Leitsatz (amtlich)

Die ständige Rechtsprechung der Kriegsopferversorgungs- Senate des BSG zur "Brautversorgung" nach BVG § 89 greift im Ergebnis nicht in die Ermessensausübung der Verwaltung (SGG § 54 Abs 2 S 2) ein; sie steht dem Beschluß des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes vom 1971-10-19 - GmS OGB 6/70 - nicht entgegen.

 

Normenkette

BVG § 89 Fassung: 1964-02-21; SGG § 54 Abs. 2 S. 2 Fassung: 1953-09-03; RsprEinhG § 2 Abs. 1 Fassung: 1968-06-19

 

Tenor

Die Revision gegen das Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 21. September 1972 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

 

Gründe

I

Die Klägerin war mit dem seit Oktober 1944 verschollenen, am 3. Januar 1964 zum 31. Dezember 1945 für tot erklärten H H (H.) verlobt. Aus dieser Verbindung gingen die 1943 und 1944 geborenen Kinder H und R hervor, denen Waisenrente nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) gewährt wurde. H. hatte anläßlich der Anerkennung der Vaterschaft zu dem Kind H im März 1943 vor dem Amtsgericht erklärt und noch in einigen an die Klägerin gerichteten Briefen wiederholt, er wolle die Klägerin bald heiraten.

Im Juli 1967 beantragte die Klägerin Brautversorgung im Wege des Härteausgleichs mit der Begründung, sie habe H. im Dezember 1942 die Heiratspapiere mit Ausnahme des Ehetauglichkeitszeugnisses, das ihr verweigert worden sei, übersandt; die beabsichtigte Heirat habe wegen der Verschollenheit des H. nicht verwirklicht werden können.

Mit Bescheid vom 27. Februar 1968 lehnte das Versorgungsamt (VersorgA) die Gewährung von Brautversorgung ab, weil der Heirat die Verweigerung des Ehetauglichkeitszeugnisses, nicht aber ein Kriegsereignis entgegengestanden habe. Der Widerspruch blieb ohne Erfolg (Bescheid vom 26. Juni 1968).

Auf die Klage verurteilte das Sozialgericht (SG) den Beklagten zur Erteilung eines neuen Bescheids nach § 89 BVG unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung des Gerichts (Urteil vom 7. Dezember 1971): Die ernstliche Absicht der Verlobten, spätestens nach Kriegsende zu heiraten, sei wesentlich durch die Verschollenheit des H. vereitelt worden.

Dem in der Person der Klägerin bestehenden Eheverbot, das nach Kriegsende weggefallen sei, komme bei rückwirkender Betrachtung keine entscheidende Bedeutung zu. Das Rundschreiben des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung (BMA) vom 11. Juli 1966 (BVBl 1966 S. 82), welches die Vereitelung der Eheschließung "allein" durch Kriegsereignisse fordere, sei nicht maßgebend.

Auf die Berufung des Beklagten hob das Landessozialgericht (LSG) das Urteil des SG auf, wies die Klage ab und ließ die Revision zu (Urteil vom 21. September 1972). Es führte unter Hinweis auf das Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 25. Januar 1972 (BSG 33, 291) aus, bei der Brautversorgung müsse die Verwirklichung der ernsthaften Heiratsabsichten allein durch Kriegsereignisse verhindert worden sein. Diese Voraussetzung sei nicht erfüllt, weil nicht die Verschollenheit, sondern die Verweigerung des Ehetauglichkeitszeugnisses die rechtlich wesentliche Ursache für die unterbliebene Eheschließung gewesen sei. Im übrigen sei die hier offensichtlich und zwangsläufig bestehende Absicht einer Eheschließung erst nach Kriegsende nicht mit der Absicht einer "alsbaldigen" Eheschließung gleichzusetzen.

Mit der Revision bittet die Klägerin um Überprüfung der Rechtsauffassung des LSG. Sie hält das Urteil des SG für zutreffend und meint, aus BSG 33, 291 ergebe sich für den vorliegenden Fall nichts, weil in jenem Falle das BSG die Wirkung einer Verbotsnorm des Ehegesundheitsgesetzes nicht klargestellt und das Ehehindernis auch nicht in der Person der Frau bestanden habe.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Hessischen Landessozialgerichts aufzuheben und die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts als unbegründet zurückzuweisen.

Der Beklagte beantragt,

die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

Die Beteiligten haben ihr Einverständnis mit einem Urteil ohne mündliche Verhandlung erklärt.

II

Die Revision ist zulässig (§§ 162 Abs. 1 Nr. 1, 164, 166 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -), aber sachlich nicht begründet. Das LSG hat mit Recht das Urteil des SG aufgehoben und die Klage abgewiesen. Der Klägerin kann ab Juli 1967 Brautversorgung im Wege des Härteausgleichs nicht gewährt werden.

Nach § 89 Abs. 1 BVG in der hier anzuwendenden, seit dem 1. Neuordnungsgesetz (NOG) vom 27. Juni 1960 (BGBl I, 453) unverändert gebliebenen Fassung kann, sofern sich in einzelnen Fällen aus den Vorschriften dieses Gesetzes besondere Härten ergeben, mit Zustimmung des BMA ein Ausgleich gewährt werden. Der BMA hat nach § 89 Abs. 2 BVG mit dem Rundschreiben vom 11. Juni 1966 (BVBl 1966, 82) der Brautversorgung unter den dort genannten Voraussetzungen allgemein zugestimmt und sich in dem Rundschreiben vom 21. Oktober 1968 (BVBl 1968, 150) seine Zustimmung für einen Teil der in Betracht kommenden Fälle zwar vorbehalten, sich aber den in der Rechtsprechung der Kriegsopfersenate für die Gewährung von Brautversorgung entwickelten Grundsätze angeschlossen.

Nach der Rechtsprechung des BSG (vgl. insb. BSG 27, 286; 31, 83; 33, 292; 34, 96) liegt eine "besondere Härte", die eine Brautversorgung nach § 89 BVG rechtfertigen kann, neben anderen Voraussetzungen dann vor, wenn die ernsthafte Absicht der Verlobten, alsbald zu heiraten, allein durch Kriegsereignisse, insbesondere Kriegstod oder Verschollenheit - § 52 BVG - des Verlobten vereitelt worden und die Verlobte dadurch wirtschaftlich in eine Lage gekommen ist, die der einer Witwe (§ 38 BVG) oder der Ehefrau eines Verschollenen nahekommt. Der Prüfung einer "besonderen Härte", die sich nach § 89 BVG "aus diesem Gesetz" ergeben müßte, steht der Beschluß des Gemeinsamen Senats der Obersten Gerichtshöfe des Bundes (GmS) vom 19. Oktober 1971 (BVerwG 39, 355 = BGHZ 58, 399) nicht entgegen, nach dem je nach dem Sinn und Zweck einer solchen "Koppelungsvorschrift" zu entscheiden ist, wie sich ein derartiger unbestimmter Begriff zu der mit ihm verbundenen Ermessensermächtigung rechtsdogmatisch verhält. Ob die "besondere Härte" i. S. des § 89 BVG nicht - wie das BSG bisher in ständiger Rechtsprechung angenommen hat (BSG 27, 286, 287; 31, 83, 84) - als unbestimmter Rechtsbegriff zu werten ist, sondern - ebenso wie der Begriff "unbillig" in der für die Eingriffsverwaltung geltenden Vorschrift des § 131 Abgabenordnung nach dem zitierten Beschluß des GmS - lediglich Inhalt und Grenzen des pflichtgemäßen Ermessens bestimmt, weil sonst kein Raum für ein Verwaltungsermessen verbleiben würde wie der 5. Senat des BSG in einem Urteil zu § 602 Reichsversicherungsordnung, einer Bestimmung des sozialen Leistungsrechts, angenommen hat (SozR Nr. 1 zu § 602 RVO; kritisch dazu Meyer-Helle, NJW 1973, 1063) - berührt die bisherige Rechtsprechung der für die Kriegsopferversorgung zuständigen Senate des BSG zu § 89 BVG im Ergebnis nicht; denn der BMA hat die vom BSG zum Begriff der "besonderen Härte" aus dem BVG abgeleiteten Beurteilungsmaßstäbe als "Rechtsgrundsätze" für die Ermessensausübung in seinem Rundschreiben vom 21. Oktober 1968 anerkannt. Damit kommt es in diesem Zusammenhang auf das Urteil des 5. Senats nicht an.

Im vorliegenden Falle hat das LSG, wenn auch nicht ausdrücklich, so doch erkennbar, eine "ernsthafte" Heiratsabsicht der Verlobten bejaht. Obwohl das LSG hierzu nichts Näheres festgestellt hat, kann auch der erkennende Senat hiervon ausgehen, weil H. nach dem Urteil des LSG nach der außerehelichen Geburt des ersten Kindes der Verlobten bei der Anerkennung der Vaterschaft für dieses Kind im März 1943 erklärt hat, er wolle die Klägerin bald heiraten, und weil er schon vorher (Dezember 1942) die Klägerin zur Übersendung der Heiratspapiere an ihn veranlaßt hatte. Auch wenn weiter unterstellt wird, die Verlobten hätten im Dezember 1942 und noch im März 1943 "alsbald", d. h. so rasch als dies wegen des Kriegsdienstes des Verlobten möglich war, heiraten wollen, so haben der Verwirklichung dieser Absicht hier nicht kriegsdiensteigentümliche Verhältnisse, sondern allein das in der Person der Klägerin bestehende Eheverbot (§ 5 des Ehegesetzes vom 6.7.1938 - RGBl I 897 - in Verbindung mit einem der Tatbestände des § 1 des Gesetzes zum Schutz der Erbgesundheit des deutschen Volkes - Ehegesundheitsgesetz - vom 18. Oktober 1935 - RGBl I 1246 -) entgegengestanden. Es sind schon keine wehrdienstbedingten Gründe dafür erkennbar, daß die Klägerin und H. eine seit September 1942 bestehende Absicht, alsbald zu heiraten, nicht im März 1943, als H., wie sich aus der Niederschrift über die Anerkennung der Vaterschaft ergibt, in Urlaub zu Hause war, hätten verwirklichen können, sofern nicht das Eheverbot auch damals einer Eheschließung entgegengestanden wäre. Dieses Eheverbot hat auch nach März 1943 weiterhin und für einen damals noch nicht absehbaren Zeitraum bestanden und eine "alsbaldige" Heirat vereitelt. Damit sind aber die Voraussetzungen einer Brautversorgung hier ebenso wenig gegeben wie in dem vom 8. Senat (Urteil vom 20. Mai 1970 - 8 RV 305/69 -) entschiedenen Falle, in dem schon wegen der von dem Verlobten nicht genutzten Möglichkeit, sich Heiratsurlaub geben zu lassen, eine Vereitelung der Heiratsabsicht durch den späteren Tod des Verlobten verneint worden ist.

Der Grund für das Eheverbot in der Person der Klägerin hat, wenn er sich auch näher nicht mehr hat feststellen lassen, unstreitig und auch nach der Auffassung der Vorinstanzen nicht auf einer Schädigung der Klägerin durch einen versorgungsrechtlich geschützten Tatbestand im Sinne der §§ 1 ff BVG beruht. Hierdurch unterscheidet sich der vorliegende Fall von dem Tatbestand in dem Urteil des Senats BSG 33, 291 (nur teilweise veröffentlicht); der Senat hatte dort - nur - darüber zu entscheiden, ob als Kriegsereignis, welches die ernsthafte Heiratsabsicht der Verlobten vereitelt hat, auch eine Schädigungsfolge (Lungenleiden des Verlobten) in Betracht kommt, die unmittelbar (wegen des Todes des Beschädigten) oder mittelbar (durch Auslösung eines Ehehindernisses oder Eheverbots) die Eheschließung verhindert hat; er hat dies bejaht, wobei es selbstverständlich unerheblich wäre, wenn die gleiche Ursachenkette in der Person der Frau ausgelöst worden wäre, was hier nicht der Fall ist. Der Senat hat dort aber auch ausgeführt, abgesehen von jenem Sachverhalt müsse eine sich aus anderen Gesetzen oder Tatbeständen etwa ergebende besondere Härte für die Anwendung des § 89 BVG außer Betracht bleiben. Solche Härten haben sich zweifellos aus den auf nationalsozialistischem Gedankengut beruhenden Gründen des § 1 des Ehegesundheitsgesetzes, von denen einer auch bei der Klägerin bestanden hat, ergeben. Das Erfordernis der Ehetauglichkeit ist deshalb durch das Kontrollratsgesetz Nr. 16 vom 20. Februar 1946 (KRABl S. 77) = Ehegesetz 1946 beseitigt worden. Dieses Gesetz ist jedoch erst am 1. März 1946 in Kraft getreten (§ 80), es hat an der Wirksamkeit der Eheverbote für die vorhergehende Zeit nichts geändert, selbst wenn sie schon nach dem Zusammenbruch nicht mehr beachtet worden wären. Für Härten, die sich aus den Vorschriften des Ehegesundheitsgesetzes ergeben, kann der Klägerin ein Ausgleich nicht nach den Vorschriften des BVG gewährt werden, weil sie nicht durch ein unter dieses Gesetz fallendes Ereignis geschädigt ist. Daß die Klägerin und H., falls dieser aus dem Krieg zurückgekommen wäre, nach der Beseitigung des Eheverbots hätten heiraten können, reicht für die Gewährung einer Brautversorgung im Wege des Härteausgleichs nicht aus, wenn, wie im vorliegenden Falle, der Verwirklichung der Heiratsabsicht in der vorhergehenden Zeit nicht durch den Wehrdienst bedingte Gründe entgegengestanden haben. Aus den gleichen Gründen hat die Versorgungsverwaltung Brautversorgung im Wege des Härteausgleichs auch nicht deshalb gewähren müssen, weil die Klägerin 1944 noch ein zweites aus der Verbindung mit H. stammendes Kind geboren hat. Damit kann hier ebenso wie im Falle BSG 33, 291 offen bleiben, ob es für die Gewährung von Brautversorgung auch genügen würde, wenn ein versorgungsrechtlich geschützter Tatbestand für die Vereitelung der Heiratsabsicht nicht die alleinige, aber doch die wesentliche oder eine von mehreren gleich wesentlichen Bedingungen gewesen wäre; auf die Ausführungen des SG hierzu und auf die vom LSG nach der Begründung für die Zulassung der Revision für erheblich gehaltenen Frage, "ob auch auf dem Gebiet der Brautversorgung die Lehre von der wesentlichen Ursache gilt", braucht der Senat nicht einzugehen.

Da im vorliegenden Fall die Versagung der Brautversorgung nach § 89 BVG keinen Ermessensmißbrauch darstellt, muß die Revision als unbegründet zurückgewiesen werden (§ 170 Abs. 1 Satz 1 SGG).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

BSGE, 143

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