Leitsatz (amtlich)

Es bleibt dahingestellt, ob die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit bei der Überprüfung eines Rückforderungsbescheides eine Änderung der wirtschaftlichen Verhältnisse des Klägers zwischen dem Erlaß des angefochtenen Bescheids und dem Schluß der letzten mündlichen Verhandlung berücksichtigen können. Jedenfalls haben sie bei der Überprüfung eines wegen der danach eingetretenen Änderung der wirtschaftlichen Verhältnisse des Klägers ergangenen neuen Rückforderungsbescheids eine solche Überprüfung vorzunehmen.

 

Normenkette

RKG § 93 Abs. 2 S. 2 Fassung: 1965-06-09; SGG §§ 101, 154; RVO § 1301 Abs. 2 S. 2 Fassung: 1965-06-09

 

Tenor

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 30. Januar 1973 wird zurückgewiesen.

Die Beteiligten haben einander außergerichtliche Kosten nicht zu erstatten.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten darüber, ob die Beklagte berechtigt ist, vom Kläger einen Betrag von 5.165,60 DM in Raten zurückzufordern, den sie gemäß § 154 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) aufgrund eines nicht rechtskräftig gewordenen erstinstanzlichen Urteils gezahlt hatte.

Die Beklagte hat mit Bescheid vom 26. Oktober 1965 die dem Kläger gewährte Gesamtleistung wegen Berufsunfähigkeit (BU) mit Wirkung vom 1. Dezember 1965 entzogen. Das Sozialgericht (SG) hat diesen und den ihn bestätigenden Widerspruchsbescheid mit Urteil vom 26. Mai 1966 aufgehoben. Von diesem Tage an hat die Beklagte gemäß § 154 Abs. 2 SGG die Gesamtleistung wegen BU weitergezahlt. Während des Berufungsverfahrens haben die Beteiligten am 25. Juli 1967 einen Vergleich folgenden Inhalts geschlossen:

"1.

Die Beklagte ist bereit, dem Kläger ab Entziehung der Rentenleistung, d. h. ab 1. Dezember 1965, Bergmannsrente wegen verminderter bergmännischer Berufsfähigkeit nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu gewähren;

2.

der Kläger ist damit einverstanden und verzichtet auf weitergehende Ansprüche;

3.

die Beteiligten erklären übereinstimmend, daß mit vorstehendem Vergleich das anhängige Berufungsverfahren seine Erledigung gefunden hat."

In Ausführung dieses Vergleichs hat die Beklagte mit Bescheid vom 30. August 1967 die Bergmannsrente für die Zeit vom 1. Dezember 1965 an festgestellt. Die Zahlung der Gesamtleistung wegen BU hat sie mit dem 30. September 1967 eingestellt. Sie hat den Kläger mit Schreiben vom 30. August 1967 darauf hingewiesen, daß sie in der Zeit vom 26. Mai 1966 bis zum 30. September 1967 Rentenbeträge in Höhe von 5.165,60 DM zu Unrecht gezahlt habe; sie hat den Kläger zur Mitteilung aufgefordert, auf welche Weise er den Schuldbetrag zu tilgen gedenke. Die Beklagte hat dann mit Bescheid vom 5. Juni 1968 festgestellt, daß sie Rentenbeträge von 5.165,60 DM zuviel gezahlt habe. Sie hat jedoch angenommen, daß eine Rückforderung zur Zeit ausgeschlossen sei, weil sie bei einem monatlichen Einkommen des Klägers von 336,- DM wirtschaftlich nicht vertretbar sei. Die Beklagte hat darauf hingewiesen, daß der Kläger bei einer Besserung seiner wirtschaftlichen Situation mit der Rückforderung rechnen müsse. Der Widerspruch des Klägers blieb ohne Erfolg. Das SG hat den Bescheid der Beklagten vom 5. Juni 1968 und den ihn bestätigenden Widerspruchsbescheid mit Urteil vom 21. April 1969 aufgehoben, weil die Beklagte unabhängig von der wirtschaftlichen Situation des Klägers keinen Rückforderungsanspruch habe. Das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung der Beklagten mit Urteil vom 25. August 1970 zurückgewiesen. Es hat angenommen, die Beklagte hätte einen Rückforderungsbescheid überhaupt nicht erlassen dürfen, weil sie selbst davon ausgegangen sei, die Rückforderung sei wirtschaftlich nicht vertretbar. Ihre Auffassung, ihr sei nicht verwehrt, über den Rückforderungsanspruch zu einem späteren Zeitpunkt zu befinden, könne nicht gebilligt werden, denn die wirtschaftlichen Verhältnisse seien schon bei der Entscheidung über die Rückforderung zu berücksichtigen. Da es auf den Zeitpunkt des Erlasses des Verwaltungsakts ankomme, könne es dahingestellt bleiben, ob die wirtschaftliche Situation des Klägers sich bis zur gerichtlichen Entscheidung verbessert habe. Dieses Urteil ist rechtskräftig geworden.

Die Beklagte fordert mit Bescheid vom 16. Oktober 1970 vom Kläger den Betrag von 5.165,60 DM zurück, weil die Rückforderung bei einem monatlichen Einkommen des Klägers von 1.372,70 DM nunmehr wirtschaftlich vertretbar sei. Sie bat den Kläger um Mitteilung, in welcher Höhe er monatliche Rückzahlungen leisten wolle. Der Widerspruch des Klägers blieb ohne Erfolg.

Das SG hat den Bescheid der Beklagten vom 16. Oktober 1970 und den ihn bestätigenden Widerspruchsbescheid mit Urteil vom 18. November 1971 aufgehoben. Das LSG hat am 30. Januar 1973 unter Aufhebung dieses Urteils die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es im wesentlichen ausgeführt, die Rechtskraft des früheren Berufungsurteils vom 25. August 1970 stehe einer erneuten Verwaltungsentscheidung über die Rückforderung der überzahlten Rentenbeträge nicht entgegen, denn der Rückforderungsbescheid vom 5. Juni 1968 und der ihn bestätigende Widerspruchsbescheid sei lediglich deshalb aufgehoben worden, weil die Rückforderung zur damaligen Zeit wirtschaftlich nicht vertretbar gewesen sei. Die Beklagte sei nunmehr zur Rückforderung berechtigt. Die zurückgeforderten Rentenbeträge seien ohne Verschulden des Versicherungsträgers zuviel gezahlt worden. Der Kläger hätte wissen müssen, daß ihm die Gesamtleistung wegen BU vom Zeitpunkt der Verkündung des erstinstanzlichen Urteils an noch nicht endgültig zugestanden habe. Ein guter Glaube an seine Berechtigung hätte sich daher noch nicht bilden können. Die von der Beklagten in der mündlichen Verhandlung konkretisierte Ratenforderung von monatlich 50,- DM sei bei einem monatlichen Einkommen des Klägers von 1.372,70 DM wirtschaftlich auch vertretbar.

Der Kläger hat dieses Urteil mit der - vom LSG zugelassenen - Revision angefochten. Er ist der Ansicht, die Beklagte habe keinen Rückforderungsanspruch. Der am 25. Juli 1967 geschlossene Vergleich habe den Rechtsstreit vollständig erledigt. Da er keine Bestimmung über die Rückforderung der bis dahin gezahlten Gesamtleistung wegen BU enthalte, müsse davon ausgegangen werden, daß ein solcher Rückforderungsanspruch nicht erhoben werden sollte. Da die Beteiligten im Vergleich bewußt eine Regelung über diesen rechtserheblichen Punkt unterlassen hätten, seien sie sich also einig gewesen, daß mit dem Vergleich das voraufgegangene Verfahren einschließlich der Rückforderung vollständig abgeschlossen sein sollte. Im übrigen stehe das rechtskräftige Urteil des LSG vom 25. August 1970 der Rückforderung entgegen.

Der Kläger beantragt,

unter Aufhebung der angefochtenen Entscheidung die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des SG Dortmund vom 18. November 1971 zurückzuweisen.

Die Beklagte beantragt,

die Revision des Klägers zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil im Ergebnis und in der Begründung für richtig und ist der Ansicht, die Revision des Klägers sei unbegründet. Die Beklagte trägt zusätzlich vor, aus dem Vergleich vom 25. Juli 1967 ergebe sich nicht, daß ein Rückforderungsanspruch ausgeschlossen sein sollte. Gegenstand des Verfahrens sei die Entziehung der Gesamtleistung wegen BU und nicht der Rückforderungsanspruch gewesen. Folglich habe der Rückforderungsanspruch auch nicht Gegenstand des Vergleichs sein können.

 

Entscheidungsgründe

Die zulässige Revision des Klägers hat keinen Erfolg. Das LSG hat mit Recht das der Klage stattgebende Urteil des SG geändert und die Klage abgewiesen. Der Rückforderungsbescheid der Beklagten vom 16. Oktober 1970 und der ihn bestätigende Widerspruchsbescheid vom 8. Februar 1971 sind rechtmäßig. Die Beklagte ist berechtigt, vom Kläger den Betrag von 5.165,60 DM in Raten zurückzufordern.

Der erkennende Senat hat bereits entschieden, daß die aufgrund eines nicht rechtskräftig gewordenen Urteils nach § 154 Abs. 2 SGG gezahlten Rentenbeträge zu Unrecht gezahlte Leistungen sind, die der Versicherungsträger nach § 93 Abs. 2 des Reichsknappschaftsgesetzes (RKG) zurückfordern kann, wenn dies wegen der wirtschaftlichen Verhältnisse des Empfängers vertretbar ist (vgl. SozR Nr. 18 zu § 1301 RVO). Nach dieser Entscheidung kommt es dabei auf das Nichtverschulden des Versicherungsträgers und auf das Wissenmüssen des Empfängers von der mangelnden Empfangsberechtigung nicht an. Dem Kläger ist die Rückzahlung der zuviel gezahlten Leistungen auch wirtschaftlich zumutbar. Zwar kann er den Betrag von 5.165,60 DM nicht in einer Summe zurückzahlen. Die Rückforderung einer Überzahlung ist aber auch dann unter Berücksichtigung der wirtschaftlichen Verhältnisse des Empfängers vertretbar, wenn der Empfänger die zuviel gezahlte Leistung zwar nicht in einer Summe, wohl aber in angemessenen monatlichen Raten zurückzahlen kann (vgl. Urteil des erkennenden Senats in SozR Nr. 18 zu § 1301 RVO). Die Beklagte hat die Rückforderung bereits im angefochtenen Bescheid nicht in einer Summe geltend gemacht, sondern dem Kläger Ratenzahlungen eingeräumt, die sie in der mündlichen Verhandlung vor dem LSG mit monatlich 50,- DM konkretisiert hat. Diese Ratenzahlungen sind, da der Kläger nur für den eigenen und den Unterhalt seiner Ehefrau aufzukommen hat, bei einem monatlichen Einkommen von etwa 1.370,- DM wirtschaftlich vertretbar. Das wird vom Kläger auch ebenso wenig bestritten wie das Bestehen eines Rückforderungsanspruchs der Beklagten. Der Geltendmachung des bestehenden Rückforderungsanspruchs durch die Beklagte stehen - im Gegensatz zu der Ansicht des Klägers - weder der Vergleich vom 25. Juli 1967 noch das rechtskräftige Urteil des LSG vom 25. August 1970 entgegen.

Der Prozeßvergleich vom 25. Juli 1967 hat zwar den damals anhängigen Rechtsstreit nach § 101 SGG in vollem Umfang erledigt. Die Beklagte weist aber zutreffend darauf hin, daß Gegenstand des damaligen Rechtsstreits die Rechtmäßigkeit der Rentenentziehung und nicht ein Rückforderungsanspruch der Beklagten war. Zwar können die Beteiligten sich in einem gerichtlichen Vergleich über Ansprüche einigen, die nicht Gegenstand des Verfahrens sind; jedoch muß der Vergleich eine entsprechende Bestimmung enthalten. Wenn der Vergleich keine Vereinbarung darüber enthält, was aus der aufgrund des erstinstanzlichen Urteils gezahlten Gesamtleistung wegen BU werden soll, so treten mangels einer vergleichsweisen Regelung die gesetzlichen Folgen ein. Da es sich um einen außerhalb des damaligen Rechtsstreits liegenden Anspruch der Beklagten handelt, der erst als Folge des Vergleichs entstanden ist, hätte der Vergleich schon eine ausdrückliche Regelung enthalten müssen, wenn das Entstehen oder die Geltendmachung dieses Anspruchs verhindert und der Rückforderungsanspruch der Beklagten als erledigt angesehen werden sollte.

Das LSG ist auch zutreffend davon ausgegangen, daß das rechtskräftige Berufungsurteil vom 25. August 1970 der Geltendmachung des Rückforderungsanspruchs durch die Beklagte nicht entgegensteht. Zwar ist in den Gründen dieses Urteils das Bestehen eines Rückforderungsanspruchs wegen der wirtschaftlichen Verhältnisse des Klägers verneint worden. Rechtskräftig geworden ist jedoch lediglich die Aufhebung des Bescheides vom 5. Juni 1968 und des ihn bestätigenden Widerspruchsbescheids vom 18. November 1968. Die rechtskräftige Aufhebung dieser Bescheide hat lediglich zur Folge, daß die Verwaltung einen gleichlautenden Verwaltungsakt mit derselben Begründung nicht erlassen darf. Die Verwaltung ist dagegen nicht gehindert, einen Verwaltungsakt mit einem anderen Verfügungssatz oder aber einen Verwaltungsakt mit gleichem Verfügungssatz bei verändertem Sachverhalt zu erlassen. Der hier angefochtene Bescheid vom 16. Oktober 1970 enthält nicht nur einen abweichenden Verfügungssatz, sondern er beruht auch auf einem veränderten Sachverhalt. Die Beklagte hat vom Kläger, dessen wirtschaftliche Verhältnisse sich seit dem dem rechtskräftig gewordenen Berufungsurteil zugrunde liegenden Sachverhalt wesentlich geändert hatten, mit dem hier angefochtenen Bescheid vom 16. Oktober 1970 erstmalig die Rückzahlung des zuviel gezahlten Betrages verlangt. Sie hat damit einen Rückforderungsanspruch geltend gemacht, der erst nach Erlaß des rechtskräftig gewordenen Berufungsurteils entstanden ist. Die Rechtskraft des Berufungsurteils vom 25. August 1970 kann die Beklagte daher nicht hindern, einen erst danach entstandenen Rückforderungsanspruch geltend zu machen.

Es mag dahingestellt bleiben, ob es - wie der 11. Senat des Bundessozialgerichts (BSG) entschieden hat (SozR Nr. 8 zu § 1301 RVO) - für die Frage, ob die Rückforderung wegen der wirtschaftlichen Verhältnisse des Empfängers vertretbar ist, auf die Verhältnisse ankommt, die zur Zeit der Entscheidung des Versicherungsträgers über die Rückforderung bestehen. Selbst wenn man sich dieser Ansicht anschließt, so bedeutet das doch nur, daß die wirtschaftlichen Verhältnisse zur Zeit des Erlasses des Rückforderungsbescheides nur für das jeweils anhängige Verfahren maßgebend und Änderungen bis zur mündlichen Verhandlung nicht zu berücksichtigen sind. Haben sich die wirtschaftlichen Verhältnisse des Empfängers dagegen erst nach Erlaß des Rückforderungsbescheides dergestalt geändert, daß die Rückforderung nunmehr wirtschaftlich vertretbar ist, so kann es dem Versicherungsträger keinesfalls verwehrt sein, von der erst nach Erlaß des unrechtmäßigen Rückforderungsbescheides entstandenen Möglichkeit Gebrauch zu machen, den nunmehr bestehenden Rückforderungsanspruch durch einen neuen Verwaltungsakt geltend zu machen.

Der Senat hat die danach unbegründete Revision des Klägers zurückgewiesen. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1649881

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Deutsches Anwalt Office Premium. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge