Leitsatz (amtlich)

Ein Beamter des einfachen Postdienstes scheidet aus dieser versicherungsfreien Beschäftigung nicht schon dann iS der Nachversicherungsvorschriften aus, wenn er - vor der erfolgreichen Prüfung für den mittleren Dienst - aushilfs- und versuchsweise vorübergehend zu Tätigkeiten des mittleren Postdienstes eingesetzt wird.

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Die für die Zuordnung zur Rentenversicherung der Arbeiter oder zur Rentenversicherung der Angestellten maßgebliche "vorwiegend körperliche" oder "überwiegend geistige" Tätigkeit kann bei vorübergehend in unregelmäßigen Zeitabständen wechselnder Tätigkeit nicht jeweils beschränkt auf den entsprechenden Zeitabschnitt betrachtet werden; es kommt vielmehr darauf an, ob die Beschäftigung - auf Dauer gesehen - in ihrer Gesamtheit nach der Verkehrsauffassung durch "vorwiegend körperliche" oder "überwiegend geistige" Tätigkeitsmerkmale bestimmt wird.

2. Da die Zugehörigkeit zu dem einen oder dem anderen Zweig der Rentenversicherung von unterschiedlichen Merkmalen abhängt, sind diese auch bei der Nachversicherung in dem einen oder dem anderen Versicherungszweig zu beachten.

3. Für die Zuordnung einer Beschäftigung zu einem der beiden Versicherungszweige ist das Gepräge, das die Beschäftigung erhalten hat, insgesamt zu berücksichtigen. Es kommt darauf an, ob die Beschäftigung in ihrer Gesamtheit, auf Dauer gesehen, nach der Verkehrsauffassung durch "überwiegend geistige" oder "vorwiegend körperliche" Tätigkeitsmerkmale bestimmt wird.

4. Davon ausgehend, hat das BSG in einem Einzelfall festgestellt, daß ein Beamter des einfachen und des mittleren Dienstes bei der Deutschen Bundespost in der Rentenversicherung der Arbeiter nachzuversichern ist.

 

Normenkette

RVO § 1232 Abs. 1, § 1402 Abs. 1

 

Tenor

Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen vom 6. Februar 1974 wird zurückgewiesen.

Die Klägerin hat dem Beigeladenen F seine Kosten des Rechtsstreits zu erstatten.

Sonstige Kosten sind nicht zu erstatten.

 

Gründe

Es ist umstritten, ob der Beigeladene F. in der Arbeiterrentenversicherung oder der Angestelltenversicherung nachzuversichern ist (§ 1232 Reichsversicherungsordnung - RVO -).

Der Beigeladene wurde 1949 als Postjungbote bei der Klägerin eingestellt. Er war bis Ende Dezember 1960 Beamter des einfachen Dienstes. In den Wintern 1957/58 und 1958/59 besuchte er Vorbereitungskurse für den mittleren Dienst. Im Sommer 1959 wurde er einer förmlichen Eignungsfeststellung für den mittleren Dienst unterzogen. Im September 1959 begann er die Ausbildung für den mittleren Dienst, besuchte 1960 einen 6wöchigen Lehrgang und legte im Oktober 1960 die Prüfung für den mittleren Dienst ab. Am 1. Januar 1961 wurde er in den mittleren Dienst übernommen. Ende Oktober 1967 schied er auf eigenen Wunsch aus dem Dienst der Klägerin aus. Er hatte bereits während seiner Tätigkeit als Beamter des einfachen Dienstes in den Jahren seit 1955 verschiedentlich Tätigkeiten des mittleren Dienstes wahrgenommen.

Im Juni 1970 beantragte die Klägerin bei der beklagten Landesversicherungsanstalt (LVA), die Nachversicherung für den Beigeladenen durchzuführen. Sie meint, der Beigeladene sei für die Zeiten, in denen er als Beamter des einfachen Dienstes Tätigkeiten des mittleren Dienstes verrichtet habe, in der Angestelltenversicherung nachzuversichern, und zwar für die Zeiten

vom 3. März 1955 bis 31. August 1956,

vom 1. Dezember 1956 bis 31. August 1959 und

vom 19. Oktober 1960 bis 31. Dezember 1960.

Die Beklagte ist der Auffassung, die Nachversicherung sei für die gesamte Zeit bis zum 31. Dezember 1960 in der Arbeiterrentenversicherung durchzuführen. Sie verlangte mit Bescheid vom 29. März 1971, daß die Klägerin die Nachversicherungsbeiträge an sie entrichte. Der Widerspruch der Klägerin, ihre Klage und ihre Berufung blieben ohne Erfolg; die Revision wurde zugelassen (Urteile des Sozialgerichts - SG - vom 12. Oktober 1972 und des Landessozialgerichts - LSG - vom 6. Februar 1974).

Das LSG hat im wesentlichen sinngemäß ausgeführt:

Der Beigeladene sei als Beamter des einfachen Dienstes, auch wenn er während dieser Zeit vorübergehend Tätigkeiten des mittleren Dienstes verrichtet habe, in der Arbeiterrentenversicherung nachzuversichern. Zwar richte sich die Zugehörigkeit zur Arbeiterrenten- oder Angestelltenversicherung nicht nach dem beamtenrechtlichen Status, sondern nach den tatsächlichen Merkmalen der jeweils ausgeübten Tätigkeiten. Die nur vorübergehende Wahrnehmung von Aufgaben des mittleren Dienstes habe jedoch noch kein "Ausscheiden" aus der bisher versicherungsfreien Beschäftigung im Sinne des § 1232 RVO und damit keinen Wechsel in der Zuständigkeit der Versicherungszweige begründet. Eine vorübergehende, wenn auch längere Zeit dauernde Ausübung einer andersgearteten Tätigkeit bei demselben Arbeitgeber erfülle nicht den Tatbestand des Ausscheidens, wenn und solange die Rückkehr in die frühere Tätigkeit nach den konkreten Umständen wahrscheinlich sei oder doch naheliege und ein endgültiges Übertreten in die einem anderen Versicherungszweig zuzurechnende Beschäftigung als ungewiß anzusehen sei. Bis zur Übernahme in den mittleren Dienst sei ungewiß gewesen, ob der Beigeladene endgültig mit der Wahrnehmung an sich angestelltenversicherungspflichtiger Tätigkeiten betraut werden würde. Er habe diese Tätigkeiten als Beamter des einfachen Dienstes nur aushilfsweise bei Bedarf ausgeübt; die förmliche Eignungsfeststellung für den mittleren Dienst habe erst im Sommer 1959 begonnen. Dies zeige, daß die zeitweiligen Beschäftigungen mit an sich angestelltenversicherungspflichtigen Tätigkeiten nur vorübergehender Art gewesen seien und die an sich arbeiterrentenversicherungspflichtigen Beschäftigungen nicht endgültig beendet hätten.

Die Klägerin hat Revision eingelegt und beantragt,

das Urteil des Landessozialgerichts aufzuheben und festzustellen, daß die Beiträge für die Nachversicherung des Beigeladenen für die - bereits oben aufgeführten - Zeiten an die beigeladene BfA zu entrichten sind.

Die Klägerin rügt eine unrichtige Anwendung der §§ 1232, 1403 RVO: Das LSG widerspreche seiner eigenen Auffassung, daß sich die Zugehörigkeit zu einem der beiden Versicherungszweige nicht nach dem beamtenrechtlichen Status, sondern nach den tatsächlichen Verhältnissen der jeweils ausgeübten Tätigkeiten richte. Es habe nämlich den förmlichen Eignungsfeststellungen für den mittleren Dienst, nicht jedoch den jeweiligen Tätigkeitsmerkmalen ausschlaggebende Bedeutung beigemessen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Sie meint, in Fällen, in denen unterschiedliche Tätigkeiten und dienstliche Aufgaben formlos während eines längeren Zeitraumes wechselten oder sich überschnitten, könne die Zugehörigkeit zu den Zweigen der gesetzlichen Rentenversicherung nicht ständig neu bestimmt werden. Es müsse von den Arbeiten ausgegangen werden, die dem Dienstverhältnis das Gepräge geben.

Die Beigeladenen haben keine Anträge gestellt.

Die Revision ist zulässig, aber unbegründet. Der Beigeladene ist bis zum 31. Dezember 1960 in der Arbeiterrentenversicherung nachzuversichern.

Nach § 1232 Abs. 1 RVO sind Personen, die aus einer ... versicherungsfreien Beschäftigung ausscheiden, ohne daß ihnen nach beamtenrechtlichen Vorschriften oder Grundsätzen eine lebenslängliche Versorgung ... gewährt wird, für die Zeit nachzuversichern, in der sie sonst in der Rentenversicherung der Arbeiter versicherungspflichtig gewesen wären.

Der Beigeladene ist bis zum 1. Januar 1961 nicht im Sinne dieser Vorschrift aus seiner Beschäftigung ausgeschieden. Daß er vor der Übernahme in den mittleren Beamtendienst auch Tätigkeiten ausgeübt hat, die an sich angestelltenversicherungspflichtig sind, rechtfertigt allein noch nicht, ihn für deren Dauer in der Angestelltenversicherung nachzuversichern. Ob ein Ausscheiden aus einer versicherungsfreien Beschäftigung vorliegt, ist nach Sinn und Zweck des § 1232 RVO unter Heranziehung der Merkmale, die rentenversicherungsrechtlich für den Begriff des Ausscheidens aus einer versicherungsfreien Beschäftigung bedeutsam sind, zu beurteilen; die arbeitsrechtliche Beurteilung ist nicht entscheidend (vgl. die Urteile des Bundessozialgerichts - BSG - vom 6. Februar 1975 - 1 RA 111/74 - und vom 14. Februar 1973 - 1 RA 121/72, weiter SozR 2200 § 1232 Nr. 1, SozR Nr. 9, 11 und 16 zu § 1232 RVO, SozR Nr. 3 zu § 1242 a RVO aF, SozR Nr. 2 zu § 1402 RVO).

Der Zweck der Nachversicherung ist es, Personen, die im Hinblick auf eine anderweitige Versorgung in ihrer Beschäftigung versicherungsfrei waren, als Ersatz für die weggefallene Aussicht auf diese Versorgung eine soziale Sicherung durch die gesetzliche Rentenversicherung zu verschaffen. Dabei ist es seit der Angleichung der Beitrags- und Leistungssysteme der Arbeiterrenten- und Angestelltenversicherung durch die Rentenversicherungs-Neuregelungsgesetze von 1957 aus der Sicht der Rentenversicherung für den Beschäftigten und den zur Nachversicherung verpflichteten Arbeitgeber ohne besondere Bedeutung, ob der Beschäftigte in der Arbeiterrenten- oder in der Angestelltenversicherung nachversichert wird. Da jedoch die Zugehörigkeit zu dem einen oder dem anderen Zweig der Rentenversicherung von unterschiedlichen Merkmalen abhängt, sind diese auch bei der Nachversicherung in dem einen oder dem anderen Versicherungszweig zu beachten. Beide Versicherungszweige setzen eine Beschäftigung gegen Entgelt voraus, in der Angestelltenversicherung zudem als Angestellter. Wenn sich bei der Beschäftigung einer Person die tatsächlichen Umstände ändern, die für die Zuordnung zur Arbeiterrenten- oder zur Angestelltenversicherung wesentlich sind, so daß nach der Änderung nicht mehr die Voraussetzungen des bisherigen Versicherungszweiges, sondern die des anderen Versicherungszweiges erfüllt sind, liegt ein Ausscheiden aus dem Beschäftigungsverhältnis vor.

Für die Zuordnung einer Beschäftigung zu einem der beiden Versicherungszweige ist das Gepräge, das die Beschäftigung erhalten hat, insgesamt zu berücksichtigen. Dabei ist wesentlich, welches der Hauptinhalt des Beschäftigungsverhältnisses ist. So kann die für die Zuordnung zu dem einen oder anderen Versicherungszweig maßgebliche "überwiegend geistige" oder "vorwiegend körperliche" Tätigkeit bei vorübergehend in unregelmäßigen Zeitabständen wechselnder Tätigkeit nicht jeweils beschränkt auf den jeweiligen kürzeren oder längeren Zeitabschnitt betrachtet werden. Es kommt darauf an, ob die Beschäftigung in ihrer Gesamtheit, auf Dauer gesehen, nach der Verkehrsauffassung durch "überwiegend geistige" oder "vorwiegend körperliche" Tätigkeitsmerkmale bestimmt wird.

Es ist nicht umstritten, daß die einzelnen Tätigkeiten, die der Beigeladene in den genannten Zeitabschnitten aushilfs- und versuchsweise verrichtet hat, losgelöst von seiner Person ohne Berücksichtigung der zeitlichen Dauer ihrer Ausübung, an sich der Angestelltenversicherung zuzurechnen sind. Das LSG hat aber zu Recht beurteilt, daß die Tätigkeit des Beigeladenen in der gesamten Zeit bis Ende 1960 ihrem Gepräge nach der Arbeiterrentenversicherung zuzuordnen ist. Die zeitweilige Ausübung der an sich angestelltenversicherungspflichtigen Tätigkeiten bis Dezember 1960 ist als nur vorübergehend zu werten, weil bis dahin nicht feststand, daß der Beigeladene nicht mehr in den der Arbeiterrentenversicherung zuzurechnenden Tätigkeiten des einfachen Postdienstes eingesetzt werde. Erst nach dem erfolgreichen Abschluß der Ausbildung für die der Angestelltenversicherung zuzuordnenden Tätigkeiten, der die Übernahme in den mittleren Postdienst folgte, war der Beigeladene aus der Beschäftigung mit den der Arbeiterrentenversicherung zuzurechnenden Tätigkeiten ausgeschieden im Sinne des § 1232 RVO.

Es ist nicht Sinn der Nachversicherung, bei vorübergehend wechselnden Tätigkeiten stets die Versicherungszugehörigkeit neu zu bestimmen, wenn und solange das gesamte Gepräge der versicherungsfreien Beschäftigung dem einen Versicherungszweig entsprochen hat. Ein solcher Wechsel wäre ohne Wert für die soziale Sicherung des Nachzuversichernden, der dafür erforderliche Verwaltungsaufwand sinnlos und - vom Zweck der Nachversicherung her - überflüssig. Ein solches Ergebnis liegt nicht im Wollen des Gesetzes.

Die Rechtsprechung des BSG zum Ausscheiden aus einer versicherungsfreien Beschäftigung bei Beurlaubung eines Beamten ohne Dienstbezüge (Urteil vom 14. Februar 1973 - 1 RA 121/72) steht der im vorliegenden Fall vorgenommenen Auslegung des § 1232 RVO nicht entgegen. Eine Beurlaubung ohne Dienstbezüge für längere Zeit kann mit dem vorübergehenden Wechsel zwischen Tätigkeiten, die jeweils verschiedenen Versicherungszweigen zuzuordnen sind, nicht verglichen werden.

Die Beklagte hat daher zu Recht die Nachversicherung des Beigeladenen bis zum 31. Dezember 1961 in der Arbeiterrentenversicherung verlangt. Die Revision der Klägerin ist deshalb unbegründet und war zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1650837

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