Leitsatz (amtlich)

1. Das Verfahren des SG leidet an einem wesentlichen Mangel, wenn die nach den SGG §§ 144 bis 149 nicht zulässige Berufung in der Rechtsmittelbelehrung rechtsirrig als zulässig bezeichnet wird, ohne daß das SG überhaupt die Frage geprüft und entschieden hat, ob die Berufung nach SGG § 150 zuzulassen war.

2. An die Rüge eines wesentlichen Verfahrensmangels nach SGG § 150 Nr 2 sind nicht die Formerfordernisse des SGG § 164 Abs 2 S 2 zu stellen.

3. Zur Auslegung eines gegen einen Rentenentziehungsbescheid gerichteten Klageantrags.

 

Normenkette

SGG § 54 Fassung: 1953-09-03, § 123 Fassung: 1953-09-03, § 150 Fassung: 1953-09-03; RVO § 1293 Abs. 1 Fassung: 1934-05-17

 

Tenor

Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 5. Dezember 1958 wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, daß die in dem angefochtenen Urteil unter Nr. 1 des Tenors ausgesprochene Zulassung der Berufung entfällt.

Die Beklagte hat dem Kläger dessen außergerichtliche Kosten in allen drei Rechtszügen zu erstatten.

Von Rechts wegen.

 

Tatbestand

Der am 2. Mai 1912 geborene Kläger, der an Tuberkulose leidet, erhält vom November 1950 an wirtschaftliche Tbc-Hilfe und vom 1. Dezember 1951 an Invalidenrente. Die Invalidenrente ist durch nicht angefochtenen Bescheid vom 13. März 1952 auf monatlich 90,40 DM mit der Maßgabe festgestellt worden, daß zur Befriedigung des Ersatzanspruchs für gezahlte wirtschaftliche Tbc-Hilfe vom 1. Dezember 1951 bis 31. März 1952 der Betrag von 361,60 DM einbehalten werde. Da die Ärzte der Beklagten bei einer Nachuntersuchung am 20. Mai 1953 die Ansicht vertreten hatten, daß sich der Zustand des Klägers durch Inaktivwerden der Tuberkulose inzwischen gebessert habe, hat die Beklagte die Rente durch förmlichen Bescheid vom 11. Juni 1953 mit Ablauf des Monats Juni 1953 entzogen. Gegen diesen Bescheid hat der Kläger Berufung beim Oberversicherungsamt in M... eingelegt. Diese ist am 1. Januar 1954 auf das Sozialgericht in Münster übergegangen. Der Kläger ist durch besondere Mitteilung, deren genauer Inhalt und deren Datum nicht mehr festgestellt werden konnten, von der Beklagten darauf hingewiesen worden, daß die wirtschaftliche Tbc-Hilfe für den Fall rückwirkender Wiedergewährung der Rente als Vorschuß auf die für dieselbe Zeit gewährte Invalidenrente anzusehen sei. Er hat es aber abgelehnt, die ihm vorgelegte Erklärung zu unterschreiben. Im Laufe des Verfahrens ist dem Kläger eine Kur in der Heilstätte H... gewährt worden. Im Kurentlassungsbericht vom 11. Februar 1954 ist festgestellt, daß die Erwerbsfähigkeit des Klägers noch um 80 v.H. gemindert sei. Nachdem sich der ärztliche Berater der Beklagten dieser Auffassung angeschlossen und sich auf den Standpunkt gestellt hatte, daß Invalidität auch über den Entziehungszeitpunkt hinaus vorgelegen habe, hat sich die Beklagte durch Schriftsatz vom 6. September 1954 bereiterklärt, dem Kläger über den Entziehungszeitpunkt hinaus die Invalidenrente zu gewähren. Der Kläger hat durch Schriftsatz vom 7. Oktober 1954 erklärt, daß er das Anerkenntnis der Beklagten annehme und die Klage zurückziehe.

Durch formlose "Rentenmitteilung" vom 21. Oktober 1954 hat die Beklagte dem Kläger bekanntgegeben, daß die monatliche Rente 95,40 DM betrage und daß zur Befriedigung eines etwaigen Ersatzanspruchs die Rentennachzahlung für die Zeit vom 1. Juli 1953 bis zum 30. November 1954 in Höhe von 1.717,20 DM - später berichtigt auf 1.621,80 DM - vorerst einbehalten werde. Am 30. November 1954 hat die Beklagte dann durch förmlichen Bescheid festgestellt, daß das Gesundheitsamt Beckum, welches dem Kläger für denselben Zeitraum wirtschaftliche Tbc-Hilfe gewährt hatte, die Nachzahlung nach § 1309 der Reichsversicherungsordnung (RVO) erhalte.

Gegen diesen letzteren Bescheid hat der Kläger am 30. Dezember 1954 Klage beim Sozialgericht in Münster mit dem Antrag erhoben, die Beklagte unter Aufhebung dieses Bescheides zu verurteilen, die Rentennachzahlung in Höhe von 1.621,80 DM an ihn auszuzahlen.

Das Sozialgericht hat die Klage durch Urteil vom 25. Juli 1955 abgewiesen. In der Rechtsmittelbelehrung des Urteils heißt es u.a.: Gegen dieses Urteil ist gemäß §§ 143 ff des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) die Berufung zulässig.

Gegen dieses Urteil hat der Kläger Berufung eingelegt mit dem Antrag:

1. die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Münster vom 25. Juli 1955 zuzulassen,

2. das Urteil des Sozialgerichts Münster abzuändern, den Bescheid der Beklagten vom 30. November 1954 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, an ihn den Betrag von 1.621,80 DM zu zahlen, hilfsweise,

3. die Revision zuzulassen.

Die Beklagte hat beantragt, die Berufung als unzulässig zu verwerfen,

hilfsweise, die Berufung als unbegründet zurückzuweisen,

hilfsweise, die Revision zuzulassen.

Das Berufungsgericht hat durch Urteil vom 5. Dezember 1958 entsprechend dem Antrag des Klägers entschieden. Es stellt sich auf den Standpunkt, daß die Berufung im Gegensatz zur Auffassung des Sozialgerichts nicht nach §§ 143 ff SGG zulässig, sondern nach § 146 SGG ausgeschlossen sei. Eine besondere Zulassung nach § 150 Nr. 1 SGG sei nicht erfolgt. Das Sozialgericht habe die Zulassung auch nicht etwa stillschweigend abgelehnt, sondern habe insoweit überhaupt keine Entscheidung getroffen, weil es die Berufung schon nach § 143 ff SGG für zulässig gehalten habe. Das Rechtsmittelgericht sei gehalten, in solchen Fällen die unterlassene Prüfung nachzuholen. Denn der Gesetzgeber habe dem Sozialgericht eine solche Prüfung in den Fällen der §§ 144 bis 149 SGG zur Pflicht gemacht. Wenn die Prüfung in der Berufungsinstanz nicht nachgeholt werden könne, würde den Beteiligten ein vom Gesetz nicht beabsichtigter prozessualer Nachteil erwachsen. Die Zulassung müsse ausgesprochen werden, da der zu entscheidenden Rechtsfrage grundsätzliche Bedeutung zukomme.

Nach den Entscheidungen des Bundessozialgerichts vom 26. Oktober 1955 (BSG 4, 75) und 24. Oktober 1957 (BSG 6, 61) sei die wirtschaftliche Tbc-Hilfe nicht als Vorschuß auf die Rente bzw. auf Versorgungsbezüge anzusehen, weil der Charakter der gezahlten Tbc-Hilfe gegen die Annahme eines Vorschusses spreche. Im vorliegenden Fall sei zwar nicht eindeutig geklärt, ob der Kläger vor Erhalt der Tbc-Hilfe oder erst während ihres Bezuges auf den Vorschußcharakter hingewiesen worden sei. Eine weitere Aufklärung erübrige sich aber, da auch eine vor Gewährung wirtschaftlicher Tbc-Hilfe erfolgte Belehrung nach Ansicht des Landessozialgerichts nicht geeignet sei, die Rechtsgrundlage für eine Aufrechnung abzugeben. Nachdem die Rechtslage in dem Sinne geklärt sei, daß die Leistungen nach dem Willen des Gesetzgebers auf verschiedenen Ebenen lägen, stehe jeder Versuch der Versicherungsträger, dieses Verhältnis durch einseitige Erklärungen vor oder während der Gewährung der Tbc-Hilfe zu verändern, im Widerspruch zum Willen des Gesetzgebers.

Gegen das der Beklagten am 5. März 1959 zugestellte Urteil legte diese am 3. April 1959 Revision ein. Sie begründete diese durch Schriftsatz vom 27. April 1959, eingegangen beim Bundessozialgericht am 29. April 1959. Sie ist der Ansicht, daß die Berufung, da es sich bei dem Tatbestand der Verrechnung von Rentennachzahlungen mit Leistungen der Tbc-Hilfe um einmalige Zahlungen im Sinne des § 146 SGG handele, nur zulässig sei, wenn das Sozialgericht sie zugelassen hätte. Eine Zulassung durch das Sozialgericht sei aber nicht erfolgt. Diese könne auch nicht durch die höhere Instanz nachgeholt werden. Das Urteil des Sozialgerichts sei daher endgültig. Da das Landessozialgericht trotzdem sachlich entschieden habe, liege ein wesentlicher Verfahrensmangel vor. In sachlicher Hinsicht vertritt sie die Ansicht, schon aus § 119 Abs. 1 Ziff. 1 RVO folge, daß der Gesetzgeber den Rentenversicherungsträgern bezüglich der Gewährung von Vorschußleistungen freie Hand gelassen habe. Dort sei festgelegt, daß der Anspruchsberechtigte seine Ansprüche, die er im Wege eines Vorschusses von einem Organ eines Versicherungsträgers erhalten habe, übertragen könne. Sinn dieser Vorschrift sei, daß der Versicherte möglichst früh in den Besitz von Barmitteln kommen sollte, solange über seine Ansprüche im Rentenverfahren noch nicht entschieden sei. Daraus ergebe sich, daß die Rentenversicherungsträger nach dem Willen des Gesetzgebers im Hinblick auf die von ihnen zu gewährenden Leistungen grundsätzlich Vorschußzahlungen leisten könnten. Dieser Grundsatz müsse um so mehr für die freiwilligen Leistungen gelten, da hier Normen angewandt würden, die von den Organen des Versicherungsträgers für alle Versicherten gleichmäßig festgelegt worden seien. Wenn man keine Verrechnung zulasse, komme es zu Doppelzahlungen. Der Versichertengemeinschaft sei es aber nicht zuzumuten, solche Doppelleistungen hinzunehmen. Dem Kläger sei durch das zuständige Amt für Tuberkulosehilfe im Auftrage der Beklagten bei der Gewährung der Leistungen nach dem Tuberkulose-Versorgungswerk eröffnet worden, daß es sich um Vorschußleistungen handele. Diese Erklärung sei nach § 130 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) mit der Bekanntgabe rechtswirksam geworden. Auf den Umstand, daß der Kläger sich mit einer Abtretung der Rentennachzahlung nicht einverstanden erklärt habe, komme es nicht an. Da die Beklagte somit Vorschüsse geleistet habe, sei sie nach § 1299 RVO zur Aufrechnung befugt. Das Bundessozialgericht habe zwar in der Entscheidung vom 24. Oktober 1957 (BSG 6, 61) ausgesprochen, daß, wenn Vorschußleistungen nicht gewährt worden seien, die nachträgliche Umdeutung der Rentenzahlung in Vorschußleistungen nicht zulässig sei. Dieser Tatbestand liege aber nicht vor. Es wäre daher darauf angekommen, festzustellen, ob in der Zeit der Gewährung der Leistungen die wirtschaftliche Tbc-Hilfe als Vorschuß gezahlt worden sei. Das Berufungsgericht habe diese Frage zu Unrecht offengelassen.

Sie beantragt,

das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 5. Dezember 1958 aufzuheben und die Berufung als unzulässig zu verwerfen, hilfsweise, die Berufung als unbegründet zurückzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Er ist der Ansicht, daß das Urteil des Berufungsgerichts sowohl in prozessualer als auch in materieller Hinsicht nicht zu beanstanden seit.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden. Sie ist auch statthaft, da das Berufungsgericht sie zugelassen hat. Bedenken gegen ihre Zulässigkeit bestehen somit nicht. Es mußte ihr im wesentlichen jedoch der Erfolg versagt bleiben.

Im Ergebnis, wenn auch nicht in der Begründung, hat das Berufungsgericht die Berufung zu Recht für statthaft erachtet. Wie es richtig erkannt hat, ist die Berufung entgegen der Ansicht des Sozialgerichts nicht nach §§ 144 bis 149 SGG, also kraft Gesetzes, statthaft, da das sozialgerichtliche Urteil nur Rente für einen abgelaufenen Zeitraum betrifft und sie daher nach § 146 SGG aF ausgeschlossen ist. Es hat weiterhin richtig erkannt, daß das Sozialgericht über die Frage der Zulassung oder Nichtzulassung der Berufung überhaupt nicht entschieden, d.h. hierüber nicht beraten und beschlossen hat. Da das Sozialgericht, wie sich aus seiner Rechtsmittelbelehrung ergibt, die Berufung schon kraft Gesetzes für zulässig hielt, konnte es nicht zu dem begrifflich erst folgenden Schritt, der Prüfung, ob es die Berufung zulassen oder nicht zulassen wollte, kommen. Denn diese Entscheidung kommt nach § 150 SGG nur in Betracht, wenn die Berufung kraft Gesetzes ausgeschlossen, nicht aber, wenn sie schon kraft Gesetzes zugelassen ist. Allerdings durfte das Berufungsgericht nicht seinerseits die fehlende Entscheidung über Zulassung und Nichtzulassung der Berufung nachholen. Das Bundessozialgericht hat sich zwar in Übergangsfällen, in denen der Rechtsstreit bereits vor dem Inkrafttreten des SGG vor dem damaligen Oberversicherungsamt abgeschlossen und kraft Gesetzes auf das Landessozialgericht übergegangen war (§ 215 SGG), auf den Standpunkt gestellt, daß die nach §§ 144 bis 149 SGG ausgeschlossene Berufung dann, wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat, auch ohne Zulassung statthaft ist, weil das Sozialgericht diese Entscheidung überhaupt nicht treffen konnte (SozR Verf. § 215 Da 2 Nr. 4). Diese Ausnahmesituation liegt hier aber nicht vor. Da das Berufungsgericht somit die funktionelle Zuständigkeit für diese Entscheidung nicht beachtet hat, war diese Entscheidung aufzuheben.

Dennoch ist die Berufung - und zwar nach § 150 Nr. 2 SGG - statthaft, denn das Verfahren des Sozialgerichts leidet an einem wesentlichen Mangel. Das Sozialgericht muß in jedem Fall, in welchem nach §§ 144 bis 149 SGG die Berufung ausgeschlossen ist, die Entscheidung treffen, ob es die Berufung zuläßt oder nicht zuläßt, d.h. es muß in jedem Falle hierüber beraten und beschließen. Dieser Erkenntnis steht nicht entgegen, daß, abweichend von der Regel bei sonstigen Entscheidungen, nur der Zulassungsausspruch, nicht aber der Nichtzulassungsausspruch in dem Urteil erfolgen muß. Dieser Ausspruch stellt aber lediglich die Verkündung der Entscheidung über Zulassung oder Nichtzulassung der Berufung dar, die Entscheidung selbst, also die Beratung und Beschlußfassung, muß stets erfolgen, wenn die Berufung nach §§ 144 bis 149 SGG ausgeschlossen ist. Enthält das Urteil keinen Zulassungsausspruch, so wird damit nur die Verkündung einer Nichtzulassungsentscheidung fingiert, nicht aber die Entscheidung, d.h. die Beschlußfassung selbst. Diese muß vielmehr in jedem dieser Fälle erfolgen. Es darf nicht verkannt werden, daß es sich bei dieser Entscheidung um die Bestimmung des gesetzlichen Richters handelt; denn die Frage, ob das Sozialgericht oder das Landessozialgericht (evtl. das Bundessozialgericht) die letzte, also die maßgebende Entscheidung zu treffen hat, ist ebenso eine Frage nach dem gesetzlichen Richter wie die, ob der eine oder der andere Richter für die erstinstanzliche Entscheidung zuständig ist. Das Postulat des "gesetzlichen Richters", das vom Grundgesetz (GG) zum Verfassungssatz erhoben worden ist, hat zur logischen Voraussetzung, daß das Gesetz für jeden denkbaren Streitfall im voraus den Richter bezeichnet, der für die Entscheidung zuständig ist (vgl. dazu BVerfG 2, 320). Aus Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG folgt allerdings nicht, daß der Gesetzgeber den gesetzlichen Richter stets endgültig bestimmen muß. Es verstößt nicht gegen diese Vorschrift, wenn der Gesetzgeber die Entscheidung im einzelnen einem Gericht überträgt (vgl. dazu BVerfGE 6, 45 [52 ff]; Bettermann in Bettermann/Nipperdey/Scheuner, "Die Grundrechte", 3. Bd. 2. Halbbd., "Die Unabhängigkeit der Gerichte und der gesetzliche Richter", S. 523 [570 ff]). So kann zB das Gesetz dem Präsidium des zuständigen Gerichts, wie es ja auch üblich ist, die Bestimmung des zuständigen Richters aus dem Kreis der dem gesetzlich zuständigen Gericht angehörenden Richter übertragen. Ebenso aber kann das Gesetz auch dem Gericht die Bestimmung übertragen, ob es selbst oder ein anderes, zB das übergeordnete Gericht, der letztentscheidende Richter ist, ob es also zB gegen sein Urteil ein Rechtsmittel zulassen will oder nicht. So ist eine solche Ermächtigung erteilt in § 7 des Einführungsgesetzes (EG) zur Zivilprozeßordnung (ZPO), in § 546 ZPO und §§ 150 und 162 SGG. Ist einem Gericht eine solche Entscheidung durch Gesetz übertragen, so muß es diese in jedem Fall treffen. Das Bundessozialgericht hat zwar in ständiger Rechtsprechung entschieden, daß die Entscheidung über Zulassung und Nichtzulassung grundsätzlich bindend ist und daß selbst dann, wenn sie entgegen der vom Gesetzgeber aufgestellten Richtlinien zugelassen oder nicht zugelassen worden ist, kein wesentlicher Verfahrensmangel vorliegt (SozR Verf. SGG § 162 Da 1 Nr. 1). Hier aber handelt es sich um die davon abweichende Frage, was zu gelten hat, wenn diese Entscheidung überhaupt nicht getroffen worden ist, d.h. wenn das Gericht über diese Frage nicht beraten und beschlossen hat. Diese erfordert eine andere Antwort. Da diese Entscheidung, wie bereits ausgeführt, in jedem Falle erfolgen muß, in welchem die Berufung nach §§ 144 bis 149 SGG ausgeschlossen ist, ist eine das Verfahren betreffende Vorschrift verletzt, wenn die Entscheidung nicht getroffen wird. Wenn das SGG auch eine ausdrückliche Anweisung an die Sozialgerichte nicht enthält, so ist doch, wie bereits ausgeführt, aus dem Zusammenhang verfassungsrechtlicher und verfahrensrechtlicher Vorschriften zu entnehmen, daß das Sozialgericht in diesen Fällen stets die Prüfung, ob es die Berufung zulassen will oder nicht zulassen will, vornehmen muß. Das Verfahren ist auch, falls hiergegen verstoßen wird, infolge dieser Gesetzesverletzung fehlerhaft, wenn es sich um einen der in § 150 Nr. 1 SGG genannten Fälle handelt, wenn also entweder die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder wenn das Sozialgericht in der Auslegung einer Rechtsvorschrift von einem in dem Rechtszug übergeordneten Landessozialgericht abgewichen ist, weil in diesen Fällen die Entscheidung, wäre sie getroffen worden, zu einer Zulassung geführt haben würde und daher das Urteil endgültig ist, anstatt richtigerweise anfechtbar zu sein. Ein Verfahrensmangel liegt nämlich nicht nur vor, wenn der Weg zum Urteil fehlerhaft ist, sondern auch, wenn das Urteil selbst prozessuale Mängel aufweist.

Jedenfalls liegt in Fällen dieser Art dann ein wesentlicher Verfahrensmangel vor, wenn das Sozialgericht versehentlich die Entscheidung über Zulassung oder Nichtzulassung unterlassen hat, wenn es also nicht erkannt hat, daß ein Ausschließungstatbestand, der unter §§ 144 bis 149 SGG fallen könnte, vorliegt. Wie es dann wäre, wenn es den Sachverhalt richtig erfaßt hätte, aber bei Anwendung dieser Vorschriften nur rechtsirrtümlich deren Voraussetzungen nicht als erfüllt angesehen hätte, kann hier dahingestellt bleiben; denn vorliegend kann es sich nur um einen Fall des Versehens handeln, bei welchem das Sozialgericht nicht erkannt hat, daß es bei der Prüfung dieser Frage ausschließlich auf den erhobenen Anspruch und nicht auf die weiteren streitigen Fragen ankommt. Denn der Klageanspruch geht hier so eindeutig auf Verurteilung zur Rentengewährung nur für einen abgelaufenen Zeitraum, daß nicht angenommen werden kann, daß ein Richter, der dies erkannt hätte, eine falsche Subsumtion vorgenommen hätte. Die Urteile des 10. Senats vom 15. Mai 1956 (SozR Verf. SGG § 150 Nr. 10) und des 2.Senats vom 26. August 1958 (SozR Verf. SGG § 162 Da 32 Nr. 111) stehen dieser Entscheidung nicht entgegen, da sie die hier maßgebende Frage offengelassen haben.

Der Kläger hat diesen Verfahrensmangel, wenn auch nicht ausdrücklich, so doch genügend klar erkenntlich gerügt. Er hat nämlich, nachdem das Berufungsgericht auf die fehlende Entscheidung des Sozialgerichts über Zulassung oder Nichtzulassung der Berufung hingewiesen und angeregt hat, Antrag auf Nachholung dieser Entscheidung durch das Berufungsgericht zu stellen, dieser Anregung Folge geleistet und damit zu erkennen gegeben, daß er ebenso wie das Berufungsgericht diesen Fehler erkannt hat und ihn mißbilligt. Einer besonderen Form bedarf diese Rüge, anders als die Verfahrensrüge vor dem Bundessozialgericht, nicht, da es an einer dem § 164 Abs. 2 Satz 2 SGG entsprechenden Vorschrift verständlicherweise fehlt, weil das Berufungsverfahren keinen Postulationszwang kennt und das Gesetz die Beteiligten, die vielfach selbst vor Gericht auftreten, möglichst von dem Zwang zur Einhaltung von Formvorschriften freihalten wollte. Die Berufung war somit nach § 150 Nr. 2 SGG statthaft.

Die Revision ist allerdings nur hinsichtlich der landessozialgerichtlichen Zulassungsentscheidung begründet, im übrigen aber ist sie unbegründet.

Die Beklagte verkennt, daß sie den Anspruch des Klägers ohne Einschränkung anerkannt und der Kläger dieses Anerkenntnis angenommen hat. Der Klageantrag ist, falls sich die Klage gegen einen Entziehungsbescheid richtet, dahin auszulegen, daß die Aufhebung des Entziehungsbescheides begehrt wird; denn mit dessen Aufhebung wird der Bewilligungsbescheid wieder voll wirksam. Wenn der Kläger darüber hinaus noch Verurteilung zur Weiterzahlung der Rente begehrt, so kann dies nur die Bedeutung eines Eventualantrages für den Fall haben, daß das Gericht dem Aufhebungsantrag nicht entspricht, um zu erreichen, daß zumindest eine Verurteilung zur Rentengewährung von einem späteren Zeitpunkt an möglich ist. Demgemäß ist das Anerkenntnis der Beklagten dahin auszulegen, daß sie den Anspruch des Klägers auf Aufhebung des Entziehungsbescheides anerkenne. Die Beklagte ist, da sie ihr Anerkenntnis nicht eingeschränkt hat, auch vorbehaltlos verpflichtet, den Entziehungsbescheid aufzuheben, und durfte dieser Verpflichtung nicht nur eingeschränkt nachkommen, indem sie jenen insoweit nicht zurückgenommen hat, als er die Zeit seit seinem Erlaß bis zu seiner Aufhebung betrifft. Wenn sie eine solche Einschränkung wollte, hätte sie schon in ihrem Anerkenntnis einen entsprechenden Vorbehalt machen müssen, wie sie es zB in ihrem ursprünglichen Rentenbewilligungsbescheid hinsichtlich des diesem vorhergehenden Zeitraumes auch gemacht hat und wie es auch sonst geschieht. Dies gilt jedenfalls im vorliegenden Fall, in welchem zwischen den Beteiligten streitig war - der Kläger hat es abgelehnt, diese Erklärung zu unterschreiben -, ob die Erklärung der Beklagten über die eventuelle Umwandlung der Tbc-Hilfe in einen Vorschuß auf Invalidenrente wirksam war. Auch dieser Streit ist durch das angenommene Anerkenntnis erledigt. Da die Revision der Beklagten, soweit sie die materielle Entscheidung des Berufungsgerichts betrifft, schon aus diesem Grunde unbegründet war, mußte sie insoweit zurückgewiesen werden.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI2253208

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