Leitsatz (amtlich)

Wird ein unter Festsetzung von Übergangsgeld bewilligtes Heilverfahren erst während einer Zeit durchgeführt, für die dem Betreuten nachträglich Altersruhegeld gewährt wird, so ist für diese Zeit in unmittelbarer Anwendung des RVO § 1241 Abs 3 an Altersruhegeld nur noch der Unterschiedsbetrag zwischen dem schon gewährten Übergangsgeld und dem - höheren - Altersruhegeld zu zahlen, ohne daß es der Rücknahme des das Übergangsgeld festsetzenden Bescheides, der Rückforderung des Übergangsgeldes und einer Aufrechnung mit dem Anspruch auf Rückzahlung des Übergangsgeldes gegen den Anspruch auf Altersruhegeld bedarf.

 

Normenkette

RVO § 1241 Abs. 3 Fassung: 1957-02-23

 

Tenor

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen vom 10. Februar 1965 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

 

Gründe

I

Der Rechtsstreit betrifft die Frage, ob die Beklagte von der Nachzahlung des Altersruhegeldes den Betrag einbehalten durfte, den sie dem Kläger als Übergangsgeld während eines Heilverfahrens vor Erlaß des Rentenbescheids gewährt hatte.

Im Mai 1961 beantragte der am 20. September 1896 geborene Kläger bei der Beklagten Heilbehandlung. Die Beklagte teilte ihm mit Bescheid vom 3. August 1961 mit, daß sie ihm eine Heilbehandlung in einem genannten Kurheim für die Dauer von vier Wochen gewähre; das ihm für die Dauer der Heilbehandlung zustehende Übergangsgeld werde auf täglich 15,- DM festgesetzt. Als Tag der Anreise in das Heim war der 19. August 1961 bestimmt. Der Kläger trat wegen seines Urlaubs die Kur nicht an. Sie wurde dann vom 20. September bis 18. Oktober 1961 (mit weiteren 12 Tagen Schonung) unter Zahlung des Übergangsgeldes durchgeführt.

Im September 1961 hatte der Kläger Altersruhegeld beantragt. Die Beklagte gewährte es ihm mit Bescheid vom 24. Januar 1962 für die Zeit vom 1. September 1961 an in Höhe von monatlich 413,20 DM; sie sprach in dem Bescheid aus, von der Rentennachzahlung werde an überzahltem Übergangsgeld und Schongeld für die Zeit vom 20. September bis 30. Oktober 1961 der Betrag von 564,70 DM einbehalten. Der Widerspruch des Klägers hiergegen wurde zurückgewiesen (Bescheid vom 4. Februar 1964).

Das Sozialgericht (SG) Hannover hat die Klage abgewiesen und die Berufung zugelassen. Das Landessozialgericht (LSG) Niedersachsen hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen und die Revision zugelassen (Urteil vom 10. Februar 1965). Es hat einen Rückforderungsanspruch der Beklagten gegen den Kläger wegen zu Unrecht gewährten Übergangsgeldes angenommen und die Rücknahme des das Übergangsgeld bewilligenden Bescheides vom 3. August 1961 in der Rückforderung und Aufrechnung im Rentenbescheid vom 24. Januar 1962 gesehen. Das Altersruhegeld sei gemäß § 1241 Abs. 3 der Reichsversicherungsordnung (RVO) anzurechnen. Es sei Zweck des Gesetzes, Doppelleistungen zu vermeiden. Der Bescheid über die Bewilligung des Übergangsgeldes sei durch die nachträgliche Bewilligung des Altersruhegeldes rückwirkend rechtswidrig geworden. Die Beklagte habe den Bescheid zurücknehmen dürfen, obwohl eine ausdrückliche gesetzliche Vorschrift darüber fehle. Die Anrechnungsregelung in § 183 Abs. 3 Satz 2 RVO beim Zusammentreffen von Krankengeld mit Altersruhegeld und rückwirkender Bewilligung des letzteren sei vergleichbar. Wenn das Gesetz Tatbestände in der Weise regele, daß eine Doppelversorgung vermieden werde, könnten diese Grundsätze auch auf andere vergleichbare, nicht geregelte Fälle übertragen werden und rechtfertigten dann die Rücknahme bindender Bescheide (Hinweis auf BSG 20, 293). Die Aufrechnung mit dem Rückforderungsanspruch gegen den Rentennachzahlungsanspruch unterliege keinen Bedenken (§ 1299 RVO).

Der Kläger hat Revision eingelegt und beantragt,

unter Aufhebung des Urteils des LSG, des Urteils des SG sowie der Bescheide vom 24. Januar 1962 und 4. Februar 1964 die Beklagte zu verurteilen, ihm 564,70 DM nebst 4 % Zinsen seit Klagezustellung zu zahlen.

Der Kläger ist der Auffassung, die Voraussetzungen für die Rücknahme eines Bescheides nach § 1744 RVO seien nicht gegeben. Eine Lücke im Gesetz bestehe hier nicht. § 1241 Abs. 3 RVO sei eindeutig. Es liege ein Rechtsverstoß der Beklagten vor, denn sie hätte die Kur verweigern müssen, nachdem er inzwischen 65 Jahre alt geworden war. Sie habe selbst die Doppelleistung verschuldet.

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Sie ist der Auffassung, aus § 1301 RVO i.V.m. § 1299 RVO sei zu folgern, daß der Versicherungsträger ohne Rechtsgrund gewährte Leistungen grundsätzlich zurückfordern dürfe. Wenn dem Kläger schon eine Heilbehandlung gewährt worden sei, die er erst nach Vollendung des 65. Lebensjahres angetreten habe, so könne er daraus nicht noch mehr Ansprüche herleiten, als sie den in § 1236 Abs. 1 und 2 RVO genannten Personen zugebilligt seien. Für diese sei eine Doppelleistung durch § 1241 Abs. 3 RVO ausgeschlossen.

Beide Beteiligte sind mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden (§ 124 Abs. 2 SGG).

II

Die Revision ist zulässig, aber nicht begründet. Die Beklagte ist berechtigt, die Rente für die Zeit vom 20. September bis 30. Oktober 1961 nicht auszuzahlen, da sie für diese Zeit bereits höheres Übergangsgeld und Schongeld gezahlt hat.

Nach § 1241 Abs. 3 RVO wird Übergangsgeld unter anderem insoweit nicht gewährt, als der Betreute eine Rente aus den gesetzlichen Rentenversicherungen bezieht; dabei beginnt der "Bezug" der Rente in dem Zeitpunkt, von dem an die Rente bewilligt ist, nicht erst im Zeitpunkt des Erlasses des Rentenbescheides (vgl. BSG 19, 28, 31, 32; SozR Nr. 6 und 13 zu § 183 RVO; vgl. auch den Wortlaut in § 1241 Abs. 3 RVO "Rente ... bezieht" mit § 1242 RVO "Rente ... bewilligt"). § 1241 Abs. 3 RVO bringt unmißverständlich den Willen des Gesetzgebers zum Ausdruck, dem Berechtigten nicht Übergangsgeld und eine Rente aus den gesetzlichen Rentenversicherungen, die beide Lohnersatzfunktionen haben, nebeneinander in voller Höhe zu gewähren (vgl. die Urteile des Senats vom 29. März 1968 - 12 RJ 116/65 und 12 RJ 304/65). Dem Berechtigten soll auf jeden Fall ein Betrag in Höhe der Rente bleiben; soweit das Übergangsgeld höher als die Rente ist, soll er auch den Unterschiedsbetrag zwischen Rente und höherem Übergangsgeld erhalten. Das kommt in dem Wortlaut des § 1241 Abs. 3 RVO zum Ausdruck, daß "Übergangsgeld ... insoweit nicht gewährt" wird, "als der Betreute ... eine Rente ... bezieht". Der Wortlaut kann aber bei der Anwendung der Vorschrift nach ihrem Sinn und Zweck, Doppelleistungen auszuschließen, nicht so eng aufgefaßt werden, daß nur bei Bewilligung des Übergangsgeldes eine schon festgestellte Rente angerechnet werden dürfte, aber bei einem erst nach Bewilligung des Übergangsgeldes ergehenden Rentenbescheid die vorhergehende Bewilligung nachträglich als unrichtig zurückzunehmen wäre und wegen zuviel gewährten Übergangsgeldes gegenüber der Forderung auf die Rentennachzahlung aufgerechnet werden müßte (§§ 1301, 1299 RVO). § 1241 Abs. 3 RVO nötigt vielmehr unmittelbar dazu, dem Willen des Gesetzgebers, Doppelleistungen auszuschließen, auch bei der Rentenfeststellung nachzukommen. Wenn bereits als Übergangsgeld ein Betrag in der Höhe gezahlt ist, die dem Berechtigten nach § 1241 Abs. 3 RVO zusteht - Betrag in Höhe der Rente zuzüglich Unterschiedsbetrag zu einem höheren Betrag des Übergangsgeldes -, dann ist bei der späteren Rentennachzahlung derjenige Betrag der Rente nicht mehr auszuzahlen, der bereits in der schon bewirkten Übergangsgeldzahlung enthalten ist - zeitliche Übereinstimmung vorausgesetzt. Bei nach § 1241 Abs. 3 RVO verbotenen Doppelleistungen muß, um dem Willen des Gesetzgebers nachzukommen, der Ausgleich bzw. die Anpassung an den Zweck der Vorschrift bei der späteren Leistung in unmittelbarer Anwendung des § 1241 Abs. 3 RVO vorgenommen werden.

Die Nichtauszahlung des Altersruhegeldes für die Zeit vom 20. September bis 30. Oktober 1961 in dem Bescheid vom 24. Januar 1962 war hiernach gemäß § 1241 Abs. 3 RVO rechtmäßig.

Die Beklagte hatte mit Bescheid vom 3. August 1961 zu Recht ungekürztes Übergangsgeld und Schongeld bewilligt; denn zu diesem Zeitpunkt lag noch kein Tatbestand vor, der zu einer nach § 1241 Abs. 3 RVO verbotenen Doppelleistung hätte führen können.

Dadurch daß der Kläger das für August 1961 bewilligte Heilverfahren mit Übergangsgeld nicht zur vorgesehenen Zeit, sondern erst zu einer Zeit in Anspruch genommen hat, für die ihm schon Altersruhegeld nach § 1248 Abs. 1, § 1290 Abs. 1 Satz 1 RVO idF des Arbeiterrentenversicherungs-Neuregelungsgesetzes (ArVNG) zustand (vgl. in SozR Nr. 18 zu § 1248, Nr. 3 zu § 1255 RVO; Nr. 28 zu Art. 2 § 42 ArVNG) und er dieses auch beziehen will, wie seine Anmeldung des Anspruchs am 5. September 1961 zeigt (§ 1545 Abs. 1 Nr. 2 RVO), ist der Fall des § 1241 Abs. 3 RVO eingetreten. Die Beklagte durfte deshalb nicht beide Leistungen - Übergangs (u. Schon) geld und Altersruhegeld - in voller Höhe auszahlen. Sie hat deshalb zu Recht das Altersruhegeld für die Zeit vom 20. September bis 30. Oktober 1961, das, auf den Tag umgerechnet, niedriger als das Übergangs- und Schongeld ist, nicht ausbezahlt. In diesem Sinn sind ihre Ausführungen in dem Bescheid vom 24. Januar 1962, daß sie an "überzahltem" Übergangs- und Schongeld 564,70 DM einbehält, zu verstehen.

Die Revision des Klägers ist somit nicht begründet und zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI2374906

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