Entscheidungsstichwort (Thema)

Beitragsnachentrichtung. Beitragsklasse

 

Orientierungssatz

Beiträge können nach AnVNG Art 2 § 49a Abs 2 (= ArVNG Art 2 § 51a Abs 2) und WGSVG § 10a nur in den im Zeitpunkt der Antragstellung oder spätestens bei Ablauf der Antragsfrist (1975-12-31) geltenden Beitragsklassen nachentrichtet werden. AVG § 141 Abs 3 (= RVO § 1419 Abs 3) ist insoweit nach dem 1975-12-31 nicht anwendbar (Anschluß an BSG 1980-09-23 12 RK 69/79 = BSGE 50, 235).

 

Normenkette

AnVNG Art 2 § 49a Abs 2 Fassung: 1972-10-16; RVO § 1419 Abs 3 Fassung: 1967-12-21; AVG § 141 Abs 3 Fassung: 1967-12-21; ArVNG Art 2 § 51a Abs 2 Fassung: 1972-10-16; WGSVG § 10a Fassung: 1975-04-28

 

Verfahrensgang

LSG Berlin (Entscheidung vom 14.09.1979; Aktenzeichen L 1 An 30/79)

SG Berlin (Entscheidung vom 20.11.1978; Aktenzeichen S 11 An 1269/76)

 

Tatbestand

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob der Kläger berechtigt ist, für die Zeit von Januar 1950 bis Dezember 1955 Beiträge nach § 10a Abs 2 des Gesetzes zur Regelung der Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts in der Sozialversicherung (WGSVG) und für die Zeit von Januar 1956 bis Dezember 1958 Beiträge nach Art 2 § 49a Abs 2 des Angestelltenversicherungs-Neuregelungsgesetzes (AnVNG) in der für das Jahr 1976 geltenden Beitragsklasse 700 nachzuentrichten.

Der Kläger beantragte bei der Beklagten die Nachentrichtung nach Art 2 § 49a Abs 2 AnVNG am 23. August 1973 und die Nachentrichtung nach § 10a Abs 2 WGSVG am 19. August 1975. Mit Schreiben vom 28. August 1975 konkretisierte er sein Nachentrichtungsbegehren für den streitigen Zeitraum dahin, daß er ihn insgesamt mit 108 Monatsbeiträgen der Klasse 700 zu je 126,-- DM belegen wolle. Mit Bescheid vom 12. Januar 1976 gestattete die Beklagte die Nachentrichtung nur in der Klasse 600 zu je 108,-- DM und begründete dies in dem Widerspruchsbescheid vom 10. Mai 1976 damit, daß es für die Feststellung, in welcher Beitragsklasse Beiträge nach den Sondervorschriften des Art 2 § 49a AnVNG und des § 10 WGSVG nachentrichtet werden können, auf das Jahr der Antragstellung ankomme. Die Beitragsklasse 700 sei aber am 31. Dezember 1972 weggefallen und erst im Jahre 1976 wieder eingeführt worden. Die Klage blieb erfolglos (Urteil des Sozialgerichts -SG- Berlin vom 20. November 1978). Auf die Berufung des Klägers hat das Landessozialgericht (LSG) Berlin das Urteil des SG aufgehoben und die Beklagte unter Abänderung ihrer Bescheide verurteilt, dem Kläger die Nachentrichtung der Beiträge für die streitige Zeit in Höhe von monatlich 126,-- DM zu gestatten (Urteil vom 14. September 1979). Zur Begründung hat das LSG ua ausgeführt, für die Nachentrichtung von Beiträgen nach § 10a Abs 2 WGSVG und Art 2 § 49a Abs 2 AnVNG sei § 141 Abs 3 des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG) anzuwenden, so daß die Beiträge nach den im Zeitpunkt der Zahlung geltenden Sätzen und Beitragsklassen zu entrichten gewesen seien. Daß § 141 Abs 3 AVG anwendbar sei, folge für § 10a Abs 2 WGSVG schon aus dem Abs 4 dieser Vorschrift, der über § 10 Abs 2 Satz 2 WGSVG auf § 8 Abs 2 Satz 3 WGSVG verweise, der den § 141 Abs 3 AVG für entsprechend anwendbar erkläre. Daß dies auch für Art 2 § 49a AnVNG gelte, könne nicht zweifelhaft sein. Es komme deshalb nicht auf den Zeitpunkt der Antragstellung an. Die Ausschlußfristen der beiden Vorschriften bezögen sich nur auf die Antragstellung, nicht aber auf die Nachentrichtung der Beiträge selbst.

Mit der - vom LSG zugelassenen - Revision vertritt die Beklagte die Auffassung, im Gegensatz zu den unbefristeten Nachentrichtungen, bei denen die tatsächliche Beitragsnachentrichtung maßgebend sei, komme es bei der außerordentlichen Nachentrichtung nach Art 2 § 49a AnVNG und § 10a Abs 2 WGSVG nach dem Erlöschen des Antragsrechts am 31. Dezember 1975 nicht mehr auf den Zeitpunkt der Beitragsentrichtung an. Für die Wahl seien daher die im Jahre 1975 gültigen bzw die im Jahr der Antragstellung zulässigen Beitragsklassen zu verwenden.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des LSG aufzuheben und die Berufung

des Klägers gegen das Urteil des SG

zurückzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§ 124 Abs 2 des Sozialgerichtsgesetzes -SGG-).

 

Entscheidungsgründe

Die Revision der Beklagten ist begründet.

Der Kläger ist nicht berechtigt, für die Jahre 1950 bis 1958 Beiträge in der Klasse 700 nachzuentrichten. Die Beklagte hat zu Recht die Nachentrichtung für diese Jahre nur in der vom 1. Januar 1973 bis 31. Dezember 1975 geltenden Höchstklasse 600 gestattet.

Die erst ab 1. Januar 1976 wieder eingeführte Beitragsklasse 700 kann für Nachentrichtungsberechtigungen nach Art 2 § 49a AnVNG und § 10a WGSVG nicht in Anspruch genommen werden. Das folgt schon aus der Rechtsnatur dieses außerordentlichen Nachentrichtungsrechts, das zur Entstehung der Antragstellung bedurfte (vgl BSGE 50, 16). Wenn aber das Nachentrichtungsrecht erst durch einen entsprechenden Antrag zur Entstehung gebracht wurde und wenn dieser Antrag wirksam nur bis zum 31. Dezember 1975 (Stichtag) gestellt werden konnte, so mußten auch die übrigen Entstehungsvoraussetzungen für das Nachentrichtungsrecht - so wie sie bis zum Stichtag rechtlich festgelegt waren - spätestens bis dahin erfüllt sein (vgl Urteile des Senats vom 22. Februar 1980, 12 RK 51/78 und 25/79). Nur bei Erfüllung dieser Voraussetzungen konnte also das Nachentrichtungsrecht dem Grunde nach entstehen. Demgegenüber mußten zwar die zur näheren Konkretisierung des Nachentrichtungsrechts erforderlichen Erklärungen, insbesondere die Erklärungen des Antragstellers über die Wahl der Beitragsklasse, nicht ebenfalls bis zu dem genannten Stichtag abgegeben sein; auch spätere Erklärungen konnten jedoch nur unter Beachtung derjenigen Vorschriften abgegeben werden, die im Antragsjahr oder jedenfalls bis zu dem genannten Stichtag in Kraft waren. Anderenfalls hätten Antragsteller, die ihren Antrag nicht bis zu dem Stichtag konkretisiert hatten, die fehlende Konkretisierung nicht nur bis zum Abschluß des durch den Antrag eingeleiteten Verwaltungsverfahrens nachholen können, eine Befugnis, die ihnen nicht genommen werden durfte, wenn sie die Möglichkeit haben sollten, ihre Konkretisierungsentscheidung nach ausreichender Information vor allem durch den Versicherungsträger abzugeben; sie hätten sich darüber hinaus mit der nachträglichen Konkretisierung auch Vorteile hinsichtlich des rechtlich zulässigen Umfangs der Beitragsnachentrichtung (zB durch Wahl einer höheren Beitragsklasse als bis zum Jahre 1975 vorgesehen) verschaffen können, was weder rechtlich noch sozialpolitisch zu rechtfertigen wäre. Der Grundsatz der Gleichbehandlung mit denjenigen Antragstellern, die bis zum Stichtag einen konkretisierten Antrag gestellt hatten, läßt es vielmehr erforderlich erscheinen, daß auch bei einer erst nachträglichen Konkretisierung des Antrags der rechtliche Rahmen eingehalten wird, der im Antragsjahr oder jedenfalls bei Ablauf der gesetzlichen Antragsfrist gegeben war, daß also auch bei späterer Konkretisierung höchstens eine Beitragsklasse gewählt werden konnte, die bei einer Konkretisierung bis Ende 1975 zur Verfügung gestanden hatte (vgl Urteil des Senats vom 23. September 1980, 12 RK 69/79). Das war aber für die Nachentrichtung von Beiträgen für die hier in Frage stehenden Jahre (bis 1958) höchstens die Beitragsklasse 600.

Eine Möglichkeit, später geschaffene Beitragsklassen zu wählen, ergibt sich auch nicht aus § 141 Abs 3 AVG. Zwar ist diese Vorschrift durch die Verweisungskette der §§ 10a Abs 4, 10 Abs 2 Satz 2, 8 Abs 2 Satz 3 WGSVG im Rahmen des § 10a WGSVG entsprechend anzuwenden. Die entsprechende Anwendung einer Bezugsvorschrift findet aber ihre Begrenzung in der Zweckbestimmung der Vorschrift, für die sie gelten soll. Die oa Bezugsvorschrift des § 8 Abs 2 Satz 3 WGSVG stammt noch aus der Zeit vor der Änderung des § 10 Abs 1 WGSVG (Einfügung des Satzes 4) und Einfügung des § 10a WGSVG durch das 18. Rentenanpassungsgesetz vom 28. April 1975, also aus einer Zeit, in der die Nachentrichtung nach § 10 WGSVG noch unbefristet möglich war. Bei dieser unbefristeten und daher von einem fristgerechten Antrag (als materiell-rechtlicher Voraussetzung für ihre Entstehung) unabhängigen Nachentrichtungsberechtigung war es erforderlich, die Klassenwahl an nachträgliche beitragsrechtliche Änderungen zu binden, wie dies auch bei der zeitlich nachhinkenden Entrichtung nach § 141 Abs 2 AVG vorgeschrieben ist. Seinem Grundgedanken nach ist § 141 Abs 3 AVG mit dem ab 4. Mai 1975 mit der Ausschlußfrist versehenen § 10a WGSVG nur insoweit vereinbar und "entsprechend" anwendbar, als etwaige nachträgliche Änderungen der Beitragsklassen dann zu berücksichtigen sind, wenn sie noch während der am 31. Dezember 1975 abgelaufenen Antragsfrist eingetreten sind. Im übrigen erfaßt § 141 Abs 3 AVG nach Wortlaut und Entstehungsgeschichte nur Fälle, in denen sich die Beitragsklassen zugleich mit und wegen einer Änderung des Beitragssatzes ändern, nicht dagegen Fälle, in denen die Klassen - wie beim Jahreswechsel 1975/76 geschehen - ohne eine Änderung des Beitragssatzes geändert werden. In den letztgenannten Fällen steht mithin § 141 Abs 3 AVG in der vom Senat vertretenen Auslegung - keine Anwendung bei Änderung der Beitragsklassen ohne Änderung des Beitragssatzes - einer Entrichtung von Beiträgen in den alten Beitragsklassen (hier: des Jahres 1975) nicht im Wege. Für das Nachentrichtungsrecht nach Art 2 § 49a Abs 2 AnVNG hat dies der Senat bereits entschieden (Urteil vom 23. September 1980 - 12 RK 69/79 -). Für § 10a WGSVG kann nichts anderes gelten.

Sonach muß das Urteil des LSG aufgehoben werden. Die Berufung des Klägers gegen das zu Recht ergangene Urteil des SG ist zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1658949

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