Verfahrensgang

Bayerisches LSG (Urteil vom 13.06.1989; Aktenzeichen L 11 An 221/86)

 

Tenor

Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 13. Juni 1989 aufgehoben.

Die Sache wird zu erneuter Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.

 

Tatbestand

I

Der Kläger begehrt von der Beklagten Erwerbs- oder Berufsunfähigkeitsrente.

Der 1935 geborene Kläger legte 1961 vor einer jugoslawischen Prüfungskommission die Prüfung zum „qualifizierten Arbeiter im Beruf Zimmermann (Fachrichtung Zimmermannsarbeiten)” ab. In Deutschland war er von 1965 bis 1978 als Einschaler bei einer Baufirma beschäftigt. Die Firma bestätigte, daß der Kläger ausschließlich Facharbeitertätigkeiten ausgeführt habe. Er sei überdurchschnittlich qualifiziert, eine Spitzenkraft. Er habe die Firma aus gesundheitlichen Gründen verlassen. Der Kläger erhält in Jugoslawien eine Rente wegen Invalidität.

Den Rentenantrag des Klägers vom 10. Februar 1984 lehnte die Beklagte ab (Bescheid vom 25. September 1984; Widerspruchsbescheid vom 21. Februar 1985).

Das Sozialgericht (SG) hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 12. März 1986). Das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung zurückgewiesen (Urteil vom 13. Juni 1989). Es hat im wesentlichen ausgeführt: Der Kläger sei Facharbeiter. Er könne noch als Sägenschärfer, Schnittholzsortierer, Baustellenmagaziner, Zuschneider in Heimwerker- oder Hobbymärkten sowie als Hausmeister mittelschwere Arbeiten ausführen. Auf diese Tätigkeiten sei er auch im Sinne von § 1246 Abs 2 Satz 2 Reichsversicherungsordnung (RVO) zumutbar zu verweisen, so daß er keinen Anspruch auf Rente wegen Berufsunfähigkeit habe.

Der Kläger hat die vom Senat zugelassene Revision eingelegt und rügt die Verletzung formellen und materiellen Rechts. Das LSG habe unter Verstoß gegen § 103 Sozialgerichtsgesetz (SGG) den Sachverhalt nicht richtig und nicht vollständig ermittelt, es habe gegen § 139 Zivilprozeßordnung (ZPO) verstoßen und den Grundsatz des rechtlichen Gehörs verletzt (Art 103 Abs 1 Grundgesetz ≪GG≫; § 62 SGG). Das LSG hätte seinem Antrag auf Einholung eines augenärztlichen, nervenfachärztlichen und berufskundlichen Sachverständigengutachtens stattgeben müssen. Indem das LSG ihn zu der Annahme nicht gehört habe, er verrichte in Jugoslawien Arbeiten, die über das leichte Maß hinausgingen, habe es ihm das rechtliche Gehör versagt.

Der Kläger beantragt sinngemäß,

das angefochtene Urteil sowie das Urteil des Sozialgerichts Landshut vom 12. März 1986 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung der angefochtenen Bescheide zu verurteilen, dem Kläger Rente wegen Erwerbsunfähigkeit, hilfsweise wegen Berufsunfähigkeit ab Antragstellung zu gewähren;

hilfsweise beantragt er,

das angefochtene Urteil aufzuheben und den Rechtsstreit an das Landessozialgericht zurückzuverweisen.

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§ 124 Abs 2 SGG).

 

Entscheidungsgründe

II

Die Revision des Klägers ist im Sinne der Zurückverweisung begründet. Die vom LSG festgestellten Tatsachen, soweit sie nicht deshalb unverwertbar sind, weil gegen sie „zulässige und begründete Revisionsgründe” vorgebracht sind, reichen zu einer abschließenden Entscheidung nicht aus.

Die Feststellungen des LSG beruhen – wie mit der Revision formgerecht gerügt wird – jedenfalls auf einer Verletzung der Sachaufklärungspflicht (§ 103 SGG). Eine Verletzung dieser Ermittlungspflicht liegt dann vor, wenn sich das Tatsachengericht von seinem sachlich-rechtlichen Standpunkt aus hätte gedrängt fühlen müssen, den beantragten Beweis zu erheben (BSG SozR 1500 § 160a Nr 34 mwN).

Das LSG hätte sich hier gedrängt fühlen müssen, weitere ärztliche Gutachten einzuholen, insbesondere ein augenfachärztliches. Das LSG selbst hatte ein augenärztliches Gutachten für erforderlich erachtet und eine entsprechende Beweisanordnung am 7. Dezember 1987 erlassen. Erst als der Kläger zum Untersuchungstermin mit der Begründung nicht gekommen war, er sei krank, hatte es die weiteren Ermittlungen abgebrochen. Diese vom LSG selbst vorgesehenen Beweiserhebungen waren aber für die Entscheidung des Rechtsstreits, auch nach der eigenen materiell-rechtlichen Auffassung des LSG, erforderlich. Bei allen vom LSG genannten Verweisungstätigkeiten im Sinne des § 1246 Abs 2 Satz 2 RVO, insbesondere bei denen des Sägenschärfers, Zuschneiders in Heim- oder Hobbymärkten sowie des Hausmeisters, kommt es auf ein gutes Sehvermögen an. Bei den Arbeiten an Kreissägen und an anderen gefährlichen Maschinen ist ein gutes Sehvermögen auch aus Gründen der Sicherheit unerläßlich.

Die Tatsache, daß der Beweiserhebung vorübergehende Hindernisse im Weg standen, machte die vom LSG selbst für notwendig erachteten Beweise nicht unmöglich, zumal der Kläger nach der Krankmeldung vom 26. Juni 1988 mit dem späteren Schriftsatz vom 30. November 1988 seine Reisefähigkeit für „die vorgesehene augenfachärztliche Untersuchung” ausdrücklich erklärt hat. Diese ist auch nicht dadurch überflüssig geworden, daß die vom LSG mit einer internistischen und orthopädischen Begutachtung betrauten ärztlichen Sachverständigen Dr. W. … und Dr. F. … in ihren Gutachten vom 5. und 7. Juli 1987 bezüglich des Sehvermögens des Klägers „keine Auffälligkeiten” festgestellt haben (so LSG-Urteil, S 17). Denn das LSG hat im Anschluß an diese Gutachten vom 5. und 7. Juli 1987 gleichwohl eine augenfachärztliche Untersuchung und Begutachtung für erforderlich gehalten, wie die entsprechende Beweisanordnung vom 7. Dezember 1987 zeigt.

Das Urteil des LSG ist daher aufzuheben, und die Sache ist zu erneuter Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen (§ 170 Abs 2 Satz 2 SGG).

Das LSG wird auch über die Kosten der Revisionsinstanz zu befinden haben.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1174187

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