ 105 SGB 10):

Hat eine Krankenkasse irrtümlich einen Anspruch auf Familienkrankenhilfe erfüllt, obwohl ein anderweitiger gesetzlicher Anspruch auf Heilbehandlung gegenüber einem Unfallversicherungsträger bestand, dann richtet sich der Erstattungsanspruch der Krankenkasse nach § 105 SGB 10.

 

Orientierungssatz

1. Versicherungsschutz nach § 539 Abs 1 Nr 9 Buchst a ist nur zu gewähren, solange ein Unglücksfall mit seinen unmittelbaren Schadensfolgen noch nicht abgeschlossen ist; es muß in diesem Sinne noch ein weiterer Schaden drohen (vgl BSG 1974-10-30 2/8 RU 100/73 = USK 74130).

2. Zur Frage des Unfallversicherungsschutzes bei Hilfestellung in einem Krankenhaus oder einer Arztpraxis bei der ärztlichen Behandlung eines unruhigen verletzten Kindes.

 

Normenkette

RVO § 539 Abs. 1 Nr. 9 Buchst. a Fassung: 1963-04-30; SGB 10 § 105

 

Verfahrensgang

LSG Hamburg (Entscheidung vom 13.04.1983; Aktenzeichen III UBf 33/82)

SG Hamburg (Entscheidung vom 28.07.1982; Aktenzeichen 25 U 333/75)

 

Tatbestand

Die Klägerin begehrt die Feststellung, daß es sich bei dem Unfall der Beigeladenen am 26. Juli 1971 um einen entschädigungspflichtigen Arbeitsunfall gehandelt hat. Sie will, wie das Berufungsgericht ausgeführt hat, von der Beklagten nach Maßgabe des § 1504 der Reichsversicherungsordnung (RVO) die getragenen Krankenhauskosten erstattet erhalten.

Die am 9. Dezember 1965 geborene Tochter der Beigeladenen zog sich beim Spielen auf einer Schiffswerft in M (M.), die sie zusammen mit ihren Eltern besuchte, durch Hinfallen eine stark blutende Kinnwunde zu. Nachdem die Beigeladene ihr Kind mit angelegtem Handdruckverband in Begleitung eines Arbeitnehmers der Werft in die Praxis des Arztes Dr. S (Dr. S.) in M. gebracht und dieser begonnen hatte, die Wundränder zu beschneiden, fiel die am Behandlungstisch stehende Beigeladene in gestreckter und versteifter Haltung um, schlug auf den Boden der Arztpraxis auf und zog sich eine Hirnschädigung zu, die nach ärztlichem Befinden die Erwerbsfähigkeit der Beigeladenen mindern soll.

Da die Beigeladene angab, vor dem Sturz von Dr. S. um Hilfeleistung bei der ärztlichen Behandlung gebeten worden zu sein, sah die Klägerin den Sturz als Unfall bei einer nach § 539 Abs 1 Nr 9 Buchst a RVO versicherten Tätigkeit an und meldete wegen der entstandenen Krankenhauskosten bei der Beklagten ihren auf § 1504 Abs 1 RVO gestützten Ersatzanspruch an. Die Beklagte lehnte den Anspruch mit Schreiben vom 24. September 1973 ab. Sie sei zwar für Ansprüche aus Unfällen bei den nach § 539 Abs 1 Nr 9 Buchst a RVO genannten Tätigkeiten der zuständige Träger der Unfallversicherung, jedoch habe im Zeitpunkt des Unfalls der Beigeladenen keine Unfallgefahr mehr bestanden, so daß die Beigeladene nicht unter Versicherungsschutz gestanden habe.

Das Sozialgericht (SG) Hamburg hat nach Vernehmung des Arztes Dr. S. durch das Kantongerecht te Hoorn/Niederlande am 7. Mai 1981 und des Ehemannes der Beigeladenen am 23. September 1981 sowie nach Einholung von ärztlichen Gutachten des Dr. Lo vom 29. Januar 1982 und des Dr. G (Dr. G.) vom 28. Juli 1982 entsprechend dem Antrag der Klägerin festgestellt, daß die Beigeladene am 26. Juli 1971 einen Arbeitsunfall gem § 548 RVO erlitten hat (Urteil vom 28. Juli 1982). Die Berufung der Beklagten hat das Landessozialgericht (LSG) Hamburg zurückgewiesen (Urteil vom 13. April 1983). Zur Begründung hat es ausgeführt: Das SG habe zu Recht das für die Begründung eines Erstattungsanspruches nach § 1504 Abs 1 RVO erforderliche Vorliegen eines Arbeitsunfalls festgestellt. Hierbei habe es sich auf die Feststellung dieses Elementes des Erstattungsanspruches beschränken dürfen, weil dieses dem Begehren der Beteiligten entsprochen habe und die Entscheidung des Feststellungsbegehrens den Erstattungsstreit zwischen den Hauptbeteiligten des Verfahrens, die jeweils Personen des öffentlichen Rechts seien, zu beenden geeignet gewesen sei. Die Beigeladene habe zur Zeit des Unfalls unter dem Schutz der Unfallversicherung nach § 539 Abs 1 Nr 9 Buchst a RVO gestanden. Sie habe in der Praxis des Arztes Dr. S. ihrem Kind Hilfe während eines Unglücksfalles geleistet. Der Unfall habe sich nach Angaben der Beigeladenen und den diese Angaben bestätigenden Bekundungen ihres als Zeugen vernommenen Ehemannes ereignet, nachdem Dr. S. sie - die Beigeladene - zur Hilfeleistung aufgefordert habe. Der vom SG gehörte medizinische Sachverständige Dr. G. habe eine Hilfestellung der Beigeladenen für notwendig erachtet. Dies hätten in den von der Klägerin vorgelegten Gutachten vom 28. Dezember 1977 und 5./8. September 1980 auch Dr. L (Dr. L.) und Dr. W (Dr. W.) getan. Der Aussage des Dr. S., der jede Hilfeleistung der Beigeladenen in Abrede stelle, sei nicht zu folgen. Es liege nicht fern, daß Dr. S. wegen des Zeitraumes von ungefähr zehn Jahren zwischen dem Unfall der Beigeladenen und seiner Vernehmung und unter dem Eindruck eines ihm drohenden Haftpflichtprozesses mit ungewissem Ausgang nicht anders mehr habe aussagen können und wollen. Aus seiner Aussage sei aber zu entnehmen, daß er die Anwesenheit der Beigeladenen am Behandlungstisch geduldet habe. Diese Aussage sei dahin auszulegen, daß die Beigeladene ihrem Kind in einer objektiv gesundheitlich gefährlichen Situation zumindest seelischen Beistand habe leisten wollen, den ein 5 1/2-jähriges Kind in einer solchen Situation bedürfe. Da ein solcher seelischer Beistand das Verhalten des Kindes günstig zu beeinflussen geeignet gewesen sei, müsse die Leistung seelischen Beistandes als ein für die Hilfeleistung iS des § 539 Abs 1 Nr 9 Buchst a RVO zu forderndes aktives Handeln gewertet werden. Im Zeitpunkt des Beginns der ärztlichen Behandlung durch Dr. S. sei der Unglücksfall noch nicht abgeschlossen gewesen. Nach Lage des Falles könne ein beendeter Unglücksfall, der das Eingreifen eines Dritten nicht mehr zu rechtfertigen geeignet sei, erst angenommen werden, wenn die blutende Kinnwunde einer angemessenen ärztlichen Wundversorgung unterzogen worden sei. Das bedeute, daß der Unglücksfall noch im Zeitpunkt der Versorgung des Kindes vorgelegen habe. Die Beigeladene sei jedoch schon vor der Wundbehandlung hingefallen. Der Sturz der Beigeladenen sei auch nicht aus innerer Ursache, sondern durch einen Schock infolge des Unglücksfalles ihres Kindes mit seinen Begleiterscheinungen eingetreten.

Das LSG hat die Revision zugelassen.

Die Beklagte hat dieses Rechtsmittel eingelegt und im wesentlichen wie folgt begründet: Im Zeitpunkt der Wundversorgung durch Dr. S. habe kein Unglücksfall mehr vorgelegen. Denn es drohte dem Kind kein weiterer Schaden mehr. Mit der Wundversorgung habe die Behebung des Schadens begonnen. Die Beigeladene habe daher im Zeitpunkt ihres Sturzes keine Hilfe bei einem Unglücksfall geleistet. Ein aktives Tun, das Voraussetzung für eine Hilfeleistung sei, habe das LSG nicht festgestellt. Deshalb habe es sich auch gezwungen gesehen, die bloße Anwesenheit als aktives Tun zu werten, wobei die Hilfeleistung der Beigeladenen durch seelischen Beistand erfolgt sein solle. Seelischer Beistand sei keine unter § 539 Abs 1 Nr 9 Buchst a RVO fallende Hilfeleistung. Eine Hilfeleistung durch die Beigeladene sei auch nicht mehr erforderlich gewesen, nachdem Dr. S. mit der Wundbehandlung begonnen hatte. Damit sei auch für die Beigeladene erkennbar gewesen, daß für die Gesundheit ihres Kindes keine weitere Gefahr gedroht habe. Das LSG habe bei seiner Beweiswürdigung die allgemeinen Denkgesetze verletzt, indem es der Beigeladenen und deren Ehemann keine persönlichen Interessen am Ausgang des Verfahrens eingeräumt und auch deren Erinnerungsvermögen für besser als das Erinnerungsvermögen des Dr. S. angesehen habe. Bezüglich der Aussage von Dr. S. könne auch nicht auf einen diesem Arzt drohenden Haftpflichtprozeß verwiesen werden. Der Ehemann der Beigeladenen habe gegenüber Dr. S. im Jahre 1972 eine diesbezügliche Äußerung gemacht. Seitdem sei aber keine Rede mehr davon gewesen. Insgesamt habe das LSG die Beweisführung entgegen allen juristisch-logischen Denkgesetzen vorgenommen. Es könne nicht widerlegt werden, daß das Kind der Beigeladenen sich während der Behandlung ruhig verhalten habe. Nach dem Sturz der Beigeladenen habe der Arzt das Kind ohne eine besondere Hilfestellung weiter versorgt.

Die Beklagte beantragt, die Urteile des LSG Hamburg vom 13. April 1983 und des SG Hamburg vom 28. Juli 1982 aufzuheben und die Klage abzuweisen, hilfsweise, das Urteil des LSG Hamburg vom 13. April 1983 aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen.

Die Klägerin beantragt, die Revision der Beklagten zurückzuweisen.

Sie trägt vor, daß die Beigeladene ihrem Kind bei Dr. S. nicht nur seelischen Beistand, sondern auch aktive Hilfe während der ärztlichen Behandlung durch Festhalten des Kindes und Herunterdrücken der Beine geleistet habe. Im Zeitpunkt des Beginns der ärztlichen Behandlung sei der Unglücksfall noch nicht abgeschlossen gewesen. Nach allgemeiner Lebenserfahrung habe Dr. S. mit Schadensersatzansprüchen der Beigeladenen rechnen müssen, nachdem sie in seiner Praxis bei einer Hilfeleistung verunglückt sei.

Die Beigeladene ist im Revisionsverfahren nicht vertreten.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision der Beklagten ist begründet.

Das LSG hat § 1504 Abs 1 RVO als Grundlage des Erstattungsanspruchs der Klägerin angesehen und sich auf die Entscheidung des Feststellungsbegehrens der Klägerin beschränkt, die Beigeladene habe am 26. Juli 1971 einen Arbeitsunfall gem § 548 RVO erlitten. Ein Erstattungsanspruch nach § 1504 Abs 1 RVO setzt aber daneben zwingend voraus, daß der Träger der Krankenversicherung Leistungen aus Anlaß eines Arbeitsunfalls an einen Verletzten erbracht hat, der bei ihm versichert ist (BSGE 39, 24). Die bloße Feststellung, daß die Beigeladene am 26. Juli 1971 einen Arbeitsunfall erlitten habe, wobei auch nur ein von der Beklagten zu entschädigender Arbeitsunfall in Betracht kommt, ist grundsätzlich nicht geeignet, einen auf § 1504 Abs 1 RVO gestützten Erstattungsstreit zu beenden, wenn nicht festgestellt wird, daß die Beigeladene bei der den Ersatz von Kosten begehrenden Krankenkasse - der Klägerin - im Zeitpunkt des Unfalls versichert war. Darüber ist dem angefochtenen Urteil nichts zu entnehmen. Soweit ersichtlich, hat dies die Klägerin auch niemals vorgetragen. Naheliegend ist, daß die Klägerin der Beigeladenen aufgrund der Versicherung ihres Ehemannes Leistungen im Rahmen der Familienhilfe (Familienkrankenpflege und -krankenhauspflege) gem § 205 RVO (in der zur Zeit des Unfalls geltenden Fassung - RVO aF) gewährt hat. In einem solchen Fall hatte der Erstattungsanspruch der Klägerin seine rechtliche Grundlage zunächst in der entsprechenden Anwendung des § 1510 Abs 2 RVO aF (BSG aaO). Seit dem Inkrafttreten des Sozialgesetzbuches - Verwaltungsverfahren - (SGB X) 3. Kapitel vom 4. November 1982 (BGBl I 1450) am 1. Juli 1983 (Art II § 25 Abs 1 SGB X) richtet sich der Erstattungsanspruch in noch anhängigen Verfahren nach § 105 SGB X iVm Art II § 21 SGB X (Schroeder-Printzen/Engelmann/Schmalz/Wiesner/von Wulffen, SGB X, Ergänzungsband, § 105 Anm 2.4. und Art II § 21 mit Nachweisen). Hat ein unzuständiger Leistungsträger Sozialleistungen erbracht, ohne aufgrund gesetzlicher Vorschriften zu vorläufigen Leistungen verpflichtet zu sein (§ 102 SGB X), ist der zuständige Leistungsträger gem § 105 Abs 1 SGB X erstattungspflichtig. Der Umfang des Erstattungsanspruchs richtet sich nach den für den zuständigen Leistungsträger geltenden Rechtsvorschriften (§ 105 Abs 2 SGB X). Im Falle, daß die Klägerin der Beigeladenen Leistungen der Familienhilfe zugewendet hat, ist das Erstattungsbegehren der Klägerin mithin davon abhängig, daß diese Leistungen ohne Rechtsgrund erbracht worden sind, nämlich weil die Beigeladene einen eigenen Anspruch auf diese Leistungen wegen eines Arbeitsunfalls gegenüber der Beklagten hatte.

Entgegen den beiden Vorinstanzen verneint der Senat einen Leistungsanspruch der Beigeladenen. Sie hat am 26. Juli 1971 keinen von der Beklagten zu entschädigenden Arbeitsunfall erlitten.

Arbeitsunfall ist nach § 548 Abs 1 RVO ein Unfall, den ein Versicherter bei einer der in den §§ 539, 540 und 543 bis 545 RVO genannten Tätigkeiten erleidet. Nach § 539 Abs 1 Nr 9 Buchst a RVO sind gegen Arbeitsunfall Personen versichert, die bei Unglücksfällen oder gemeiner Gefahr oder Not Hilfe leisten oder einen anderen aus gegenwärtiger Lebensgefahr oder erheblicher gegenwärtiger Gefahr für Körper oder Gesundheit zu retten unternehmen. Diese Vorschrift gilt nach § 539 Abs 3 RVO auch für Personen, die außerhalb des Geltungsbereichs der RVO tätig werden, wenn sie innerhalb dieses Geltungsbereichs ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt haben. Für die Entschädigung von Unfällen bei diesen Tätigkeiten sind die Länder (§ 655 Abs 2 Nr 3 RVO) oder die zu Versicherungsträgern bestimmten Gemeinden (§ 656 Abs 1 RVO) zuständig. Im vorliegenden Fall wäre bei einem Arbeitsunfall der Beigeladenen im Zusammenhang mit einer Hilfeleistung gem § 539 Abs 1 Nr 9 Buchst a RVO die Beklagte der zuständige Versicherungsträger, da die Beigeladene im Zeitpunkt des Unfalls ihren Wohnsitz in Essen hatte.

Das Ereignis, bei dem sich die Tochter Silke der Beigeladenen am 26. Juli 1971 eine stark blutende Kinnwunde zugezogen hatte, war zwar ein Unglücksfall iS des § 539 Abs 1 Nr 9 Buchst a RVO, jedoch war der Unglücksfall beendet, als die Beigeladene ihren Unfall in der Praxis des Arztes Dr. S. erlitt. Nach dem Sinn und Zweck des § 539 Abs 1 Nr 9 Buchst a RVO ist Versicherungsschutz nur zu gewähren, solange ein Unglücksfall mit seinen unmittelbaren Schadensfolgen noch nicht abgeschlossen ist; es muß in diesem Sinne noch ein weiterer Schaden drohen (BSGE 35, 140, 141; 44, 22, 23; BSG Urteile vom 25. Januar 1973 - 2 RU 159/72 -,vom 12. Oktober 1973 - 2/8/2 RU 173/72 - und vom 30. Oktober 1974 - 2 RU 100/73 -; Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, 9. Aufl, S 473c; Lauterbach, Gesetzliche Unfallversicherung, 3. Aufl § 539 Anm 53 und 56; Bereiter-Hahn/ Schiecke/Mehrtens, Gesetzliche Unfallversicherung, § 539 Anm 15.3; Gitter SGB RVO-Gesamtkommentar § 539 Anm 22; Wittmann SGb 1971, 420). Die Tochter Silke der Beigeladenen war aus dem Gefahrenbereich der Unfallstelle in ärztliche Behandlung gebracht worden. Die dann folgende Tätigkeit des Arztes, während der die Beigeladene verunglückte, galt der möglichst optimalen Behandlung der unmittelbaren Folgen des abgeschlossenen Unglücksfalles.

Das LSG hat in tatsächlicher Hinsicht festgestellt, daß D. S. die Beigeladene um Hilfe bei der dringend erforderlichen Wundbehandlung ihrer Tochter Silke gebeten hat. Diese Feststellung sagt aber noch nichts darüber aus, ob der Unglücksfall, von dem das Kind betroffen war, noch fortdauerte, dh der Eintritt eines weiteren Schadens drohte. Von dem, was der als Zeuge vernommene Ehemann der Beigeladenen vor dem SG am 23. Januar 1981 ausgesagt hat, nämlich daß die Beigeladene ua ihre auf dem Behandlungstisch des Dr. S. liegende Tochter, die sehr unruhig gewesen sei, gehalten habe, ist nichts als festgestellte Tatsache in das angefochtene Urteil eingegangen. Das gilt gleichfalls für die Ausführungen in den vom LSG in Bezug genommenen Gutachten des Dr. G. vom 28. Juli 1982, des Dr. L. vom 28. Dezember 1977 und des Dr. W. vom 5./8. September 1980, wonach die Tochter der Beigeladenen verstört und unruhig gewesen sei, geschrien habe und weiterer Schaden durch Sturz vom Behandlungstisch und durch Verletzungen während der Wundversorgung hätten eintreten können. Da das LSG im Rahmen seiner Befugnis, nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnen Überzeugung zu entscheiden (§ 128 Abs 1 Satz 1 des Sozialgerichtsgesetzes -SGG-), nichts von alledem als Tatsache festgestellt hat, kann das Revisionsgericht nicht davon ausgehen, der Tochter der Beigeladenen habe bei der Wundversorgung durch Dr. S. noch ein weiterer Schaden gedroht. Der Unglücksfall war daher, als die Beigeladene während der Wundbehandlung ihres Kindes zu Boden fiel, bereits beendet. Es kann somit dahinstehen, ob die Hilfestellung in einem Krankenhaus oder einer Arztpraxis bei der ärztlichen Behandlung eines unruhigen verletzten Kindes überhaupt grundsätzlich noch eine Hilfe bei einem Unglücksfall iS des § 539 Abs 1 Nr 9 Buchst a RVO ist.

Die Beigeladene konnte auch nicht subjektiv der Ansicht sein, sie leiste ihrer Tochter durch seelischen Beistand Hilfe in einem noch nicht beendeten Unglücksfall. Die subjektive Meinung des Versicherten ist nur dann erheblich, wenn sie in den objektiv gegebenen Verhältnissen eine ausreichende Stütze findet (BSGE 20, 215, 218; 30, 283; 37, 38, 38; BSG SozR Nrn 23 und 30 zu § 548 RVO; SozR 2200 § 555 Nr 5; BSG Urteile vom 26. April 1973 - 2 RU 77/70 - und vom 19. Oktober 1982 - 2 RU 23/81 -). Da das angefochtene Urteil jedoch keine tatsächlichen Feststellungen enthält, die die Auffassung der Beigeladenen von einer Hilfeleistung bei einem noch fortbestehenden Unglücksfall zu stützen vermögen, stand sie zur Zeit ihres Sturzes in der Praxis des Dr. S. nicht nach § 539 Abs 1 Nr 9 Buchst a RVO unter Versicherungsschutz. Ein von der Beklagten zu entschädigender Arbeitsunfall (§ 548 RVO) hat nicht vorgelegen. Ein Erstattungsanspruch der Beklagten (§ 105 SGB X) ist nicht gegeben.

Ob die Beigeladene im Zeitpunkt ihres Sturzes nach anderen Vorschriften gegen Arbeitsunfall versichert war - das SG hat die Voraussetzungen des § 539 Abs 1 Nr 7 RVO iVm § 539 Abs 2 RVO geprüft - braucht nicht entschieden zu werden. Denn bei Vorliegen eines Versicherungsschutzes nach diesen Vorschriften - das SG hat ihn verneint - wäre jedenfalls nicht die Beklagte der für die Entschädigung zuständige Versicherungsträger.

Die beiden vorinstanzlichen Urteile mußten daher aufgehoben und die Klage abgewiesen werden.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

 

Fundstellen

BSGE, 134

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