Leitsatz (amtlich)

1. Die Klage, mit der ein Unternehmer - zwecks künftiger Ermäßigung der Unfallversicherungsbeiträge - die Feststellung begehrt, daß seine BG Renten an einen bestimmten Personenkreis wegen Nichtigkeit der diesen Leistungen zugrunde liegenden Vorschriften nicht zahlen darf, ist zulässig.

2. BVG § 54 S 2 verstößt nicht gegen GG Art 120 Abs 1. Eine auf jene Regelung zurückzuführende überdurchschnittliche Belastung der See-BG mit Renten für kriegsbedingte Arbeitsunfälle ist mit GG Art 3 Abs 1 vereinbar.

 

Normenkette

SGG § 55 Abs. 1 Fassung: 1953-09-03; RVO § 758 Fassung: 1924-12-15; BVG § 54 S. 2 Fassung: 1950-12-20; GG Art. 3 Abs. 1 Fassung: 1949-05-23, Art. 120 Abs. 1 Fassung: 1965-07-30

 

Tenor

Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landessozialgerichts Hamburg vom 11. März 1964 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

 

Gründe

I

Die Klägerin, Mitglied der beklagten Berufsgenossenschaft (BG), richtete an diese mit Schreiben vom 8. Oktober 1959 den Antrag, bei der Feststellung der auf die Klägerin entfallenden Jahresumlage die auf Grund des § 54 Satz 2 des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) gezahlten Renten künftig nicht mehr zu berücksichtigen. Zur Begründung führte die Klägerin aus, seit langer Zeit werde sie - wie auch die anderen Mitgliedsreedereien - durch die Berücksichtigung der für die kriegsbedingten Renten von der Beklagten geleisteten Beträge bei der Feststellung der Jahresumlage zusätzlich belastet; die Beklagte sei jedoch weder zur Zahlung dieser Renten noch zu einer entsprechenden Erhöhung der Jahresumlage berechtigt, da § 54 Satz 2 BVG wegen Verstoßes gegen die Art. 3 und 120 des Grundgesetzes (GG) nichtig sei. Die Beklagte lehnte den Antrag durch Bescheid vom 9. November 1959 ab. Den hiergegen eingelegten Widerspruch wies die Widerspruchsstelle der Beklagten durch Bescheid vom 15. Dezember 1959 zurück.

Die Klägerin hat mit ihrer hiergegen erhobenen Klage beantragt, den Bescheid nebst Widerspruchsbescheid aufzuheben und festzustellen, daß die Beklagte nicht berechtigt ist, Renten aus der Unfallversicherung (UV) für Arbeitsunfälle aus der Zeit vor dem 1. Januar 1942 und nach dem 8. Mai 1945 zu zahlen, die zugleich schädigende Ereignisse im Sinne des § 1 BVG sind. Zur Begründung hat die Klägerin ausgeführt: Durch § 54 Satz 2 i.V.m. § 65 Abs. 1 Nr. 1 BVG würden die Versorgungsberechtigten für die vor dem 1. Januar 1942 und nach dem 8. Mai 1945 erlittenen Schäden an die UV Träger verwiesen, die damit insoweit die ganze Last der Kriegsopferversorgung (KOV) zu tragen hätten. Dies widerspreche dem Art. 120 Abs. 1 GG, wonach dem Bund die Aufwendungen der KOV - ohne Differenzierung nach dem Entstehungsdatum der Ansprüche - zur Last fielen (BVerfG 9, 305; BGHZ 11, 43, 53); der Bund sei nicht berechtigt, die Kriegsfolgelasten ganz oder teilweise auf unterstaatliche Organisationen abzuwälzen. Die Überbürdung der Versorgungslast für kriegsbedingte Unfälle aus der Zeit vom 1. September 1939 bis zum 31. Dezember 1941 auf die UV-Träger stelle alle BGen gleich und lasse so die erheblichen tatsächlichen Verschiedenheiten im Verhältnis der Beklagten zu anderen BGen außer acht. Da die deutsche Handelsflotte sich schon vom ersten Kriegstage an in kriegsmäßigem Einsatz und damit in einer besonders akuten Gefahrenlage befunden habe, sei in der Zeit vom 1. September 1939 bis zum 31. Dezember 1941 eine große Anzahl von ausschließlich kriegsbedingten Arbeitsunfällen eingetreten; die hierfür von der Beklagten zu zahlenden 323 Renten überstiegen 10 % des gesamten Rentenaufwands. Demgegenüber sei bei den anderen UV-Trägern die Zahl kriegsbedingter Rentenfälle und -aufwendungen aus der Zeit vom 1. September 1939 bis zum 31. Dezember 1941 ganz geringfügig. Der Gesetzgeber habe also bei § 54 Satz 2, § 65 Abs. 1 Nr. 1 BVG völlig ungleiche Sachlagen entgegen Art. 3 GG gleichbehandelt und damit seinen Ermessensspielraum (BVerfG 1, 264; 3, 135, 158) weit überschritten. Schwerwiegende sozialpolitische Gründe hierfür (BVerfG 1, 275) seien den Materialien zum BVG nicht zu entnehmen.

Das Sozialgericht (SG) Hamburg hat die Bundesrepublik Deutschland (BRD), vertreten durch den Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung, beigeladen. Mit Urteil vom 26. April 1962 hat das SG die Klage abgewiesen. In den Entscheidungsgründen ist ausgeführt: Die Feststellungsklage sei unzulässig, weil sie zu einer unzulässigen Umgehung des § 1179 der Reichsversicherungsordnung (RVO aF) führe; auf Grund dieser Vorschrift könne die Klägerin eine Herabsetzung ihrer Mitgliedsbeiträge nicht erzielen. Es sei nicht angängig, daß die Klägerin dieses Ziel auf dem Wege über die Feststellungsklage erreiche. Im übrigen habe die Klägerin von der ihr früher durch §§ 90, 93 des Bundesverfassungsgerichtsgesetzes (BVerfGG) gebotenen Möglichkeit, im Wege der Verfassungsbeschwerde den § 54 Satz 2 BVG für nichtig erklären zu lassen, nicht rechtzeitig Gebrauch gemacht. Die Feststellungsklage bedeute also auch eine unzulässige Umgehung der Ausschlußfrist des § 93 Abs. 3 BVerfGG und sei daher rechtsmißbräuchlich. Die Anfechtungsklage teile das verfahrensrechtliche Schicksal der Feststellungsklage.

Mit ihrer Berufung hat die Klägerin hilfsweise die Feststellung beantragt, daß die Beklagte nicht berechtigt ist, bei der für die Beitragsfestsetzung der Klägerin maßgebenden Umlage Leistungen aus der UV für Arbeitsunfälle aus der Zeit vor dem 1. Januar 1942 und nach dem 8. Mai 1945 zu berücksichtigen, die zugleich schädigende Ereignisse im Sinne des § 1 BVG sind. Zur Begründung hat sie vorgetragen, eine Umgehung des § 1179 RVO aF liege nicht vor. Denn die Klägerin fechte nicht einen Vorstandsbeschluß im Sinne dieser Vorschrift an. Sie wende sich auch nicht gegen das durch § 1179 RVO aF geschützte Individualinteresse des einzelnen Versicherten, sondern gegen die Berechtigung der Beklagten zu Leistungen an eine Gesamtheit von Versicherten. Eine Umgehung der Ausschlußfrist nach § 93 Abs. 3 BVerfGG komme schon im Hinblick auf die Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde (BVerfG 14, 260) nicht in Betracht; im übrigen habe bis zum 1. April 1952 gar kein Anlaß zur Erhebung der Verfassungsbeschwerde bestanden, da die BRD in der Zeit vom 1. Oktober 1950 bis zum 31. März 1954 der Beklagten den Aufwand für kriegsbedingte Renten erstattet habe.

Das Landessozialgericht (LSG) Hamburg hat durch Urteil vom 11. März 1964 die Berufung zurückgewiesen: Die Klägerin erstrebe - wie ihr Schreiben an die Beklagte vom 8. Oktober 1959 und ihr im Berufungsverfahren gestellter Hilfsantrag erkennen ließen - mit ihrer Feststellungsklage eine für sie günstigere Beitragsfestsetzung, als sie in dem für die Beteiligten bindend gewordenen Verwaltungsakt der Beklagten erfolgt sei; praktisch greife sie damit die für sie unanfechtbar gewordene Beitragsfestsetzung mit Gründen an, die - wie sich aus den §§ 1178, 1179, 758 RVO aF ergebe - vom Gesetzgeber ausdrücklich ausgeschlossen seien. Die Beschränkung des einzelnen Reedereibetriebs auf die wenigen in §§ 1178 und 1179 RVO aF aufgezählten Anfechtungsgründe habe den Sinn, Eingriffe der BG-Mitglieder in die in Eigenverantwortung der BG festzusetzenden Entschädigungen und damit in die Selbstverwaltungsautonomie zu verhindern. Im übrigen gewährten die von der Beklagten bindend festgestellten Entschädigungsansprüche dem einzelnen Rentenempfänger einen Rechtsanspruch auf Weiterzahlung der Rente. Eine Einflußnahme der Mitglieder sei nur auf dem satzungsgemäßen Weg über die Vertreterversammlung bzw. durch Anrufung der Aufsichtsbehörde möglich. Diese Grundsätze stünden auch dem auf angebliche Verfassungswidrigkeit des § 54 Satz 2 BVG und die damit zusammenhängenden Belastungen gestützten Vorgehen der Klägerin entgegen. Das Rechtsverhältnis zwischen BG und Rentenempfänger dürfe durch Eingriffe beitragspflichtiger Mitglieder nicht beeinträchtigt werden, nur die Beklagte selbst habe es in der Hand, sich gegenüber einem neu erhobenen Rentenanspruch auf die Verfassungswidrigkeit des § 54 Satz 2 BVG zu berufen oder Ersatzansprüche gegenüber der Beigeladenen geltend zu machen. Hierdurch sei das einzelne BG-Mitglied den Beitragsbelastungen nicht schutzlos ausgesetzt. Abgesehen von den durch die Satzung eröffneten Wegen wäre es der Klägerin auch möglich gewesen, Verfassungsbeschwerde gemäß §§ 90 ff BVerfGG zu erheben. Wenn sie die Ausschlußfrist des § 93 Abs. 3 BVerfGG versäumt habe, so könne die Klägerin nicht nachträglich ihr Ziel auf einem durch die Vorschriften der RVO ausdrücklich ausgeschlossenen Wege erreichen; dabei seien nur die vor dem 1. Juli 1963 geltenden Vorschriften für das Rechtsverhältnis zwischen Klägerin und Beklagter maßgebend.

Für die Feststellungsklage fehle es somit am Rechtsschutzbedürfnis ihre Zulässigkeit sei vom SG mit Recht verneint worden. Im übrigen müsse das Feststellungsinteresse der Klägerin aber auch wegen des dem Klagbegehren entgegenstehenden bindenden Verwaltungsakts verneint werden (BSG 15, 118). Schließlich sei ein Feststellungsinteresse auch nicht im Hinblick auf etwaige künftige Beitragsfeststellungen der Beklagten anzuerkennen, eine Feststellungsklage lediglich zur Klärung einer abstrakten Rechtsfrage auf Grund eines Sachverhalts, dessen Eintritt noch ungewiß sei, sei gleichfalls unzulässig.

Hiernach erübrige sich eine Prüfung, ob das Feststellungsbegehren sachlich Erfolg haben könnte. Insoweit sei jedoch auf die Entscheidung in BVerfG 14, 221 hinzuweisen; nach der Auffassung des BVerfG gebe es keinen ungeschriebenen Verfassungsrechtssatz, der es der BRD verböte, den öffentlichen Körperschaften Kriegsfolgelasten aufzuerlegen.

Das LSG hat die Revision zugelassen.

Gegen das am 14. Mai 1964 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 11. Juni 1964 Revision eingelegt und sie innerhalb der bis zum 14. August 1964 verlängerten Frist folgendermaßen begründet: Die Feststellungsklage bedeute keine Umgehung der §§ 1178, 1179 RVO aF, deren Weitergeltung übrigens nach ihrer ersatzlosen Aufhebung durch das Unfallversicherungs-Neuregelungsgesetz (UVNG) vom 30. April 1963 zweifelhaft sei. Weder nach ihrem Wortlaut noch nach ihrem Sinn stünden diese Vorschriften dem Feststellungsbegehren entgegen; dieses berühre nicht die Ansprüche der Versicherten, sondern führe - bei positivem Ausgang - allenfalls zum Eintritt eines anderen Verpflichteten, wodurch die Rechte der Versicherten nicht geschmälert würden. Die Klage bedeute ferner auch keinen Eingriff in die Selbstverwaltungsautonomie der Beklagten. Das Selbstverwaltungsrecht der Beklagten bestehe nicht bindungslos, sondern habe sich im Rahmen der materiell-rechtlichen, speziell der verfassungsrechtlichen Grenzen zu halten. Lege die Beklagte ihren Entscheidungen verfassungswidrige Vorschriften zugrunde, so überschreite sie den Rahmen ihrer Autonomie; dies müsse auf Grund der Rechtsweggarantie (Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG) gerichtlich nachprüfbar sein. Auch der vom LSG befürchtete Eingriff in bereits bindend festgestellte Rentenansprüche der Versicherten führe nicht zur Unzulässigkeit der Klage. Nach Feststellung der Verfassungswidrigkeit des § 54 Satz 2 BVG würden die Rentenansprüche nach dem Grundgedanken des § 79 Abs. 2 Satz 2 BVerfGG gegenüber der Beklagten jedenfalls insoweit nicht mehr durchsetzbar sein, als den Versicherten gleichzeitig Zahlungsansprüche gegen den Bund erwüchsen; sei dies zu verneinen, so würde doch jedenfalls der Beklagten ein Erstattungsanspruch gegen den Bund zustehen. Im übrigen sei es immer noch nicht ausgeschlossen, daß bei der Beklagten auch künftig Rentenanträge aus dem Anwendungsbereich des § 54 Satz 2 BVG gestellt würden. Auch unter dem Gesichtspunkt der bereits bindend gewordenen Beitragsbescheide könne das Feststellungsinteresse nicht verneint werden. Die Feststellungsklage sei jedenfalls im Hinblick auf künftige Renten- und Beitragsfestsetzungen zulässig. Ebensowenig stehe auch die Nichteinhaltung der Frist des § 93 Abs. 3 BVerfGG der Zulässigkeit der Feststellungsklage entgegen; der Klägerin habe die Verfassungsbeschwerde überhaupt nicht zur Verfügung gestanden, da § 54 Satz 2 BVG nur mittelbar in ihren Rechtskreis eingreife (BVerfG 1, 101; 5, 81), außerdem sei die Verfassungsbeschwerde subsidiär und Art. 120 keine Grundrechtsnorm. Die Auffassung des LSG bedeute, daß die Klägerin rechtlos gestellt werde; der Weg über die Vertreterversammlung oder die Anrufung der Aufsichtsbehörde könnten einen effektiven Rechtsschutz nicht ersetzen.

Bezüglich der von ihr behaupteten Verfassungswidrigkeit des § 54 Satz 2 BVG verweist die Klägerin auf ihr Vorbringen in den unteren Rechtszügen. Ergänzend hebt sie hervor, daß während des Krieges auf Grund der damals geltenden Regelung die Last der kriegsbedingten Unfälle der Beklagten abgenommen worden war.

Die Klägerin beantragt,

unter Aufhebung der angefochtenen Urteile und Bescheide festzustellen, daß die Beklagte nicht berechtigt ist, Renten aus der UV für Arbeitsunfälle aus der Zeit vor dem 1. Januar 1942 und nach dem 8. Mai 1945 zu zahlen, die zugleich schädigende Ereignisse im Sinne des § 1 BVG sind,

hilfsweise,

festzustellen, daß die Beklagte nicht berechtigt ist, bei der für die Beitragsfestsetzung der Klägerin maßgebenden Umlage Leistungen aus der UV für Arbeitsunfälle aus der Zeit vor dem 1. Januar 1942 und nach dem 8. Mai 1945 zu berücksichtigen, die zugleich schädigende Ereignisse im Sinne des § 1 BVG sind,

hilfsweise,

das Berufungsurteil aufzuheben und den Rechtsstreit zur erneuten Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen.

Die Beklagte beantragt

Zurückweisung der Revision.

Sie hält die Klage für zulässig; im Hinblick auf die Möglichkeit künftiger Rentenanträge gemäß § 54 Satz 2 BVG könne der Klägerin das Rechtsschutzinteresse nicht versagt werden. Die Klage sei jedoch unbegründet.

Die Beigeladene beantragt

Zurückweisung der Revision.

Nach ihrer Auffassung ist die Klage mit Recht als unzulässig abgewiesen worden. Das Klagbegehren scheitere an dem unlösbaren Dilemma, daß die nach § 54 Satz 2 BVG ergangenen Rentenbescheide weder geändert noch widerrufen und die Unfallgeschädigten nicht nach Jahrzehnten auf die geringeren Versorgungsrenten verwiesen werden könnten, der Beklagten aber die Beiträge streitig gemacht würden, aus denen sie jene Leistungen erfüllen müsse. Ein BG-Mitglied könne Beiträge niemals mit der Begründung kürzen oder verweigern, die BG habe Unfälle zu Unrecht entschädigt. Ein solches Vorgehen - hier noch nach Jahrzehnten - würde jede geordnete Verwaltung der Mittel lahmlegen. Dieser Grundgedanke der seit 1. Juli 1963 weggefallenen §§ 1178, 1179 RVO aF gelte auch seither unverändert weiter. Bei der umstrittenen Vorschrift des § 54 Satz 2 BVG sei nur eine gleichmäßige Behandlung aller BGen als verfassungskonform anzusehen.

II

Die durch Zulassung nach § 162 Abs. 1 Nr. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) statthafte Revision ist form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden, daher zulässig. Sie hatte jedoch keinen Erfolg.

Entgegen der von der Beigeladenen schriftsätzlich geäußerten Ansicht unterliegt es keinem Zweifel, daß die Vorinstanzen die Klage als unzulässig erachtet haben. Die Unzulässigkeit der Klage ist damit begründet worden, das nach § 55 Abs. 1 SGG erforderliche berechtigte Interesse der Klägerin an der baldigen Feststellung liege nicht vor. Hierin vermag der erkennende Senat den Vorinstanzen nicht beizupflichten.

Die mit der Klage begehrte Feststellung, die Zahlung von Renten aus dem Anwendungsbereich des § 54 Satz 2 BVG, hilfsweise aber jedenfalls die auf diesen Rentenzahlungen beruhende Beitragserhebung durch die Beklagte sei rechtswidrig, bedeutet weder eine Umgehung der §§ 1178, 1179, 758 RVO aF noch einen Eingriff in die Selbstverwaltungsautonomie der Beklagten, auch handelt es sich hierbei nicht um die Klärung einer abstrakten Rechtsfrage auf Grund eines Sachverhalts, dessen Eintritt noch ungewiß ist. Nach den - seit Inkrafttreten des UVNG am 1. Juli 1963 weggefallenen - Vorschriften der §§ 758 Abs. 2, 1179 RVO aF war allerdings die Festsetzung der Umlagebeiträge nur unter bestimmten, im Gesetz aufgezählten Voraussetzungen anfechtbar. Diese - vom Senat hier nicht zu prüfende - Einschränkung der Anfechtungsgründe galt jedoch nur für das Umlageverfahren; außerhalb dieses Verfahrens war es dem Unternehmer auch schon vor Errichtung der Sozialgerichtsbarkeit nicht verwehrt, im Rechtszug gegen die BG seine Auffassung geltend zu machen, er schulde - zB mangels Versicherungspflicht seines Betriebes - überhaupt keine Umlagebeiträge (vgl. RVA EuM 18, 219). Ebenso wie für einen solchen Fall ist die Enumeration der Anfechtungsgründe bedeutungslos für das Begehren der Klägerin, die sich eben nicht gegen einen ihr erteilten Beitragsbescheid wendet, sondern das Ziel verfolgt, daß sie künftig bei ihren Beitragsverpflichtungen von der auf § 54 Satz 2 BVG beruhenden Rentenlast verschont bleibt. Dieses - von den §§ 758, 1179 RVO aF somit nicht berührte - Klagbegehren betrifft andererseits auch keine abstrakte Rechtsfrage, sondern entspringt einem gegenwärtigen Rechtsverhältnis zwischen der BG und ihren Mitgliedsunternehmen. Dieses Rechtsverhältnis ist dadurch gekennzeichnet, daß jedes Jahr erneut den BG-Mitgliedern die zur Deckung des Leistungsaufwands benötigten Umlagebeiträge abverlangt werden; hält sich nun die BG für verpflichtet, bestimmte Leistungen - wie hier die Renten für Arbeitsunfälle aus dem Anwendungsbereich des § 54 Satz 2 BVG - zu gewähren, so beeinflußt dieser Leistungsaufwand zwangsläufig das Ausmaß der nächstfolgenden Umlagen und damit die Höhe der von den einzelnen Mitgliedern aufzubringenden Beiträge. Die Erwägung des LSG, ein Feststellungsinteresse sei auch nicht im Hinblick auf "etwaige" künftige Beitragsfestsetzungen anzuerkennen, entspricht somit nicht den tatsächlichen und rechtlichen Gegebenheiten, vielmehr handelt es sich bei dem Feststellungsbegehren der Klägerin, welche die Rechtmäßigkeit der auf Grund des § 54 Satz 2 BVG erbrachten Leistungen bestreitet, um die Geltendmachung einer aus dem Mitgliedschaftsverhältnis hergeleiteten, durch die regelmäßig wiederkehrenden Beitragsfestsetzungen konkretisierten Rechtsbeziehung, wofür der Klageweg durch § 55 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 SGG eröffnet ist (vgl. Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, 6. Aufl., S. 240 m I). Durch die Feststellungsklage wird die Selbstverwaltungsautonomie der Beklagten nicht beeinträchtigt. Da der von der Beklagten bei der Handhabung des § 54 Satz 2 BVG vertretene Standpunkt die wirtschaftlichen und rechtlichen Belange ihrer Mitgliedsunternehmen unmittelbar berührt, kann den Mitgliedern ein berechtigtes Interesse daran, im Klageweg auf das Vorgehen ihres Versicherungsträgers einzuwirken, nicht abgesprochen werden. Die von der Beigeladenen hiergegen vorgetragenen grundsätzlichen Bedenken überzeugen nicht. Es wäre mit der Rechtsweggarantie (Art. 19 Abs. 4 GG) und insbesondere mit dem durch § 55 SGG bezweckten lückenlosen Rechtsschutz (vgl. BSG 15, 52, 54) nicht vereinbar, die BG-Mitglieder insoweit auf eine Einflußnahme in der Vertreterversammlung oder die Anrufung der Aufsichtsbehörde zu verweisen.

Zu Unrecht hat ferner das LSG das Feststellungsinteresse verneint, weil auch im Fall der von der Klägerin erstrebten Nichtigerklärung des § 54 Satz 2 BVG die bereits bindend festgestellten Renten für Unfälle vor dem 1. Januar 1942 weiterzugewähren seien, demnach also auch die Beiträge nicht entsprechend gesenkt werden könnten. Hierbei hat das LSG die sich aus § 79 Abs. 2 BVerfGG ergebenden Rechtsfolgen unzutreffend beurteilt. Satz 1 dieser Vorschrift hat nicht die Bedeutung, daß noch nicht abgewickelte Dauerrechtsverhältnisse von einer Nichtigerklärung der ihnen zugrunde liegenden Norm für die Zukunft unberührt bleiben (vgl. Kneser, AÖR 1964, 129, 184); schon hiernach stünde es also nicht von vornherein zweifelsfrei fest, daß die Beklagte trotz Nichtigerklärung des § 54 Satz 2 BVG die auf dieser Vorschrift beruhende Rentenlast weitertragen müßte. Die Frage, inwieweit im einzelnen die Unzulässigkeit der Vollstreckung (§ 79 Abs. 2 Satz 2 BVerfGG) es der Beklagten ermöglichen würde, sich ihrer bindend gewordenen Rentenbescheide zu entledigen, überschreitet nach Meinung des Senats jedenfalls schon den Rahmen der Prüfung, ob die Feststellungsklage zulässig ist.

Schließlich macht auch der Ablauf der Ausschlußfrist für die Erhebung der Verfassungsbeschwerde (§ 93 Abs. 3 BVerfGG) die Feststellungsklage nicht unzulässig. Der Rechtsbehelf der Verfassungsbeschwerde hätte sich nur auf den von der Klägerin behaupteten Verstoß gegen Art. 3 GG, nicht dagegen auf denjenigen gegen Art. 120 GG beziehen können. Die Klägerin als beitragspflichtiges BG-Mitglied war von § 54 Satz 2 BVG nicht gegenwärtig und unmittelbar, sondern erst indirekt infolge der dieserhalb erhöhten Beitragsforderungen der Beklagten betroffen (vgl. BVerfG 1, 97, 102). Die Klägerin hat auch mit Recht hervorgehoben, daß für die Mitglieder der See-BG bis zum Fristablauf (1.4.1952) kein zwingender Anlaß zur Erhebung der Verfassungsbeschwerde vorlag, weil damals noch durch weitgehende Erstattung aus Bundesmitteln eine Beitragsmehrbelastung infolge kriegsbedingter Renten zu über zwei Drittel abgefangen werden konnte.

Die Klage hätte somit nicht als unzulässig abgewiesen werden dürfen. Trotz des wesentlichen Verfahrensmangels, den die zu Unrecht verweigerte Sachentscheidung darstellt (vgl. BSG 15, 52; SozR SGG § 55 Nr. 23), bedarf es keiner Zurückverweisung der Sache gemäß § 170 Abs. 2 Satz 2 SGG, da die Beurteilung der streitigen Rechtsfragen nicht von weiteren Feststellungen des Tatrichters abhängt.

Das Feststellungsbegehren der Klägerin ist zum Hauptantrag wie zum Hilfsantrag unbegründet.

Die Klägerin bezeichnet § 54 Satz 2 BVG als grundgesetzwidrig, soweit es sich um Unfälle aus der Zeit vom 1. September 1939 bis zum 31. Dezember 1941 handelt; die kriegsbedingten Unfälle aus der Zeit nach dem 8. Mai 1945 sind nach dem ausdrücklichen Klagevortrag nicht nennenswert; die Regelung ihrer Entschädigung stellt also die Verfassungsgemäßheit des § 54 Satz 2 BVG von vornherein nicht in Frage.

Nach Auffassung der Klägerin verstößt § 54 Satz 2 BVG gegen Art. 120 Abs. 1 GG (idF vor dem 14. Gesetz zur Änderung des GG vom 30. Juli 1965, BGBl I 649), weil die Rentengewährung für kriegsbedingte Unfälle, die sich in der Zeit vom 1. September 1939 bis zum 31. Dezember 1941 ereigneten, eine Kriegsfolgelast darstelle, welche der Bund zu tragen verpflichtet sei und nicht auf die UV-Träger abwälzen dürfe. Diese Kriegsfolgelast spielt nach dem Vortrag der Klägerin für sämtliche UV-Träger mit alleiniger Ausnahme der Beklagten eine ganz untergeordnete Rolle; nach der Rechtsprechung des BVerfG wäre also die Abwälzung dieser Last unter dem Gesichtspunkt des Art. 14 GG als verfassungsrechtlich einwandfrei anzusehen (vgl. BVerfGG 14, 221, 241). Aber auch wenn allein die Belange der ausnahmsweise schwerer betroffenen See-BG berücksichtigt werden, kann die von der Klägerin behauptete Verletzung des Art. 120 GG aF nicht als vorliegend erachtet werden. Nach der Rechtsprechung des BVerfG (14, 221, 234, 237; vgl. auch BVerwG 22, 314, 317 ff) regelt Art. 120 GG allein die finanziellen Beziehungen zwischen Bund und Ländern und gibt es im übrigen keinen ungeschriebenen Verfassungsrechtssatz, der es dem Bund verböte, öffentlich-rechtlichen Körperschaften Kriegsfolgelasten aufzuerlegen. Die von Rösener (NJW 1962, 1995, 1997) hiergegen vorgebrachten Einwände hält der erkennende Senat nicht für überzeugend.

Bei ihren Darlegungen, § 54 Satz 2 BVG verletze den allgemeinen Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG), weil der Gesetzgeber hierbei die schwerwiegenden Unterschiede, die zwischen der See-BG und den übrigen UV-Trägern bezüglich der kriegsbedingten Rentenlast bestehen, nicht berücksichtigt habe, übersieht die Klägerin, daß die beanstandete Vorschrift nicht allein aus der Perspektive der mit Rentenzahlungen belasteten UV-Träger und der in ihnen zusammengeschlossenen Unternehmer gewürdigt werden darf, sondern daß das Gleichheitsprinzip auch - nach Meinung des Senats sogar vorrangig - gegenüber den Versicherten und Leistungsempfängern gewahrt bleiben muß, deren sozialer Sicherung die UV dient. Unter diesem Gesichtspunkt würde es aber dem Gleichheitssatz sowie tragenden Grundsätzen der deutschen UV zuwiderlaufen, wenn § 54 Satz 2 BVG bzw. die ihm entsprechenden Vorschriften der RVO (§ 541 Nr. 9 aF; § 541 Nr. 2 nF) für den von der See-BG zu betreuenden Personenkreis eine Ausnahmeregelung dergestalt enthielten, daß dieser Personenkreis - nur weil die See-BG die infolge ihrer besonderen Struktur entstandenen außergewöhnlich hohen Rentenlasten mittels überhöhter Beitragsforderungen decken muß - schon für die von Kriegsbeginn an eingetretenen Unfälle auf die geringeren KOV-Leistungen verwiesen würde. Eine solche Einschränkung der Versicherungsleistungen darf vielmehr nur einheitlich mit Wirkung gegen die Anspruchsberechtigten sämtlicher UV-Träger erfolgen; deshalb kann der Stichtag des 1. Januar 1942, den § 54 Satz 2 BVG mit Rücksicht auf die seinerzeit zunehmenden Kriegseinwirkungen auf die gesamte Zivilbevölkerung festsetzt (vgl. BSG 23, 79, 81), für die Angehörigen der deutschen Handelsflotte nicht vorverlegt werden.

Der Senat verkennt nicht das Gewicht der von der Klägerin gegebenen Hinweise auf die außergewöhnliche Beitragsbelastung bei der See-BG und deren nachteilige Auswirkungen auf die wirtschaftlichen Belange der Reedereiunternehmen. Hierbei ist indessen zu beachten, daß ein finanziell bedrängter UV-Träger zwar nicht auf Kosten der Rentenbezieher saniert werden kann, daß aber das Gesetz andere Möglichkeiten zur Behebung eines echten Notstandes vorsieht. Die Vorschriften über die Zusammenlegung der Last (§§ 737-739, 880 RVO nF) weisen den Weg, der einzuschlagen ist, um eine Gefährdung der Leistungsfähigkeit einer BG abzuwenden; dem Klagvorbringen ist freilich nicht zu entnehmen, daß die Voraussetzungen des § 738 RVO nF bei der See-BG wegen der auf § 54 Satz 2 BVG beruhenden Rentenlast erfüllt sind.

Davon abgesehen mögen die Argumente der Klägerin auch durchaus geeignet sein, ein Ausgleichsverlangen der See-BG gegen den Bund zu stützen. Ein angemessener Ausgleich ließe sich erzielen durch Zuwendungen aus Bundesmitteln, wie sie die See-BG bis zum 31. März 1954 erhielt, oder durch Einschaltung der Bundesausführungsbehörde für Unfallversicherung analog § 9 Abs. 2 des Fremdrentengesetzes (FRG), wobei den Unfallgeschädigten der Seeschiffahrt die vollen UV-Leistungen gewährleistet blieben. Diese Fragen sind jedoch nicht mehr Gegenstand des vorliegenden Rechtsstreits, der vielmehr auf die Prüfung der Verfassungsmäßigkeit des § 54 Satz 2 BVG beschränkt ist. Außerdem beträfe die Schaffung eines solchen Ausgleichsanspruchs - als gemeinsames Anliegen der Klägerin und der Beklagten - ein Unterlassen des Gesetzgebers; in einem solchen Fall fehlt es indessen an einem gerichtlich verfolgbaren Anspruch (BVerfG 1, 100).

Da hiernach der Senat § 54 Satz 2 BVG nicht für verfassungswidrig hält, braucht er nicht die Entscheidung des BVerfG gemäß Art. 100 Abs. 1 GG einzuholen. Die Revision ist als unbegründet zurückzuweisen (§ 170 Abs. 1 Satz 2 SGG).

Die Entscheidung über die außergerichtlichen Kosten beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

MDR 1967, 342

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