Leitsatz (amtlich)

Die Voraussetzung für die Anwendung der Kürzungsvorschrift des RVO § 563 Abs 2 S 1 Halbs 2, daß im Unternehmen regelmäßig nur an 5 Tagen der Woche gearbeitet wird, ist nicht gegeben, wenn nur jede zweite Woche an 5 Tagen gearbeitet worden ist.

 

Normenkette

RVO § 563 Abs. 2 S. 1 Hs. 2 Fassung: 1949-08-10

 

Tenor

Das Urteil des Landessozialgerichts Hamburg vom 6. November 1959 wird aufgehoben.

Das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 19. August 1959 wird dahingehend geändert, daß die Beklagte verurteilt wird, der Berechnung der im Bescheid vom 26. September 1957 festgestellten Leistungen einen Jahresarbeitsverdienst von 5.587,- DM zugrunde zu legen.

Die Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten des Verfahrens zu erstatten.

Von Rechts wegen.

 

Gründe

I.

Im Revisionsverfahren ist nur noch die Berechnung des Jahresarbeitsverdienstes (JAV) streitig, der den Rentenzahlungen für die Folgen des Arbeitsunfalles vom 3. Mai 1957 zugrunde zu legen ist.

Der Kläger war im Jahre vor dem Unfall, d. h. vom 3. Mai 1956 bis 2. Mai 1957 in dem Unternehmen, in dem sich der Unfall ereignet hat, an 277 Arbeitstagen beschäftigt. Die wöchentliche Arbeitszeit betrug bis zum 30. September 1956 48 Stunden, vom 1. Oktober 1956 an jedoch nur noch 45 Stunden, außerdem war von da an jeder zweite Sonnabend arbeitsfrei.

Durch Bescheid vom 26. September 1957 gewährte die Beklagte dem Kläger vom 5. August 1957 an eine vorläufige Rente in Höhe von 20 v. H. der Vollrente.

Der Rentenberechnung ist ein JAV von 5.312,65 DM zugrunde gelegt. Diesen Betrag hat die Beklagte in der Weise berechnet, daß sie das vom Kläger bezogene Arbeitsentgelt durch die Zahl der tatsachlichen Arbeitstage (277) geteilt und dann mit 285 vervielfältigt hat. Die Multiplikation mit 285 (statt mit 300) stützt die Beklagte darauf, daß in der zeit vom 1. Oktober 1956 bis zum Unfall insgesamt 15 Sonnabende arbeitsfrei gewesen seien.

Gegen diesen Bescheid hat der Kläger Klage zum Sozialgericht (SG) Hamburg erhoben und beantragt, eine höhere Rente als 20 v. H. der Vollrente zu gewähren und der Berechnung das 300-fache des durchschnittlichen Verdienstes zu Grunde zu legen. Durch Urteil vom 19. August 1958 hat das SG die Beklagte verurteilt, dem Kläger bis zum 31. Dezember 1957 eine Rente in Höhe von 30 v. H. der Vollrente und von da ab eine solche von 20 v. H. zu gewähren. Es hat ausgesprochen, daß der Rentenberechnung ein JAV von 5.312,65 DM zu Grunde zu legen sei (insoweit also die Klage abgewiesen).

Die Berufung ist vom SG zugelassen worden.

Mit der Berufung zum Landessozialgericht (LSG) Hamburg hat der Kläger lediglich beantragt, der Berechnung der Rente einen JAV von 5.587,- DM zu Grunde zu legen. Zur Begründung hat er vorgetragen, eine Kürzung um 1/6 sei nur vorgesehen, wenn regelmäßig nur an fünf Tagen gearbeitet werde und mindestens 46 Stunden erreicht würden. Der Multiplikator 285 sei unbillig. Der Kläger habe tatsächlich an 277 Tagen gearbeitet, wenn man die 17 Arbeitstage, die der Kläger durch eine Blinddarmoperation versäumt habe, hinzurechne, so komme man auf 294 Arbeitstage.

Während des Berufungsverfahrens hat die Beklagte durch Bescheid vom 28. September 1959 die bisher gewährte vorläufige Rente mit Wirkung vom 1. November 1959 entzogen, weil die Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) nur noch 10 v. H. betrage.

Im Termin zur mündlichen Verhandlung vor dem LSG vom 6. November 1959 hat der Kläger erklärt, der Entziehungsbescheid vom 28. September 1959 werde anerkannt. Es werde lediglich beantragt, die Unfallentschädigung nach einem JAV von 5.587,- DM zu gewähren; wenn man von den 312 möglichen Tagen die 15 freien Sonnabende abziehe, so ergeben sich immer noch 297 Tage.

Durch Urteil vom 6. November 1959 hat das LSG die Berufung gegen das Urteil des SG zurückgewiesen und die Revision zugelassen.

Zur Begründung hat das LSG ausgeführt: Der 1. Halbsatz des § 563 Abs. 2 Satz 1 der Reichsversicherungsordnung (RVO) enthalte die grundsätzliche Regelung. Der 2. Halbsatz sei eingefügt, um zu vermeiden, daß diese sich zu Ungunsten des Verletzten auswirke, wenn dieser wie der Kläger im vorliegenden Fall an 17 Tagen arbeitsunfähig krank gewesen ist. Die Frage der Vereinbarkeit des Halbsatzes 3 mit einer 45 Stundenwoche sei jedoch nicht für sich, sondern nur als Vorfrage für die Anwendbarkeit des Multiplikators 300 von Bedeutung. Die vom Kläger verlangte Anwendung des Halbsatzes 2 würde bedeuten, daß die arbeitsfreien Sonnabende in der Zeit vom 1. Oktober 1956 bis 3. Mai 1957 unberücksichtigt blieben, obwohl der Kläger in jeder zweiten Woche regelmäßig nur an fünf Tagen gearbeitet habe. Der Halbsatz 3 sei eingefügt, um der Fünftage-Woche Rechnung zu tragen, und dadurch gerechtfertigt, daß bei einer regelmäßigen Fünftage-Woche der Lohn für den sechsten Tag in der für die fünf Arbeitstage gezahlten Summe mitenthalten sei. Um Härten gegenüber denen, die sechs Tage arbeiten müssen zu vermeiden, sei die Kürzung um 1/6 bestimmt worden, weil sonst die Vervielfältigung mit 300 ein über dem tatsächlichen Verdienst liegendes Ergebnis erbringe. Der Regelfall des Halbsatzes 1 würde dann nicht zum Ausnahmefall werden, sondern könnte praktisch dann überhaupt niemals mehr eintreten, weil in dem fiktiven JAV eine zusätzliche Entlohnung für nicht geleistete Arbeitstage enthalten wäre. Die Erwägungen, die gegen die Berücksichtigung eines fiktiven Arbeitsverdienstes ohne den Ausgleich des Halbsatzes 3 sprächen, träfen auf jeden freien Sonnabend der zweiten Woche gleichfalls zu. Es ergäben sich zwei Möglichkeiten: Entweder sei Halbsatz 3 nicht anwendbar, weil der Fall nicht geregelt sei, da nur jeder zweite Sonnabend arbeitsfrei sei, dann hätte die Beklagte nur die Wahl, nach dem tatsächlichen JAV zu berechnen oder den JAV nach billigem Ermessen festzustellen. Das wäre jedoch mit § 566 RVO nicht vereinbar, brächte aber dem Kläger nur Rechtsvorteile. Die zweite Möglichkeit sei: Im Wege der Lückenausfüllung bezw. berichtigenden Auslegung müsse Satz 3 dahin verstanden werden, daß er auch in einem Falle wie dem des Kläger gelte. Dann wäre von der im Zeitraum vom 1. Oktober 1956 bis 2. Mai 1957 gezahlten Lohnsumme 1/12 abzuziehen. So habe die Beklagte tatsächlich auch verfahren, denn der Abzug der 15 arbeitsfreien Sonnabend von dem Multiplikator 300 ergebe rechnerisch das gleiche Resultat, als wenn von der Lohnsumme ab 1. Oktober 1956 1/12 abgezogen würde. Es könne dahingestellt bleiben, ob Halbsatz 3 eine derartige sinngemäße Auslegung zulasse, denn anderenfalls hätte die Beklagte zur Berechnung eines fiktiven JAV nur in Ausübung ihres billigen Ermessens kommen können und ein Ermessensmißbrauch lasse sich nicht feststellen, da ihre Methode nicht von dem abweiche, was sich bei Anwendung des Satzes 3 ergeben würde, wenn dieser eine sinngemäße Auslegung zulasse. Der Kläger ziehe auch noch die Bedeutung des Multiplikators 300 in Zweifel und weise darauf hin, daß die gesetzlichen Feiertage mitbezahlt würden, folglich dem Multiplikator 300 zuzurechnen seien. Diese Rechtsauffassung lasse sich mit der jetzigen Fassung des Gesetzes nicht vereinbaren.

Gegen das Urteil, dessen Empfang der Prozeßbevollmächtigte des Klägers unter dem 7. Januar 1960 bestätigt hat, hat der Kläger am 3. Februar 1960 Revision eingelegt mit dem Antrag,

die Urteile des LSG und des SG sowie den Bescheid der Beklagten vom 26. September 1957 dahin abzuändern, daß dem Kläger eine Unfallentschädigung nach einem JAV von 5.587,- DM zu gewähren ist.

Die Beklagte beantragt,

Die Revision zurückzuweisen.

II.

Die durch Zulassung statthafte Revision ist in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt und begründet worden und somit zulässig. Sie hatte auch Erfolg.

Der JAV, dessen Berechnung bereits im Berufungsverfahren allein noch streitig war, bildet zwar die Berechnungsgrundlage für eine vorläufige Rente (vgl. § 145 Nr. 3 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -), da das SG die Berufung jedoch zugelassen hatte (§ 150 Nr. 1 SGG), war das LSG nicht gehindert, über die Berechnung des JAV sachlich zu entscheiden.

Entgegen der Auffassung des LSG ist jedoch die Voraussetzung für die Anwendung der Kürzungsvorschrift des § 563 Abs. 2 Satz 1 letzter Halbsatz RVO, nämlich daß regelmäßig nur an fünf Tagen der Woche gearbeitet wird, dann nicht gegeben, wenn - wie im vorliegenden Fall - in regelmäßigem Wechsel an sechs und an fünf Tagen der Woche gearbeitet wird.

Der § 563 der RVO beruht in der zur Zeit geltenden Fassung auf dem 6. Gesetz über Änderungen in der gesetzlichen Unfallversicherung (6. ÄndG) vom 9. März 1942 (RGBl I 107). Der letzte Halbsatz des Abs. 2 Satz 1 ist durch § 11 des Gesetzes über Verbesserungen der gesetzlichen Unfallversicherung (UVVG) vom 10. August 1949 (WiGBl 1949, 251) eingefügt.

Das Dritte Buch der RVO in der vor dem 6. ÄndG geltenden Fassung (RVO aF) enthielt für die Berechnung des JAV in der "Gewerbe-Unfallversicherung" wesentlich eingehendere Vorschriften. Ausgangsgrundlage war ausschließlich das Entgelt, das der Verletzte während des Jahres vor dem Unfall im Unfallbetrieb bezogen hatte (§ 563 RVO aF). War der Verletzte vor dem Unfall bereits ein volles Jahr im Unfallbetrieb beschäftigt gewesen, so wurde der JAV in der Weise berechnet, daß aus dem tatsächlich bezogenen Arbeitsentgelt der durchschnittliche Verdienst für den vollen Arbeitstag ermittelt und mit 300 oder aber, wenn sich aus der "üblichen Betriebsweise" eine andere Zahl an Arbeitstagen ergab, mit dieser Zahl vervielfältigt wurde (§ 564 RVO aF). War der Verletzte vor dem Unfall noch kein volles Jahr im Unfallbetrieb tätig gewesen, so wurde der durchschnittliche Verdienst für den vollen Arbeitstag mit der Zahl der Tage vervielfältigt, die der Verletzte im Unfallbetrieb gearbeitet hatte; für die übrigen "betriebsüblichen Arbeitstage" des Jahres vor dem Unfall wurde der Verdienst zugezählt, den während dieser Zeit "Versicherte der gleichen Art und Erwerbsfähigkeit" (der sog. "Vergleichsmann") im Unfallbetrieb oder in einem "benachbarten Betrieb gleicher Art" (dem sog. "Vergleichsbetrieb") bezogen hatten (§ 565 RVO aF). Nur wenn diese Berechnung nicht durchführbar war - z. B. weil ein "Vergleichsmann" oder ein "Vergleichsbetrieb" nicht zu ermitteln war -, wurde das Entgelt, das der Verletzte selbst im Unfallbetrieb durchschnittlich für den vollen Arbeitstag bezogen hatte, mit der Anzahl der fehlenden "betriebsüblichen Arbeitstage" vervielfältigt (§ 566 RVO aF). War die Anzahl der "betriebsüblichen Arbeitstage" im Unfallbetrieb so gering, daß die in diesem Betrieb Beschäftigten regelmäßig noch anderweit arbeiteten, so wurde für die an 300 fehlende Zahl von Arbeitstagen der Ortslohn zugezählt (vgl. § 567 RVO aF).

Diese verhältnismäßig komplizierten Vorschriften für die Berechnung des JAV, die es ermöglichen sollten, bei dieser Berechnung weitgehend die tatsächlichen Besonderheiten des Einzelfalles zu berücksichtigen, erforderten vielfach umfangreiche Ermittlungen des Versicherungsträgers und hatten in der Praxis zu erheblichen Schwierigkeiten geführt. Deshalb hat sie der Gesetzgeber durch das 6. ÄndG vereinfacht (vgl. Begründung zum 6. ÄndG AN 1942, S. 199; Jantz in AN 1942 S. 209 hier S. 213 linke Spalte unten; Schulte/Holthausen in BG 1942 S. 57). Ausgangsgrundlage ist seitdem nicht mehr das Arbeitsentgelt im Unfallunternehmen, sondern das gesamte Arbeitsentgelt, das der Verletzte im Jahre vor dem Unfall - z. B. in verschiedenen Unternehmen nacheinander - bezogen hat (§ 563 Abs. 2 Satz 1 RVO 1. Alternative). Vor allem aber ist es nicht mehr erforderlich, die "betriebsübliche" Zahl der Arbeitstage im Unfallunternehmen oder in einem "Vergleichs" - unternehmen zu ermitteln. Der durchschnittliche Verdienst des Verletzten für den vollen Arbeitstag im Unfallunternehmen ist vielmehr, wenn diese Berechnung zu einem für den Verletzten günstigeren Ergebnis führt, in jedem Fall mit der Zahl 300 zu vervielfältigen (§ 563 Abs. 2 Satz 1 RVO 2. Alternative). Durch die "2. Alternative" wird u. a. erreicht, daß ein Verletzter, der vor dem Unfall noch kein Jahr im Unfallunternehmen beschäftigt war, aber in diesem Unternehmen einen wesentlich günstigeren Lohn bezogen hat als auf den vorangehenden Arbeitsstellen, bei der Berechnung des JAV praktisch so behandelt wird, als ob er schon ein Jahr im Unfallunternehmen gearbeitet hätte; andererseits werden durch die Vervielfältigung mit 300 aber z. B. auch Fehlzeiten - durch Krankheit, unbezahlten Urlaub usw. - ausgeglichen.

Der Gesetzgeber hat bei dieser Regelung im Interesse der Übersichtlichkeit der Vorschriften und der Vereinfachung ihrer Handhabung bewußt in Kauf genommen, daß die "betriebsübliche" Zahl der Arbeitstage die Zahl 300 nicht unwesentlich überschreitet oder auch unterschreitet (vgl. Jantz aaO).

Die Anwendung des Multiplikator 300 wird infolgedessen dadurch nicht infrage gestellt, daß er von der Zahl der "betriebsüblichen" Arbeitstage abweicht und die "2. Alternative" deshalb im Vergleich zu den tatsächlichen Verhältnissen im Unfallunternehmen ein zu günstiges oder auch zu ungünstiges Ergebnis haben muß. Im vorliegenden Fall ist es für die Anwendbarkeit der "2. Alternative" ohne rechtliche Bedeutung, daß durch den Multiplikator 300 nicht nur die 17 Arbeitstage, die der Kläger tatsächlich durch Krankheit versäumt hat, sondern darüber hinaus weitere sechs Arbeitstage (insgesamt 23) ergänzend eingefügt werden.

Die grundsätzliche Einstellung des Gesetzgebers des 6. ÄndG und seine bewußt auf eine Vereinfachung zielenden gesetzgeberischen Absichten müssen auch bei der Auslegung des letzten Halbsatzes des § 563 Abs. 2 Satz 1 RVO berücksichtigt werden. Diese Vorschrift ist ihrem Wortlaut nach nur eine Sonderregelung für die Fünftage-Woche, die im Zeitpunkt der Verkündung des UVVG zunehmend an Bedeutung gewann. Die Vorschrift sollte die Berechnung des JAV für den Fall regeln, daß die normale Arbeitszeit regelmäßig auf nur noch fünf Tage der Woche verteilt wird; sie bezieht sich also nicht auf Fälle einer mit einer Lohneinbuße verbundenen Arbeitszeitverkürzung. In dem zur Veröffentlichung vorgesehenen Urteil vom 29. März 1963 - 2 RU 157/61 - hat der erkennende Senat dargelegt, daß die zur Zeit der Verkündung des UVVG noch berechtigte Annahme des Gesetzgebers, eine Einkommensminderung liege nur dann nicht vor, wenn in der Fünftage-Woche mindestens 46 Stunden gearbeitet wird, inzwischen durch die Entwicklung der Löhne und Tarife überholt ist, und daß deshalb § 563 Abs. 2 Satz 1 letzter Halbsatz RVO ausdehnend auch auf Fälle der Fünftage-Woche mit weniger als 46 Arbeitsstunden angewendet werden kann.

Dagegen kann die Einfügung des letzten Halbsatzes des § 563 Abs. 2 Satz 1 RVO durch das UVVG nicht dahin verstanden werden, daß der Gesetzgeber allgemein eine Korrektur der "2. Alternative" für alle die Fälle herbeiführen wollte, in denen die Anwendung des Multiplikators 300 infolge der tatsächlichen Gestaltung der Arbeitsverhältnisse im Unfallunternehmen zu einem an sich nicht "richtigen" Ergebnis führt. Für eine so weitgehende Absicht, die praktisch wieder eine Berücksichtigung der "betriebsüblichen" Zahl der Arbeitstage erforderlich gemacht hätte, bietet weder der Wortlaut des eingefügten Halbsatzes noch die Begründung zum UVVG (Wirtschaftsrat für das VWG, Drucksachen 1949 III Nr. 1344) einen Anhalt. Es ist auch nicht anzunehmen, daß der Gesetzgeber des UVVG zwar im Gegensatz zu den Vereinfachungsbestrebungen des Gesetzgebers des 6. ÄndG im Interesse der Ermittlung eines "richtigen" JAV die "2. Alternative" allgemein ändern wollte, aber die zahlreichen Arbeitszeitregelungen, die den Multiplikator 300 "unrichtig" machen können, übersehen und versehentlich nur den Sonderfall der Fünftage-Woche geregelt hätte, so daß diese Lücke nunmehr durch die Praxis der Versicherungsträger und die Rechtsprechung mit Regelungen ausgefüllt werden müßte, die - wie gerade das angefochtene Urteil zeigt - auch hinsichtlich ihrer rechnerischen Methode mangels einer klaren Regelung durch den Gesetzgeber umstritten sein müßten.

Nach der Auffassung des erkennenden Senats ist der an die "2. Alternative" angefügte letzte Halbsatz lediglich auf die echte Fünftage-Woche anwendbar, d. h. auf Fälle, an denen im Unfallunternehmen regelmäßig nur an fünf Tagen der Woche gearbeitet worden ist. Auf andere Arbeitszeitregelungen, die zur Folge haben, daß einzelne Wochentage in regelmäßiger Folge ganz oder auch nur zum Teil arbeitsfrei sind, kann diese Sondervorschrift nicht ausdehnend angewendet werden. Es liegt auch insoweit ebensowenig eine Gesetzeslücke vor wie in anderen Fällen, in denen die Anwendung der "2. Alternative" infolge der durch das 6. ÄndG eingeführten Vereinfachung zu einem für den Verletzten zu günstigen oder zu ungünstigen Ergebnis führt.

Der Versicherungsträger kann ein solches Ergebnis auch nicht - wie das LSG in Erwägung gezogen hat - weil er es für "unbillig" hält, auf Grund von § 566 RVO nach billigem Ermessen korrigieren, da die Berechnung des JAV nach § 563 RVO rechnerisch durchführbar ist. Im einzelnen wird hierzu auf das Urteil des erkennenden Senats vom 31. Januar 1961. (BSG 14, 5, 9) Bezug genommen.

Im vorliegenden Fall ist im Unfallunternehmen am 1. Oktober 1956 nicht die Fünftage-Woche eingeführt worden, da seitdem nicht regelmäßig nur an fünf Tagen jeder Woche gearbeitet wurde, sondern lediglich jeder zweite Sonnabend arbeitsfrei war. Die Kürzungsvorschrift des letzten Halbsatzes des § 563 Abs. 2 Satz 1 RVO ist nach der Auffassung des erkennenden Senats schon aus diesem Grunde nicht anwendbar, so daß dahingestellt bleiben kann, welche Bedeutung es hat, daß die Verkürzung der Zahl der Arbeitstage nicht während des ganzen Jahres vor dem Unfall wirksam war.

Bei der Anwendung der "2. Alternative" ist deshalb der durchschnittliche Tagesverdienst des Klägers ungekürzt mit 300 zu vervielfältigen. Da diese Multiplikation einen höheren Betrag ergibt als das vom Kläger tatsächlich im Jahre vor dem Unfall erzielte Arbeitsentgelt (1. Alternative), ist die Anwendung der "2. Alternative" des § 563 Abs. 2 Satz 1 RVO für den Kläger günstiger. Das Urteil des LSG war deshalb aufzuheben und die Beklagte-entsprechend dem Antrag des Klägers - zu verurteilen, der Rentenberechnung einen JAV von 5.587,- DM zu Grunde zu legen.

Die Entscheidung über die Kosten ergeht auf Grund von § 193 SGG.

 

Fundstellen

BSGE, 48

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