Entscheidungsstichwort (Thema)

Rechtsweg bei Streitigkeiten über die Abrechnung der Kosten berufsgenossenschaftlicher Heilbehandlung. Verjährung

 

Orientierungssatz

1. Für die Streitigkeit über die Abrechnung der Kosten stationärer berufsgenossenschaftlicher Heilbehandlung ist der Rechtsweg zu den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit gegeben.

2. Die analoge Anwendung der Verjährungsvorschriften des SGB ist nicht aus dem öffentlich-rechtlichen Charakter dieser Einredenorm, sondern aus der öffentlich-rechtlichen Natur des Rechtsverhältnisses abzuleiten, für das die Frage der Verjährung zu entscheiden ist. Aus den Regelungen der Verjährung im SGB ergibt sich, daß der Gesetzgeber davon ausgegangen ist, in den dem SGB zugeordneten Bereichen eine einheitliche Verjährungsfrist von 4 Jahren festzulegen (§ 45 SGB 1, §§ 25, 27 SGB 4, § 113 SGB 10).

 

Normenkette

SGG § 51 Abs 1; RVO § 557; SGB 1 § 45 Abs 1; SGB 4 § 25 Abs 1; SGB 4 § 27 Abs 2; SGB 10 § 113 Abs 1; BGB § 196 Abs 1 Nr 11; BGB § 196 Abs 1 Nr 14

 

Verfahrensgang

SG Duisburg (Entscheidung vom 04.05.1987; Aktenzeichen S 26 (17) U 143/85)

 

Tatbestand

Die bei der Beklagten versicherten H.   D.     L.    (L.) und W. K.      (K.) erlitten Unfälle, die von der Beklagten als Arbeitsunfälle festgestellt sind und entschädigt werden. Wegen der Folgen der Arbeitsunfälle befanden sich L. aufgrund der Entscheidung des Durchgangsarztes nach dem Arbeitsunfall vom 14. Oktober bis 3. November 1982 und K. aufgrund eines Schreibens der Beklagten vom 15. Januar 1982 an den Direktor der chirurgischen Abteilung der Klägerin vom 1. bis 10. März 1982 in berufsgenossenschaftlicher stationärer Behandlung bei der Klägerin.

Die Klägerin übersandte am 25. Januar 1985 der Beklagten Fotokopien der Rechnungen vom 31. Oktober 1982 für die stationäre Behandlung des L. vom 14. bis 31. Oktober 1982 über 5.161,50 DM und vom 10. März 1982 für die gesamte Behandlung des K. über 2.432,50 DM mit der Bitte um Prüfung, wann die Beträge auf welches Konto überwiesen wurden. Die Beklagte lehnte die Zahlung ab und berief sich auf Verjährung.

Die Klägerin hat am 15. Juli 1985 Klage erhoben. Zur Begründung hat sie ua vorgetragen, die Abrechnung zwischen ihr und der Beklagten beträfe eine öffentlich-rechtliche Angelegenheit der Sozialversicherung, und für öffentlich-rechtliche Ansprüche betrage die Verjährungsfrist entsprechend § 45 Sozialgesetzbuch - Allgemeiner Teil - (SGB I) 4 Jahre.

Das Sozialgericht (SG) hat durch Urteil vom 4. Mai 1987 die Beklagte antragsgemäß verurteilt, an die Klägerin 7.594,00 DM zu zahlen. In seinen Entscheidungsgründen hat es ua ausgeführt: Der Anspruch einer Krankenkasse auf Bezahlung der Behandlungskosten für durchgeführte berufsgenossenschaftliche Heilverfahren sei öffentlich-rechtlicher Natur, weil die gesetzliche Unfallversicherung öffentlich-rechtlicher Natur sei (vgl BSGE 53, 62). Der Versicherte habe gegenüber dem Unfallversicherungsträger einen dem öffentlichen Recht zugehörigen Anspruch auf Heilbehandlung; die vom Unfallversicherungsträger durchgeführte Heilbehandlung, die der Verwirklichung dieses Anspruches diene, weise deshalb notwendigerweise dieselbe Rechtsnatur auf. Die im Jahre 1982 entstandenen Ansprüche der Klägerin seien nicht verjährt. Im Sozialversicherungsrecht betrage die Verjährungsfrist generell 4Jahre. Dies ergebe sich aus § 45 SGB I und den §§ 25 und 27 Sozialgesetzbuch - Gemeinsame Vorschriften für die Sozialversicherung (SGB IV) und § 113 Sozialgesetzbuch - Zehntes Buch - (SGB X).

Das SG hat die Sprungrevision im Urteil zugelassen.

Die Beklagte hat dieses Rechtsmittel mit Zustimmung der Klägerin eingelegt. Sie ist weiterhin der Auffassung, daß § 45 SGB I und §§ 102 ff SGB X nicht anzuwenden seien. Vielmehr deute die Gesamtschau der die Verjährung betreffenden Normen nicht darauf hin, daß für alle Leistungsbeziehungen im Rahmen berufsgenossenschaftlichen Heilverfahrens generell eine 4-jährige Regelung gelten solle. Dazu hätte es einer ausdrücklichen Regelung bedurft. Für eine analoge Anwendung fehle es an einer erkennbaren Gesetzeslücke. Mit der Übernahme der Kosten stationärer Behandlung durch die Berufsgenossenschaft komme eine befreiende Schuldübernahme iS des § 414 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) zustande mit der Folge, daß sich die Einwendungen der Beklagten gemäß § 414 Abs 1 BGB nach den Regelungen des zivilrechtlichen Behandlungsverhältnisses zwischen der Klägerin und dem behandelten Unfallverletzten richteten. richteten. Dies gelte insbesondere für die Einrede nach § 222 BGB.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Duisburg vom 4. Mai 1987 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§ 124 Abs 2 Sozialgerichtsgesetz -SGG-).

 

Entscheidungsgründe

Die zulässige Revision ist nicht begründet. Das SG ist zutreffend davon ausgegangen, daß nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) und des Bundesgerichtshofes (BGH) der Rechtsweg zu den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit gegeben ist.

Der 3. und der 8. Senat des BSG haben für Ansprüche aus der Zusage einer Kostenübernahme durch einen Träger der gesetzlichen Krankenversicherung gegenüber dem Krankenhaus den Rechtsweg zu den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit nach § 51 SGG angenommen (BSGE 51, 108; 53, 62). Der BGH hat entschieden, daß über Rechtsstreitigkeiten aus dem Abrechnungsverhältnis zwischen Krankenhausträger und gesetzlicher Krankenkasse über die stationäre Behandlung von Versicherten die Sozialgerichte zu entscheiden haben (BGHZ 89, 250). Trotz der auch von der Revision erneut aufgezeigten und im Schrifttum gegenüber den Urteilen des BSG geäußerten Bedenken (s Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, 11. Auflage, Seite 188e) folgt der Senat dieser Rechtsprechung (s BSGE 40, 292, 296).

Der der Entscheidung des BSG zugrundeliegenden Kostenzusage entspricht im vorliegenden Fall des Versicherten L. die Entscheidung des Durchgangs-Arztes, den Verletzten in berufsgenossenschaftliche Heilbehandlung zu nehmen (s § 5 Abs 1 Satz 1 Satz 3 und 4 der Bestimmungen des Reichsversicherungsamtes -RVA- vom 19. Juni 1936 -AN Seite 195; BSGE 37, 267, 269; Brackmann aaO Seite 977a, 978; Lauterbach/Watermann, Gesetzliche Unfallversicherung, 3. Aufl, § 557 Anm 25 Buchst a Seite 341/2; Bereiter-Hahn/Schieke/Mertens, Gesetzliche Unfallversicherung, 4. Aufl, § 557 RdNr 10.2.1). Die Behandlung des Versicherten K. wurde bei der Klägerin auf Ersuchen der Beklagten im Schreiben vom 15. Januar 1982 durchgeführt, in welchem zudem ausdrücklich die Behandlung "für unsere Rechnung" erbeten wurde. In beiden Fällen hat demnach eine der Kostenzusage iS der Entscheidungen des 3. und 8. Senats des BSG entsprechende Verpflichtung der Beklagten zur Kostentragung vorgelegen, die sie auch nicht bezweifelt.

Die vorliegende Klage entspricht im wesentlichen, soweit es die Entscheidung über den Rechtsweg betrifft, auch einer Rechtsstreitigkeit aus dem Abrechnungsverhältnis zwischen einem Krankenhaus und einem Träger der gesetzlichen Krankenversicherung, wie sie dem Urteil des BGH vom 10. Januar 1984 (BGHZ aaO) zugrunde lag. Dies folgt vor allem auch daraus, daß der Träger der gesetzlichen Krankenversicherung bei Arbeitsunfällen grundsätzlich vorleistungspflichtig ist (Brackmann aaO Seite 558g, 559e). Es spricht nichts dafür, bei Streitigkeiten zwischen einem Krankenhaus und einem Träger der gesetzlichen Krankenversicherung wegen der Abrechnung der Kosten für eine stationäre Behandlung aus Anlaß eines Arbeitsunfalles den Rechtsweg zu den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit anzunehmen, in demselben Fall dann aber den Rechtsweg zu den Zivilgerichten für gegeben zu erachten, wenn der Träger der gesetzlichen Unfallversicherung die stationäre Behandlung als berufsgenossenschaftliche Heilbehandlung übernimmt und wegen dieser Kosten zwischen dem Krankenhaus und dem Unfallversicherungsträger Streit entsteht. Zu den Rechtsstreitigkeiten in Abrechnungsverhältnissen iS des Urteils des BGH vom 10. Januar 1984 (aaO) sowie zu den aus der Kostenzusage iS der Entscheidungen des BSG vom 14. Januar 1981 (BSGE 51, 108) und vom 20. Januar 1982 (BSGE 53, 62) gehören auch Streitigkeiten darüber, ob die geltend gemachte Forderung des Krankenhauses verjährt ist.

Für die Verjährung eines Anspruches des Krankenhauses gegenüber dem Träger der gesetzlichen Unfallversicherung auf Zahlung der Kosten stationärer Behandlung aus Anlaß eines Arbeitsunfalles bestehen keine ausdrücklichen Vorschriften. Das SG hat zutreffend entschieden, daß nicht die zivilrechtliche Regelung des § 196 Abs 1 Nrn 11 und 14 BGB entsprechend anzuwenden ist. Es wäre, wie das SG mit Recht ausführt, widersprüchlich, das dem Rechtsstreit zugrundeliegende Rechtsverhältnis einerseits - wovon auch die Revision weiterhin ausgeht - für die Entscheidung über den Rechtsweg dem öffentlichen Recht zuzuordnen, andererseits bei der Sachentscheidung aber zivilrechtliche und nicht gleichfalls vorhandene öffentlich-rechtliche Regelungen der Verjährung analog anzuwenden. Deshalb wird entgegen der Auffassung der Revision die analoge Anwendung der Verjährungsvorschriften des SGB nicht aus dem öffentlich-rechtlichen Charakter dieser Einredenorm, sondern aus der - von der Rechtsprechung des BSG und des BGH angenommenen - öffentlich-rechtlichen Natur des Rechtsverhältnisses abgeleitet, für das die Frage der Verjährung zu entscheiden ist. Aus den Regelungen der Verjährung im SGB ergibt sich jedoch, daß der Gesetzgeber davon ausgegangen ist, in den dem SGB zugeordneten Bereichen eine einheitliche Verjährungsfrist von 4 Jahren festzulegen (s § 45 SGB I, §§ 25, 27 SGB IV, § 113 SGB X, BT-Drucks 7/868 Seite 30). Diese Regelungen sind hier entsprechend anzuwenden, so daß die Forderungen der Klägerin nicht verjährt sind, wie das SG zutreffend entschieden hat.

Der Senat braucht deshalb nicht zu prüfen, inwieweit die Entscheidung der Beklagten auch deshalb rechtswidrig ist, weil sie keine Gründe dafür dargelegt hat, die Einrede der Verjährung zu erheben. Eine Forderung zu begleichen, die nicht nur dem Grunde und der Höhe nach überhaupt nicht bestritten wird und bei der zudem nicht einmal feststeht, in welchen Verantwortungsbereich das Fehlen der ersten Rechnung fällt, steht im Hinblick darauf, daß die Gegenleistungen voll erbracht sind, nicht schon grundsätzlich im Widerspruch mit einer sparsamen und wirtschaftlichen Verwaltung. Die Zahlung kann vielmehr sowohl der vertrauensvollen Zusammenarbeit zwischen Krankenhaus und Berufsgenossenschaft, auf welche auch die BG im Interesse der optimalen Versorgung ihrer Versicherten angewiesen ist, als auch den Grundsätzen eines ordentlichen Kaufmannes - die auch der öffentlichen Verwaltung nicht ganz fremd sein sollten - entsprechen.

Die Revision war daher zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Abs 4 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1659583

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