Verfahrensgang

LSG Nordrhein-Westfalen (Urteil vom 13.12.1979; Aktenzeichen L 16 Kr 183/77)

 

Tenor

Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landessozialgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 13. Dezember 1979 aufgehoben. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.

 

Tatbestand

I

Die Beteiligten streiten um die Zahlung von Krankenhauskosten, die der Kläger als Krankenhausträger gegen die Beklagte aufgrund einer Kostenzusage geltend macht.

Die Beigeladene ist Mitglied der Beklagten. Seit 1967 befindet sie sich im Westfälischen Landeskrankenhaus E… – … (E.), mit Ausnahme der Zeit vom 25. Februar bis zum 7. Juli 1975, in der sie probeweise in das geriatrische Langzeitkrankenhaus N… verlegt war. Träger des Landeskrankenhauses E. ist der Kläger. Nachdem die Beigeladene am 7. Juli 1975 wieder in dieses Krankenhaus zurückgekehrt war, verlangte das Krankenhaus von der Allgemeinen Ortskrankenkasse (AOK) W…, der Rechtsvorgängerin der Beklagten, die Übernahme der Kosten. Die AOK teilte am 30. September 1975 dem Landeskrankenhaus in einem Kostenverpflichtungsschein mit, die Beigeladene sei ihr Mitglied und werde dem Krankenhaus zur stationären Behandlung überwiesen; die Kosten würden zu den kassenüblichen Sätzen, bei auswärtigen Krankenhäusern zu den mit der dortigen AOK vereinbarten Sätzen für die Dauer der unbedingt notwendigen stationären Behandlung in Höhe von 100 vH übernommen; die Kostenübernahme sei vorläufig befristet bis 7. Oktober 1975. Am 30. Oktober 1975 teilte der Vertrauensarzt Dr. T… der AOK mit, nach seiner Meinung handele es sich um einen Pflegefall. Die AOK lehnte deshalb mit Schreiben vom 31. Oktober 1975 die Übernahme der Kosten ab 7. Juli 1975 ab. Auf die am 20. Oktober 1977 erhobene Klage hat das Sozialgericht (SG) die Beklagte verurteilt, dem Kläger 5.087,10 DM Krankenhauskosten zu zahlen. Die Beklagte hat mit ihrer Berufung erstmals geltend gemacht, der Rechtsweg zu den Sozialgerichten sei nicht gegeben. Mit Urteil vom 13. Dezember 1979 hat das Landessozialgericht (LSG) den Rechtsweg zu den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit für unzulässig erklärt und den Rechtsstreit auf den (Hilfs-) Antrag des Klägers an das Landgericht B… verwiesen.

Der Kläger macht mit der vom Senat zugelassenen Revision geltend, mit der Kostenzusage sei zwischen Kläger und Beklagter ein Vertrag zugunsten der Beigeladenen zustande gekommen, an den die Beigeladene bis zum Widerruf gebunden sei. Insbesondere seien die Voraussetzungen für eine Anfechtung nach § 123 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) nicht erfüllt. Die Beklagte erteile eine Kostenzusage nur, weil und soweit sie dazu im öffentlich-rechtlichen Verhältnis zwischen ihr und ihrem Versicherten verpflichtet sei. Diese öffentlich-rechtliche Grundlage für die Kostenzusage präge auch das Verhältnis zwischen der Beklagten und dem Kläger, soweit es um die Frage des Rechtsweges gehe.

Der Kläger beantragt sinngemäß,

das Urteil des LSG aufzuheben und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des SG Münster vom 5. Dezember 1978 zurückzuweisen.

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Die Beigeladene hat sich am Verfahren nicht beteiligt.

 

Entscheidungsgründe

II

Die Revision des Klägers ist iS der Zurückverweisung der Sache an das LSG zu neuer Verhandlung und Entscheidung begründet. Zu Unrecht hat das LSG den Rechtsweg zu den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit verneint. Diese Gerichte entscheiden gemäß § 51 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) über öffentlich-rechtliche Streitigkeit en in Angelegenheiten der Sozialversicherung. Bei dem geltend gemachten Zahlungsanspruch des Klägers gegen die Beklagte handelt es sich um eine solche Streitigkeit.

Die Art einer Streitigkeit, öffentlich- oder bürgerlichrechtlich, bestimmt sich, wenn eine ausdrückliche Rechtswegzuweisung des Gesetzgebers fehlt, nach der Natur des Rechtsverhältnisses, aus dem der Klaganspruch hergeleitet wird (GmS OGB in BSGE 37, 292 = SozR 1500 § 51 Nr 2). In der Regel ist eine Streitigkeit öffentlich-rechtlich, wenn sie aus Rechtsbeziehungen erwachsen ist, die öffentliche Aufgaben regeln (BSGE 36, 238, 239 = SozR SGG § 51 Nr 64) oder wenn ein Hoheitsträger aufgrund besonderer, speziell ihn berechtigender oder verpflichtender Rechtsvorschriften beteiligt ist (BSGE 35, 188, 191 = SozR SGG § 51 Nr 61). Dabei wird mit dem Begriff des Hoheitsträgers nicht eine übergeordnete Stellung des Beteiligten betont, sondern seine Eigenschaft als hoheitlicher Träger einer öffentlichrechtlichen Aufgabe.

Die Beklagte ist mit der Kostenübernahme aufgrund der gerade sie verpflichtenden Vorschrift des § 184 der Reichsversicherungsordnung (RVO) idF des Leistungsverbesserungsgesetzes vom 19. Dezember 1973 (BGBl I 1925) tätig geworden. Danach hat der Versicherte einen öffentlich-rechtlichen Anspruch gegen die Krankenkasse auf Krankenhauspflege als Sachleistung. Die “Überweisung” der Beigeladenen in das Krankenhaus und die Kostenübernahme sind die Maßnahmen, die die Krankenkasse in Erfüllung des gesetzlichen Auftrags aus § 184 RVO getroffen hat.

Die Beklagte hat der “Einweisung” und der Kostenübernahme allerdings nicht die äußere Form eines Verwaltungsakts gegeben. Der öffentlich-rechtlichen Natur des Klageanspruchs steht es aber nicht entgegen, daß es sich hier statt dessen um die Annahme eines vom Krankenhaus beantragten Vertrages gehandelt hat. Denn dieser Vertrag ist als öffentlichrechtlicher anzusehen. Wenn einem Hoheitsträger, wie hier der Beklagten, in einem öffentlich-rechtlichen Rechtssatz Handlungsbefugnisse eingeräumt sind, so ist ein Vertrag, der im Vollzug der Rechtsnorm eingegangen wird, generell als öffentlich-rechtlich zu qualifizieren (Gern, Verwaltungsarchiv Bd 70, 219, 233). Das muß auch gelten, wenn es bei dem öffentlich-rechtlichen Rechtssatz nicht um eine Befugnis, sondern um eine Pflicht des Hoheitsträgers geht. Dabei kann dahingestellt bleiben, ob alle Rechtsgeschäfte öffentlich-rechtlich sind, die eine Partei “in unmittelbarem Zusammenhang mit der Erledigung von Aufgaben vorzunehmen hat, die ihr kraft öffentlichen Rechts obliegen” (BGH VerwRspr Bd 24, 498, 499). Die beklagte Krankenkasse hat beim Abschluß des Vertrages als Hoheitsträger gehandelt.

Der öffentlich-rechtliche Charakter ihres Handelns ergibt sich aus folgendem: Die Beklagte hatte dabei keine Wahl, ob sie den Vertrag überhaupt abschließen wollte. Wenn die Voraussetzungen für die Krankenhauspflege gegeben sind, bestimmt gemäß § 184 Abs 2 RVO der Versicherte, in welches Krankenhaus er sich begeben will. Zwar kann entsprechend der Satzung der Vorstand der Krankenkasse ermächtigt sein, die Krankenhausbehandlung nur in bestimmten Krankenhäusern zu gewähren und, von dringenden Fällen abgesehen, die Bezahlung anderer Krankenhäuser abzulehnen (§ 184 Abs 2 iVm § 371 RVO idF vor dem 1. Januar 1978, vgl Art 2 § 17 Abs 2 des Krankenversicherungs-Kostendämpfungsgesetzes). Die Beklagte hat aber nicht geltend gemacht, daß das Landeskrankenhaus E… ein anderes Krankenhaus in diesem Sinne sei. Sie mußte der Versicherten in diesem Krankenhaus im Rahmen der dort gebotenen Leistungen Krankenhauspflege nach § 182 Abs 2 RVO gewähren, dh eine ausreichende und zweckmäßige, das Maß des Notwendigen nicht überschreitende Pflege. Im Hinblick auf diese Rechtslage wäre der Beklagten, hätte sie privatrechtlich als Nachfrager von Leistungen gehandelt, praktisch auch kein Spielraum bet der Preisgestaltung geblieben. Sie hat die Kosten aber zu den “kassenüblichen Sätzen” übernommen. Damit hat sie die begrenzten finanziellen Möglichkeiten bei Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgabe zur Geltung gebracht und ist – unabhängig von der geltenden Rechtslage – davon ausgegangen, daß sich das Krankenhaus zu diesen Bedingungen auf den Vertrag einlassen würde. Damit ist sie bei der Kostenübernahme deutlich als Träger ihrer öffentlichen Aufgabe aufgetreten.

Dem Landeskrankenhaus E.… ist diese Lage auch völlig bewußt gewesen. Es ging ihm bei der Bitte um die Kostenzusage nicht um die Klärung der Frage, ob es die Beigeladene aufnehmen könne. Vielmehr suchte es nur den Kostenträger. Damit steht im Einklang, daß die Beteiligten sich zunächst nur darüber gestritten haben, ob es sich um einen Pflegefall gehandelt hat oder um einen Behandlungsfall, bei dem die Krankenkasse nach § 182 RVO leisten muß.

Nicht entscheidend ist schließlich, daß die öffentlich-rechtliche Pflicht der Beklagten zum Handeln nicht gegenüber dem Landeskrankenhaus E.… oder dem Kläger bestanden hat, sondern gegenüber einem Dritten, hier gegenüber dem Versicherten. Die Beklagte ist nämlich aufgrund ihrer öffentlich-rechtlichen Pflicht gegenüber der beigeladenen Versicherten hier auch gegenüber dem Kläger als Hoheitsträger aufgetreten, wie dargelegt. Der Kläger hat deshalb seinen Anspruch von vornherein auf die öffentlich-rechtliche Verpflichtung der Beklagten gestützt, und zwar auch noch in der Revisionsbegründung, wenn er dort geltend macht, die Beklagte erteile Kostenzusagen nur, weil und soweit sie dazu im öffentlich-rechtlichen Verhältnis zwischen ihr und ihren Versicherten verpflichtet sei; diese öffentlich-rechtliche Grundlage für die Kostenzusage präge auch das Verhältnis zwischen der Beklagten und dem Kläger.

Verträgen, die lediglich der Erfüllung einer öffentlich-rechtlichen Pflicht dienen, wird allerdings allgemein der öffentlich-rechtliche Charakter abgesprochen (Kopp, Verwaltungsverfahrensgesetz mit Erläuterungen, 2. Aufl, § 54 RdNr 11). Das dürfte auch der Grund sein, warum die weit überwiegende Meinung in Rechtsprechung und Literatur bisher den Krankenhausaufnahmevertrag zwischen Krankenhaus und Krankenkasse regelmäßig als privatrechtlich angesehen und als Vertrag zugunsten Dritter qualifiziert hat (Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, Stand August 1980, S 190i VI und S 464 ff; Krauskopf/Schroeder-Printzen, Soziale Krankenversicherung, Stand April 1980, § 164 RVO Anm 17.2; Wieglow-Roth, Die Kassenarztgebühren, 5. Aufl, Stand Oktober 1974, S. 280h; Peters/Mengert, Handbuch der Krankenversicherung, 10. Aufl, Stand April 1980, § 184 RVO Anm 8; Peters/Sautter/Wolff, Kommentar zur Sozialgerichtsbarkeit, Stand April 1980, § 51 Anm 9c, S. 123/7-2-f; OLG Stuttgart SGb 1977, 212). Das OLG Stuttgart hat dazu ausgeführt, es stehe dem Sozialversicherungsträger, der für die Krankenhauspflege sorgen müsse, frei, ob er dieser Aufgabe mit hoheitlichen oder mit privatrechtlichen Mitteln nachkommen wolle. Führe er die Behandlung nicht in eigenen Einrichtungen durch, sondern bediene er sich hierzu der Krankenhäuser anderer Träger, in denen die Behandlung üblicherweise auf der Grundlage privatrechtlicher Dienstverträge erfolge, sprächen die Umstande in Ermangelung eines ausdrücklichen anderen Willens der Beteiligten für die privatrechtliche Einordnung. Die Entscheidung des OLG Stuttgart widerspricht nicht der vom Senat vertretenen Meinung, daß es in diesen Fällen darauf ankommt, ob die Krankenkasse als Hoheitsträger im Vollzug ihrer öffentlich-rechtlichen Aufgabe gehandelt hat.

Der Senat weicht mit seiner Entscheidung nicht von der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes (BGH) ab. Der BGH hat in mehreren Entscheidungen einen privatrechtlichen Haftungsanspruch des Kassenpatienten gegen das Krankenhaus angenommen (vgl BGHZ 1, 383, 386; BGH NJW 1956, 1106 und 1959, 816; vgl auch BGH VersR 1971, 251). Indessen steht es der öffentlich-rechtlichen Natur des Rechtsverhältnisses zwischen Krankenkasse und Krankenhaus nicht entgegen, daß das Rechtsverhältnis zwischen dem Krankenhaus und dem Versicherten bürgerlich-rechtlich sein mag (vgl dazu BGH NJW 1959, 2304, 2306 unter IV 1). Eine Abweichung liegt auch nicht vor gegenüber der Entscheidung des BGH vom 16.2.1956 – II ZR 258/54 = VersR 1956, 235). Nach dem Sachverhalt dieser Entscheidung zahlte die beklagte Krankenkasse bei stationärer Behandlung ihrer Mitglieder für Unterbringung und Verpflegung sowie für gewisse Sachleistungen Pflegesätze. Das klagende Krankenhaus verlangte darüber hinaus Kosten für ärztliche Betreuung. Dagegen wandte die Beklagte ein, dafür zahle sie im Rahmen des Gesamtvertrages Kopfbeträge an die Kassenärztliche Vereinigung. Der BGH hat den Rechtsstreit als privatrechtlichen angesehen und ausgeführt, daß der Kläger keinen öffentlich-rechtlichen Anspruch in einer Angelegenheit der Sozialversicherung erhebe, sondern die Forderung auf Erstattung der Arztkosten mit einem privatrechtlichen Vertrag, ggf mit Geschäftsführung ohne Auftrag oder ungerechtfertigter Bereicherung begründe. Daher seien die Voraussetzungen des § 51 SGG nicht erfüllt. Damit unterscheidet sich der Fall vom vorliegenden hinsichtlich der geltend gemachten Anspruchsgrundlagen. Auch in der Entscheidung vom 31. Januar 1957 – VII ZR 33/56 = BGHZ 23, 227, hatte das klagende Krankenhaus seinen Anspruch, wie der BGH hervorhebt, lediglich aus den Bestimmungen des BGB über die Geschäftsführung ohne Auftrag hergeleitet. Der BGH hat ausgeführt, ein solches Rechtsverhältnis könne in gleicher Weise auch zwischen Privatpersonen entstehen, deshalb sei es bürgerlich-rechtlicher Natur.

Für den Rechtsstreit ist nach alledem der Rechtsweg zu den Sozialgerichten gegeben. Die Entscheidung des LSG war deshalb aufzuheben. Das LSG wird nach neuer Verhandlung auch über die Kosten der Revisionsinstanz mitzuentscheiden haben.

 

Fundstellen

BSGE, 108

Breith. 1982, 726

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